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Der Weg, der meist im Waldesschatten lag, war wirklich beschwerlich; aber der Polizeirath duldete nicht, daß eine Blendlaterne, welche der Sergeant bei sich trug, angezündet werde.
»Müssen uns unsichtbar machen,« sagte er, »Licht könnte Einbrecher warnen. Vielleicht Raub schon vollbracht, begegnet uns auf Weg, sieht uns von fern, flüchtet in dichten Wald. Gang vergeblich. Dürfen auch unterwegs nicht mehr sprechen. Vorwärts in lautloser Stille. Sergeant und Doctor voran, Weg zeigen, Hans und ich folgen. Doctor führt nächsten Weg zum Schloß Nordenheim. Sergeant und Hans bleiben draußen, behalten Fenster und Zimmer, in welchem Geldschrank steht, vor Augen; Doctor und ich gehen ins Schloß nach dem Zimmer. Jeder Verdächtige unterwegs, beim Schloß oder im Innern verhaftet. Handschellen in der Tasche, Sergeant?«
»Zu befehlen, Herr Polizeirath. Zwei Paar!«
»Gut. Mir ein Paar! Danke. Ergriffener Verbrecher wird sofort gefesselt; aber Nürnberger hängen keinen, ehe sie ihn haben. Jetzt vorwärts, kein Wort mehr. Große Schritte und schnell, Sergeant, brauchen keine Rücksicht auf mich zu nehmen, komm' schon nach.«
Und vorwärts ging es; der Sergeant schritt, dem Befehle seines Vorgesetzten folgend, so rüstig aus, daß Fritz glaubte, der Polizeirath müsse zurückbleiben, der kleine, dicke, schwerfällige Mann aber war plötzlich völlig umgewandelt, er ging so straff und schnell, wie der Jüngste und Schnellste; nur dadurch, daß er mitunter sein Taschentuch hervorzog und die schweißbedeckte Stirn trocknete, zeigte er, welche Anstrengung ihm das schnelle Gehen in dem oft tiefen, mahlenden Sande kostete.
Nach einer Viertelstunde hatten die Wanderer die Waldblöße erreicht, auf welcher der Leichnam Heinrichs von Nordenheim von Elwinen aufgefunden worden war.
Hans stieß den Polizeirath an:
»Dort lag er!« sagte er im leisesten Flüsterton.
»St!« war die einzige Erwiderung.
Der Polizeirath blieb einen einzigen Moment stehen, sein Blick schweifte über die Lichtung; aber es war zu dunkel, als daß er irgend Etwas hätte erkennen können; er gab sich deshalb auch nicht die Mühe, weiter zu forschen, eiligen Schritts ging er vorwärts.
Wieder eine Viertelstunde verging; sie hatten jene Stelle erreicht, wo beim Schießstand die den Schloßgarten begrenzende Lyciumhecke durchbrochen war. Mit verdoppelter Vorsicht auf den Zehen schlichen sie durch den Garten. Jetzt lichtete sich das Buschwerk, Schloß Nordenheim mit seiner stattlichen Fensterfront lag vor ihnen, nur ein breiter Rasenplatz, in dessen Mitte ein Springbrunnen plätscherte, trennte sie noch vom Schloß, welches sie nur als eine dunkle, vom Sternenhimmel sich schwarz absetzende Masse erblickten.
Aber Einer sah mehr, der Sergeant! Sein scharfes Auge erkannte trotz der Dunkelheit, daß eine Leiter an einem Fenster im ersten Stockwerk des Schlosses lehnte und eine dunkle Gestalt eben im Begriff war, die Sprossen emporzusteigen.
Im leisesten Ton, so leise, daß selbst Fritz, der doch unmittelbar neben ihm stand, ihn nicht hörte, machte er dem Polizeirath die Mittheilung.
»Drauf!« erwiderte dieser und im nächstem Augenblick schon stürmte der Sergeant über den Rasenplatz fort dem Schlosse zu, die Uebrigen folgten ihm; Fritz, der jetzt ebenfalls die dunkle Gestalt auf der Leiter erkannte, blieb dicht an seiner Seite; unmittelbar hinter ihm folgte der Polizeirath, der mit einer, bei seinem schwerfälligen Körper unbegreiflichen Schnelligkeit vorwärts eilte und Hans weit überholte, obgleich dieser sich auf das Aeußerste bemühte, um nachzukommen.
Der auf der Leiter war schon fast bis zur Höhe des Fensters gelangt, als er plötzlich im Steigen inne hielt.
Ein Geräusch hatte sein Ohr erreicht, sein spähender Blick flog über den Rasenplatz; er sah vier dunkle Gestalten gegen das Schloß vorstürmen. Ohne sich zu besinnen, sprang er von der Leiter die Höhe von wohl 15 Fuß hinunter und so schnell er laufen konnte, mit dem Aufgebot seiner ganzen Kraft eilte er nach der entgegengesetzten Seite dem nahen Gebüsch zu; hatte er nur dieses erst erreicht, dann war er bald in dem nahen Walde und dort, das wußte er, fand er immer Verstecke, in denen er der Verfolgung spotten konnte. Er war ein kräftiger Läufer, der in Geschwindigkeit seines Gleichen suchte, aber die ihn verfolgten waren noch schneller; näher kamen sie, immer näher, mit jeder Sekunde verminderte sich der Vorsprung, den er hatte. Das Gebüsch, in welchem er Rettung erhoffte, lag kaum noch zwanzig Schritte von ihm, schon aber hörte er unmittelbar hinter sich das heftige Athmen der Verfolger. Er konnte ihnen nicht entrinnen. Schnell entschlossen zog aus der Brusttasche des Kittels ein langes, scharfes Messer, dann machte er plötzlich einen Seitensprung und wendete sich gegen seine Verfolger um.
Der Eine derselben, Fritz Stern, der ihm am nächsten war, vermochte im eiligen Lauf nicht gleich inne zu halten, er stürzte vorüber; der zweite aber, der Sergeant, mochte wohl auf solch ein Kunststück vorbereitet sein, er stand im nächsten Augenblick zur Seite des Verfolgten, der ohne zu zögern das Messer erhob und es ihm mit gewaltiger Kraft in die Brust stieß; der Sergeant wankte, er brach zusammen. Schon glaubte der Einbrecher gesiegt zu haben, zum zweiten Mal erhob er das Messer, um es gegen Fritz Stern zu gebrauchen, der jetzt ebenfalls sich gegen ihn wendete; mit dem Einen wollte er schon fertig werden und die beiden Anderen waren noch mindestens 10 Schritt zurück. Aber er täuschte sich, die mit dem Messer erhobene Faust fühlte er plötzlich wie mit einer Eisenklammer umfaßt; er konnte den mörderischen Stoß nicht führen, eine gewaltige Hand hielt seine Faust mit Riesenkraft fest. Fritz Stern hatte sie ergriffen, vergeblich suchte er sich loszureißen.
Noch ein Moment, dann stand auch der Polizeirath an der Seite des Verfolgten und ergriff ihn mit kräftiger Hand an der Kehle, diese wie mit einem Schraubestock zusammenpressend. Krampfhaft zuckend stürzte der Einbrecher nieder, die Sinne schwanden ihm und als er gleich darauf wieder zum Bewußtsein erwachte, fand er seine Hände zusammengekettet durch die eisernen Handschellen, welche ihm der dicke Herr in einem Augenblick mit bewunderungswürdiger Geschicklichkeit und Schnelligkeit angelegt hatte.
»Den Vogel hätten wir!« sagte der Polizeirath. »Verwundet, Doctor?«
»Nein, Herr Polizeirath.«
»Sie, Sergeant?«
»Zu Befehlen, Herr Polizeirath!« erwiderte der Sergeant, der wieder aufgesprungen war und jetzt in straffester dienstlicher Haltung seinen Vorgesetzten begrüßte. »Aber nur ein Fleischriß. Gut gemeint hat's der Schuft, stieß mir das Messer gerade auf die Brust; aber es ist an meiner Schnupftabaksdose, die ich in der Brusttasche trage, abgeglitten. Nur ein Riß in's Fleisch, weiter nichts, das fühle ich.«
»Desto besser. Blendlaternen anzünden. Wollen den Vogel ansehen.«
Der Sergeant gehorchte, er zündete mit einem Streichhölzchen die Blendlaternen an und leuchtete dem auf dem Rasen liegenden gefesselten Einbrecher in das Gesicht.
»Wildmichel!« rief Fritz, der beim Laternenschein die häßlichen Züge des Wilddiebes erkannte.
»Also doch!« sagte der Polizeirath fast ein wenig verdrießlich. »Hätt's nicht gedacht. Frauenzimmerklugheit! Sonderbar. Sergeant!«
»Zu Befehlen, Herr Polizeirath.«
»Durchsuchen.«
»Der Sergeant durchsuchte mit großem Eifer und durch die Uebung erzeugter Geschicklichkeit alle Taschen des Gefangenen und triumphirend zeigte er, was er gefunden hatte: außer einigen nicht nennenswerthen Kleinigkeiten einen kunstreich gearbeiteten, in einem feinen Lederetui befindlichen Schlüssel; ein kleines Stückchen seidener Schnur hing noch an dem Etui.
»Es ist der Schlüssel zum eisernen Geldschrank meines Bruders,« sagte Fritz Stern, welchem der Polizeirath den Schlüssel zeigte.
»Wußt' es wohl, daß der Kerl die heutige Nacht benutzen würde;« sagte der Polizeirath, »aber daß der Wildmichel der Mörder des Barons sei, hätte ich nicht gedacht.«
Wildmichel hatte bisher kein Wort gesprochen, widerstandslos hatte er seine Taschen durchsuchen lassen und nur mit stierem Blick bald den Polizeirath, bald den Sergeanten, bald Fritz Stern angeschaut; als er aber hörte, daß der alte Herr ihn den Mörder des Barons nannte, fuhr er jäh in die Höhe.
»Ich habe den Baron nicht gemordet!« rief er aus.
»Als wir ihn fanden, Fräulein Elwine und ich, war er schon todt. Fräulein kann es mir bezeugen.«
Der Polizeirath schaute den Wildmichel recht gutmüthig freundlich an. »Soll mich freuen, wenn's wahr ist,« sagte er; aber woher hast Du wohl den Schlüssel hier?«
Wildmichel warf nur einen flüchtigen Blick auf den Schlüssel, dann aber stierte er vor sich nieder, – er zögerte mit der Antwort, erst nach langem Besinnen erwiderte er: »Im Walde gefunden habe ich ihn.«
»So? Kanntest Du ihn?«
»Ja.«
»Woher wußtest Du, daß der Schlüssel den Geldschrank des Barons schließe?« .
»Die Leute im Dorf haben es erzählt, daß der Baron in seinem Schlafzimmer einen eisernen Schrank voll Geld habe und den Schlüssel trage er an einer seidenen Schnur und um den Hals.«
»Was wolltest Du dort auf der Leiter?«
Wieder zögerte Wildmichel, er besann sich lange, ehe er antwortete, und als er es that, stieß er jedes Wort einzeln heraus. »Wollte – – bin ein armer Kerl, – der Teufel hat mich geritten. – Ich dachte, was nutzt dem todten Baron sein Geld? – – Fremde Leute bekommen es, – die sind ja ohnehin reich genug, – – – da wollte ich, – – nun ja, ich wollte mir aus dem Geldschrank so viel holen, daß ich nach Amerika auswandern könnte. – – Ein Dieb bin ich, – das kann ein armer Kerl schon sein; – aber ein Mörder bin ich nicht.«
»Kannst nichts dafür, mein Galgenvogel, daß ich noch lebe!« rief der Sergeant ergrimmt.
»Still, Sergeant!« befahl der Polizeirath.
»Zu befehlen, Herr Polizeirath.«
Wildmichel erwiderte nichts, er schaute den Sergeanten nur scheu von der Seite an; bebend erwartete er die weiteren Fragen des Polizeiraths, der aber wendete sich zu Fritz Stern, indem er sagte:
»Zu weiterem Verhör hier keine Zeit. Noch viel zu thun heut Nacht. Auch zwecklos. – Hier genug erreicht. Giebt's Gefängniß in Nordenheim?
»Nein, aber im alten Schloß Kabelwitz, – dort wird Forstgerichtstag abgehalten.«
»Desto besser, haben dann den Wildmichel zur Stelle. Nach Kabelwitz zurück! Sergeant und Hans führen Wildmichel.«
»Soll ich nicht die Leute wecken und anspannen lassen, Herr Polizeirath? Sie strengen sich zu sehr an.«
»Nein. Ehe Leute wach werden und angespannt haben, sind wir in Kabelwitz. Kenne keine Anstrengung im Dienst. Vorwärts.«
Und vorwärts ging's, voran der Sergeant und Hans, in deren Mitte der mit Handschellen gefesselte Wildmichel einherschritt, der Polizeirath und Fritz Stern folgten ihm.
Gesprochen wurde auf dem Wege wenig, der Polizeirath sann nach über die weiteren Schritte, welche zu thun seien und Fritz Stern war so tief in seine schmerzlichen Gedanken versunken, daß er keinen Versuch machte, ein Gespräch anzuknüpfen.
Als die verhängnißvolle Waldlichtung erreicht war, schlug der Polizeirath den Wildmichel leicht auf die Schulter. »Hier geschah der Mord,« sagte er leise.
Wildmichel schaute scheu nach der Lichtung hinüber, dann aber wandte er schaudernd das Gesicht ab: »Ich war es nicht!« murmelte er halb unverständlich. »Das Fräulein kann es bezeugen, ich war es gewiß nicht.«
Der Polizeirath drang nicht weiter in ihn. Er hatte seinen Zweck erreicht, dies genügte ihm vorläufig. Schweigend wurde der weitere Weg nach Kabelwitz zurückgelegt.