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Es war die höchste Zeit, der Zug setzte sich eben in Bewegung, als Fritz, die Reisetasche in der Hand, in den Wagen sprang, aus welchem ihm der Polizeirath winkte. In einem Coupé Zweiter Classe saßen die beiden Reisenden allein, sie konnten ungestört plaudern. –
Der Polizeirath hatte die Aufregung, in welche er durch die neue Entdeckung gerathen war, noch immer nicht überwunden. »Glaubte ein Menschenkenner zu sein,« sagte er, »bin ein altes grauhaariges Kameel. Alter Polizist und muß mich betrügen lassen von einem Wildmichel und einer Grete! Glaubte wirklich, Kerl sei unschuldig am Morde. Bedauerte armes Weib! – Obstinater Kerl, wird schwer werden, ihn zum Geständniß zu bringen, wo Geld gelassen hat, denke aber Thaler wird Wirkung ausüben. – Werde heut Abend nach Kabelwitz kommen, Grete verhaften. Weib vielleicht fügsamer. – Werden Räthsel lösen, welches über Verbrechen schwebt. – Thaler Verräther! – Sehen jetzt selbst, Doctor, welch ein Glück, daß ich auf Ihren Verdacht nicht einging. – Haben dem Grafen schweres Unrecht gethan, sollten ihm auf den Knieen Abbitte leisten. Zum Glück weiß er nichts davon!« –
So plauderte der Polizeirath, welchem Fritz, nur hier und da eine Bemerkung einreihend, zuhörte. Auch auf ihn hatte die Auffindung des verrätherischen Thalers ihren Einfluß nicht verfehlt, er konnte jetzt ebensowenig wie der Polizeirath noch zweifeln, daß Wildmichel der Mörder sei, daß er seiner Frau einen Theil des Geldes oder die ganze geraubte Summe zur Aufbewahrung gegeben habe, der von Grete verausgabte Thaler sprach zu laut und überzeugend. – Wenn aber Wildmichel der Mörder, dann mußte Graf Sarentin unschuldig sein! – Er sah dies nun ein, er erkannte die Nichtigkeit der gegen den Grafen jetzt noch vorliegenden Verdachtsgründe an und dennoch, – wie seltsam! – konnte er den Verdacht gegen Sarentin nicht besiegen. Immer wieder trat das Bild des Grafen, wie er ihn bleich, zitternd, kaum auf die Worte des Majors achtend, in jener Nacht gesehen hatte, vor seine Erinnerung und vergeblich suchte er sich selbst zu überreden, daß damals die fieberhafte Aufregung Sarentins durch die Vereitelung seiner Hoffnung, nicht durch quälende Gewissensbisse oder die Furcht vor der Entdeckung eines Verbrechens hervorgerufen worden sei. – Er schämte sich seines Verdachts, dieser aber blieb ihm.
P*** war bald erreicht. Auf dem Bahnhof stand die Equipage des Majors, welche Fritz erwartete. – »Wir sehen uns heut Abend in Kabelwitz«, sagte der Polizeirath beim Scheiden. »Nach dem Verhör Wildmichels muß ich, so schwer es mir auch wird, – die Grete verhaften; habe deshalb zu Haus hinterlassen, Sergeant Weirauch mit dem nächsten Zug nachkommen. – Lasse Sie aus Gesellschaft herausrufen, theile Ihnen mit, was geschehen. Vergessen Sie nicht, Doctor, daß Sie Graf Sarentin schweres Unrecht gethan und viel wieder gut zu machen haben!« –
Mit diesem Worte schied er; Fritz stieg in den Wagen; die muthigen Braunen führten ihn im schnellen Trabe nach Kabelwitz.
Erst als er allein im Wagen saß, konnte er mit Ruhe überlegen, wie er sich dem Oheim, wie Elwinen und dem Grafen gegenüber zu verhalten habe. War Elwine durch Drohungen, oder auch nur durch Ueberredung gezwungen worden, in die Verlobung zu willigen, dann mußte dieser Zwang gelöst werden, auch auf die Gefahr hin, daß die Gesundheit des Majors durch die unvermeidliche Aufregung gefährdet werde. Hier gab es keine Wahl. Das Glück eines jungen Lebens durfte nicht den Grillen und dem Eigensinn eines alten kranken Mannes geopfert werden.
Wenn aber Elwine freiwillig ja gesagt hatte? Sein Herz zog sich krampfhaft bei dem Gedanken zusammen; er wollte daran nicht glauben; aber der Verstand sagte ihm, daß doch möglich sei, was das Herz für unmöglich halten wollte. Er hatte bei seinem letzten Besuche in Kabelwitz wohl die Veränderung in Elwinens Meinung über den Grafen bemerkt; der Oheim schrieb ihm, daß sie ganz freiwillig »Ja« gesagt habe und einer Unwahrheit, dies wußte er, war der alte Soldat nicht fähig.
Nur wenn ein Zwang gegen sie geübt wurde, durfte er ihr helfend als ihr natürlicher Schützer zur Seite treten, ihren eigenen Willen zu beugen, hatte er kein Recht. Er mußte das Widerstreben seines Herzens überwinden, er durfte sie nicht zu überreden suchen. Er war entschlossen. Sie sollte den Schmerz nicht ahnen, der ihn verzehrte. Keine Veränderung in seinem Wesen sollte ihr zeigen, was er fühlte. Dem Oheim mußte er mit alter Herzlichkeit, dem Grafen Sarentin mit ungezwungener Höflichkeit entgegentreten.
Der Wagen hielt, Schloß Kabelwitz war erreicht. – Fritz schaute nach dem Fenster von Elwinens Stübchen, – er sah sie, sie blickte zu ihm herab, aber seinen Gruß erwiedernd trat sie zurück. Er mußte sie sprechen, mußte Gewißheit haben, ehe er den Oheim aufsuchte. Flüchtigen Schrittes eilte er die Treppe in die Höhe bei des Majors Zimmer vorüber; ohne zu klopfen, öffnete er die Thür zu Elwinens Stübchen.
Sie hatte seinen Schritt gehört, sie erwartete ihn. Wie bleich sie war! Wie hatte sie sich in den wenigen Wochen, seit er sie nicht gesehen, verändert. – Die früher stolz und kräftig aufgerichtete Gestalt war gebeugt, das strahlend schwarze Auge schien umflort, es lag tief in den Höhlen und um den Mund zuckte statt des kecken, frischen Lächelns ein Zug schmerzlicher Ergebung. Sie hatte sich vorgenommen, ihn mit kalter Freundlichkeit zu empfangen, als er aber jetzt, ihr beide Hände entgegenstreckend, auf sie zueilte, als sie in sein in tiefster Erregung erglühendes Gesicht schaute, als er ihr zurief: »Elwine, meine liebe, liebe Elwine, sage mir, wie konnte dies geschehen?« da siegte das Herz über den nüchternen kaltberechnenden Verstand. Alle ihre Vorsätze, sich zu beherrschen, kalt und ruhig zu erscheinen, vergessend, brach sie in ein krampfhaftes Schluchzen aus und als nun sein Arm sie umfing, lehnte sie den Kopf an seine Brust.
»Was ist geschehen, Elwine, sage es mir?« so sprach er, sie zärtlich an sich drückend, mit bebender Stimme. »Hat man Dich gezwungen, Du armes Kind? Ich dulde es nicht, das schwöre ich Dir!«
Seine Worte gaben ihr die verlorene Selbstbeherrschung zurück. Sie entzog sich seinem Arm und ihre Thränen trocknend, erwiderte sie:
»Nein, Fritz, Du irrst Dich! Mich hat Niemand gezwungen.«
»Freiwillig willst Du des Grafen Braut werden?«
»Ja.«
»Es ist unmöglich, ich kann es nicht glauben! So schnell kann sich Dein Abscheu nicht in Liebe umgewandelt haben.«
Ein dunkles Roth überflog Elwinens bleiche Wangen, ihr schwarzes Auge leuchtete zornig auf, als sie antwortete:
»Wer spricht von Liebe? Der Graf verlangt sie nicht. Hast nicht auch Du mir einst gerathen, ich solle Heinrich meine Hand geben, obwohl Du wußtest, daß ich ihn nicht liebte? Ich habe Alfons schweres Unrecht gethan! Er ist ein edler Mensch; wenn ich ihn nicht lieben kann, so achte ich ihn doch!«
Ein Gefühl tiefer Bitterkeit erfüllte Fritz, als er hörte, wie Elwine den Vornamen des gehaßten Mannes nannte und sie diesen so eifrig lobte.
»Du kennst ihn nicht!« sagte er mißmuthig.
»Ich kenne sein Herz! Zu lange habe ich mich durch Dein Vorurtheil gegen ihn verführen lassen, ihn unfreundlich zu behandeln. – Der entsetzliche, ungerechtfertigte Verdacht, den Du so schonungslos gegen ihn ausgesprochen hast, hat mir zuerst die Augen über die Ungerechtigkeit Deiner Feindschaft gegen ihn geöffnet; seitdem habe i ihn besser kennen gelernt und ihm freiwillig, – ja Fritz, freiwillig mein Jawort gegeben. Ich habe es gethan, – Dir, meinem Bruder, darf ich es sagen, – um den höchsten Wunsch meines Vaters zu erfüllen, mein Nein würde ihn getödtet haben. – Quäle mich nicht mit Einwendungen; mache mir die Pflicht, die ich erfülle, nicht schwerer, als sie ohnehin ist. – Geh, Fritz, ich muß mit mir selbst allein sein, um mich vorzubereiten auf den heutigen Abend! Geh, der Vater erwartet Dich.«
Sie wendete sich ab, um die Thränen zu verbergen, die sie trotz der Aufbietung ihrer höchsten Willenskraft nicht länger zurückzuhalten vermochte.
Elwinens Worte hatten Fritz in tiefster Seele erschüttert.
»Freiwillig hatte sie ihr Wort gegeben, sie hatte sich geopfert für den kranken Vater. Ihr Entschluß war gefaßt, – er war, das fühlte er wohl, unerschütterlich; ein wilder Schmerz ergriff ihn, als er sich sagte, daß sie verloren für ihn sei für alle Zeit. Die gewohnte Selbstbeherrschung, die er bisher in allen Lagen des Lebens so kräftig aufrecht zu erhalten gewußt hatte, verließ ihn; sich selbst vergessend, nur dem unüberwindlichen Drange des Gefühls folgend, zog er Elwinen zu sich, sie widerstrebte ihm nicht mehr und als er sie nun mit glühender Leidenschaft küßte, da umschlang sie seinen Hals mit ihren Armen, da erwiederte sie liebetrunken seine Küsse.
»Es kann, es darf nicht geschehen!« rief er, das geliebte Mädchen feurig umarmend. »Du bist mein, Elwine, ich lasse Dich nicht. Du darfst Dich diesem Elenden nicht opfern. Dem theuren Dahingeschiedenen, meinem Bruder Heinrich, konnte ich meine Liebe opfern, nicht aber seinem Mörder!«
Das Wort wirkte elektrisch. Elwine riß sich los von ihm; – tief erröthend floh sie zum Fenster, er wagte ihr nicht zu folgen.
»Geh, Fritz,;« sagte sie mit tonloser Stimme, »verlaß mich, mein Schicksal ist unabänderlich entschieden! – O, hätte ich früher gewußt, daß Du mich liebst! Aber es ist zu spät. Ich habe mein Wort gegeben, und ich würde meinen Vater tödten, wenn ich es brechen wollte!«
»Elwine!«
»Fritz, ich flehe Dich an, verlaß mich. Willst Du, daß ich die Achtung vor mir selbst verlieren soll? – Schon habe ich, die Braut eines Andern, in freventlicher Selbstvergessenheit Dir verrathen, daß ich Dich liebe, schon habe ich mich schwer vergangen; aber noch zur rechten Zeit hast Du durch Deine entsetzliche, ungerechte Anklage mich an meine Pflicht erinnert. – Ich werde sie erfüllen! – Geh, Fritz, wir müssen scheiden für immer!«
Fritz antwortete nicht, schweigend, gebeugten Hauptes, verließ er Elwine. Als er wieder allein draußen auf dem langen Gange, der das ganze Schloß durchschnitt, war, blieb er lange stehen, – er bedurfte der Zeit, um sich zu sammeln, dann aber richtete er sich kräftig auf. – »Sie erfüllt ihre Pflicht!« sagte er sich selbst. – »Sie soll mich nicht schwach finden. – Wie sie heldenmüthig zu entsagen entschlossen ist, so werde auch ich mein Herz bezwingen.«
Langsam durchschritt er den Gang; er erreichte die Thür zum Wohnzimmer des Oheims, noch einen Augenblick blieb er stehen, – als er aber eintrat, war er so ruhig und gefaßt, grüßte er mit so unbefangener Freundlichkeit und Herzlichkeit den Major, daß dieser, obgleich er wußte, daß Fritz von Elwinen kam, doch nicht ahnen konnte, wie nahe der Vereitelung seine liebsten Pläne gewesen waren.
Und diese Ruhe bewahrte Fritz; gegen den Oheim zeigte er seine gewohnte Herzlichkeit, gegen Elwine, welche bald darauf, noch immer mit hochrothen Wangen, im Wohnzimmer erschien und es kaum wagte, ihn anzublicken, die alte brüderliche Freundlichkeit, gegen den Grafen Sarentin, der gegen vier Uhr im Schloß eintraf, eine rücksichtsvolle Höflichkeit, – welche der Graf mit einem überfreundlichen Entgegenkommen vergalt.
Der Major war glücklich. Er hatte gefürchtet, Fritz, den er so sehr liebte, werde ihm eine schwere Stunde bereiten, er werde gezwungen sein, dessen Einwendungen gegen die Verlobung vielleicht mit harten Worten zurückzuweisen; um so freudiger er war er überrascht, als Fritz sich jedes Tadels enthielt und von der Verlobung als von einer abgemachten Sache sprach; als nun gar nach der Ankunft des Grafen sich nicht, wie er gefürchtet hatte, zwischen diesem und seinem Neffen ein sehr gespanntes, feindseliges Verhältniß zeigte, sondern Beide sich streng in den Formen der gesellschaftlichen Höflichkeit bewegten, als der Graf sogar offen den Wunsch aussprach, Fritz freundlich näher zu treten und dieser ihn nicht herb zurückwies, da traten dem alten Herrn die Thränen in die Augen.
»Mein lieber, lieber Junge,« sagte er, Fritz die Hände drückend, »Du machst mich alten, kranken Mann wahrhaft glücklich.« – Ein dankbarer Blick Elwinens bestätigte die Worte ihres Vaters und belohnte Fritz für den entsetzlichen Zwang, den er sich ihretwegen auferlegte und den er doch kaum zu ertragen vermochte. – Jedes höfliche, freundliche Wort, welches er zu Sarentin sprach, kostete ihm die schwerste Selbstüberwindung; niemals war ihm der Graf verhaßter gewesen, niemals hatte er lebendiger das Gefühl des Widerwillens gegen ihn empfunden.
Die wenigen Nachmittagsstunden, welche dem Major in dem kleinen Familienkreise so schnell vergingen, ihm ein so großes Glück gewährten, waren für Fritz eine Zeit unsäglicher Qual. Mit eifersüchtigen Auge bewachte er jede Annäherung Sarentin's an Elwine, als jener sich neben seine Braut setzte und vertraulich deren Hand ergriff, hätte ihn Fritz vernichten mögen, obgleich er sich sagen mußte, daß der Graf eine musterhafte Rücksichtsnahme zeigte, daß er seiner Braut nicht mit Zärtlichkeitsbezeugungen lästig fiel.
Die Stunden verflossen mit bleierner Langsamkeit, Fritz vermochte kaum mehr seine peinigende Ungeduld zu zügeln, seine schwer errungene Fassung zu bewahren, als zu seiner höchsten Erleichterung das Rollen eines Wagens auf dem Pflaster des Schloßhofes das Eintreffen der ersten Gäste verkündete und der Unterhaltung im engsten Familienkreise ein Ende machte.
Der Major hatte für das Verlobungsfest seiner Tochter glänzende Vorbereitungen getroffen. Der große Saal im Erdgeschoß des Schlosses und die daran stoßenden Prachtzimmer waren festlich geziert und tageshell erleuchtet. Der gesammte Adel der Nachbarschaft, alle alten Bekannten und mehrere Freunde Sarentins aus der Residenz waren eingeladen. Eine Reihe von gemietheten Equipagen stand auf dem Bahnhof in P*** bereit, um die mit dem 6 Uhr Zuge aus der Residenz dort Eintreffenden nach Kabelwitz zu führen. – Die Einladungen hatten von dem Zweck des Festes nichts verrathen, denn der Major beabsichtigte eine Ueberraschung seiner Gäste, – er hatte sich vorgenommen, die Verlobung während der Abendtafel zu proklamiren und damit waren sowohl Sarentin als Elwine einverstanden gewesen, sie entgingen ja dadurch den lästigen Glückwünschen der vereinzelt eintreffenden Gäste.
Wagen auf Wagen rollte in den Schloßhof, die großen Zimmer füllten sich, eine vornehme, den ersten Adelskreisen des Landes und der Residenz angehörende Gesellschaft versammelte sich. Fritz fühlte sich in dieser glänzenden Menge recht einsam, dies aber that ihm wohl, er war wenigstens nur selten gezwungen, während sein Herz übervoll war, nichtssagende Höflichkeitsphrasen auszutauschen. Wohl kannte er fast alle benachbarten Gutsbesitzer, aber er hatte nicht nöthig, sie zu begrüßen, denn die meisten von ihnen ignorirten den bürgerlichen Doctor, nur einige fanden es der Mühe werth, ihm, weil er der Neffe des Hausherrn war, im Vorübergehen die Hand zu reichen.
Fritz konnte sich ungestört in eine Fensternische zurückziehen und von hier aus die durcheinander wogende Menge der Herren in glänzenden Uniformen, der Damen in brillanter strahlender Balltoilette beobachten, wie sie sich, nachdem sie von dem Hausherrn und Elwinen empfangen worden waren, in kleinen Gruppen zertheilten und gegenseitig eifrig nach der Ursache des unerwarteten großartigen Festes fragten, welches der Major so merkwürdig schnell nach dem schrecklichen Tode seines Neffen gebe. Eine besondere Veranlassung müsse der alte Herr haben, darüber waren Alle einig und bald verbreitete sich, durch einige nähere Bekannte Sarentins veranlaßt, das Gerücht, bei der Abendtafel werde die Verlobung der Tochter des Hauses mit dem Grafen proclamirt werden.
Aller Augen richteten sich neugierig auf Sarentin und Elwine, – die Damen fanden dabei Gelegenheit genug zu mancher hämischen Bemerkung. – Wie geisterhaft bleich die schöne Braut war, – wie tiefe, dunkle Ränder ihre Augen umringten. – »Das kommt vom vielen Weinen!« raunte die eine Dame der anderen zu. – »Ein geputztes Schlachtopfer, welches man zur Schlachtbank führt!« meinte diese. »Der Alte soll unendlich reich sein!« flüsterte ein Freund Sarentin's. »Desto besser,« ein Anderer, »dann habe ich Hoffnung, daß er mir seine Spielschuld bald bezahlen wird.« »Darüber können Sie ohne Sorge sein,« erwiderte der Erste, ein Graf Lehnholz, – »auch ohne diese Partie würde er Ihnen nichts schuldig geblieben sein, wenn Sie ihn gemahnt hätten. Er ist jetzt merkwürdig bei Kasse. Ich habe gestern Abend im Club ein Wort gegen ihn fallen lassen und sofort war er mit einem schönen 500 Thalerschein bei der Hand.«
Der Abend war schon ziemlich vorgerückt, als der Major, der einen Rundblick durch den Saal gethan und sich überzeugt hatte, daß wohl alle die erwarteten Gäste eingetroffen seien, Sarentin ein verabredetes Zeichen gab. – Der Graf bot Elwinen den Arm, um sie nach dem Speisesaal zu führen das Brautpaar sollte voranschreiten, die übrige Gesellschaft folgen.
Da rasselte noch ein Wagen über den Schloßhof, er hielt vor dem Portal, – aus Höflichkeit für den verspäteten Gast bat der Major den Grafen, noch kurze Zeit zu verziehen, er selbst näherte sich der Eingangsthür, um den Neuankommenden sofort zu empfangen. Aber er wartete vergebens, statt des erwarteten Gastes trat der Jäger Franz ein, mit seltsam verstörtem Gesicht schaute er sich im Zimmer um und als er den Grafen Sarentin unter den Gästen herausgefunden hatte, eilte er auf ihn zu. »Herr Graf verzeihen,« sagte er leise. »Ein fremder Herr ist angekommen. Er wünscht den Herrn Grafen sofort zu sprechen und bittet, Sie möchten doch herauskommen; er wartet auf dem Vorsaal.«
»Wer ist der Fremde?« fragte Sarentin erstaunt.
Franz senkte das Auge. »Ich – ich weiß es nicht!« stotterte er; die Botschaft, welche er auszurichten hatte, war ihm offenbar höchst unbehaglich.
»Ist noch ein Gast eingetroffen, Franz?« fragte der Major, ungeduldig über die Störung näher tretend.
»Nein, gnädiger Herr,« entgegnete Franz verlegen, »nur ein fremder Herr, der den Herrn Grafen dringend zu sprechen wünscht.« Dem Major ins Ohr flüsternd, fügte er mit unhörbarem Tone hinzu: »Es ist der Polizeirat Richter!«
Der Major wurde dunkelroth vor Zorn. »Das ist eine grenzenlose Unverschämtheit!« entgegnete er leise. »Sage dem Menschen, Graf Sarentin habe jetzt keine Zeit.«
»Aber gnädiger Herr – – «
Das Gesicht des Majors röthete sich noch mehr, die Adern auf der Stirne schwollen. »Keinen Widerspruch,« so herrschte er den Jäger an. »Fort! Der unverschämte Mensch soll warten oder sich packen. Sie, Alfons, führen jetzt Elwinen zu Tisch, wir wollen uns durch solche Zudringlichkeit auch nicht eine Minute stören lassen.«
Wenn der Major in diesem Tone befahl, durfte keiner seiner Diener wagen, ihm auch nur ein Wort zu erwidern, Franz eilte daher gehorsam fort, Sarentin aber zögerte noch. – »Wäre es nicht besser, wenn ich – – –«
»Nichts da, der Mensch kann bis nach der Tafel warten,« – unterbrach ihn der Major und mit lauter, durch das ganze Zimmer tönender Stimme fügte er hinzu: »Graf Sarentin, ich bitte Sie, meine Tochter zu Tisch zu führen, – die Herrschaften wollen sich freundlichst anschließen.«
Sarentin bot Elwinen den Arm, bebend legte sie ihre Hand leicht auf denselben, sie ging willenlos neben dem Grafen, der sie dem Saal zuführte, andere Paare folgten ihm, der Zug ordnete sich; aber plötzlich gerieth er wieder in's Stocken, – aller Augen wendeten sich einem seltsamen, unerwarteten Schauspiel zu. –
Aus dem Vorsaal trat in das Gesellschaftszimmer ein kleiner, dicker Herr, der einen gar nicht salonfähigen einfachen Ueberrock trug, ihm folgten auf dem Fuße zwei Polizei-Sergeanten in vollen Uniformen.
Der kleine Herr schritt, ohne die Gesellschaft zu beachten, geraden Weges auf den Grafen Sarentin zu, die Polizei-Sergeanten folgten ihm. –
Sarentin erbleichte, als er den Polizeirath, vor dem er nach dem Tode Heinrichs von Nordenheim ein kurzes Verhör über die Vorgänge auf dem Pistolenschießstande gehabt hatte, erkannte, – sein scheuer Blick flog umher, er suchte nach einer Lücke in der Menge der vornehmen Gäste, die dicht gedrängt, starr vor Staunen, den frechen bürgerlichen Eindringling anschauten, der es wagte, so unangemeldet unter sie zu treten; – der Polizeirath aber ließ sich durch die zornigen Blicke, welche ihn trafen, nicht einschüchtern. »Herr Graf von Sarentin«, sagte er laut, »ich wollte Ihnen und dieser verehrten Gesellschaft eine peinliche Scene ersparen; ich ließ Sie deshalb bitten, zu mir nach dem Vorsaal zu kommen. Sie sind meiner Aufforderung nicht gefolgt.«
»Unerhörte Unverschämtheit!« schrie der Major, bebend vor Wuth den Polizeirath unterbrechend. »Herr, augenblicklich verlassen Sie mein Haus, wenn Sie nicht wollen, daß ich meinem Diener befehle, Sie schimpflich hinauszuwerfen!«
Der Polizeirath schaute den alten Herrn nicht zürnend, sondern mit tiefem Mitleid an; ruhig, aber fest und würdevoll erwiderte er: »Herr Major, ich stehe hier kraft meines Amtes im Namen des Königs, – dem Gesetze werden und müssen Sie sich beugen. Es schmerzt mich, Ihr gastliches Haus verletzen zu müssen, aber die Pflicht gebietet es. Hätte dieser Herr geahnt, wer ihn zu sprechen verlangt, dann würde es mir vielleicht unmöglich gewesen sein, seine Flucht zu verhindern und meine traurige Pflicht zu erfüllen. Ich verhafte den Grafen Sarentin wegen dringenden Verdachts der Ermordung und Beraubung des Barons Heinrich von Nordenheim. Herr Graf, Sie sind mein Gefangener, hier meine Legitimation, der Haftbefehl des Staatsanwalts in P***!«
Ein Schrei des Schreckens ertönte. Die Gäste wichen entsetzt auseinander, scheu zogen sie sich von dem Grafen zurück, der zitternd, keines Wortes, keiner Bewegung mächtig, es willenlos duldete, daß der Sergeant Weirauch auf einen Wink des Polizeiraths seinen Arm ergriff und ihn fortführte. Der Schlag hatte ihn so plötzlich, so unerwartet mit tödtlicher Sicherheit getroffen, daß er ihm fast die Fähigkeit zu denken raubte. Mit niedergeschlagenen Augen, ohne noch einen Blick auf die Gesellschaft zu werfen, folgte er dem Sergeanten. Elwine stand allein in dem weiten Kreise, starr vor Entsetzen blickte sie dem entlarvten Verbrecher nach, da fühlte sie, daß eine warme Hand die ihrige ergriff, sie war nicht mehr allein, Fritz Stern stand neben ihr, an seine Brust lehnte sie sich, bei ihm suchte sie Trost und Schutz gegen die forschenden neugierigen Blicke, mit welchen von allen Seiten die verlassene Braut beobachtet wurde; aber nur einen Augenblick konnte sie sich dem Drange des Gefühls hingeben, der nächste schon rief sie zur Erfüllung der traurigsten Pflicht. –
Der Major war, als der Polizeirath ihn im Namen des Königs aufforderte, dem Gesetz Gehorsam zu leisten, zurückgewichen, schweigend hatte er dem ganzen Vorgange zugeschaut. Als der Polizeirath dem Grafen die furchtbare Anklage zuschleuderte, als Sarentin unter derselben zusammenbrach und zitternd dem Sergeanten folgte, da blieb ihm kein Zweifel, daß er dem Mörder seines Neffen ein einziges geliebtes Kind hatte opfern wollen. – Sein Blick suchte die Tochter, er sah sie umschlungen von den Armen seines Lieblings, da stieg plötzlich das Bild der Schwester in seiner Erinnerung auf, der Schwester, die er so zärtlich geliebt und die er doch den Trieben des mächtigen Adelsstolzes folgend, Jahre lang hart von sich gestoßen hatte. –
»Fritz, – Elwine!« Er rief es, dann aber überwältigte die furchtbare Aufregung seine schwache Kraft, ohnmächtig sank er zurück, der Polizeirath stützte ihn mit kräftigem Arm und leitete ihn zu einem Sessel.
Die Gesellschaft stob auseinander, in dem Vorzimmer und auf den Gängen drängten sich die Herren in ihren Uniformen und die Damen in brillanten Balltoiletten, sie suchten nach ihrer Garderobe, sie riefen nach ihren Equipagen, – jeder suchte so schnell als möglich fortzukommen. Was sollten sie auch in dem Trauerhause? –
In dem glänzend geschmückten, tageshell erleuchteten weiten Gesellschaftssimmer lag ein ein schwerkranker Greis umschlungen von den Armen seiner weinenden Tochter und seines Neffen; – aber er fühlte sich nicht einsam, nicht verlassen, – er vermißte die scheu flüchtenden vornehmen Gäste nicht. – Als ihm das Bewußtsein wiederkehrte und er Elwine zu seinen Füßen, Fritz an seiner Seite sah, da verklärte ein Lächeln seine Züge. – Versagte ihm auch die Zunge den Dienst, so sprachen doch seine Augen um so beredter. Mit schwacher zitternder Hand ergriff er die Rechte Elwinens und vereinte sie mit der des Neffen. Ein freundlicher, liebevoller Blick auf die Beiden, die seinem Herzen am theuersten waren, dann sanken die müden Lider, bewußtlos ruhte er wieder in seines Kindes Armen. –