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VIII.

Bange Stunden vergingen für Fritz und Elwine. Der Major, der durch die Angst um seine Tochter und den Schreck, welchen er gehabt hatte, als er glaubte, ihre Leiche werde in den Schloßhof getragen, aufs Aeußerste erschöpft war, ließ sich zwar nicht bewegen, sich zur Ruhe niederzulegen; aber er war in der Sophaecke eingeschlummert; Elwine saß neben ihm, noch schlummernd hielt er ihre Hand, die er bald aus der seinigen gelassen hatte. Fritz Stern ging bald ruhelos im Zimmer auf und nieder, bald wieder setzte er sich zu Elwinen, die ihm jetzt erst mit leiser Stimme, um den Vater nicht zu erwecken, erzählte, was sie im Walde erlebt hatte, von der ersten Begegnung mit Wildmichel an bis zu dem Augenblick, wo sie im Schloßhof Fritz begrüßt hatte. Ihr treues Gedächtniß unterstützte sie bei dieser Erzählung und während derselben erinnerte sie sich noch mancher Aeußerungen Wildmichel's, welche ihr anfangs nicht aufgefallen waren, jetzt aber nur dazu dienten, den Verdacht gegen ihn zu verstärken.

Fritz konnte sich nicht verhehlen, daß Elwinens Verdachtsgründe gegen den Wildmichel schwerwiegende seien, überzeugt aber war er trotzdem nicht, denn immer wieder tauchte in ihm der Verdacht gegen den Grafen auf und wie sehr er sich bemühte, sich selbst klar zu machen, daß nur aus seinem Widerwillen gegen Sarentin der Glaube, dieser könne der Mörder Heinrich's sein, entstanden sei, so vermochte er doch nicht, das Gefühl, welches ihn bewegte, zu unterdrücken. Der Verstand sagte ihm, daß sein Verdacht ganz ungerechtfertigt sei, das Gefühl aber hielt ihn aufrecht. Er war unwillig über sich selbst, daß er sich von solchem Vorurtheil beherrschen lasse; aber er kämpfte vergebens gegen dasselbe an. Um sich selbst zu besiegen, forschte er Elwinens Verdachtsgründen gegen den Wildmichel näher nach, und je mehr er es that, je mehr mußte er sich sagen, daß kaum ein Zweifel an dessen Schuld bleibe. Plötzlich erinnerte er sich, daß er den Wildmichel unter den Trägern der Leiche auf dem Schloßhofe nicht bemerkt hatte, – er fragte Elwinen, aber sie wußte keine Auskunft zu geben. Wildmichel hatte 5 Knechte, von denen Einer eine brennende Laterne trug, aus Sortau herbeigeholt, er hatte ihnen fleißig geholfen, mit dem Beil Kiefernzweige abzuhauen und eine Tragbahre zu machen, dann aber hatte er es den Knechten überlassen, ihren todten Herrn nach Kabelwitz zu tragen, er selbst hatte nicht mit Hand angelegt, er war neben Elwinen hinter der Bahre hergegangen. Kurz vor dem Hofthor hatte ihn Elwine noch gesehen, dann aber nicht mehr auf ihn geachtet und erst bei der Frage, welche Fritz that, fiel es ihr auf, daß er nicht mit in den Hof gekommen war, sondern sich ohne Abschied zu nehmen entfernt hatte.

Wer war der Mörder? Wildmichel oder der Graf? Fritz Stern vermochte trotz aller Gründe, welche für des Ersteren Schuld sprachen, doch nicht den Zweiten freizusprechen; aber er hütete sich wohl, gegen Elwinen seinen Verdacht zu äußern, dem Polizeirath wollte er ihn mittheilen und dessen Ankunft erwartete er mit brennender Sehnsucht.

Er sollte nicht vergeblich warten. Die Schloßuhr schlug gerade ein Viertel nach Ein Uhr, da rasselte ein Wagen über das Pflaster des Schloßhofes, er hielt vor dem Thor und Fritz, der schnell die Treppe hinabeilte, begrüßte mit einem herzlichen Händedruck einen kleinen, dicken Mann, der eben mit Hilfe des Jägers Franz aus dem Wagen herausgestiegen war.

»Böse Geschichte, lieber Doctor!« sagte der kleine Herr, die beiden Hände seines jungen Freundes ergreifend und derb schüttelnd. – »Herzliche Theilnahme! Jedes weitere Wort darüber überflüssig. – Kann Ihnen keinen Trost geben, werde Ihnen aber helfen, den Mörder zu entdecken. Bekam Telegramm, fuhr zum Polizei-Präsidenten, ließ mir Vollmacht geben, die Voruntersuchung zu leiten, Befehl des Justizministers an Gerichts-Direktor in P*** folgt morgen. Alles in Ordnung. – Fuhr zur Bahn, – hier bin ich. Der Jäger hat mir unterwegs schon Alles erzählt, was er wußte. – Will nur Herrn Major von Streit meinen Respekt bezeugen, dann sofort an's Werk. – Ist doch wohl nicht zu Bett gegangen der Herr Major? Kann ich ihn sprechen?«

»Ja wohl, ich führe Sie zu ihm.«

Fuß schritt voran nach dem Wohnzimmer, der Polizeirath folgte ihm. Der Major und Elwine wurden nicht wenig überrascht, als sie den berühmten Polizisten, von dem sie sich ein ganz anderes Bild gemacht hatten, erblickten. In diesem kleinen, dicken, gutmüthigen Mann, der so behäbig die Hände über den Bauch faltete und dabei so seltsam unzusammenhängend und abgebrochen sprach, daß er oft schwer verständlich war, hätten sie niemals den berühmtesten Polizei-Beamten der Residenz, dem stets die polizeiliche Voruntersuchung der schwierigsten Criminalfälle anvertraut wurde, vermuthet. – Der Polizeirath hatte ganz das Aeußere eines behäbigen Spießbürgers, er schien so ruhig und phlegmatisch, daß Niemand ihm die rastlose Rührigkeit, mit welcher er unermüdlich die Spuren eines Verbrechers verfolgte, zugetraut haben würde. Auch wenn er sprach, stieß er die kurz abgebrochenen Worte und Sätze nur langsam hervor, er schloß dabei fast die Augen und es war seine stete Gewohnheit, die Hände über dem Bauch zu falten. Gerade diese Eigenthümlichkeit des Polizeiraths, welche seiner Amtsthätigkeit zu widersprechen schien, machte ihn für dieselbe besonders geeignet. – Wenn er mit seiner gutmüthigen Art einen Verbrecher verhörte, erzielte er häufig Erfolge, wo alle andern Criminal- und Polizei-Beamten ihre Anstrengungen schon fruchtlos erschöpft hatten. – Ihm wurden oft von den verstocktesten Missethätern Geständnisse abgelegt, obgleich er niemals zu Zwangsmitteln griff; sein eigenthümliches Wesen, die harmlose Gutmüthigkeit, welche er auch dem schwersten Verbrecher gegenüber zeigte, flößte Vertrauen ein, die von ihm Verhörten verloren nach und nach die Zurückhaltung, sie ließen sich, da der Polizeirath sie niemals zu einem Geständniß drängte, häufig gehen und ohne es zu ahnen, gaben sie durch irgend eine unbedachte Aeußerung den Anhaltepunkt zu weiteren Forschungen. Sie ahnten es nicht, daß der harmlose kleine Mann, der ihnen gegenüber saß, der eher gutmüthig mit ihnen plauderte, als daß er sie verhörte, auf jedes Wort, ja auf jede Bewegung, jeden Blick von ihnen achtete, daß ihm nichts entging, und daß er mit einem wahrhaft bewundernswerthen Scharfsinn aus der unscheinbarsten Andeutung überraschende und fast immer zutreffende Schlüsse zog.

Der Polizeirath übte stets den Grundsatz, ein Verbrechen, wenn irgend möglich, auf frischer Spur zu verfolgen, bei den Verhören hingegen sich niemals zu übereilen. Der dicke, bequeme Mann, der, wenn es nicht nothwendig war, nur ungern sich bewegte, konnte ruhelos Tage und Nächte hindurch thätig sein, wenn es galt, einem verborgenen Verbrechen nachzuspüren. Mit wunderbar ausdauernder Kraft überwand er dabei die Schwerfälligkeit seines Körpers, sobald er aber die die Spur gefunden hatte, überließ er sich gern wieder der ihm lieben Ruhe und Bequemlichkeit.

Als der Polizeirath von Fritz dem Major vorgestellt wurde, verbeugte sich dieser mit vornehmer Höflichkeit, er hegte von vornherein ein durch die Nachricht über den Grafen Sarentin erzeugtes Vorurtheil gegen den Polizisten, welches durch dessen Erscheinung noch bestärkt wurde.

»Komme in einer traurigen Angelegenheit, Herr Major,« sagte der Polizeirath, »versichere Ihnen meine innigste Theilnahme. Werde einige Tage Ihre Gastfreiheit in Anspruch nehmen müssen, wünsche Sie aber so wenig als möglich zu stören. Bitte nur um ein kleines Zimmerchen für mich und einen Schlafraum für den Sergeanten Weirauch. Habe ihn mitgebracht für alle Fälle. Tüchtiger Mann! muthig, schlau, thätig, dabei freundlich, bescheiden.«

Der Major rief durch die Klingel den Jäger.

»Georg, führe den Herrn in das blaue Zimmer; für den Sergeanten bereite ein Bett in der anstoßenden Kammer.«

Zu dem Polizeirath gewendet fuhr der Major fort:

»Es versteht sich von selbst, daß ich Ihnen mein Haus zur Disposition stelle. Allen Ihren Anordnungen soll pünktlichst Folge geleistet werden, nur hoffe ich, daß diese mit einiger Rücksicht auf mich und meine Tochter, sowie auf einen lieben Gast, der sich in Kabelwitz befindet, auf den Grafen Sarentin, verbunden sein werden.«

»Werde jede mögliche Rücksicht nehmen, Herr Major! Wünsche Sie in Ihrer Ruhe nicht zu stören und will mich Ihnen für diese Nacht gehorsamst empfehlen. Wenn aber das gnädige Fräulein nicht zu sehr angegriffen von dem entsetzlichen Ereigniß sind, würde ich gern noch einen kurzen Bericht über dasselbe hören. Erleichtert vielleicht meine Nachforschungen für morgen bei Tagesanbruch.«

Elwine erklärte, daß sie durchaus nicht zu angegriffen und also bereit sei, ihren Bericht zu erstatten, sobald ihr Vater, dem Ruhe dringend Noth thue, sich in sein Schlafzimmer zurückgezogen habe. Der Major war hiermit einverstanden, er fühlte sich so krank und matt, daß er gern dem Wunsche seiner Tochter folgte, diese führte ihn, nachdem er sich sehr herzlich von Fritz, sehr kalt und vornehm von dem Polizeirath verabschiedet hatte, nach seinem Schlafgemach, dann kehrte sie zurück und erzählte nun noch ein Mal die Erlebnisse des vergangenen Abends. Da Fritz sie bat, auch die scheinbar unbedeutendsten Kleinigkeiten nicht zu vergessen, sondern dem Polizeirath einen ebenso genauen Bericht abzustatten, wie früher ihm selbst, verschwieg sie nichts von ihrer Begegnung mit dem Wildmichel. Sie sprach zwar nicht direkt gegen diesen einen Verdacht aus, da sie aber dessen Bemühungen, sie von dem Betreten des Waldweges abzuhalten und Nero anzulocken, sein räthselhaftes Benehmen beim Auffinden der Leiche mit lebendigen Farben schilderte, ergab sich dieser Verdacht aus dem, was sie sagte und wie sie es sagte, von selbst.

Der Polizeirath hörte Elwinens Erzählung, ohne sie zu unterbrechen, mit an. Hier und da schrieb er in stenographischer Schrift eine kurze Bemerkung in sein Taschenbuch, dann saß er wieder schweigend, horchend mit dicht zusammengekniffenen Augen da. Nur als Elwine erzählte, daß sie den Wildmichel nach Sortau geschickt habe und allein als Wächterin bei der Leiche zurückgeblieben sei, konnte er einen Ausruf der Bewunderung nicht unterdrücken. »Eine Heldin!« rief er aus, gleich darauf aber lehnte er sich wieder in das weiche Kissen des Sessels zurück und die Augen fester zusammen kneifend hörte er zu, ohne noch ein Wort zu sagen, bis Elwine ihren Bericht damit schloß, daß der Wildmichel, der sie bis zum Hofthor begleitet habe, plötzlich ohne Abschied verschwunden sei, als die Träger in den Schloßhof eintraten.

Fritz ergänzte Elwinens Erzählung durch die Mittheilung daß er die Leiche auf sein Zimmer habe tragen lassen, dort ruhe sie unter der Obhut des Knechtes Hans, dem er Befehl ertheilt habe, Niemand den Eintritt in das Zimmer zu gestatten.

»Und weshalb dieser Befehl,« fragte der Polizeirath die Augen noch fester zusammenkneifend.

Fritz antwortete nicht gleich. Die kurze Frage brachte ihn in Verlegenheit. Hatte er denn ein Recht, dem Polizeirath seinen auf so schwachen oder vielmehr auf fast gar keinen Gründen beruhenden Verdacht gegen den Grafen Sarentin mitzutheilen? Er schämte sich desselben fast und doch hatte er die Pflicht, Alles, was zur Entdeckung des Verbrechens dienen konnte, dem scharfsichtigen Criminalisten sagen. Er erwiederte daher nach kurzem Zögern: »Ich hielt es für möglich, daß vielleicht eine im Hause weilende Person bei dem Verbrechen betheiligt sei und daß es in deren Interesse liegen könne, sich der Leiche zu nahen.«

»Fritz!« rief Elwine erstaunt und vorwurfsvoll.

Der Polizeirat öffnete die kleinen Augen ein wenig. Sein forschender Blick flog von Fritz zu Elwinen, im nächsten Augenblick aber saß er wieder so regungs-, fast theilnahmlos, wie vorher. »Haben also auch einen Verdacht? Hm, will nicht in Sie dringen, – wäre aber vielleicht gut, wenn Sie ihn mittheilten. Hat aber Zeit, vielleicht später!«

»Nein, jetzt, im Augenblick, Fritz!« rief Elwine erregt. »Ich fordere es von Dir. Auf keinem, der unter meines Vaters Dache weilt, darf ein solcher schmählicher Verdacht ruhen, ohne daß Du die Gründe dafür angegeben hättest. Du bist es mir schuldig, mir zu vertrauen, wie ich Dir vertraue.«

»Du hast Recht, Elwine, es soll geschehen! Mein Verdacht trifft den Grafen Sarentin.«

Elwine fuhr entsetzt zurück. »Um Gotteswillen Fritz,« so rief sie aus, – »wohin führt Dich Dein Haß gegen den Grafen?

Der Polizeirath, der scharf beobachtete, sah, daß Fritz durch diesen Vorwurf schwer betroffen wurde, er fürchtete, daß dieser mit seinen Mittheilungen zögern werde, deshalb sagte er freundlich begütigend: »Ein Verdacht ist noch keine Beschuldigung. Was hier gesprochen, bleibt unter uns. Werde keinen Gebrauch davon machen, muß aber unterrichtet sein, wenn ich nicht Fehlgriffe machen soll. Kenne diesen sauberen Grafen, auch sein Verhältniß in diesem Hause, zu Ihnen, gnädiges Fräulein. Können mir schon Vertrauen schenken, werde es nicht mißbrauchen.«

»Das weiß ich,« erwiderte Fritz ernst. »Ich zögere nicht mehr, Ihnen die Verdachtsgründe mitzutheilen, die ich selbst als nichtig anerkenne.« Er erzählte den Streit, welchen Sarentin am Nachmittage in Nordenheim mit Heinrich beim Pistolenschießen gehabt hatte. Als er die ganze Scene mit lebendigen Worten geschildert hatte, unterbrach ihn der Polizeirath: »Einen Augenblick Geduld, Herr Doctor. Wildmichel hielt den Thaler, nach welchem Ihr Herr Bruder schoß? – Derselbe Wildmichel, den gnädiges Fräulein in Wald trafen?«

»Ja.«

»Bestrafter Verbrecher. Verdacht, Förster erschossen zu haben. Kenne Burschen. Ist doch derselbe?«

»Ja.«

»Hatte Herr Bruder, als Thaler gab, noch mehr Geld in Börse?«

»Ja. Heinrich hatte die üble Angewohnheit stets große Geldsummen in einer Börse und in seiner Brieftasche bei sich zu tragen.«

»Zeigte Herr Bruder vielleicht das Geld, so daß es Wildmichel sah?«

»Das weiß ich nicht.«

»Bitte nun fortzufahren. Werden schon weiter sehen.«

Fritz erzählte weiter; so sehr es ihm widerstrebte, einen Fremden in die Familienverhältnisse des Majors einzuweihen, zögerte er doch nicht, es zu thun, denn er sah ein, daß der Polizeirath Alles wissen, auch über das Verhältniß des Grafen zu Elwine genau unterrichtet sein müsse, wenn er nicht aus seiner Erzählung Trugschlüsse ziehen solle. Mit einfachen, klaren Worten schilderte Fritz des Grafen Werbung um Elwinens Hand, deren Widerwillen, das Versprechen des Majors, die Verlobung am Abend zu feiern, sein eigenes Bemühen dies zu verhindern und dessen endliches Gelingen, ferner das seltsame Benehmen des Grafen, als ihm dies mitgetheilt worden sei. Er fügte freimüthig hinzu, daß er Sarentin scharf beobachtet habe, daß dieser aber bei der Nachricht, der Ermordete sei Heinrich von Nordenheim, durchaus so sich benommen habe, wie jeder Freund des Ermordeten, dem plötzlich eine so furchtbare Nachricht überbracht werde.

Der Polizeirath kniff die kleinen Augen fester als vorher zusammen, er sann einige Minuten nach, dann fragte er: »Konnte der Graf, ehe er in den Wald ging, ahnen, daß Baron Heinrich wieder sein Nebenbuhler werden würde?«

»Nein.«

»Hm, Sonderbar. Verdacht auf zwei Personen. Mädchen fühlen, Männer denken. Hier umgekehrt. Nichts für ungut, lieber Doctor; aber gegen Grafen liegt nichts vor. Werde ihn scharf beobachten, versteht sich von selbst; fordere aber von Ihnen auf Ehrenwort, daß Sie Niemand Ihren Verdacht mittheilen. Schuft der Graf, weiß es, deshalb aber noch kein Mörder. Müssen Rücksicht auf Familie nehmen. Hab' ich Ihr Ehrenwort?«

»Ja.«

»Mit Wildmichel ander Ding. Kerl, dem Mord zuzutrauen. Zuchthäusler, schon eines Mordes verdächtig. Wichtige Verdachtsgründe liegen vor. Aber, mein gnädiges Fräulein, glauben Sie altem Polizisten, sehr häufig täuscht der erste Verdacht. Selten der zuerst Verdächtige der Thäter. Zufall spielt oft seltsam! Junge Beamte greifen zu, lassen ich vom Schein irre leiten, verhören und peinigen Verdächtige. Gründe die Menge, einer, besser als der Andere; aber armer Kerl doch unschuldig. Hundertmal dagewesen. Also Vorsicht auch gegen Wildmichel. Werde ihn freilich verhaften müssen, glaube aber darum noch lange nicht an seine Schuld. Ist Baron Heinrich beraubt worden?«

Weder Fritz noch Elwine konnten auf diese Frage eine Antwort geben. Fritz hatte absichtlich die Leiche des Bruders, nachdem er sich überzeugt hatte, daß keine Hilfe mehr möglich sei, nicht weiter untersucht, um der gerichtlichen Nachforschung nicht vorzugreifen. Nachdem das Telegramm nach der Residenz befördert worden war, hatte er sich persönlich davon überzeugt, daß der Ermordete in seinem Zimmer untergebracht worden war und daß Hans gut Wache hielt, dann war er zu seinem Oheim und Elwinen zurückgekehrt; er wußte daher nur, daß sein Bruder durch einen Schuß getödtet, nicht aber, ob er auch beraubt worden sei.

»Müssen dies gleich untersuchen,« sagte der Polizeirath. »Bitte, Herr Doctor, führen Sie mich zu der Leiche. Das gnädige Fräulein bitte ich, sich zur Ruhe zu begeben. Bedürfen der Kraft für morgen. wird morgen schwerer Tag. Gerichtliche Vernehmung unausbleiblich.«

Elwine versicherte zwar, daß es ihr unmöglich sei, zu schlafen, als aber auch Fritz sie bat, sich wenigstens niederzulegen, sie werde, auch wenn sie keinen Schlaf finde, doch durch die kurze Ruhe einigermaßen gestärkt werden, gehorchte sie.

Fritz führte den Polizeirath nach dem Zimmer, welches auf Schloß Kabelwitz ihm ein für alle Mal eingeräumt war, dorthin hatte er die Leiche seines Bruders bringen lassen. Er fand vor der Thür den treu Wache haltenden Hans, welchem der Polizei-Sergeant Weirauch Gesellschaft leistete. Dieser hatte sich mit Hans bereits befreundet, sich zehnmal von ihm erzählen lassen, wie der Leichnam gefunden und nach Schloß Kabelwitz transportirt worden sei, dabei hatte er, ohne daß Hans selbst es wußte, bei ihm Erkundigungen nach den Familienverhältnissen, dem Leben und den Gewohnheiten des Barons Heinrich von Nordenheim, nach den Personen, mit welchen dieser verkehrt habe, eingezogen. Er war schon genau unterrichtet über den Charakter und die Eigenthümlichkeiten der Diener des Barons, auch die ganze Lebensgeschichte des Wildmichel, der mit Fräulein Elwine die Leiche im Walde gefunden hatte, war ihm von Hans anvertraut worden. Er wußte bereits, daß der Wildmichel ein wilder wüster Kerl sei, dem man jede Schlechtigkeit zutrauen könne und der nur eine gute Eigenschaft habe, die, daß er seine rechtschaffene, redliche Frau und seine Kinder gut behandle. Alles dies hatte Sergeant Weirauch in der kurzen Zeit in Erfahrung gebracht und getreulich im Gedächtniß bewahrt, um bei erster Gelegenheit seinem Vorgesetzten darüber Rapport abzustatten.

Als Fritz, welchem der Polizeirath, der Sergeant und Hans folgten, vor das Bett trat, auf dem die Leiche seines Bruders ruhte, machte sich zum ersten Male am heutigen Abend der tiefe Schmerz um den Bruder, den er von ganzem Herzen geliebt hatte, geltend. Nicht Schmerz, Entsetzen und Schreck hatten ihn bewegt, als er so plötzlich im Hofe in dem Ermordeten den Bruder erkannte. Seitdem war er gezwungen gewesen, seine Gefühle zu unterdrücken, um kräftig zu handeln und um den Muth des Majors und Elwinens aufrecht zu erhalten; jetzt aber war er zur Ruhe gekommen, jetzt verließ ihn die Kraft, mit der er sich selbst beherrscht hatte. Er beugte sich nieder zu dem theuren Todten und heiße Thränen rollten auf dessen bleiche Stirn herab.

Der Polizeirath störte lange Zeit seinen jungen Freund, der vor dem Bett niedergekniet war und sein Gesicht mit beiden Händen bedeckt hielt, nicht, er achtete dessen gerechten Schmerz; als aber wohl eine Viertelstunde verging, ohne daß Fritz sich geregt hätte, legte er ihm sanft die Hand auf die Schulter: »Fassen Sie sich, mein lieber Doctor,« sagte er mit fast zärtlich weicher Stimme. »Gedenken Sie der Pflicht, welche Sie gegen Ihren gemordeten Bruder haben. Ihnen liegt es ob, ihn zu rächen. Muth also und Fassung, mein theurer Freund! Wir bedürfen alle des kältesten Blutes und der ruhigsten Ueberlegung, um den Verbrecher zu entlarven und ihn zur gerechten Strafe zu ziehen. Ich fordere dazu Ihre Unterstützung. Sie müssen Ihren Schmerz besiegen, um sie mir leisten zu können.«

So zusammenhängend sprach der Polizeirath selten, nur wenn er auf das Tiefste bewegt war oder wenn er vor seinen Vorgesetzten stand; umsomehr Eindruck aber machten auch seine Worte. Fritz ermannte sich augenblicklich; er sprang auf, seine bewegten Züge beruhigten sich, er gewann die gewohnte Selbstbeherrschung wieder. »Verzeihen Sie meine Thränen,« sagte er. »Sie sollen mich nicht wieder schwach sehen. Beginnen Sie Ihr trauriges Werk, ich leiste Ihnen dabei jede Hilfe, welche Sie wünschen.«

»Wird nicht nöthig sein,« entgegnete der Polizeirath. »Handelt sich jetzt nur um vorläufige Untersuchung. Obduction, Gerichtsarzt, müssen damit warten.« Er entblößte die Brust des Todten und schaute aufmerksam die Wunde sowie das von der Kugel durchlöcherte blutige Hemd an.

»Büchsenschuß, ohne Zweifel,« so fuhr er fort, »aber in nächster Nähe abgefeuert, sein Hemd verbrannt! Mörder hat seinem Opfer gerade gegenüber gestanden. Sie da, mein Freund,« diese Worte richtete er an Hans, »gehen Sie einmal vor die Thür, schließen Sie diese fest. Niemand darf diesem Zimmer nahen! Gut Wache halten, Verstanden?«

»Es kommt jetzt Niemand.«

»Kann man nicht wissen! Also Ordre pariren.«

Hans gehorchte widerwillig, seine Neugier war erregt, er hätte gar zu gern der ferneren Untersuchung der Leiche durch den berühmten Polizisten, von dessen Scharfsinn so merkwürdige Geschichten in der Schenke erzählt wurden, mit beigewohnt; aber er wagte es doch nicht, zu widersprechen. Zögernd verließ er das Zimmer und schloß die Thür. Erst als dies geschehen war, fuhr der der Polizeirath mit sehr leiser Stimme fort: »Mag ein ganz braver Bursch sein, der Hans, könnte aber doch plaudern und der Untersuchung schaden. Der Schuß von vorn und ganz aus Nähe abgefeuert, spricht gegen Schuld des Wildmichel! Würde hinter Busch her geschossen haben, wenn er Baron aufgelauert hätte. Sergeant Weirauch!«

»Zu Befehlen, Herr Polizeirath.«

»Graf Sarentin. Kennen Sie ihn?«

»O sehr gut, ich habe ihn oft gesehen und längere Zeit auf ihn vigilirt, weil er häufig in die Spielgesellschaften des Herrn von Böckel ging.«

»Gut! Graf Sarentin hier im Hause Gast. Ist gestern auf Jagd gegangen, hat Büchse vom Jäger Franz geliehen. Kommt darauf an zu erfahren, ob Büchse abgeschossen ist und ob Kleider des Grafen vielleicht Blutflecke. Auch Stiefelsohlen aufmerksam anschauen; aber Niemand darf ahnen, daß es geschieht. Strengste Discretion. Verstanden?«

»Zu Befehlen, Herr Polizeirath.«

»Wollen nun schauen, ob Leiche beraubt.« Er beugte ich zu dem Bette herab und überflog mit scharfem Blick die liegende Gestalt. »Ist sicherlich beraubt!« sagte er gleich darauf. »Baron trug Siegelring und auch am Goldfinger Ring. Einschnitte deutlich sichtbar; aber Ringe fehlen. Ist's so, Herr Doctor?«

»Sie haben richtig gerathen. Heinrich liebte die Ringe, er trug stets einen schweren Siegelring, auf dem sein Wappen eingravirt ist und am Goldfinger einen sehr kostbaren Diamantring.«

»Rathe nicht, sondern schließe!« sagte der Polizeirath ein wenig empfindlich. »Auch eine Busennadel trug er, hier Stiche im Halstuch, fehlt aber ebenfalls und auch Uhr und Kette. Nicht wahr?«

»Allerdings. Heinrich ging niemals ohne seine goldene Cylinderuhr, welche er an einer schweren goldenen Kette trug, aus, und auch die Busenadel, ein einfacher Diamant in dünner Goldfassung fehlt.«

»Also Raubmord! Spricht gegen Schuld des Grafen. Kaum denkbar, daß Graf Uhr, Ringe und Nadel stehlen sollte. Wären es Tausende von Thalern, dann vielleicht! Graf Schuft vom Scheitel bis Sohle; aber Raubmörder um solcher Kleinigkeiten willen? Nein. Soll trotzdem nichts versäumt werden. Schärfste Beobachtung des Grafen. Verstanden, Sergeant?«

»Zu Befehlen, Herr Polizeirath!«

»Nun weiter. Herr Doctor, Sie sagten vorhin, Baron hat stets viel Geld bei sich gehabt?«

»Ja. Er trug in der Tasche der Beinkleider eine Börse mit Silbergeld, in der Brusttasche des Rockes eine Brieftafel, welche außer einer bedeutenden Summe in Papiergeld auch noch manche andere, für ihn werthvolle Papiere, Briefe u. s. w. enthielt. Ich habe ihn oft gebeten, doch die Brieftafel zu Haus im eisernen Geldschrank, dessen Schlüssel er an einem seidenen Schnürchen um den Hals trägt, zu lassen; aber er lachte nur über meine Besorgniß. Ich weiß bestimmt, daß er niemals ohne Börse und Brieftafel ausgegangen ist.«

»Brieftafel und Börse, beide fehlen und wahrhaftig auch der Schlüssel zum Geldschrank!« rief der Polizeirath, der vorsichtig die Taschen des Todten untersucht und jetzt auch dessen Halstuch gelüftet hatte. »Sehen Sie, Herr Doctor, hier hängt noch seidene Schnur, Schlüssel abgeschnitten. Wichtige Entdeckung! Raubmord, Schuß aus nächster Nähe! Mörder kannte Gewohnheiten Barons, wußte, daß Vermögen im eisernen Geldschrank, beabsichtigte es zu rauben, nahm deshalb Schlüssel mit. Müssen sofort nach Schloß Nordenheim, Herr Doctor! Fürchte fast, wir kommen schon zu spät. Mörder wird mit Einbruch nicht säumen. Weiß jedenfalls, daß Leiche gefunden und hat also nur diese Nacht für sich. Wie weit von hier nach Nordenheim?«

»Zu Fuß eine halbe Stunde; aber ich könnte anspannen lassen.«

»Unmöglich, dauert zu lange und macht Lärm.«

»Aber der Weg ist meist sandig er wird für Sie zu beschwerlich sein.«

»Bah, Beschwerden im Dienst kenne ich nicht. Wo Zimmer Sarentins?«

»Ein Stockwerk höher, die dritte Thür im Gange von der Treppe aus rechts.«

»Sergeant Weirauch!«

»Zu Befehlen, Herr Polizeirath.«

»Haben gemerkt, wo Graf Zimmer?«

»Zu Befehlen. Ich wußte es schon; ich habe mich bereits im Hause orientirt.«

»Gut. Nachsehen, ob Graf im Zimmer; aber ganz leise und schnell!«

»Zu Befehlen.«

Der Sergeant verließ das Zimmer, mit unhörbarem Schritte stieg er die Treppe hinauf. Er ging, obgleich die Treppe und der Flur in der tiefsten Dunkelheit lagen, so sicher, wie bei hellem Tageslicht. Aus dem Schlüsselloch der dritten Thür rechter Hand fiel ein Lichtstrahl in den langen, dunkeln Gang. Der Sergeant schlich mit katzenartiger Leichtigkeit bis zu der Thür, er beugte sich herab und schaute durch das Schlüsselloch.

Graf Sarentin saß an dem Tisch, auf welchem die brennende Lampe stand. Er hatte das Haupt auf die Hand gestützt, sein von dem hellen Schein der Lampe beleuchtetes Gesicht war der Thür zugewendet. Er war geisterbleich, die Züge waren abgespannt und schlaff, das schwarze, zu Boden stierende Auge leuchtete in einem unheimlichen Glanz.

Der Sergeant hatte genug gesehen, so lautlos, wie er gekommen, zog er sich zurück, das Bild des Grafen aber, wie er es eben gesehen, blieb für immer in seiner Erinnerung. »So mag ein Mörder nach vollbrachter That aussehen! Dem Burschen folge ich fortan wie sein Schatten!« Dies dachte der Sergeant, aber er sagte es nicht, als er gleich darauf seinen Rapport abstattete; er meldete nur, Graf Sarentin sei in seinem Zimmer, er schlafe nicht, sondern sitze nachdenkend am Tisch.

»Dachte es wohl, falsche Fährte!« sagte der Polizeirath ruhig. »Vielleicht Wildmichel; zweifle aber auch. Würde nach Mord nicht gewilddiebt haben. Freilich möglich bei leidenschaftlichem Jäger, glaube es aber nicht. Vielleicht, wahrscheinlich ein Dritter! Werden sehen! Jetzt nach Nordenheim, so schnell als möglich. Begleiten uns wohl, Doctor Stern?«

»Jedenfalls.«

»Ist der Knecht da draußen zuverlässig, Herr Doctor.«

»Hans ist treu wie Gold, der beste Knecht meines armen Bruders, der ihn schon längst zum Hofmeier in Sortau gemacht hätte, wenn Hans nur lesen und schreiben könnte.«

»Der Fehler schadet uns heut nichts. Mag uns begleiten. Könnten Hilfe brauchen. Wird vielleicht einen Kampf geben. Pistolen mitnehmen; jetzt aber keinen Aufenthalt mehr, Zeit drängt.«

Hans wurde benachrichtigt, er erklärte sich sofort bereit. Fritz holte seine Pistolen und fünf Minuten später befanden sich bereits die vier Wanderer auf dem Wege nach Nordenheim.


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