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Es war schon ziemlich spät in der Nacht, als Fritz Stern in das Zimmer des Polizeiraths, der ihn längst sehnlichst erwartete, trat.
»Wie geht's dem alten Herrn?« fragte der Polizeirath besorgt. – »Wäre trostlos, wenn der Schreck für ihn gefährliche Folgen hätte.«
»Beruhigen Sie sich, ich hoffe das Beste!« erwiederte Fritz Stern. »Mein Oheim schläft, Elwine wacht bei ihm. Der Anfall ist glücklich vorübergegangen und vorläufig wenigstens nichts zu besorgen. Jetzt aber, verehrter Freund, erzählen Sie mir. Ich brenne vor Neugier zu erfahren, welche Gründe Sie veranlaßt haben, Ihre Ansicht zu ändern. Vor einigen Stunden noch weigerten Sie sich, gegen den Grafen einzuschreiten und jetzt haben Sie ihn rücksichtslos verhaftet. Sie müssen seiner Schuld sicher sein, sonst würden Sie gewiß einen solchen Schritt nicht gethan haben.« –
Der Polizeirath lehnte sich recht behaglich in den weichen Lehnsessel zurück, er faltete die Hände über den Bauch und erzählte in seiner seltsam abgebrochenen Redeweise.
Unmittelbar vom Bahnhof hatte er sich zum Untersuchungsrichter in P*** begeben, diesem den Thaler als neuen Beweis gegen Wildmichel gezeigt, und darauf sich erboten, den Gefangenen noch einmal zu verhören. Die Erlaubniß mußte ihm, dem höchsten Befehl gemäß, gewährt werden, er ließ sich den Gefangenen nicht vorführen, sondern zog es vor, ihn im Gefängniß selbst zu besuchen.
Er fand den Wildmichel so verstockt wie immer; hartnäckig weigerte jener sich auf die freundlichsten Fragen zu antworten. »Man glaubt mir doch nichts!« erwiederte er mürrisch auf alle Mahnungen, ein offenes Geständniß abzulegen. – Da riß dem Polizeirath die Geduld, er nahm zu dem letzten Mittel der Ueberraschung, welches er sich vorbehalten hatte, seine Zuflucht. »Kennst Du diesen Thaler?« fragte er, dem Wildmichel das Geldstück plötzlich zeigend. –
Wildmichel schaute mit unverstelltem Staunen den Thaler an. – »Wahrhaftig« sagte er, »den Thaler kenne ich, den hat mir der Baron aus der Hand geschossen und ihn dann in die Geldbörse gesteckt.«
»Welche Du ihm mit der Brieftasche raubtest!« –
»Nein, das ist nicht wahr, er hatte keine Börse mehr, als« – – Er unterbrach sich plötzlich, er fühlte, daß er zu viel gesagt, sich verrathen hatte und verwirrt schlug er die Augen vor dem forschenden Blick nieder, den der Polizeirath auf ihn, jede seiner Minen scharf beobachtend, richtete. –
Wildmichels Antwort bot dem erfahrenen Criminalisten ein neues Räthsel; sie war einem augenblicklichen Impuls entsprossen, dem verstockten Gefangenen durch die Ueberraschung abgewonnen und deshalb von besonderem Werth; ihre Wahrhaftigkeit ließ sich nicht bezweifeln. – Um so merkwürdiger aber erschien sie dem Polizeirath, denn sie bewies ihm, daß Wildmichel die Börse nicht geraubt hatte, dann aber hatte er auch seiner Frau den Thaler nicht geben können, dann war dieser auf andere Weise in Gretens Besitz gelangt und der Verdacht, daß Grete die Hehlerin der geraubten Gelder gewesen, fiel in sich selbst zusammen. Diese Schlußfolgerung flößte dem Polizeirath ein Gefühl großer Befriedigung ein; – der Gedanke, daß ihn sein Vertrauen auf die Ehrlichkeit der Frau, die ihm tiefes Mitleid eingeflößt hatte, nicht betrogen habe, machte ihn ganz glücklich. Zwar sah er die Erfüllung seiner Aufgabe, die ihn nach P*** geführt hatte, jetzt wieder in weite Ferne gerückt, denn Wildmichel konnte ihm über den Thaler keine Auskunft geben und es bedurfte vielleicht noch langer, mühseliger Nachforschungen bei Grete, um zu erfahren, aus welcher Hand sie das verhängnißvolle Geldstück empfangen habe, wenn dies überhaupt zu erforschen war, – aber ein Ziel hatte er doch erreicht, den Wildmichel zu einer Antwort zu bewegen und er beschloß diese mit Hilfe des Thalers weiter auszubeuten.
»Du hast Dich verrathen, Michel,« – erwiederte er ruhig, – »Du hast zu viel und zu wenig gesagt. – Sieh ich glaube Dir, daß Du den Baron nicht ermordet hast. Ein Anderer hat es gethan und Börse und Brieftasche geraubt, Dir aber nur die Nachlese gelassen. – Du schadest Dir durch Deine Verstockheit. Du machst Dich selbst unglücklich, denn die Richter werden Dich verurtheilen als Raubmörder; – aber nicht nur Dich, sondern auch Dein armes unglückliches Weib treibst Du ins Verderben. Sie hat den Thaler, den Du gesehen, dem Hausirer Isaac Lebermann für eine wollene Decke gezahlt, auf ihr ruht der Verdacht, daß sie ihn von Dir empfangen habe, daß sie die Hehlerin Deines Raubes sei. Wie Du wird sie verurtheilt und ins Zuchthaus geschickt werden. Und dies Alles verschuldest Du, weil Du nicht offen Deine Schuld bekennst und es mir dadurch unmöglich machst, dem wahren Räuber der Geldbörse nachzuforschen, ihn zu entdecken und statt Deiner zur Strafe zu bringen.« –
Immer, wenn der Polizeirath zusammenhängend sprach, machten seine Worte den tiefsten Eindruck, auch auf den Wildmichel verfehlten sie ihn nicht. – Er liebte seine Grete, jedes sanftere Gefühl seines Herzens war in der Liebe zu ihr und seinen Kindern concentrirt, – sie im Zuchthaus zu wissen, diesen Gedanken konnte er nicht ertragen, er wußte ja, daß sie die Schmach nicht überleben würde. Eher wollte er selbst die härteste Strafe erleiden, ehe er duldete, daß auch sie verdächtigt, von den Kindern fortgerissen und ins Gefängniß geführt werde.
»Ich will Ihnen Alles gestehen, Herr Polizeirath«, sagte er, diesen flehend anschauend, – »aber Sie müssen mir versprechen, daß Sie meiner Grete nichts thun. Das müssen Sie mir versprechen heilig und fest, sie weiß ja von nichts, sie ist so unschuldig und wäre ich ihr gefolgt, dann säß ich heut nicht hier.« –
»Ich glaube Dir, Michel,« entgegnete der Polizeirath gütig. – »Sieh, Dir will ich es sagen, damit Du siehst, wie sehr ich auf die Unschuld Deiner armen Frau vertraue; als ich Dich nach P*** ins Gefängniß führen mußte und Deine Frau und Kinder mittellos, der äußersten Noth Preis gegeben, zurückbleiben mußten, – da habe ich mich ihrer angenommen, soweit meine eigenen Mittel reichten. – Ich habe manchen Thaler nach Kabelwitz geschickt, weil mir das arme, unglückliche Weib in der Seele leid that.« –
»Das lohne Ihnen Gott, Herr!« – rief Wildmichel zu Thränen gerührt, er ergriff die Hand des Polizeiraths und küßte sie, – dann fuhr er fort: – »Ihnen will ich Alles sagen! Mögen mich dann die Richter ins Zuchthaus schicken, ich will es ertragen, wenn nur meiner Grete und meinen Kindern nichts geschieht.«
Und er erzählte: –
Mit den drei Thalern, die er auf dem Schießstand verdient hatte, in der Tasche, war er von Nordenheim nach Kabelwitz zurückgewandert, aber immer und immer wieder hatte er an die geldgefüllte Börse des Barons und an die Brieftasche mit den vielen Geldscheinen gedacht. Weshalb besaß er nicht diesen Reichthum? Er hätte dann nicht nöthig gehabt, stets die Wächter des Gesetzes zu fürchten, seine Frau und seine Kinder wären jeder Noth überhoben gewesen, während der ausschweifende Baron nur in üppigem Wohlleben das schöne Geld verpraßte. Die Erinnerung an seinen alten Zuchthauskameraden, den Mörder, stieg wieder in ihm auf. Der lebte nicht unglücklicher als irgend ein anderer der Gefangenen, das Gewissen quälte ihn nicht, er war oft sogar recht lustig. Wäre seine That nicht entdeckt worden, hätte er nicht gestanden, dann würde er mit dem Raube ganz glücklich gelebt haben. – War es denn etwas so Großes und Schweres einen Menschen zu tödten? – Wenn der Baron, wie er ja täglich that, einsam durch den Wald ging, – dann bedurfte es ja nur eines Fingerdruckes und die tödtliche Kugel saß ihm im Herzen. Ein Mensch oder ein Rehbock, die Kugel tödtet Beide.
Und dann? – Der Baron trug stets ein Vermögen bei sich. Die Geldbörse und die Brieftasche – es war so leicht, sie zu nehmen und im Walde zu verstecken, bis die That vergessen sein würde. – Wer konnte wissen, aus welchem Rohr die Büchsenkugel gekommen war? – Eine Entdeckung war nicht möglich. – Und was lag an dem Leben dieses Menschen? Ihn zu tödten, war kein Verbrechen, ihn, den hochmüthigen, tyrannischen Gutsherrn, der seinen Reichthum nur brauchte, um ihn schmählich zu verprassen!
Mit solchen Gedanken trug sich Michel auf dem Heimweg nach seiner Hütte und ihnen folgend nahm er die Büchse und eilte, ohne auf Gretens Bitte zu hören, wieder in den Wald; auf einem weiten Umwege näherte er sich dem Schloß Nordenheim; in ein Gebüsch, von welchem aus er das Schloßthor überblicken konnte, legte er sich auf die Lauer, um abzuwarten, bis der Baron den Abendspaziergang, den er täglich zu machen pflegte, antreten würde. Er wartete lange vergeblich, – endlich aber erblickte er den Baron, der aus dem Schloß trat, aber eine andere Richtung, als die, welche er gewöhnlich bei seinen Abendspaziergängen einzuschlagen pflegte, nahm. Er ging langsam durch den Garten nach dem Pistolenschießstand.
Von seinem auf einem Hügel gelegenen Versteck aus konnte Michel den ganzen Garten überblicken, er sah, daß der Baron an dem Schießstand vorüberging und den Waldweg nach Kabelwitz einschlug.
Michel folgte ihm, aber er mußte einen weiten Umweg machen und schnell gehen, wenn er den Baron noch im Walde erreichen wollte. – Anfangs eilte er mit großen Schritten durch die Heide nach der ihm bekannten, etwa in der Mitte des Weges zwischen Nordenheim und Kabelwitz belegenen Waldlichtung, hier wollte er sein Opfer erwarten; aber immer langsamer wurden seine Schritte, je näher er der Ausführung seines verbrecherischen Vorhabens kam. Das Herz schlug ihm so heftig, er konnte nicht weiter, einen Augenblick mußte er stehen bleiben, um Luft zu schöpfen. – Er konnte nicht weiter! – Es war doch nicht so leicht, einen Menschen zu tödten! – Er sah den blutenden Leichnam zu seinen Füßen und ihn schauderte. Er dachte an seine Grete, an seine Kinder. – Wenn Grete jemals erfuhr, ja, wenn sie jemals nur ahnte, daß Blut seine Hände befleckt habe, dann – – – er fühlte, daß seine Hand zitterte, seine Glieder ihm den Dienst versagten. Er konnte nicht weiter, für heut mußte er sein Vorhaben aufgeben, er wäre nicht im Stande gewesen, einen sicheren Schuß zu thun. – Er warf die Büchse über den Rücken und langsam schlenderte er durch den Wald, dem Dorfe Kabelwitz zu. Erst einige Schritte hatte er gemacht, da hörte er in nicht weiter Ferne einen Schuß. – Wer konnte da geschossen haben zu dieser Tageszeit? – Der Jäger Franz war im Schloß Kabelwitz beschäftigt, der Förster von Nordenheim war verreist, beide konnten es nicht gewesen sein. Vielleicht ein Wilddieb? – Seine Neugierde war erregt, er mußte wissen, wer außer ihm hier den Forstgesetzen Trotz bot. Vorsichtig, um kein Geräusch zu machen, schlich er durch das Buschwerk, fortwährend mit forschendem Auge umherspähend. –
Er hatte die Waldlichtung erreicht, sein erster Blick fiel auf die Leiche des Barons von Nordenheim, die in ihrem Blute auf dem Rasen ganz nahe dem nach Kabelwitz führenden Fußweg lag. – Entsetzt blieb er stehen, da aber vernahm sein feines Ohr in ziemlicher Ferne ein leises Geräusch, er blickte nach der Richtung und er sah abseits vom Wege einen hochgewachsenen Mann durch das Haselgebüsch schleichen und dann im Walde verschwinden, der Mann war zu weit entfernt, als daß er ihn mit Sicherheit hätte erkennen können, seine Gestalt aber hatte große Aehnlichkeit mit der des vornehmen Herrn, der ein so häufiger Gast auf Schloß Kabelwitz war und der mit dem Baron auf dem Schießstand einen Streit gehabt hatte. –
Lange stand Michel ohne ein Glied zu rühren, starr die Leiche des Ermordeten anschauend, – da plötzlich gedachte er der Börse und der Brieftasche. Was nutzten sie dem Todten? Er konnte den Schatz sich aneignen, ohne sein Gewissen mit einem Morde zu beflecken. – Er eilte zu der Leiche, er kniete neben derselben nieder; aber vergeblich durchsuchte er die Taschen, Börse und Brieftasche waren fort; – da fiel sein Blick auf die kostbare goldene Kette der Uhr. Er erinnerte sich, auf dem Zuchthause gehört zu haben, daß in P*** ein Goldarbeiter Goldsachen kaufe, ohne je zu fragen, woher sie stammten. Uhr und Kette hatten einen hohen Werth, auch die Ringe und die Busennadel. Aus ihrem Erlös konnte er mit Weib und Kindern lange leben. Als er die Busennadel löste, sah er die seidene Schnur, an welcher der Ermordete den Schlüssel zu dem eisernen Geldschrank um den Hals trug, er wußte, daß der Schrank Schätze enthalte. – Wie leicht mußte es sein, in der Nacht in das Fenster zu steigen, den Geldschrank zu öffnen und sich das viele, viele Geld anzueignen, lag doch der, in dessen Schlafzimmer der Schrank stand und der durch das Oeffnen erweckt worden wäre, todt hier auf dem Rasen.
Dem Gedanken folgte die That. Wildmichel durchschnitt mit seinem Messer die Schnur, er eignete sich den Schlüssel zu: – dann aber floh er eiligst in den Wald. –
Lange Zeit irrte er unstät in der Heide umher. Er hatte nicht den Muth nach Haus zurückzukehren, mit dem geraubten Gut in der Tasche wagte er es nicht, seiner Grete unter die Augen zu treten. Er lagerte sich, um auszuruhen und um zu überdenken, wie er den Einbruch vollführen wolle, im Walde.
Die Sonne war längst untergegangen, – der Mond stand schon hoch am Himmel, als Wildmichel überrascht wurde durch ein ihm bekanntes Geräusch; er hörte, wie ein starkes Wild die Büsche durchbrach und gleich darauf sah er einen Rehbock auf die nahe Waldlichtung hinaustreten. Unwillkürlich gehorchte er der Jagdlust, er schoß den Rehbock und führte dadurch seine Begegnung mit Elwine von Streit herbei. –
Mit beredten Worten schilderte Wildmichel seine Angst, als Elwine sich nicht zurückhalten ließ, ihrem Hunde zu folgen, als sie die Leiche des Barons entdeckte. Er hatte es nicht gewagt zu fliehen, bis zum Hofthor hatte er die Leiche begleitet, dann aber war er wieder in den Wald geeilt, um erst die geraubten Kleinodien an einem sicheren Ort zu verbergen und dann erst nach Haus zurückzukehren, einige Stunden zu ruhen und endlich in der Nacht den beabsichtigten Einbruch, bei dem er gefangen wurde, zu versuchen.
Wildmichel hatte seine Erzählung vollendet; er hatte sein ganzes Herz ausgeschüttet, selbst von seiner Absicht, den Baron zu ermorden und zu berauben, keinen Hehl gemacht; ein solches Geständniß trug den Stempel der inneren Wahrhaftigteit. Der Polizeirath war ein zu geübter Kriminalist, um nicht zu erkennen, daß er hier nicht betrogen werde. Wildmichel war der Mörder nicht, wahrscheinlich hatte der Mann, den Michel fern im Walde verschwinden sah, das Verbrechen vollbracht. War aber jener Mann Graf Sarentin? Der Verdacht gegen diesen wurde allerdings erhöht, aber doch wagte der vorsichtige Polizist immer noch nicht, ihn als fest begründet zu erachten; hatte doch Wildmichel selbst gesagt, daß er den Grafen nicht sicher erkannt, daß er nur eine gewisse Aehnlichkeit in der Gestalt wahrgenommen habe. Vor Allem kam es jetzt darauf an, festzustellen, aus welcher Hand Grete den zerbeulten Thaler empfangen habe; führte auch diese Spur auf den Grafen zurück, dann bot sich für eine Untersuchung schon ein bestimmterer Anhaltspunkt.
»Du hast Dir selbst und Deiner braven Frau durch Dein Geständniß den besten Dienst geleistet.« sagte der Polizeirath Abschied nehmend zum Wildmichel, »Deine Strafe wird milder sein, als wenn Du beim verstockten Leugnen geblieben wärst und für Deine Frau soll, das verspreche ich Dir, gesorgt werden.«
Das Verhör des Wildmichels hatte mehrere Stunden in Anspruch genommen, trotzdem beschloß der Polizeirath, sofort Extrapost zu nehmen und nach Kabelwitz zu fahren, um Grete zu vernehmen; aber sein Plan erlitt eine Aenderung.
Als er das Gefängniß verließ, erwartete ihn schon der Sergeant Weirauch, der soeben mit dem 3 Uhr Zuge in P*** eingetroffen war, er hatte dem Polizeirath eine wichtige Nachricht zu bringen.
Weirauch hatte es übernommen, den Grafen Sarentin, so lange dieser sich in der Residenz aufhielt, zu beobachten, bisher war dies ohne Erfolg geschehen, im Laufe des Vormittags aber war ihm eine bedeutsame Entdeckung geglückt. Sarentin hatte bei einem Juwelier mehrere Einkäufe gemacht, zwei Ringe und einen Halsschmuck; er hatte zur Zahlung, wie Weirauch, der von außen den Laden beobachtete, bemerkt hatte, einen großen Geldschein benutzt, auf welchen ihm der Juwelier eine nicht unbedeutende Summe wieder herausgab. Sobald der Graf den Laden verlassen hatte, war der Sergeant in denselben getreten und hatte, indem er sich als Polizeibeamter legitimirte, von dem Juwelier die Vorzeigung des Geldscheins, der von dem Grafen in Zahlung gegeben worden war, verlangt. Der Schein war einer der gesuchten, dem Baron von Nordenheim geraubten Fünfhundert Thalerscheine, er trug die angegebene Nummer.
Diese wichtige Entdeckung beseitigte jeden Zweifel des Polizeirathes; um aber mit größter Gewissenhaftigkeit und ganz sicher vorzugehen, beschloß er, sich von der Zuverlässigkeit des Berichtes, den er von dem Sergeanten erhalten hatte, persönlich zu überzeugen. Er eilte, begleitet von dem Sergeanten, nach dem Bahnhof, wo er gerade zur rechten Zeit eintraf, um den nach der Residenz zurückführenden Schnellzug benutzen zu können; dort eingetroffen, fuhr er zu dem Juwelier, der ihm auf seinen Wunsch bereitwillig den vom Grafen eingenommenen Fünfhundert Thalerschein übergab.
Der nächste Zug nach P*** ging um 6 Uhr ab, der Polizeirath hatte daher noch zwei Stunden Zeit, er benutzte diese um über seine wichtigen Entdeckungen dem Polizei-Präsidenten Bericht zu erstatten.
Er fand seinen Vorgesetzten in großer Aufregung.
»Sie kommen wie gerufen, lieber Rath,« so begrüßte ihn der Präsident, »ich habe schon nach Ihnen geschickt und erfahren, daß Sie in P*** seien, um so lieber ist es mir, daß ich Sie jetzt sehe. Denken Sie nur, einer der beiden 500 Thalerscheine, welche beim Morde des Baron Nordenheim geraubt worden sind, ist mir soeben eingeliefert worden. Meyer Magnus hat ihn von dem Grafen Lehnholz und dieser, errathen Sie von wem – erhalten.«
»Vom Grafen Sarentin« erwiederte der Polizei-Rath.
»Herr, sind Sie allwissend?« fragte der Präsident erstaunt.
»Hier ist der zweite Schein und aus derselben Quelle!« antwortete der Polizeirath trocken. Er erstattete Bericht über das Resultat seiner heutigen Thätigkeit, jetzt erst entschloß er sich, auch alle die Verdachtsmomente, welche schon früher gegen den Grafen vorgelegen, allein aber die Einleitung einer Untersuchung nicht gefertigt hatten, – dem Präsidenten mitzutheilen.
»Genug und übergenug!« rief dieser, als der Polizeirath geendet hatte. »Ein Indicienbeweis, so klar er nur gewünscht werden kann; zum Ueberfluß aber mögen Sie noch die Frau des Wildmichel vernehmen; ich bin überzeugt, sie hat den verhängnißvollen Thaler auch von dem Grafen. Aber machen Sie es kurz mit dem Verhör, denn ich möchte dem armen alten Major von Streit die Schmach, daß er seine Tochter dem Mörder seines Neffen verlobt, ersparen. Reisen Sie mit dem nächsten Zug nach P***, machen Sie dem Staatsanwalt kurze Mittheilung, er wird Ihnen dann sicher einen Verhaftsbefehl gegen den Grafen geben, thut er es nicht, dann übernehme ich die Verantwortung und befehle Ihnen, den Schurken zu verhaften.«
Mit dem 6 Uhr Zuge, der so viele hochadlige Gäste aus der Residenz nach Kabelwitz führte, fuhr auch der Polizeirath mit dem Sergeanten Weirauch und einem andern Beamten nach P***. Eine Extrapost führte ihn, nachdem er vom Staatsanwalt den Haftbefehl erhalten hatte, nach Dorf Kabelwitz.
Sein erster Besuch galt der Frau des Wildmichel. Grete erkannte sofort den ihr vorgezeigten Thaler wieder. »Den hat mir der gute Graf Sarentin, der Bräutigam unseres gnädigen Fräuleins, geschenkt,« sagte sie. Auf Befragen über die näheren Umstände dieses Geschenkes erzählte sie: zwei Tage nach der Verhaftung des Wildmichel sei schon am frühen Morgen Elwine von Streit in ihre Hütte getreten, um sich sehr theilnehmend zu erkundigen, wie es ihr gehe; – während sie noch im Gespräch gewesen sei, habe plötzlich Fräulein Elwine erschreckt aus dem Fenster gesehen und gerufen: »Dort kommt Graf Sarentin gerade auf das Haus zu. Ich mag nicht mit ihm zusammentreffen, er darf mich hier nicht sehen.« – Das Fräulein habe sich darauf in der dunklen Küche versteckt, gerade noch zur rechten Zeit, um sich vor dem Grafen zu verbergen. –
Der Graf sei sehr gütig und freundlich gewesen, er habe Greten und ihre armen Kinder bedauert und endlich gesagt: er hoffe, die Unschuld Michels werde sich zeigen, bis dies aber geschehen, wolle er die arme Familie des Gefangenen nach Kräften unterstützen und das habe er denn auch redlich gethan, denn 5 harte Thaler habe er auf den Tisch gelegt, als er gegangen.
Sobald der Graf die Hütte verlassen habe, sei das Fräulein aus ihrem Versteck wieder hervorgekommen. Der Graf ist doch ein guter Mensch! habe Elwine gerührt gesagt und dann die fünf Thaler, die noch unangerührt auf dem Tisch gelegen hätten, angeschaut. Da sei ihr der eine Thaler, der mit der Beule aufgefallen, sie habe Greten auf das sonderbare Geldstück aufmerksam gemacht.
So lautete Gretens Erzählung und damit schloß auch der Polizeirath die seinige. »Das Uebrige wissen Sie,« sagte er. »Bedürfen keines weiteren Beweises, daß Graf der Mörder. Sind einmal klüger gewesen, als alter Kriminalist, lieber Doctor; aber brauchen darauf nicht stolz zu sein, denn zehn Mal irrt man mit solchem Verdacht und nur ein Mal hat man Recht.«