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Fritz Stern kehrte von einem frühen Krankenbesuch in seine Wohnung zurück, um seine Sprechstunde zu halten, welche stets von einer recht beträchtlichen Zahl armer Kranken besucht wurde, denn der junge Arzt hatte sich schnell einen nicht unbedeutenden Ruf erworben und da er von Unbemittelten nicht nur nie ein Honorar nahm, sondern, wo es Noth that, sogar die Medicinen, welche er verschrieb, bezahlte und seine Patienten auch sonst nach Kräften unterstützte, konnte ihm eine ausgedehnte Armen-Praxis nicht fehlen. –
Mit Vermeidung des Vorzimmers, in welchem, wie sein Diener ihm meldete, schon mehrere Patienten vor der zur Sprechstunde angesetzten Zeit eingetroffen waren, ging Fritz nach seiner Studirstube, er wollte erst in Ruhe einen in seiner Abwesenheit angekommenen Brief lesen.
Das Schreiben lag auf dem Arbeitstisch, es zeigte in der Adresse die Handschrift des Major von Streit. Hastig erbrach Fritz das mit dem Streit'schen Wappen gezierte Siegel, er las:
»Mein lieber Fritz!
Staunst Du nicht, von deinem alten schwerkranken Onkel ein eigenhändiges Schreiben zu bekommen? Ja, mein lieber Junge, ich schreibe selbst; vor ein paar Tagen hätte ich noch die Feder nicht führen können, heut aber fühle ich mich so frisch und kräftig, wie ein Jüngling. Die Freude ist der beste Arzt! Das Glück hat mich gesund gemacht! –
Mein höchster Lebenswunsch ist erfüllt und ich sehe jetzt hoffnungsreich der Zukunft entgegen, der alte Streit'sche Name wird nicht aussterben, sondern von Neuem aufblühen! -
Mit einem Wort: – Elwine hat endlich dem Grafen Sarentin ihr Jawort gegeben, – sie hat es gethan freiwillig, ohne daß ich nöthig gehabt hätte, meine väterliche Autorität aufzubieten.
Du hegst gegen unseren theuren Alfons ein altes Vorurtheil, aber ich bin überzeugt, mein lieber Fritz, Du wirst es besiegen, ebenso wie Elwine das ihrige besiegt hat, wenn Du ihn näher kennen wirst. Er ist ein liebenswürdiger, herzensguter, vortrefflicher Mensch, das hat er in den letzten Wochen bewiesen, wenn er mit Engelsgeduld mir, dem alten kranken Mann Gesellschaft leistete; auch Elwine hat dies erkannt, – sie hat mir gestern im Vertrauen gestanden, daß sie ihrem Verlobten noch schweres Unrecht abzubitten habe. – Könne sie ihn auch nicht lieben, so hoffe sie doch ihn achten zu lernen! –
Sie wird es lernen und dies ist eine bessere Garantie für das Glück ihrer Ehe, als eine phantastische Liebe, welche doch nur mit nüchterner Enttäuschung endet. –
Morgen, am Donnerstag, soll die Verlobung durch ein Fest, zu welchen ich alle meine Nachbarn und Freunde geladen habe, gefeiert werden. Ich hatte Elwinen gesagt, sie solle auch Dir schreiben und Dich bitten, zu ihrem Ehrentage nach Kabelwitz zu kommen, ich glaubte, es sei geschehen, so eben aber hat sie mir weinend gestanden, sie habe es nicht über das Herz bringen können, den Brief an Dich zu schreiben; – oft hat sie die Feder angesetzt, aber nicht vermocht, meinen Befehl auszuführen.
Das thörichte Mädchen! – Elwine kennt Deine Abneigung gegen ihren Verlobten, sie fürchtet, Du werdest dieselbe auch jetzt nicht überwinden können; ich aber kenne Dich besser! –Ich weiß, daß Du stark genug bist, ein Vorurtheil zu bekämpfen, – daß Du mich und Elwinen sehr liebst, um noch ferner einem Manne feindselig gegenüber zu stehen, der jetzt zu uns gehört und bald auch Dein Vetter sein wird. Ich weiß, daß mein Liebling, mein theurer Fritz – seinem alten kranken Onkel eine Bitte, die vielleicht dessen letzte ist, nicht abschlagen wird, auch wenn ihm die Erfüllung schwer werden wird! – Bei dem Verlobungsfest meiner Elwine darfst Du, ihr nächster und liebster Verwandter, den sie als ihren Bruder betrachtet, nicht fehlen! Du würdest mich tief kränken, wenn Du nicht kämst.
Diesen Brief wirst Du morgen früh erhalten, Du hast dann noch volle Zeit, um den Mittagszug nach P*** zu benutzen, dort wird Dich der Wagen am Bahnhof erwarten. Alfons wird erst mit dem 3 Uhr Zuge kommen, er hat noch einige Besorgungen zu machen, wir werden daher ein paar Stündchen ganz ungestört plaudern können. – Ich weiß, mein lieber Junge, daß Du in dieser traurigen Zeit nicht dazu gestimmt ist, einem frohen Feste beizuwohnen; aber ich weiß auch, daß Du mich zu lieb hast, um mir nicht dies Opfer zu bringen! Es erwartet Dich mit Sicherheit
Dein treuliebender Onkel
Fritz von Streit.«
Fritz war, während er den Brief las, mit jedem Augenblicke bleicher geworden, als er ihn beendet, blickte er lange Zeit düster sinnend zu Boden.
»Noch einen Versuch muß ich machen, die Unglückliche zu retten,« sagte er leise, »noch einen Versuch! Schlägt er fehl dann ist sie verloren für ewig, das Opfer des Mörders!«
Das Herz wollte ihm zerreißen bei dem Gedanken, Elwine, seine geliebte Elwine solle jenem Manne gehören, den er für einen blutbefleckten Verbrecher hielt; und doch sah er nur eine Möglichkeit, sie von einem solchen Schicksal zu retten, die, daß er den Polizeirath bewegte, sofort mit der Untersuchung gegen den Grafen vorzugehen. Hierdurch wurde die öffentliche Verlobung unmöglich gemacht. Daß die Untersuchung mit dem Beweise der Schuld Sarentin's enden werde, darüber war Fritz außer Zweifel.
Er wollte sofort zum Polizeirath eilen, da aber mahnte ihn der Glockenschlag der nahen Thurmuhr, daß er zuvor noch eine Pflicht zu erfüllen habe. Die Kranken durften nicht warten, die Sprechstunde hatte begonnen! So schwer war es ihm noch nie geworden, sie abzuhalten; er bedurfte der höchsten Selbstbeherrschung, um seine ganze Geisteskraft auf die Untersuchung der Krankheitserscheinungen zu concentriren, um die Klagen und Berichte der Kranken aufmerksam anzuhören, während seine Gedanken in Kabelwitz bei Elwinen weilten.
Endlich, endlich war die schwere Stunde vorüber, er war frei, und jetzt eilte er, den Brief mit sich nehmend, um den Polizeirath aufzusuchen. Das Glück begünstigte ihn; er hatte nicht nöthig den weiten Weg bis zur Wohnung seines Freundes zu machen, denn dieser begegnete ihm auf der Straße.
»Wie sehen Sie denn aus, lieber Doctor?« fragte der gutmüthige Mann freundlich theilnehmend. »Augen liegen tief in den Höhlen, leichenblaß? Kenne Sie kaum wieder! Was ist Ihnen geschehen?«
»Ich wollte Sie aufsuchen, Herr Polizeirath, und ich bin glücklich, Sie getroffen zu haben. Sie sollen mir rathen, helfen! Meine einzige Lebenshoffnung ruht in Ihrer Hand!«
Staunend schaute der Polizeirath Fritz an, so tief erregt hatte er ihn selbst in jener fürchterlichen Nacht nicht gesehen. »Sprechen Sie, lieber Doctor!« sagte er herzlich. »Was ich für Sie thun kann, geschieht, selbst das Schwerste!«
»Lesen Sie diesen Brief!«
»Straße nicht Ort dazu. Müssen ein ruhiges Plätzchen haben. Fällt mir ein, Freund von mir, Cigarrenfabrikant Leupold, Laden ganz nahe. Wird uns für Viertelstunde sein Comtoirstübchen abtreten.«
Er nahm den Arm seines jungen Freundes, den er zu einem nahen Cigarrenladen führte; der Besitzer war gern bereit, dem Polizeirath seine Comtoirstube zu einer Unterredung mit Fritz zu überlassen. Der Polizeirath setzte sich bequem auf den vor dem Schreibpult stehenden Drehstuhl; er holte die Brille vor, wischte sie bedächtig ab und setzte sie auf, denn in der Nähe sah er nicht mehr sonderlich scharf, dann nahm er den Brief und las ihn mit gespannter Aufmerksamkeit. »Verfluchte Geschichte!« sagte er, als er geendet, ärgerlich. »Armes, schönes Kind. Graf Schuft. Alter, adelsverrückter Esel von Major. Thut mir leid; aber was kann ich dabei helfen, lieber Doctor?«
»Sie allein können und müssen Elwine retten. Sie haben die Pflicht, es zu thun. Sie dürfen nicht dulden, daß der verruchte Mörder seine blutbefleckte Hand nach diesem Engel ausstreckt; noch heut, ehe noch die Verlobung gefeiert wird, müssen Sie den Grafen zur Untersuchung ziehen, um diese entsetzliche Verlobung zu verhindern!«
Der Polizeirath wurde plötzlich sehr ernst, er richtete sich aus seiner nachlässigen, gemüthlichen Stellung empor, – seine kleinen Augen öffneten sich weiter. »Sie haben mein Kind, mein Theuerstes auf der Welt vom sicheren Tode gerettet, Herr Doctor Stern,« – so sagte er mit tiefem Ernst, »dafür bin ich Ihnen zu ewiger Dankbarkeit verpflichtet; – es giebt kein Opfer, – wie schwer es mir auch fallen möge, welches ich Ihnen zu bringen nicht bereit wäre, nur Eins opfere ich Ihnen nicht, – meine Amtspflicht. Wie können Sie, Herr Doctor Stern, Sie ein Ehrenmann, mir zumuthen, daß ich, um Privatinteressen zu dienen, eine Amtshandlung vornehmen soll, die ein Verbrechen wäre. Lägen genügende Gründe zur Untersuchung gegen den Grafen Sarentin vor, dann würde ich ihn trotz seines Namens und Standes verhaften ohne Ihre Mahnung, – aber diese Gründe liegen nicht vor, nur ein schwacher, fast auf ein Nichts gestützter Verdacht. Ich bedauere es, Herr Doctor Stern, daß Sie, gerade Sie, eine solche Forderung an mich stellen konnten.«
Fritz Stern schlug tief beschämt die Augen nieder; er fühlte, daß er sich übereilt und daß der Polizeirath Recht habe, verzweifelt sah er die letzte Hoffnung zur Rettung Elwinen's zerstört.
»Ueberlegen Sie doch nur selbst, mein lieber Doctor,« so fuhr der Polizeirath freundlicher fort, »Alle Verdachtsmomente gegen den Grafen haben sich als nichtig bewiesen, nur Einer bleibt noch übrig, der zerrissene Schuldschein und der Umstand, daß in Ihres Bruders Büchern die Zurückzahlung nicht notirt ist. Kann der Graf diese Zahlung nicht am letzten Lebenstage Ihres Bruders gemacht haben? Ist es nicht möglich, ja wahrscheinlich, daß es geschehen, daß der Ermordete das Geld mit der Absicht, später die Notiz in seinem Buch zu machen, zu sich gesteckt hat und daß es ihm mit dem übrigen Gelde, mit Börse und Brieftasche von dem Mörder geraubt worden ist? Der Graf hat dann wahrscheinlich den Schuldschein auf dem Wege von Nordenheim nach Kabelwitz zerrissen und in den Wind gestreut. Gerade dies Zerreißen des Schuldscheines spricht für die Unschuld des Grafen. Hätte er den Mord begangen und die Brieftasche geraubt, dann würde er wohl schwerlich sorglos die Papierstücke zerstreut, sondern den Schein verbrannt haben, um jede Spur von ihm zu vernichten. Freilich ist es eine alte Erfahrung, daß selbst die raffinirtesten Verbrecher in der Aufregung nach der That irgend eine unbegreifliche Thorheit begehen. welche zu ihrer Entdeckung führt, und es ist dies ein Glück für die Menschheit, aber aus dieser Erfahrung darf man doch nicht schließen, daß der Graf, weil er den Schein zerrissen hat, der Mörder sei. Nein, mein junger Freund, auf solchen nichtigen Verdacht hin darf der Ruf eines Mannes nicht mit der schwersten Anschuldigung besudelt werden! Ich bedauere Sie und die schöne liebenswürdige Elwine; aber niemals werde ich das mir anvertraute, wahrlich schwer verantwortungsvolle Amt mißbrauchen, um Privatinteressen, wie theuer mir diese auch sein mögen, zu dienen!«
Erschöpft von der langen zusammenhängenden Rede sank der Polizeirath wieder in die nachlässige Stellung zurück, aus der er sich für kurze Zeit erhoben hatte. Fritz drückte ihm sehr herzlich die Hand. »Sie haben mich tief beschämt, verehrter Herr,« sagte er traurig. »Ich erkenne meine Schuld; nur die Verzweiflung, nur der sehnsüchtige Wunsch, meine theure Elwine vor einem entsetzlichen Schicksal zu retten und die Ueberzeugung von der Schuld des Grafen konnten mich zu der Bitte verführen, deren Unerfüllbarkeit ich jetzt selbst einsehe. Verzeihen Sie mir.«
»Von Herzen, lieber Doctor! Aber Kopf nicht hängen lassen. Muth! Werden heut nach Kabelwitz gehen?«
»Ja. Ich kann die Bitte meines Oheims nicht abschlagen und will es nicht. Ist Elwine zu dieser Verlobung gezwungen worden, dann bedarf sie meines Schutzes. Hat sie freiwillig sich entschlossen, die Braut Sarentin's zu werden, dann – – dann freilich ist Alles verloren! Leben Sie wohl, Herr Polizeirath, ich kehre nach meiner Wohnung zurück, um einige Vorbereitungen für die kleine Reise zu treffen.«
»Warten Sie einen Augenblick, ich begleite Sie ein Stück Weges. Will nur erst eine kleine Schuld an Freund Leupold bezahlen. Heda Leupold! alter Sohn! Gestern 3 Thaler für Zehntel Kiste schuldig geblieben, schlechtes Zeug, Freundschaftscigarren, Stinkadores; hab sie aber einmal, muß sie rauchen und bezahlen. Hier Friedrichs'dor, gieb mir 2 Thaler 20 Silbergroschen heraus.«
Der Kaufmann, der seinen alten Freund genügend kannte, so daß er keinen zu großen Werth auf dessen schmeichelhafte Bezeichnung seiner Cigarre legte, nahm lächelnd den Friedrichsd'or und gab das geforderte Geld, zwei harte Thaler und 20 Silbergroschen heraus, er legte es auf das Schreibpult, vor dem der Polizeirath noch immer auf dem Drehstuhl saß, während Fritz neben ihm stand, dann kehrte er in den Laden zurück, wo schon ein Kunde seiner wartete.
Der Polizeirath holte gemüthlich seine Börse hervor und wollte eben das Geld einstecken, als Fritz einen der Thaler ergriff, ihn mit der gespanntesten Aufmerksamkeit betrachtete und in höchster Erregung ausrief: »Ich irre mich nicht, ich kann mich nicht irren! Sehen Sie hier das zerbeulte Wappen! Dies ist der Thaler, den Heinrich dem Wildmichel aus der Hand geschossen hat, den er als Andenken behalten wollte, in seine Börse steckte und der ihm mit dem übrigen Gelde geraubt worden ist.«
»Das wäre ja ein wunderbarer, seltsamer Zufall,« entgegnete der Polizeirath, den Thaler betrachtend, »aber möglich ist es. Kommt vor dergleichen. Sind Sie sicher, daß Sie sich nicht irren?«
»Ganz sicher! Ich habe das Geldstück nach dem Meisterschuß meines Bruders sehr genau angesehen. Ich kann mich nicht irren. Sehen Sie nur hier, Sie können selbst den Anschlag der Kugel ganz genau erkennen.«
»Hm. scheint wirklich so! Haben ja wohl auch die andern Gäste Ihres Bruders ebenso wie Sie, den Thaler genau angeschaut?«
»Ja wohl, der Rittmeister von Basenow von den Husaren und der Lieutenant von Waltner von den Dragonern.«
»Hm, wollen doch einmal sehen, ob wir dem Thaler nicht auf die Spur kommen können. Ist ein auffallendes Stück, vielleicht weiß Leupold, woher er ihn erhalten. Heda, Leupold, altes Haus, komm doch mal her. Sieh mal den Thaler hier an, kennst Du ihn?«
»Freilich kenne ich ihn, ich habe ihn Dir ja eben gegeben. Ich weiß nicht, was mit dem Dinge vorgegangen sein mag, er hat eine merkwürdige Beule da im Wappen; aber richtig ist er. Wenn Du zweifelst, will ich Dir einen andern Thaler geben.«
»Nein, zweifle nicht; aber möchte gern wissen, woher Du den Thaler hast. Weißt Du es?«
»Ganz genau. Der alte Isaac Lebermann hat ihn mir vor kaum einer Stunde in Zahlung gegeben; ich zweifelte erst an der Aechtheit, ließ ihn springen; aber er gab den reinsten Silberton und darum habe ich ihn genommen.«
»Hm. Isaac Lebermann? Alter Jude, Hausirer? Nicht wahr?«
»Ja, er zieht mit seinem Wagen im Lande umher und verkauft den Bauern tausend verschiedene Sachen, auch Cigarren, die er von mir bezieht. Er ist schon seit vielen Jahren mein Kunde, eine grundehrliche Haut!«
»Weißt Du, wo er hier in der Stadt wohnt? Ich muß ihn sprechen.«
»Nein, das weiß ich nicht; aber er will um ½12 Uhr wieder hier sein; er hat seine Cigarren noch im Laden stehen lassen, die will er abholen und dann mit dem 12 Uhr Zuge nach nach P*** fahren.«
Der Polizeirath sah nach der Uhr. »Wir haben jetzt ½11, also noch eine Stunde, bis der alte Isaac kommt, diese Zeit wollen wir benutzen. Höre, Freund Leupold, in einer Stunde spätestens bin ich wieder hier, muß den alten Isaac wegen des Thalers sprechen, halte ihn auf, bis ich komme, laß ihn unter keiner Bedingung fort. Aber reinen Mund! Kein Wort von dem Thaler! Wichtige Polizei-Sache! Verstanden?«
»Ich denke wohl. Der Alte soll nichts merken; aber komm pünktlich zurück, denn lange halten kann ich ihn nicht, da er mit der Eisenbahn fort will.
»Um ½12 spätestens bin ich hier. Vorwärts, jetzt, Doctor, zu Ihren Offizieren. Müssen sehen, ob die den Thaler auch so genau kennen, wie Sie. Nehmen uns eine Droschke, die Zeit drängt.«
Eiligst verließ der Polizeirath mit Fritz den Laden, auf dem nahen Droschkenhalteplatz suchte er mit Kennerblick nach dem besten Pferde und er verhieß dem Kutscher ein gutes Trinkgeld, wenn er die Peitsche tüchtig gebrauche. Dies Versprechen trug seine guten Früchte. Mit der größten Schnelligkeit, welche eine Residenzdroschke überhaupt zu entfalten vermag, legten der Polizeirath und Fritz den weiten Weg bis zur Wohnung des Rittmeisters von Basenow zurück.
Der Rittmeister war zu Haus; auch er war, als ihm der Polizeirath den Thaler zeigte, nicht einen Augenblick zweifelhaft; er erkannte das Geldstück sofort mit solcher Bestimmtheit wieder, daß er sich bereit erklärte, nöthigenfalls vor Gericht eidlich zu erhärten, der ihm vorgelegte Thaler sei der durch die Kugel Heinrichs von Nordenheim getroffene.
Nicht so bestimmt war die Aussage des Lieutenant von Waltner, zu welchem der Polizeirath zunächst fuhr. Der gute Lieutenant gestand, daß er von jenem Nachmittage nur eine ziemlich unklare Erinnerung habe. Er erinnere sich auch, daß der Baron nach einem Thaler geschossen habe, auch des getroffenen Geldstücks erinnere er sich; aber nicht so sicher, daß er bestimmt sagen könne, wie es ausgesehn. Es habe eine Beule im Wappen gehabt, er glaube wohl, daß der vorgelegte Thaler derselbe sein könne, den der Baron getroffen, mit Sicherheit aber könne er es nicht sagen.
»Hätten uns Besuch des guten Lieutenants sparen können,« sagte der Polizeirath mißmuthig, als er in die Droschke stieg; »aber Aussage des Rittmeisters und die Ihrige genügen. Brenne vor Neugier, ob alter Jude uns sagen kann, woher er den Thaler hat.«
Es war noch nicht ½12 Uhr, als die Droschke wieder vor dem Leupold'schen Laden hielt, in welchem der alte Isaac Lebermann schon eingetroffen war.
Der Hausirer erschrak nicht wenig, als ihn der Polizeirath, den er sehr wohl kannte, einlud, ihm in die Comtoirstube zu folgen. »Gott der Gerechte!« sagte er zitternd, »hab ich doch nichts begangen. Weshalb soll ich werden verhört von dem Herrn Polizeirath?«
»Keine Sorge, Freund Lebermann,« entgegnete der Polizeirath, »kein Verhör. Will Sie um eine Gefälligkeit bitten. Sehen Sie den Thaler hier an. Kennen Sie ihn?«
Der alte Lebermann schaute erst sehr genau den Thaler, dann mißtrauisch den Polizeirath an, er zögerte mit der Antwort. »Weshalb soll ich kennen den Thaler?« fragte er endlich. »Ist es doch ein ächter, richtiger Thaler, wenn er auch hat eine kleine Beule.«
»Besinnen Sie sich, Lebermann!« entgegnete der Polizeirath mit ernster Entschiedenheit. »Bedenken Sie aber bei Ihrer Antwort, daß Sie Ihre Aussage werden beschwören müssen. Also keine Ausflüchte, sondern die reine Wahrheit! Kennen Sie den Thaler?«
»Was werd' ich nicht kennen den Thaler? Kenn ich ihn doch an der Beule. Hab ich ihn doch bezahlt dem Herrn Leupold für Cigarren.«
»Wissen Sie, von wem Sie den Thaler erhalten haben?«
»Werde ich es nicht wissen? Seh ich mir doch an das Geld, welches ich einnehme! – Den Thaler mit der Beule hab ich lassen klingen und da er gewesen ist gut und richtig, hab ich ihn genommen.«
»Besinnen Sie sich, Lebermann. Es hängt mehr von Ihrer Aussage ab, als Sie glauben. Von wem haben Sie den Thaler?«
»Brauch' ich mich doch nicht zu besinnen, weiß ich doch ganz genau, daß ich ihn bekommen habe von einer Frau in Kabelwitz, welche hat gekauft eine wollene Decke für ihr krankes Kind. – Heißt die Frau Grete Born und ist die Frau von dem grausamen Mörder, den die Leute nennen den Wildmichel, der hat todtgeschossen den Herrn Baron von Nordenheim.« –
Der Polizeirath fuhr in jähem Schreck zurück; diese Antwort hatte er nicht erwartet, – sie erschütterte ihn tief. – »Wissen Sie das gewiß und können Sie es beschwören?« fragte er noch einmal.
»Ganz gewiß und kann ich's beschwören vor Gericht. Ich hab eingenommen den Thaler redlich in mein Geschäft und wenn er ist gestohlen, bin ich doch unschuldig daran; kann ich doch nicht ansehen dem Thaler, ob er ist gestohlen oder nicht!« –
»Es klagt Sie Niemand an, Lebermann! – Gehen Sie jetzt, ich weiß genug. Aber noch ein Mal mache ich Sie darauf aufmerksam, Sie müssen Ihre Aussage vor Gericht beschwören. Sind Sie nicht ganz sicher, dann besinnen Sie sich und sagen Sie es jetzt, ehe es zu spät ist.«
Lebermann schüttelte unmuthig den Kopf. – »Würd' ich es nicht sagen vor der hohen Polizei, wenn es nicht wäre die reine Wahrheit. Ich hab den Thaler eingenommen für eine alte wollene Decke von der Frau Grete Born, – hier steht es in meinem Buch!« – Er holte ein großes beschmutztes Notizbuch aus der weiten Rocktasche, blätterte in demselben und zeigte dann dem Polizeirath eine Notiz, sie lautete:
»5ten Sept. die grose woll Deche an die Chrete 1 Thlr. 5 Gr. (Der Dalehr is guht.)« –
»Ich danke Ihm, Lebermann, ich zweifle nicht mehr,« sagte der Polizeirath traurig, indem er das Buch zurückgab. Der Jude entfernte sich mit dem devotesten Gruße. –
Mehrere Minuten saß der Polizeirath sinnend, dann aber erhob er sich. – »Das war ein harter Schlag für mich! – Alter Esel, – glaubte an Redlichkeit! Ließ mich bestechen durch Augen des Weibes! – Muß Jeder noch lernen, wie alt er auch wird. Hätte nie geglaubt, daß Grete Hehlerin! – Aber gut, daß die wichtige Entdeckung gerade jetzt kam. Werden nun wohl nicht mehr an Schuld des Grafen glauben, Doctor? – Wildmichel ist der Mörder! Der Thaler da, der Verräther, vollendet fast den Indicienbeweis. – Muß gleich nach P***, den Schurken vernehmen. Höchste Eile, in einer Viertelstunde geht Zug ab. Treffen uns im Bahnhof, Adieu!«