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X.

Das Gefängniß im alten Schloß Kabelwitz war seit Jahren nicht benutzt worden. Es lag im Erdgeschoß der Ruine. Früher mochte es wohl ein recht sicherer Kerker gewesen sein, dafür sprachen die schweren vor den kleinen Fenstern angebrachten Eisengitter, die mit dickem Eisenblech beschlagene Thür von Eichenholz; jetzt aber erschien es dem Polizeirath keinesweges mehr geeignet für die Sicherung eines schweren Verbrechers. – Das eiserne Gitter hing nur noch lose in dem morschen Mörtel, ein kräftiger Mann hatte wohl wenig Mühe, es herauszubrechen und oben wurde es ihm leicht, sich durch das Fenster zu zwängen und in den nahen Wald zu entkommen. Ebenso wenig gefiel dem vorsichtigen Polizeimann der alte Arbeiter, der einzige Bewohner des alten Schlosses, dem der Major die wenigen noch bewohnbaren Räume desselben für sich und seine Familie überlassen hatte, gegen die Verpflichtung, im Fall einmal ein Gefangener eingebracht werde, Wärterdienste zu übernehmen.

Der alte Mann sah gar nicht zutrauenerweckend aus. Er zeigte sich, als er mitten in der Nacht aus dem Schlaf geweckt wurde und sein erster Blick beim Oeffnen der Thür auf die Uniform des Polizei-Sergeanten fiel, so erschreckt wie ein Verbrecher, der fürchtet, zur Strafe gezogen zu werden. Als ihm gesagt wurde, er solle das Gefängniß für einen Gefangenen aufschließen, beruhigte er sich zwar etwas; aber immer noch blickte er mit scheuer Furcht den Sergeanten und den Polizeirath an; – seine Hände zitterten, als er in dem mächtigen Schlüsselbund den Schlüssel zur Gefängnißthür suchte und er besaß nicht die Kraft, das verrostete Schloß zu öffnen, der Sergeant mußte ihm helfen.

Auf Wildmichel warf der alte Mann einen Blick des Mitleids. Er nickte dem Gefangenen, als er sich unbeobachtet glaubte, freundlich zu und, – dem wachsamen Auge des Polizeiraths entging nichts, – er machte sogar den Versuch, sich an Wildmichel heranzudrängen; – dies aber verhinderte der Sergeant, der ihn barsch zurückstieß und seinen Gefangenen selbst in das Gefängniß führte.

»Gefällt mir nicht,« – sagte der Polizeirath leise zu Fritz Stern. – »Der alte Kerl, Galgenphysiognomie! Hilft vielleicht Wildmichel zur Flucht. – Muß Sergeanten hier lassen. Unangenehm. Brauche ihn.«

»Der alte Heinz gilt für einen ordentlichen, redlichen Mann,« – entgegnete Fritz ebenso leise; – »aber es fällt mir ein, daß er in der That ein besonderes Interesse an Wildmichel nehmen muß, dessen Frau ist seine Nichte.«

»Dachte ich's doch! Würde morgen den Vogel ausgeflogen finden! Höchst fatal, daß Sergeanten entbehren soll, brauche ihn. Hat Falkenaugen, sieht Alles!«

»Vielleicht könnte Hans den Gefangenen bewachen. Er ist überaus treu und zuverlässig.«

»Hm! Mag gehen, wenigstens für diese Nacht,« erwiderte der Polizeirath, dann fuhr er laut fort, indem er sich an Wildmichel wendete, der auf der hölzernen Pritsche sich niedergelassen hatte und, ohne seine Umgebung weiter zu beachten, vor sich hin starrte. – »Es thut mir leid, Wildmichel, kann Dir aber für diese Nacht die Handschellen nicht abnehmen. Morgen hoffe ich, sollst Du ein besseres Quartier bekommen, heute Nacht mußt Du Dich schon behelfen.«

Wildmichel antwortete nicht, die freundlichen Worte des Polizeiraths gingen spurlos an ihm verloren. – »Störrischer Kerl!« sagte der Polizeirath leise zu Fritz Stern. »Wird Mühe kosten, werde ihn aber schon zahm machen. Sprechen Sie doch mit Hans, ob dieser die Ueberwachung des Kerls übernehmen will.«

Fritz that es, Hans erklärte sich bereit, die Nacht bei dem Gefangenen zu wachen; er erhielt vom Polizeirath die Instruktion, in dem Gefängniß zu bleiben, sich aber durchaus in kein Gespräch mit Wildmichel einzulassen, in wenigen Stunden solle er durch den Sergeanten abgelöst werden.

Der alte Heinz hatte mit dem Schlüsselbund in der Hand bei Seite gestanden, während diese Unterhandlung, von der ihm kein Wort entging, geführt wurde, – jetzt fragte er mürrisch: »Wenn der hier wacht, bin ich wohl unnütz. Meinetwegen; aber wenn er den Wildmichel laufen läßt, mich geht's nichts an, ich kümmere mich nicht darum!« Mit diesen Worten warf er das Schlüsselbund klirrend Hans vor die Füße und entfernte sich.

Noch einmal ermahnte der Polizeirath Hans zu strenger Wachsamkeit, er schärfte ihm dringend ein, sich weder mit dem Wildmichel, noch mit dem alten Heinz in ein Gespräch einzulassen, auch vor dem letzteren sich in Acht zu nehmen, – dem Sergeanten befahl er, die Handschellen genau zu untersuchen, ob sie festgeschlossen und eng genug seien, um nicht abgestreift werden zu können, – dann erst, nachdem er von beiden Seiten die beruhigendsten Zusicherungen erhalten hatte, gab er das Zeichen zum Aufbruch, – Fritz Stern und der Sergeant folgten ihm, der letztere erst, nachdem er das Schlüsselbund aufgenommen und die Thür hinter sich verschlossen hatte.

Hans blieb mit dem Wildmichel allein. Er fühlte einen gerechten Stolz auf das ihm geschenkte Vertrauen, ihm sollte der Gefangene gewiß nicht entweichen und wenn der alte Heinz etwa gar im Bunde mit dem verdammten Mörder wäre, dann sollte sich der nur in Acht nehmen, mit den Beiden wollte er schon fertig werden!

Er ging in dem engen Gemach auf und nieder. Es war ein ermüdender Gang; immer, wenn er fünf Schritte gemacht hatte, mußte er wieder umkehren, ihm wurde bald ganz schwindelig im Kopf von dem ewigen Drehen und Wenden. Er hatte bei Tage schwer gearbeitet, dann vor der Thür des Zimmers, in welchem der ermordete Baron lag, Wache gehalten und zuletzt noch den Weg nach Nordenheim hin und zurück gemacht; so rüstig er war, so fühlte er doch, dass ihm die Füße schwerer wurden. Das Auf- und Abwandeln konnte er nicht länger aushalten, er mußte sich setzen.

Ein hölzerner Schemel ohne Lehne war außer der Pritsche das einzige Möbelstück in der engen Zelle, Hans setzte denselben neben die Thür, die Stalllaterne, welche der alte Heinz in der Zelle zurückgelassen hatte, stellte er neben sich, so daß ihn ihr Licht nicht blendete und er den auf der Pritsche sitzenden Wildmichel genau beobachten konnte, dann setzte er sich auf den Schemel, um ein wenig auszuruhen. Kein Schlaf sollte ihm in die Augen kommen, dazu war er fest entschlossen.

Wie schwer aber war es doch ihn zu verscheuchen! Kaum saß er, kaum ruhten seine müden Glieder, da wurden ihm die Augenlider doch gar zu schwer. Er stand auf, ging abermals in der Zelle auf nieder, dabei wurde ihm aber nur noch schwindeliger im Kopf. Er mußte sich wieder setzen, es ging nicht anders.

Wenn er nur hätte mit dem Wildmichel ein Wort sprechen dürfen, das aber hatte ihm der fremde Herr streng verboten und der Wildmichel schien auch gar nicht geneigt zu einer Unterhaltung, der saß noch immer regungslos auf seiner Pritsche, das Haupt war ihm auf die Brust herabgesunken, er mochte wohl schlafen, denn er bewegte kein Glied.

Gewaltsam riß Hans die Augen auf, aber sie fielen ihm doch endlich zu, der Kopf sank ihm vorn über auf die Brust. Noch einmal ermannte er sich, er blickte wirr um sich, als er aber Hans unverändert in derselben Stellung sitzen sah und bedachte, daß ja der Gefangene gefesselt und die Thür verschlossen sei, da meinte er, wenn er auch wirklich einen Augenblick einnicke, dann könne es ja soviel nicht schaden. Fest schlafen wolle er nicht, gewiß nicht, nur ein Paar Minuten sich der Ruhe hingeben, um dann desto eifriger zu wachen; – aber nein – – der fremde Herr hatte es verboten! Er überlegte, ob er wohl dürfe, ob nicht, dabei aber verwirrten sich seine Gedanken, die Augen fielen ihm zu, um sich nicht wieder zu öffnen. – Kaum eine viertel Stunde war vergangen, seit der Polizeirath das Gefängniß verlassen hatte, da saß Hans schon im tiefsten Schlafe laut schnarchend auf dem Schemel. Er hörte es nicht, daß auf dem Gange draußen ein schleichender Schritt sich nahte, daß ein Schlüssel in das Schloß geschoben wurde, selbst das Kreischen des rostigen Schlosses und das Knarren der Thür, als sie geöffnet wurde, weckte ihn nicht, wohl aber den Wildmichel, wenn dieser überhaupt geschlafen hatte; der richtete den Kopf in die Höhe und schaute mit gespannter Aufmerksamkeit nach der sich öffnenden Thür.

Der alte Heinz schlich auf den Zehen in die Zelle, jetzt stand er vor dem Wildmichel, er faltete die Hände und sich zu dem Gefangenen herabbeugend, sagte er mit schmerzlich bewegtem Tone so leise, daß seine Worte nur wie ein Hauch an Michels Ohr tönten: »Michel, Michel! Was hast Du wieder gethan, Du böser Mensch?«

»Nichts hab ich gethan, gar nichts,« erwiderte Michel flüsternd. »Weil ich ein armer Kerl bin, haben sie mich im Verdacht, den Baron ermordet zu haben. Wär ich ein vornehmer Herr, dann hätten sie mich nicht gefesselt ins Loch geworfen, um solchen armen Hund aber da kräht kein Hahn. Aber ich will ihnen doch ein X für ein U machen. Hast Du eine Feile, Vater Heinz, dann bin ich in einer Stunde frei, sie mögen mir nur nachpfeifen.«

»Aber der Hans?«

»Der Tölpel schläft, er schnarcht ja wie eine Orgel! Und das ist sein Glück, ich schlüge ihn sonst vor den Kopf. Ins Zuchthaus gehe ich nicht wieder und sollte ich einen Mord begehen.«

»Hast Du auch gewiß den Baron nicht ermordet? Der Franz, der die Herren hergeführt hat, sagt, Du und kein Anderer habe es gethan.«

»Der Esel weiß von gar nichts. Ich bin es nicht gewesen, Vater Heinz, ich versichere es Dir. Willst Du um des dummen Geredes wegen Deinen Neffen auf das Zuchthaus kommen lassen und kannst ihm helfen? Sollen die Grete und die Kinder Hungers sterben? Verschaffe mir eine gute Feile, Alter, weiter verlange ich nichts von Dir.«

»Ich habe sie mitgebracht« erwiderte Heinz, indem er die Feile hervorzog.

»Das vergeß ich Dir im Leben nicht, Vater Heinz,« sagte Wildmichel mit vor Freude leuchtendem »Jetzt feile Du! Du warst ja in Deiner Jugend Schlosser und hast es gelernt. Mach mir nur die rechte Hand frei, dann will ich schon weiter sorgen.«

Heinz begann die Arbeit, aber erschreckt über den kreischenden Ton der Feile hielt er inne, vor Furcht zitternd flüsterte er: »Wenn nur der Hans nicht erwacht!«

»Ich will's ihm nicht rathen! Feile weiter Alter, ich behalte den Hans im Auge. Es ist sein Tod, wenn er erwacht!«

Rastlos feilte der Alte, Hans hörte es nicht, er schlief von der übermäßigen Anstrengung erschöpft so tief und fest, daß die Beiden bald kaum mehr auf ihn achteten.

»Es ist ein nichtswürdiges Eisen,« sagte der Alte nach langer Arbeit erschöpft inne haltend; »es kann eine Stunde dauern, ehe ich durchkomme.«

»Weiter, nur weiter!« mahnte Michel ungeduldig. »Die eine Hand muß ich frei haben!«

Heinz arbeitete, daß ihm der Schweiß von der Stirn rann, mehrmals mußte er, um Luft zu schöpfen, inne halten, endlich aber war das Ziel erreicht. Michel fühlte seine Hand frei, er dehnte und reckte vergnügt die Glieder. »Jetzt gieb mir die Feile, Vater Heinz,« sagte er, »das Uebrige will ich besorgen; aber nicht hier, sondern draußen. Schon beginnt der Tag zu grauen, es ist die höchste Zeit, daß ich hinaus komme.«

Er wollte der offenen Thür zu schreiten, aber Heinz hielt ihn zurück. »So geht es nicht, Michel. Du willst mich doch nicht unglücklich machen. Sie würden gleich merken, daß ich Dich herausgelassen habe. Du mußt zum Fenster hinaus.«

»Verflucht! Aber das eiserne Gitter?«

»Es sitzt ganz locker. Du brauchst nur zwei Steine zu lösen, dann geht es heraus. Der Mörtel ist wie Müll. Nimm die Feile, dann geht es ganz leicht.«

»Thue Du es, ich passe auf den Hans auf. Gnade ihm Gott, wenn er erwachen sollte!«

Aber Hans erwachte nicht. Obgleich ein Stück von dem zerbröckelten Stein herabfiel, vermochte ihn auch dies Geräusch nicht zu erwecken, er schnarchte weiter.

Als der Stein fiel, hatte sich Michel mit blitzendem Auge zu dem Schläfer gewendet, er war bereit, sobald dieser sich nur rege, über ihn herzufallen, jetzt aber wendete er sich leise lachend von ihm. »Der thut uns nichts,« sagte er völlig beruhigt. »Mach nur schnell, Vater Heinz. Du brauchst nicht so vorsichtig zu sein, der Kerl erwacht nicht.«

Und Hans erwachte wirklich nicht, selbst als der Alte das Gitter völlig löste und noch ein Steinstück mit starkem Geräusch niederstürzte.

Michel sprang hinzu, er faßte mit kräftiger Hand das Gitter und zog es in das Gefängniß hinein.

»Jetzt ist der Weg offen!« sagte er vergnügt. »Nun Vater Heinz leb' wohl und sei bedankt. Grüß mir die Grete und die Kinder, sag ihnen sie würden bald Nachricht von mir bekommen aus Amerika. Wenn ich erst dort bin, lasse ich sie nachkommen.«

»Hast Du denn Geld, Michel?«

»Ich weiß schon, wie ich so viel bekomme, um die Ueberfahrt zu decken. Bin ich nur erst glücklich in P***, dann hat es keine Noth mehr. Aber es ist die höchste Zeit, es wird immer heller. Hilf mir nur ein wenig, Vater Heinz, damit ich schneller durch das enge Fenster komme.«

Der Alte half ihm. Hierdurch wurde es Michel möglich, das Fenster zu erklimmen und sich, die Füße voraus, durch die enge Oeffnung zu zwängen, dann ließ er sich auf den weichen Rasen niederfallen, unverletzt sprang er wieder auf die Füße und innerlich jubelnd, daß er dem drohenden Zuchthaus glücklich entronnen sei, eilte er dem nahen Walde zu.

Heinz warf noch einen besorgten Blick auf den schlafenden Hans, dann schlich er bei diesem vorüber. Vorsichtig schloß er die Thür, der Schlüssel drehte sich kreischend im Schloß, aber Hans erwachte nicht, er saß laut schnarchend auf seinem Schemel allein in dem Gefängniß.


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