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V.

Der Major ging mit großen Schritten in seinem Zimmer auf und nieder. Die Unterredung mit seiner Tochter hatte ihn heftig aufgeregt. – Wie wenig er auch geneigt war, Rücksicht auf die Gefühle Elwinen's zu nehmen, die er romanhaft nannte, konnte er sich doch der Ansicht nicht verschließen, daß eine Ehe kaum glücklich zu werden verspreche, die mit solchem Abscheu geschlossen werde.

Er bereute nicht, daß er so hart gegen seine Tochter gewesen, denn er war von der Ueberzeugung durchdrungen, daß er nur eine Pflicht erfüllt habe, aber er fühlte sich schmerzlich bewegt dadurch, daß auch Elwinens Lebensglück, wie einst das seinige, der Ehre seines Geschlechtes zum Opfer gebracht werden müsse.

»Wäre nur der Fritz von gutem Adel!« so dachte er. »Daß meine Schwester diesen dummen Streich machen mußte, einen Bürgerlichen zu heirathen! Der Fritz wäre der rechte Mann für das Mädchen, aber der Teufel hat ihn zum Bürger gemacht und so ist es leider unmöglich! – Sie liebt ihn, das arme Ding, – der Graf hat ganz Recht und es ist Zeit, daß sie unter die Haube kommt. – Hat sie erst ein Paar Kinder, dann lacht sie wohl selbst über ihre Mädchenliebe. Der Graf wird ihr Mann, dabei bleibt es, es geht nicht anders!«

Mit diesem Schlußsatz, den er sich in der letzten Stunde wohl zwanzig Mal selbst vorgesprochen hatte, wollte er sich beruhigen, aber er mußte doch immer wieder an seine Tochter denken, wie sie im tiefsten Seelenschmerz zusammen gebrochen war, als er sie verlassen hatte.

Es war ihm gar nicht wohl zu Muthe, er fühlte sich recht einsam und unglücklich. Am liebsten wäre er zu Elwinen hinüber gegangen, um sie durch ein freundliches Wort zu trösten, was aber hätte er ihr sagen sollen? – Sein Wort zurücknehmen konnte er nicht und einen anderen Trost gab es im Augenblick für die Unglückliche nicht. Er würde nur eine neue heftige Scenen erlebt, nur vergebliche Bitten haben zurückweisen müssen. – Besser, er ließ Elwine mit sich selbst zu Rathe gehen! Er mußte den Abend erwarten und allein bleiben, so unbehaglich ihm dies auch war.

Es gewährte ihm deshalb ein Gefühl angenehmer Befriedigung, als er ein Klopfen an der Thür hörte und als auf sein »Herein« Fritz Stern ins Zimmer trat.

»Ei Fritz, bist Du da«, rief der Major erfreut; »Sei mir willkommen. Ich hätte Dich heut nicht erwartet; ich glaubte, Ihr hättet Gäste in Nordenheim.«

»Sie haben uns verlassen; Graf Sarentin muß ja schon seit mehreren Stunden in Kabelwitz sein, die anderen Herren sind nach der Stadt zurückgekehrt. Ist der Graf nicht hier?«

»Hm, ja, – er war hier und wird bald wiederkommen. Er hat nur einen Spaziergang gemacht; ich erwarte ihn in jedem Augenblicke.«

»Ich habe also nicht lange Zeit, um eine wichtige Angelegenheit mit Dir zu besprechen, Onkel. – Ich komme so eben von Elwinen.«

»So?« – Das kurze Wort wurde ziemlich langgedehnt vom Major ausgestoßen, es klang nicht sonderlich freundlich. – Der alte Herr schaute seinen Neffen mit einem durchdringend forschenden Blick an. – Sollte es zwischen diesem und dem jungen Mädchen zu einer Erklärung gekommen sein? Kam Fritz, um zu erklären, daß er selbst Ansprüche auf Elwinens Hand mache? Aber nein, das konnte nicht sein! So ruhig und leidenschaftslos erscheint kein Liebender vor dem Vater der Geliebten, um von ihm das Jawort zu fordern.

Fritz Stern schien den unfreundlichen Ton des »So« gar nicht zu bemerken, er fuhr mit unveränderter Ruhe fort: – »Elwine hat mir den Inhalt der Unterredung mitgetheilt, welche sie mit Dir gehabt hat; sie ist in Verzweiflung. Du hattest kein Recht, Onkel, Deinem einzigen Kinde nur die traurige Wahl zu lassen zwischen Deinem Fluche und der Ehe mit einem Mann, den sie mit Recht verabscheut, denn Graf Sarentin ist Elwinen's unwürdig. Er ist ein Wüstling, der sein Vermögen in niedrigen Ausschweifungen vergeudet hat, ein Spieler, der jetzt, da er nicht weiß, wie er sich vor seinen Gläubigern retten soll, hofft, durch die Heirath mit einer reichen Frau sich seinen Verlegenheiten zu entziehen und der ehrlos genug ist, seinen Plan zu verfolgen, obgleich er weiß, wie sehr ihn Elwine verachtet.«

»Genug, Fritz! Ich dulde es nicht, daß Du länger in solchem Tone von dem Grafen, meinem künftigen Schwiegersohn, sprichst!« entgegnete der Major ärgerlich. »Ich weiß, daß zwischen Euch Beiden stets eine große Abneigung bestanden hat, umsomehr solltest Du Dich hüten, Deinen Gegner zu verleumden. Ich habe mich genau nach dem Grafen erkundigt und ich weiß, daß er wohl ein etwas leichtfertiges Leben geführt hat, daß er aber ein Ehrenmann ist. Zudem ist er der Erbe des Sarentin'schen Majorats.«

»Darauf hin hat er seit Jahren eine große Schuldenlast aufgehäuft, jetzt aber wollen seine Gläubiger nicht länger warten; sie drängen ihn, weil sie meinen, sein Oheim, der erst etwas über 60 Jahre alt ist, könne noch zwanzig Jahre leben und vielleicht sogar noch heirathen. Man spricht davon, daß der alte Graf sich ernstlich um eine junge, adlige Dame bewerbe und daß diese gar nicht abgeneigt sei, Gräfin Sarentin zu werden.«

»Davon hat mir der Graf nichts gesagt.«

»Das glaube ich wohl; er hat gute Gründe, ein Gerücht zu verschweigen, welches bis jetzt auch noch nur ein Gerücht sein mag, ihn aber in schwere Verlegenheit bringt, da alle seine bisher geduldigen Gläubiger plötzlich rebellisch zu werden anfangen. Du hast mir den schweren Vorwurf der Verleumdung gemacht, Onkel; ich kann Dir aber die heilige Versicherung geben, daß ich jedes Wort, welches ich gesagt habe, vertrete. Seit ich weiß, daß Du die Absicht hast, den Grafen zu Deinem Schwiegersohn zu machen, habe ich es für meine Pflicht gehalten, den dunkeln Gerüchten, welche in der Stadt über ihn umgehen, nachzuforschen. Dazu hat sich mir eine unverhofft günstige Gelegenheit geboten. Du hast vielleicht von dem Polizeirath Richter gehört?«

»Von dem berühmten Diebesfänger? Ja.«

»Durch einen Zufall ist es mir gelungen, ihm einen wichtigen Dienst zu leisten. Sein einziges Töchterchen, welches er abgöttisch liebt, war an der Bräune erkrankt und von seinem Hausarzt, sowie von einem andern hinzugerufenen berühmten Arzte als rettungslos aufgegeben, selbst eine Operation, so erklärten Beide, könne keinen Erfolg mehr haben. Der sonst so ruhige, leidenschaftslose Mann war in Verzweiflung, er konnte nicht einmal am Sterbebett seines Kindes bleiben, die Pflicht rief ihn zum Verhör einer Diebin, die soeben gefänglich eingezogen worden war. Bei diesem Verhör erfuhr er, daß ich die Tochter der Diebin im Krankenhaus behandelt und operirt hatte. Das Kind, welches von den übrigen Aerzten ebenfalls aufgegeben war, ist gerettet worden. Er beendete das Verhör so schnell als möglich, suchte mich auf und führte mich an das Krankenbett seines Kindes. Ich unternahm die Operation, welche einen von mir selbst kaum gehofften glücklichen Erfolg hatte. Seitdem ist der Polizeirath mein wärmster Freund, er zollt mir für die Rettung seines Kindes eine wahrhaft rührende Dankbarkeit. Was er für Niemand sonst thun würde, hat er für mich gethan. Er hat die genauesten Nachforschungen über das vergangene Leben des Grafen Sarentin gehalten, das Resultat derselben habe ich Dir mit wenigen Worten mitgetheilt. Hinzufügen muß ich noch, daß der Graf früher Offizier gewesen ist, daß er seinen Abschied hat nehmen müssen, weil im starken Verdacht gestanden hat, beim Spiel eine nicht unbeträchtliche Geldsumme entwendet zu haben. Seine Kameraden haben ihn veranlaßt, seinen Abschied zu nehmen und ihm dagegen versprochen, über den Vorfall zu schweigen. Sie haben es gethan der Ehre des Garderegiments wegen, aber es ist ihnen trotzdem nicht gelungen, das Geheimniß ganz aufrecht zu erhalten; wo so viele um ein solches wissen, ist ja niemals eine indiscrete Aeußerung zu verhindern.«

Der Major schüttelte ungläubig den Kopf. »Ich kenne diese unglückliche Geschichte«, sagte er, »der Graf hat sie mir selbst erzählt und seine Worte sind bestätigt worden durch das Zeugniß eines meiner alten Regimentskameraden, eines Mannes, dessen Worte und Ehre lauter wie Gold sind. Im Scherz hat er einem Kameraden die gefüllte Geldbörse aus der Tasche gezogen, sie ihm aber natürlich unmittelbar darauf zurückgegeben« – – –

»Freilich; aber nicht freiwillig, sondern erst, nachdem der Bestohlene seinen Verlust bemerkt, den anwesenden Kameraden Mittheilung gemacht hatte und von diesen gefordert worden war, es solle jedes Mitglied der Gesellschaft sich untersuchen lassen, damit auf keinem der schmähliche Verdacht eines Diebstahls haften könne! Da hat der Graf die Börse hervorgezogen und seine niederträchtige That als einen Scherz dargestellt.«

»Du wirst mich noch ernstlich böse machen, Fritz!« entgegnete der Oberst. »Glaubst Du, daß ich einem Diebe mein Haus öffnen, ihm gar die Hand meiner Tochter geben würde? Dein Haß verblendet Dich. Einen Dieb würden die Offiziere jenes Garderegiments ohne Zögern der strafenden Gerechtigkeit übergeben haben; dies ist nicht geschehen, der Graf hat noch mehrere Wochen nach jenem unglücklichen Vorfall im Regimente gedient und endlich nur aus dem Grunde seinen Abschied genommen, weil falsche Gerüchte über den allerdings unpassenden Scherz im Publikum von seinen Feinden verbreitet worden waren. Du magst aus dieser wahrheitsgetreuen Darstellung der Sache sehen, wie unlauter die Quelle ist, aus welcher Du Deine Nachrichten über die Vergangenheit Sarentin's gezogen hast. Wie Dein Polizeirath einen allerdings leichtfertigen Jugendstreich zu einem infamen Diebstahl umgestempelt hat, so hat er Dich auch parteiisch über die Verhältnisse und das ganze Leben Sarentins berichtet. Ich habe meine Nachrichten aus einer lauterern ganz unparteiischen Quelle geschöpft. – Laß uns dies Gespräch abbrechen, Fritz. Ich wünsche nicht, gegen Dich harte Worte zu gebrauchen, Du weißt ja, wie lieb ich Dich habe, wenn Du aber fortfährst, wie Du begonnen, dann endet meine Geduld.«

»Es handelt sich um Elwinens und auch um Dein Lebensglück, Onkel,« sagte Fritz Stern ernst, »da darf ich nicht schweigen; ich muß sprechen auch auf die Gefahr hin, Dich zu erzürnen. Ich verhehle mir nicht, daß es mir nicht gelingen wird, Dich von der Unwürdigkeit des Grafen zu überzeugen, ich gebe den Versuch auf, es zu thun; aber leugnen wirst Du nicht, daß Sarentin, den Elwine verabscheut, auch für Dich keine angenehme Persönlichkeit ist; Du hast mir dies früher mehrfach selbst gesagt.«

»Nun ja, ich habe es gesagt und leugne es nicht; aber ich habe ihn als Ehrenmann kennen gelernt, und die Abneigung, welche ich gegen sein mir zu glattes Wesen fühlte, überwunden.«

»Elwine hat sie nicht überwunden und wird sie, das versichert sie, niemals überwinden.«

»Redensarten! Sie wird sich, wenn sie erst seine Frau ist, schon an ihn gewöhnen.«

»Du spielst ein gefährliches Spiel, Onkel, – ein Spiel mit dem Herzen und dem Glück Deiner Tochter! Ich weiß, daß Du Deine ganze Lebenshoffnung darauf gesetzt hast, durch die Verheirathung Elwinens mit einem Edelmann aus fleckenloser Familie Deinen Nachkommen den Namen Streit und das Majorat zu erhalten. – Weshalb muß aber gerade der Graf es sein, den Du Dir zum Schwiegersohn wählst?« –

»Hast Du vergessen, daß das thörichte Mädchen alle übrigen Bewerber durch ihren hochmüthigen Trotz zurückscheucht, daß sie sogar Deinen Bruder Heinrich zurückgewiesen hat?« – so fragte der Major unwirsch.

»Das hat sie gethan als ein halbes Kind. Sie war damals siebzehn Jahre alt. – Heut ist ihr Verstand gereift, sie weiß, was sie sich selbst, ihrem Vater und ihrem Namen schuldig ist. Heut würde sie Heinrich's Bewerbung nicht wieder zurückweisen.«

Der Major blickte seinen Neffen mit unverhehltem Staunen an. – »Was sagst Du da, Fritz,« – rief er freudig erregt. – »Woher weißt Du das?«

»Elwine hat es mir selbst gesagt!«

»Fritz, mach mich nicht toll! Das wäre ja die Erfüllung meines höchsten Wunsches! Aber nein, das ist ja gar nicht möglich! Du willst mich täuschen, nur um Elwinen von dem Grafen zu befreien!«

»Hab' ich Dich je getäuscht? Hab' ich Dir je eine Unwahrheit gesagt? – Hältst Du mich einer solchen überhaupt für fähig.«

»Nein, mein Junge, wahrhaftig nicht. Nimm's mir nicht übel, aber mir wirbelt mein alter Kopf, – ich weiß nicht mehr, was ich denken soll! Elwine und Heinrich! Aber nein, – es ist ja auch nur ein Traum! Wenn selbst Elwine ihren starren Sinn beugt – Heinrich, der so schroff Zurückgewiesene denkt jetzt nicht mehr an sie!«

»Du irrst, Onkel! Heinrich liebt Elwinen noch ebenso leidenschaftlich, wie vor vier Jahren. Ich gebe Dir mein Wort darauf, daß er morgen schon nach Kabelwitz kommen und Elwinens Hand von Dir erbitten soll.«

»Fritz, Fritz, ich bitte Dich, flöße mir nicht solche Hoffnungen ein, die sich dann später in ein Nichts auflösen! Aber woran denke ich denn! Es ist ja überhaupt zu spät! Ich habe dem Grafen versprochen, daß heute Abend noch seine Verlobung mit Elwinen gefeiert werden soll. Elwine ist ja bereits durch mein Wort seine Braut.«

»Noch ist sie es nicht! Du kannst Deiner Tochter fluchen, kannst sie verstoßen und enterben; aber sie zwingen, die Braut oder gar die Gattin des Grafen zu werden, das kannst Du nicht. Erkläre dem Grafen, daß Dein Bemühen an dem unüberwindlichen Widerwillen Elwinens gescheitert sei, dass sie zur Verlobung mit ihm sich nicht zwingen lasse. Du sprichst dann nur die Wahrheit.«

Der Major antwortete nicht sogleich. Er ging, vor sich niederschauend, mit Riesenschritten im Zimmer auf und ab. Der Wunsch, den alten, lieben, nie vergessenen Plan der Verheirathung Elwinens mit seinem Neffen zur Ausführung zu bringen, kämpfte in ihm mit dem Widerstreben, das dem Grafen gegebene Wort zu brechen. Der alte Soldat war stets der Sclave seines Wortes gewesen und auch jetzt vermochte er sich nicht in die Möglichkeit, daß er wortbrüchig werden könne, hinein zu denken.

»Es geht nicht, Fritz! Es geht wirklich nicht, mein Junge!« – sagte er nach einer langen Pause traurig. »Ich kann nicht in meinen alten Tagen noch ein wortbrüchiger Schuft werden. – Was sollte der Graf von mir denken; ich müßte mich ja vor mir selber schämen. –«

»Das sollst Du nicht, Onkel, Du sollst Dein Wort halten. Du hast versprochen, daß heut Abend die Verlobung stattfinden solle, natürlich aber unter der stillschweigenden Bedingung, daß der Graf selbst es wünscht, denn ohne Braut und Bräutigam kann doch von einer Verlobung nicht die Rede sein.«

»Natürlich!«

»Theile dem Grafen der Wahrheit getreu in meiner Gegenwart mit, daß Elwine Deinem väterlichen Machtgebot Trotz geboten habe, laß ihn selbst bestimmen, ob er trotzdem darauf bestehe, die Verlobung zu erzwingen, – er wird dann freiwillig davon abstehen. Das Uebrige überlaß getrost meinem Bruder. Heinrich wird den Grafen veranlassen, freiwillig zurückzutreten, dafür stehe ich Dir ein. Für Geld ist dieser Mensch zu erkaufen und für Heinrich wird keine Summe zu hoch sein, um Elwine vor der Verbindung mit dem Elenden zu bewahren.«

»Dein Haß reißt Dich von Neuem zu einer ungerechten Beschuldigung fort.«

»Der Erfolg wir Dir beweisen, daß ich mich nicht getäuscht habe.«

»Wohl, Fritz, ich will Deinem Rathe folgen. Ich nehme mein Wort nicht zurück, wird es mir aber vom Grafen zurückgegeben. dann werde ich nicht darauf bestehen, daß diese Verbindung zu Stande komme. Ich gebe Dir nach, Fritz, aber merke es Dir, einmal und nicht wieder. Jede fernere Einmischung in meine Pläne und Familienangelegenheiten verbitte ich mir. Giebt der Graf nicht freiwillig Elwine auf, dann wird sie seine Frau, dabei bleibt es!«

Fritz Stern hatte soviel von seinem sonst ziemlich halsstarrigen Oheim erreicht, daß er sich wohl hütete, diesen durch Widerspruch zu erzürnen; er glaubte außerdem des Gelingens seiner Absichten ganz sicher zu sein und die letzte Drohung nicht fürchten zu müssen. Er erwartete jetzt mit Ungeduld die Zurückkunft des Grafen; aber es dauerte wohl eine Stunde, die Sonne war schon untergegangen, ehe Franz, der Jäger des Majors, meldete, Graf Sarentin sei soeben von seinem Spaziergang zurückgekehrt, er habe sich auf sein Zimmer begeben, um sich umzukleiden, werde aber in wenigen Minuten erscheinen.

Nach kaum einer Viertelstunde, welche Fritz Stern ewig lang erschien, kam der lang Erwartete.

Der Graf hatte sich wohl der bevorstehenden Verlobungsfeier wegen mit höchster Sorgfalt gekleidet; er trug die feinste Gesellschaftstoilette Offenbar sah er dem Augenblick, welcher für sein ferneres Leben entscheidend werden sollte, mit großer Erregung entgegen. Seine Wangen waren geisterbleich, sein tiefliegendes dunkles Auge blitzte unheimlich unter den vollen Augenbrauen hervor. Um seinen Mund zuckte ein erzwungenes Lächeln, als er den Major begrüßte. Gegen Fritz Stern verneigte er sich leicht, sonst schien er diesen kaum zu beachten, nur als er in's Zimmer trat, warf er auf ihn einen seltsam scheuen Blick, welcher zeigte, wie unangenehm ihm die nicht erwartete Gegenwart des gehaßten Vetters seiner künftigen Braut war.

Der Major streckte seinem Gast zum Gruß die Hand entgegen. Wie unangenehm kalt und feucht war die des Grafen, – der alte Herr zog die seinige nach einem schnellen Druck zurück; er befand sich in einer recht peinlichen Verlegenheit. Noch niemals war es ihm so schwer geworden, ein Gespräch zu eröffnen. Das Gewissen peinigte ihn, er sagte sich selbst, daß er im Begriff stehe, ein gegebenes Wort zu brechen, wenn er es auch scheinbar zu halten bereit sei. Jeder krumme Weg war dem alten Soldaten verhaßt und er konnte sich doch nicht verhehlen, daß er sich in eine Intrigue eingelassen habe, die seinem graden Sinne widerstrebte; aber es war einmal geschehen und jetzt konnte er nicht mehr zurück; sowohl die Zusage, welche er seinem Neffen gemacht hatte, als der eigene Wunsch, Heinrich von Nordenheim zum Schwiegersohn zu gewinnen, trieben ihn vorwärts. Er bezwang die Scheu, welche ihn Anfangs nur stockend sprechen ließ und ohne irgend Umschweife zu machen, theilte er dem Grafen in schmucklosen Worten das Gespräch mit, welches er mit seiner Tochter gehabt hatte, und seine Drohung, mit welcher dasselbe geschlossen worden war; er verhelte nicht, daß er bedauere, soweit gegangen zu sein, in die Hand des Grafen lege er die Entscheidung darüber, ob unter diesen Umständen heut Abend die Verlobung stattfinden solle; bestehe der Graf darauf und weigere sich Elwine, – dann, – so schloß der Major mit einem Seufzer, werde er gezwungen sein, das seiner Tochter gegebene Wort zu halten und sie mit blutendem Herzen von sich zu stoßen.

Graf Sarentin hörte der Auseinandersetzung des Majors mit einer sichtlichen Unruhe zu; er schaute dem alten Herrn nicht ins Auge, sein Blick war zu Boden gesenkt; er stand mit der einen Hand auf die Lehne eines Sessels gestützt, die andere herabhängende Hand hielt den Gesellchaftshut, den er nicht abgelegt hatte; wie tief im Innersten ihn die Mittheilung des Majors ergriff, zeigte ein krampfhaftes Zittern der herabhängenden Hand, der Hut entfiel ihm, und als er ihn aufheben wollte, schwankte er beim Bücken.

»Beruhigen Sie sich, theurer Freund!« sagte der Major theilnahmvoll. »Meine Worte erschüttern Sie; ich gebe Ihnen aber die Versicherung, daß ich meinem Versprechen treu bleibe. Wenn Sie nicht freiwillig darauf verzichten, daß die Verlobung heut Abend stattfinde, wird dies entweder geschehen oder Elwine ist nicht meine Tochter. Ich halte mein Wort im Guten wie im Bösen!«

Graf Sarentin hatte seine Fassung wieder gewonnen. Zwar flog noch immer ein eigenthümliches, krampfhaftes Zucken durch seine Züge, auch seine Hand zitterte noch; aber er vermochte doch mit erzwungener Ruhe zu antworten: »Nein, Herr Major, dies darf nicht geschehen, Um keinen Preis der Welt möchte ich die Veranlassung sein, daß eine nie wieder auszufüllende Kluft zwischen Vater und Tochter gerissen werde. Ich gebe die Hoffnung nicht auf, daß ich mir die Liebe der schönen Elwine noch erringen werde; ich halte deshalb auch das Wort, welches Sie mir gegeben haben, fest; aber ich verzichte darauf, daß heut Abend schon die Verlobung gefeiert werde; dies soll erst geschehen, wenn es mir gelungen sein wird, mir die Liebe oder wenigstens die Hochachtung meiner künftigen Gattin zu erwerben. Erlauben Sie, daß ich dies selbst Fräulein Elwine sage; vielleicht gelingt es mir dadurch, den Abscheu etwas zu mildern, den ich bisher so unverdienter Weise tragen mußte.«

»Sie sind ein Ehrenmann, lieber Graf!« erwiderte der Major gerührt. »Ihr Wille soll geschehen!« Er läutete mit der kleinen silbernen Glocke, und als der Jäger Franz Franz gehorsam erschien, befahl er ihm, das gnädige Fräulein sogleich zu rufen.

Fritz Stern hatte während der kurzen Unterhaltung den Grafen Sarentin mit forschendem Blick beobachtet, er war nicht wenig erstaunt über die mächtige Erregung, welche den von ihm für so fühllos gehaltenen Mann ergriff, als er hörte, daß Elwine ihn noch tiefer haßte, als er wohl geahnt haben mochte. Liebte der Graf, dieser scheinbar so kalt berechnende, verlebte Wüstling, Elwine wirklich? War diese Ehe für ihn nicht nur eine Geldspekulation? folgte er dem Drange seines Herzens, als er so bereitwillig auf den Wunsch des Majors einging, oder war sein ganzes Verhalten nur das Product einer raffinirten Verstellung, darauf berechnet, den künftigen Schwiegervater und Elwine selbst zu täuschen und um so fester an sich zu ketten? Fritz Stern war fast geneigt, dies zu glauben. Aber als er wieder und immer wieder forschend die Gesichtszüge des Grafen beobachtete, als er sah, wie dieser sich nur mühsam aufrecht erhielt, wie seine Hand zitterte, und wie das krampfhafte Zucken seiner Züge sich immer häufiger wiederholte, da drängte sich dem Beobachter die Ueberzeugung auf, daß er sich getäuscht habe! Graf Sarentin liebte Elwinen, er war im Herzen getroffen durch den plötzlichen Schlag, der seine schönsten Lebenshoffnungen zu vereiteln drohte! Fritz Stern mußte sich dies zugestehen und indem er es that, fühlte er, daß er ein schweres Unrecht gegen diesen Mann begangen habe, auf dessen kalte Herzlosigkeit er gebaut hatte und der jetzt ein so warmes Gefühl bekundete.

Einige Minuten vergingen. Schweigend erwarteten die drei Herren die Ankunft Elwinens, aber sie erschien nicht. An ihrer Stelle kam der Jäger Franz und berichtete, das Fräulein sei noch nicht aus dem Walde zurück. Es habe vor etwa zwei Stunden die leichte Büchse über die Schulter genommen, den Nero gerufen und sei allein in den Wald gegangen.

»Fräulein Elwine allein im Walde um diese Zeit?« rief Graf Sarentin erschreckt und noch bleicher werdend, als er ohnehin war; seine Glieder schienen ihm den Dienst zu versagen, er zitterte und schwankte so heftig, daß er sich niederlassen mußte.

Der Major war über die erhaltene Nachricht durchaus nicht erschreckt und nur ärgerlich darüber, daß seine Tochter gerade heut so lange ausblieb. Er beruhigte den Grafen, Elwine sei von ihm nicht als ein weichliches Mädchen erzogen worden, sie sei schon oft bei Tag und Nacht auf der Jagd allein, nur in Begleitung ihres Lieblingshundes Nero im Walde gewesen. Jedenfalls werde sie bald zurückkommen, von einer Gefahr könne gar keine Rede sein. Ueberdies habe Elwine den treusten Wächter bei sich, ihren Nero, der sie gegen jeden Angriff schützen werde.

Graf Sarentin kannte den gewaltigen Hund, Elwinen's Liebling; er hatte mehrfach Gelegenheit gehabt, seine Kraft zu bewundern, wenn das gelehrige Thier auf Elwinens Befehl schwere Steine, welche in den kleinen See geworfen wurden, untertauchend hervorholte und an das Land schleppte, er wußte auch, daß Nero seiner Wildheit wegen, die er nur gegen Elwine verleugnete, selbst von der Dienerschaft im Schloß gefürchtet wurde, aber doch erschien ihm der Schutz eines Hundes ungenügend für ein junges Mädchen. Er erkundigte sich mit peinlicher Aengstlichkeit, welche Richtung Elwine eingeschlagen habe, ob es nicht möglich sei, ihr zu folgen, sie aufzusuchen.

Der Major lachte herzlich über diese allzugroßen Sorgen und über den Gedanken, in dem meilenweit ausgebreiteten Walde Elwinen aufsuchen zu wollen. Die kümmere sich nicht um Weg und Steg, sie wandere quer durch den Wald, wie Lust und Laune sie eben treibe. Da sie die Büchse mitgenommen habe, werde sie vielleicht sogar ihrer Jagdneigung nachgehen. Sie werde sicher wohlbehalten zurückkehren. Wann? das könne freilich Niemand wissen. »Das tolle Mädchen ist mitunter ganze Nächte im Walde gewesen«, so schloß der Major; »aber ich hoffe, sie wird heute vernünftiger sein und bald kommen. In einer Stunde geht der Mond unter, dann kehrt sie spätestens zurück.«

Da auch Fritz Stern die Worte des Majors bestätigte und ebenso wenig wie dieser sich besorgt zeigte, mußte Graf Sarentin wohl seine Absicht, Elwine im Walde aufzusuchen, aufgeben; beruhigt aber war er nicht. In fieberhafter Aufregung sprang er bald von seinem Sessel auf und ging mit großen Schritten im Zimmer auf und nieder, bald sank er wieder schlaff in sich zusammen, fast regungslos vor sich hinstarrend saß er in dem Lehnstuhl des Majors. Sein Auge glänzte in einem unheimlichen Feuer, seine Züge zuckten – er hatte die Gewalt sie zu beherrschen, ganz verloren – die Sorge überwältigte ihn vollständig.

Eine traurige Stunde verging mit bleierner Langsamkeit. Auch der Major fing an, besorgt zu werden, denn die namenlose Angst des Grafen wirkte ansteckend auf ihn; vergeblich versuchte er, sich selbst zu beruhigen, indem er sich sagte, daß ja Elwine, seine Amazone, nicht ein schwaches Mädchen, sondern mit dem Gebrauch der Büchse vertraut, jeder Gefahr gewachsen sei. Als ein Blick zum Fenster hinaus in die dunkle Nacht ihm sagte, daß der Mond untergegangen sei, wurde auch er unruhig. Er dachte an das Gespräch zurück, welches er am Nachmittag mit seiner Tochter geführt hatte, an seine letzte Drohung; er sah sie im Geist wieder vor sich, wie sie zusammenbrach, als er sie verließ.

»Sie hat sich in der Verzweiflung selbst getödtet!« Der Gedanke durchzuckte ihn, er war entsetzlich, nicht zu ertragen.

Der Major sprang auf, er beugte sich zu seinem Neffen und flüsterte diesem seine grauenhafte Vermuthung ins Ohr, Fritz aber schüttelte lächelnd den Kopf.

»Sei unbesorgt Onkel,« sagte er leise mit unveränderter Ruhe, »daran denkt Elwine nicht. Sie wäre vielleicht zu einem solchen Schritt durch die Verzweiflung getrieben worden, wenn ich sie nicht getröstet, ihr nicht gesagt hätte, daß Heinrich ihr mit unveränderlicher Liebe treu geblieben sei, daß sie nie des Grafen Weib werden solle. Sie kehrt absichtlich spät aus dem Walde zurück, um jede Begegnung mit Graf Sarentin heut Abend zu vermeiden.«

Fritz Stern sprach so ruhig, daß der Major überzeugt wurde; er ahnte ja nicht, daß die Ruhe seines Neffen nur eine Maske, daß dieser nicht weniger besorgt war, als er selbst, ja daß der gleiche entsetzliche Gedanke Fritz wie ihn peinige.

Wieder eine Viertelstunde verging, da hörte der Major das laute Bellen eines Hundes, dem ein fürchterliches Geheul folgte. »Das war Nero;« rief er entsetzt aus, – er kannte den Ton des Bellens, er konnte sich nicht täuschen. – Er eilte zum Fenster, – dort hinten, auf der äußersten Grenze des Hofes zeigte sich ein Licht. Mehrere Menschen bewegten sich dort, – sie trugen ein dunkles Etwas, – was, – das vermochte er in der Finsterniß nicht zu erkennen, aber er ahnte es!

»Sie ist's, sie bringen ihre Leiche! Sie hat sich selbst ermordet!« so rief er in wildem Entsetzen, dann sank er kraftlos zusammen. Fritz Stern eilte ihm zur Hilfe.

Auch Fritz war bei dem Weheruf des Majors jäh zusammengezuckt und erbleicht; aber er hatte nicht einen Augenblick die ruhige Besonnenheit verloren. – er hielt seinen zusammengesunkenen Oheim mit kräftigen Armen und führte ihn nach dem nächsten Sessel; indem er ihm einige Tropfen kaltes Wasser ins Gesicht spritzte, brachte er ihn dem Bewußtsein zurück. – Gefahr war hier nicht, das wußte der geschickte junge Arzt, – er konnte jetzt den Oheim sich selbst überlassen.

Er eilte an's Fenster. Sein scharfes Auge erkannte die Umrisse mehrerer Menschen, die sich über den Hof dem Schlosse näherten. Sie trugen, das konnte er bei dem schwachen Schein des fernen Lichtes eben erkennen, einen leblosen Körper. – Mehr konnte er nicht erforschen, aber er gab sich auch gar nicht die Mühe, dort unten war seine Hilfe, die des Menschen und die des Arztes erforderlich, er eilte, sie zu leisten!


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