Julius Stinde
Emma das geheimnißvolle Hausmädchen
Julius Stinde

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Einundfünfzigstes Kapitel.

Der spukhafte Gast.

In einem zum Hafen von Lorenzo Marques hinabführenden Gäßchen lag das Seemannsheim »Zur Friedenspfeife«, dessen rothe Laterne wie ein Leuchtthurm nächtlich Verirrten den rechten Kurs wies, daß sie nicht ins Wasser rannten, sondern bei Menub-bel einkehrten, wo, dem sozialen Geist der Zeit entsprechend, rauhe Seeleute durch feinsinnige Unterhaltung und abschleifenden Verkehr in höhere Sphären gehoben und von wüsten Anschauungen geläutert wurden.

Auf See kann der Schiffer weder freie Bühnen besuchen, noch Vorlesungen, noch Wahlversammlungen, er hat keine Volksbibliotheken, keine tägliche Zeitung, keine geistige Anregung, außer Grog, und läuft Gefahr, zu verkommen.

Darum richtete Menub-bel gewissermaßen ein Leihinstitut ein, wo dem Seemann herz- und gemüthbildendes Familienleben miethweise zu Gebote steht und unendlich viel Gutes gestiftet wird.

Um so mehr fand daher die »Friedenspfeife« Zuspruch, als nicht nur Emma's Schönheit ruchbar wurde, sondern auch ihre enorme Bildung.

Doch Emma war nicht glücklich. Sie machte sich nagende Vorwürfe, den Leutnant verkannt und geringschätzig abgewiesen zu haben, zumal möglich war, daß sie ihrem Gatten fälschlich angetraut sein könnte. Den größten Verdruß aber bereitete ihr Menub-bel, die als Inhaberin der »Friedenspfeife« sowohl Emma wie Herzensdieb unter aller Kritik behandelte. Allein sie mußten sich beugen, denn sie hatten nicht nur kein Geld, sondern für Kleidung, Schmuck, Wohnung und Nahrung obendrein Schulden bei Menub-bel, die das Anwesen baar bezahlt hatte und zwar – es lagen hinreichend Verdachtgründe vor – höchst wahrscheinlich mit dem Erlös von Diamanten und Rubinen aus Emma's Sparstrumpf, den sie sich angeeignet hatte. Aber gerichtlich war ihr nicht beizukommen.

Emma wäre daher zu Recht Herrin gewesen anstatt ethischer Kellnerin unter Menub-bel's launischem Regiment, die nicht litt, daß Emma ihr Haar lieblich in der Mitte scheitelte, sondern es zu kräuseln befahl und mit bunten Blumen zu putzen, wie dem Geschmack der Seebefahrenden zusagt. O, wie weinte Emma, wenn sie solchem sozial-programmatischem Zwange gehorchen mußte!Auch wir haben unbegrenztes Mitleid mit Emma, aber da die Sozialpolitik einmal Mode ist, können wir nichts dabei machen, als achselzuckend dem Unheil zusehen, das dadurch angestiftet wird. Würden die Kathedersozialisten so vom Leben mitgenommen wie hier vorliegend Emma, sollten sie bald anderer Meinung werden. Jedoch Theoretikern hilft keine Medizin, sagt das Sprichwort.

Traurig saß Emma im Parterresalon der »Friedenspfeife«, ihr Geschick beklagend. »Na, mein Hasecken,« fragte Menub-bel, »was soll das Pommeranzengesicht?« Junge Mädchen müssen lustig sein.«

»Ich kann nicht,« erwiderte Emma schmerzerfüllt.

»Ach was, man kann Alles, was man will, ausgenommen zugleich gähnen und rauchen,« höhnte Menub-bel und wollte mit weiterer Kränkung fortfahren, als ein heftiges Zuwerfen der Thür ihren Mund schloß.

Ein Gast war eingetreten, ganz in Schwarz, mit schwarzem Bart und bleichem Antlitz.

Er nahm an einem der Tische Platz.

»Mich rühren seine Leiden,« sagte Emma, sich zu ihm setzend.

»Würde mir Erlösung durch solchen Engel zu Theil,« murmelte der bleiche Gast.

»Wie meinen Sie?« fragte Menub-bel. »Emma, ich glaube, der Herr hat die Weinkarte verlangt.«

»Eine Lafitte,« bestellte der bleiche Mann nach flüchtigem Aussuchen.

»Vier Gläser,« rief Menub-bel, da sie und Herzensdieb stets mittranken, um die Gäste vor den schädlichen Folgen alkoholistischer Getränke zu bewahren.

»Zwei!« rief der Fremde hohl. Er wollte sich allein mit Emma unterhalten, deren Schönheit es ihm sofort angethan hatte.

»Sie kommen mir so bekannt vor,« begann Emma mit geistreicher Gewandtheit die Plauderei. »Habe ich Sie nicht schon irgendwo gesehen?«

»Das ist gern möglich,« erwiderte der bleiche Mann, »ich komme dort öfter hin.«

»Nein, aber wirklich,« rief sie erfreut, »ich erkenne Sie wieder, ja . . . ja, im Opernhause. Sie sind doch unmöglich . . .«

»Schweigen Sie,« sprach er gedämpft, »werde ich von Unbeikommenden erkannt, muß ich hinaus aufs wilde Meer

»Aber Sie sind doch nur eine Sage,« wagte Emma zu zweifeln.

»Blick he, Mädchen,« sagte der Bleiche, krempte den Aermel seines altmodischen Sammtspencers auf und wies ihr den leichenbleichen Arm, worauf in vergilbter Tättowirung zu lesen war »van Straaten, anno 1404.«

Emma zweifelte immer noch.Unbegreiflich, da er doch Oper ist, und nur das Wirkliche komponirt werden kann, wie z. B. die »Hugenotten« 1572, »Zar und Zimmermann« 1697 und der »Trompeter von Säkkingen«, den die ältesten Leute noch persönlich gekannt haben.

Da griff er in die Tasche und gab ihr eine Handvoll verschimmelter holländischer Dukaten aus dem Jahre 1404 und so herum. Nun glaubte sie und fühlte sich derart zu ihm hingezogen, daß sie ihm freiwillig ihre Lebensgeschichte erzählte und wie sie in die »Friedenspfeife« gerathen war, aus der sie sich, ach so sehr, hinaussehnte.

»Entflieh' mit mir und sei mein Weib,« hauchte der Fliegende Holländer, denn er war es wirklich.

»Entfliehen ja,« sagte Emma mit bezaubernder Schalkheit, »aber Weib . . . nein.«

Diese neckische Antwort gefiel dem Holländer derart, daß er nach 245 Jahren zum ersten Male wieder lächelte. Das letzte Mal war gewesen, als die Niederlande beim Westphälischen Frieden unabhängig von spanischer Erbschaft wurden.

»Willst Du Freiheit, folge mir,« sprach er.

»Ich kann nicht,« weinte Emma, »ich habe Schulden.«

Wieder lächelte der Holländer. Er klopfte an sein Glas.

Herzensdieb hüpfte herbei: »Sie wünschen?«

»Ein Wort mit Madame.«

Menub-bel kam.

»Diese junge Dame ist, wie sich im Verlaufe des Gespräches herausstellte, eine entfernte Verwandte von mir,« sagte der bleiche Gast höflich. »Sie haben Forderungen an sie, die ich begleichen möchte.«

»Emma ist mir verpflichtet,« sagte Menub-bel boshaft, weil sie nicht zum Mittrinken gebeten worden war.

Der Gast warf mehrere Hände voll Dublonen und Rosenobeln und allerlei alterthümliches Goldgeld auf den Tisch.

»Ich nehme nichts,« weigerte sich Menub-bel. »Sie ist mir nicht feil.«

»Ich komme wieder!« sagte der Fremde, das Geld einstreichend, heiser wie ein erkältetes Echo. »Harret mein!«

»Erst den Wein zahlen,« rief Menub-bel. Der Fremde legte drei Dollar hin.

»Bitte zehn!« forderte Menub-bel.

»Auf der Karte ist der Lafitte mit drei Dollar ausgezeichnet und mehr gebe ich nicht.«

»Lafitte, ja,« entgegnete Menub-bel, »aber Sie haben Ch âteau Lafitte gehabt und der kostet, wenn Sie gefälligst auf der Innenseite der Karte nachsehen wollen, zehn Dollar die Flasche. Sie zahlen oder ich rufe die Polizei!«

Sie war im Recht, Menub-bel, der Holländer in blanker Wuth über solche Gaunerei.

»Joho hoe!« schrie er zur Thür in die Nacht hinaus, und »Joho hoe!« antworteten Stimmen vom Hafen her.

Und dann polterten Seeleute herein, schwarz gekleidet mit Todtenköpfen und Knochenhänden.

»Hui! hui!« riefen sie und »Joho hoe!« mit grausigem Pfeifen und Heulen.

Auch die Hafenpolizei kam. Es entwickelte sich eine Schlägerei, bei der die ›Friedenspfeife‹ fast demolirt wurde. Kein Spiegel blieb heil.

Die gespenstigen Matrosen siegten. Menub-bel lag quiekend und zappelnd unter der Toonbank.

Der Holländer warf ihr Gold über Gold hin, um sie schadlos zu halten, dann reichte er Emma galant den Arm, um sie auf sein Schiff zu führen, dessen blutrothe Segel sich bereits an den schwarzen Masten blähten. »Joho hoe!« johlte seine Mannschaft und von sausendem Sturm getrieben stach das hochinteressante Geisterschiff in See, mit dem zu fahren Emma'n sehr gefiel, bis auf den Deckhund, ein Hundegerippe an der Kette, das statt zu bellen, wie ein Storch klapperte.

Die Leute schliefen todtenstill und tagsüber war das Schiff unsichtbar, solange die Sonne schien; sobald aber der Abendstern aufblitzte, erwachten die Matrosen zu ihrer Arbeit. Die hoben den Anker, kletterten in den Mastkorb, kokelten mit grünen und blauen Lichtern, refften Segel, alles geräuschlos wie Schattenspiel an der Wand.

Der Holländer war zwei Schattirungen bleicher als gewöhnlich.

Emma zeigte Theilnahme.

»Seltsam,« sagte er, »seit Jahrhunderten bin ich nicht seekrank gewesen . . .«

»Das macht der Lafitte,« erklärte Emma. »Es ist eine Sorte unter zwei Etiketten, aber er taugt beide Male nicht. Es ist nämlich selbst angesetzter.«

Der Holländer lehnte sich über das Backbord.

Aus dem Silbergewoge des Ozeans, worauf türkisblauer Mondschein zitterte, ertönte sphärenhaftes Singen, wie Emma so seelenvoll noch nie vernommen.

»Es ist die Nachtigall des Meeres, sie singt das Lied von meiner Liebespein. Ach, Emma, wenn Du wüßtest, wie Deine strahlende Schönheit die Finsterniß meiner Verdammniß erhellt, wie ich Dich bis zur Tobsucht anbete.«

»Erklären Sie mir doch,« sagte Emma gedankenscharf, »wie Sie als mehrhundertjähriges, übersinnliches Wesen so sinnlos sinnlich sein können?«

»Das hat man so an sich,« wich der Holländer aus.

»Mir Können Sie es doch sagen,« bat Emma mit unwiderstehlichem Forschungstrieb.

»Ein schlagend Herz ließ mir Satans Tücke; daran liegt es,« gestand er. »Ach, Emma, ich möchte mich vom Geschäft zurückziehen, meine Mannschaft will die Achtstunden-Nacht; es lohnt nicht mehr. – Ein Weib möcht' ich das meine nennen . . . .«

»Nicht weiter, Herr von Straaten,« unterbrach ihn Emma mit unvergleichlicher Vornehmheit. »Bei mir werden Sie doch nichts.«

Der Holländer erbleichte so stark, daß Emma sich sagte: »Bleicher kann er nicht.« –

Sie segelten wochenlang.

Emma gewöhnte sich allmälig an die nächtlichen Schreckensscenen. Da öffneten die Matrosen das Fallreep, schoben eine schwanke Planke halb über Bord hinaus und zwangen einen Meuterer aus ihrer Rotte mit Piken und Enterhaken, verbundenen Auges darauf vorwärts zu schreiten. Er tappte Zoll um Zoll mit zitternden Füßen bis an das Ende des Brettes . . . dann glitt er ab und stürzte unter wieherndem Gelächter seiner Peiniger in die Wellen.

Jede Nacht wiederholten sich dieselben Grausamkeiten. Der Knochenhund klapperte. Dann rafften sie sich auf. Streit entstand, Mord und Todtschlag war, Blut floß, die Sterbenden ächzten, die Lebenden lachten altvlämisch dazu. Am Morgen lagen sie Alle als Todte da und das Schiff verschwand im Lichtnebel.

Endlich schimmerte in der Ferne eine Küste.

»Morgen sind wir am Ziel,« sagte der Holländer und befahl das Boot klar zu machen, da er selber Emma ans Land rudern wollte.

In der nächsten Nacht waren der Holländer und Emma allein in dem Boot. Schon war das Ufer nahe.

Der Holländer zog die Riemen ein.

»Jetzt entscheide Dich!« drängte er grollend. »Entweder Du wirst die Meine oder die Beute der Haifische, die uns umkreisen. Wähle!«

Seine Augen phosphorescirten gelbgrün.

»Ich habe gewählt!« rief Emma und sprang mit Entschlossenheit auf den Rand des Bootes. »Wohl habe ich Mitleid mit Dir, Du bleicher Mann, aber meinem Gatten bin ich ewig treu

Bei diesen Worten schwang sie die Unterkiefer-Reliquie hoch in der morgengrauen Luft.

»Ha!« brach der Holländer frohlockend aus. »Erlöst! Erlöst! Nur die Treue eines Weibes konnte mich erlösen. Keine bestand bisher die Probe in dem Boot wie Du. Solche Treue, wie die Deine, fand ich noch nie! Habe Dank!«

Ein ohrenzerberstender furchtbarer Knall erschütterte das Firmament; der Himmel hatte das Geisterschiff durch Pulverkammerentzündung zu sich genommen.

Eine mächtige Welle schob das Boot auf den Strand.

Als Emma am hellen Tage zu sich kam, gewahrte sie einige Aschenstäubchen auf der Ruderbank, die letzten Reste des durch ihre Treue nun endlich erlösten van Straaten, genannt der fliegende Holländer.


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