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Fünfzehntes Kapitel.
Im Norden der Stadt, nicht weit vom alten Viehhofe, war zur Hebung der Vororte das »Theater der Celebritäten« errichtet. Mit größter Bereitwilligkeit hatten Banken und Geldmänner die Baukapitalien vorgeschossen, als sie hörten, daß Kunst in diesem Theater nicht getrieben werden sollte, sondern etwas Neues, nie Dagewesenes, Nervenreizendes.
Das Haus war auf das Glänzendste eingerichtet. Die Logenschließer trugen echte Goldknöpfe, deren Prägung allein 50,000 Mark gekostet hatte; die Sessel waren mit rothem Seidenrips bezogen und mit den Goldmonogrammen der Hypothekengläubiger gestickt; der Vorhang bestand aus pfirsischblüthfarbenem Sammet und echten Alen çonspitzen. Hier konnte ein vornehmes Publikum sich sehen lassen.
Das wahre Zugmittel aber bestand in dem mit ungeheuren Gehältern engagierten Personal, das der klassischen Inschrift: »Venustati et atrocitati« über dem Eingange entsprechend, aus weiblicher Schönheit und menschlicher Schrecklichkeit zusammengesetzt war. – Beide zogen.
Schon füllte sich das Haus, denn ein glänzendes Gestirn des Kunsthimmels sollte an dem heutigen Abend aufgehen.
Es war Katharina Aderlaß, die Frau eines soeben wegen vierfachen Mordes Hingerichteten. Sie bildete die Hauptnummer des reichen Programms, das jedem Besucher des Theaters umsonst überreicht wurde. Es war auf weißen Atlas gedruckt und enthielt nicht nur die Lebensbeschreibungen der Künstlerinnen, sondern auch ihre Photographieen in anmuthiger Abwechslung mit Cacao, Patentbetten, Schuhwaaren, Cigarren und Haarfarbe untermischt.
Unwillkürlich fragte man sich: Wer bezahlt diesen Luxus?
Alles der Cacao!
Eine hochelegante Gesellschaft hatte sich eingefunden, die auf das Höchste gespannt war, die unglückliche Mördergattin zu sehen, von der die Zeitungen in den letzten vier Wochen so viel Gutes geschrieben hatten. – Ja, sie war nun eine Celebrität, die Katharina Aderlaß.
Auf der ersten Bank des Parketts saß Szmoltopski, im höchsten Grade aufgeregt.
Elliorina hatte das Brillant-Halsband erhalten. Wenn sie es an dem heutigen Abend trug, erfüllte sie den im Begleitschreiben ausgesprochenen Wunsch, mit ihm zu soupiren. Natürlich in anständiger Weise und keineswegs familiär.
Deshalb achtete er wenig auf die Vorführungen.
Den Anfang machte die Geliebte eines Briefmarders, der in Moabit saß. Sie deklamierte die »Post« von Schäfer mit Horn-Echo. Der Beifall äußerte sich nur mäßig, weil sie nicht mehr neu war.
Dann kam ein soeben aus dem Gefängniß entlassener Kassirer, der seinem Prinzipal mit 750 000 Mark durchgebrannt war. Lebhafter Applaus begrüßte ihn. Er sang ein komisches Couplet. Der Lacherfolg war groß.
Die hierauf folgende Scene »Die Erlkönigin«, von einer ehemaligen Engelmacherin dargestellt, rührte das Publikum tief. Bei den Worten: »in ihren Armen, das Kind war todt«, blieb kein Auge trocken. Die Kunst feierte einen ihrer schönsten Trümpfe.
Nun aber erst der Wunderknabe Krallig. Der hatte sein Schwesterchen ertränkt. Schon mit vier Jahren stach er Vögeln die Augen aus, marterte er kleine Fische, weil sie ja nicht schrieen. Als er sich in seiner kindlichen Naivetät hinstellte und die allerliebste kleine Zunge ausreckte, riefen Alle Brave. Bonbondüten, Apfelsinen flogen auf die Bühne. Der Knabe wurde in die Logen gereicht und von den Damen abgeküßt. Obgleich er strampelte, biß und kratzte, siegte der Enthusiasmus.
Nur wenn junge Talente in dieser Weise gepflegt werden, können sie sich zu Zierden der Kulturwelt entwickeln. Von dem Kleinen ist noch viel zu erwarten.
Die Musik spielte Beethovens Leonoren-Ouvertüre, leicht faßlich arrangirt von Burgmüller. Die laute Unterhaltung dabei hörte auf, denn nun kam die Aderlaß.
So also sieht die Frau eines Hingerichteten aus. Wie interessant. Was sie wohl fühlt? Und wie edel von der Direktion ihr eine Existenz zu bereiten.
Da die Frau ohne alle Erziehung war – der Mann hatte sich ehrlich als Hundefänger ernährt, bis er aus Verdacht der Untreue zum Mörder wurde – stand sie erst im Beginne der Kunst. In tiefe Trauer gekleidet, tanzte sie die Kreuzpolka. Anderes konnte sie nicht. Ihr Gegenüber war ein an Strippen gelenktes Todtenbein. Als Glockenspiel diente im Orchester ein echtes Richtbeil.
Der Jubel kannte keine Grenzen. Es regnete Blumen und Kränze. Man fühlte das Walten des Genies.
Nur Einer rührte keine Hand und warf ihr die Gardenien und Orchideen nicht, die er mitgebracht hatte: Szmoltopski.
Für ihn gab es nur Eine: Elliorina.
Er wandte der Bühne den Rücken zu und sah ins Publikum.
Ihn erblickte, durch dies Benehmen aufmerksam gemacht, ein Dienstmädchen, das neben einem anderen Mädchen, einer Köchin, oben im vierten Range saß. Es wurde bleich.
»Was hast Du, Emma?« fragte die Köchin besorgt.
»Nichts, Friederike,« antwortete Emma.
Als aber Elliorina auftrat, als Amor in dem Kostüm nach antiken Gemälden und Szmoltopski ihr die theuren Blumen zuschleuderte, schrie Emma laut hinunter: »Verräter!«
Szmoltopski sah hinauf. »Emma!« rief er.
»Ich bin erkannt,« flüsterte Emma, denn sie war es.
Das Publikum wurde unruhig. Der Hausinspektor forderte Emma auf, ins Büreau zu kommen, ihren Namen zu nennen, um wegen Kunststörung verklagt zu werden. Gottlob giebt es für Alles polizeiliche Hülfe.
Emma leistete Folge, gab aber einen falschen Namen an.
»Das Weiter wird sich finden,« sagte der Hausinspektor strenge.
Gebrochen verließen Emma und Friederike das Haus.
Und noch Einer verließ es mit tausend Qualen im Herzen . . . . der unglückselige Szmoltopski.
Elliorina war ohne den Brillantschmuck erschienen und Emma, die Verlorengeglaubte, unerwartet Wiedergefundene, war verschwunden. – So hatte er Alles eingebüßt.
Ein unglückseliger Gedanke durchzuckte ihn. – »Wozu habe ich den explosionsfähigen Unterkiefer aus Celluloid?« sprach er. »Ich werde die letzte Zigarre des Daseins rauchen.«
Er setzte sich auf einen Eckstein und zündete die Zigarre an.