Julius Stinde
Emma das geheimnißvolle Hausmädchen
Julius Stinde

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++


 
Fünfundvierzigstes Kapitel.

Das künstliche Alibi.

»Sie haben es brillant getroffen,« sagte die Roldemolde zum Grafen, »denn heute begehen wir das glänzende Jubiläum der funfzehnten Deklamation eines Gedichtes, gesprochen von der Verfasserin.«

»Sonst wartet man doch bis funfzig oder hundert mit derartigen Feiern,« warf der Graf ein.

»Früher! Jetzt muß man sich eilen, sonst wechselt die Mode, ehe die Künstler zu ihrem Jubiläum kommen. Bei Sachen, die gar nicht gehen und bei Geistern, die mit aller Anstrengung nicht hoch zu bringen sind, halten wir eine fünfte Wiederholung schon für jubiläumsreif. Aber es müssen Leute von unserem Anhang sein. Die Andern schweigen wir todt.«

»Das beste Mittel zur Hebung der Künste,« sagte der Graf.

»Vorher werden praktische Uebungen in der Wahrscheinlichkeits-Rechung abgehalten, woran Herren von höchster Destinktion theilnehmen. Dann Vorstellung im Antimusensaal, dann ein feines Souper im Saale der Fünf Welttheile und zum Schluß ein neuroelektrisches Divertissement von unserem exzellenten zukünftigen Professor Moskolow erfunden.«

»A la Isidora Duncan,« fragte Szmoltopski, leicht mit den Lippen schnalzend, »mit ohne Gaze?«

»Ueberwundener Standpunkt,« entgegnete die Roldemolde geringschätzend. »Bei den Damen unseres Moskolow tanzt nur die Seele, deren Kostüm der Körper ist. Moskolow reizt die im Gehirn domizilierende Seele durch in den Schädel hineingetriebene elektrische Polnadeln zu rhythmischen Bewegungen, und wenn die Seele hüpft, muß der Körper mithüpfen . . . . nun, Sie werden ja sehen, welch' ein Zauber in diesen Tänzen liegt, dem selbst älteste Greise sich nicht zu entziehen vermögen, wie weit auch das Ballet bereits hinter ihnen liegen mag.«

»Und dann?« fragte Szmoltopski.

»Wird der Abschiedspunsch gereicht und heimwärts gegangen. Sie aber verweilen hier, bis Gras über den Mord gewachsen ist. Außerdem habe ich mit Ihnen zu sprechen. Doch nun zur Schaffung Ihres Alibis.«

Die Roldemolde öffnete die Thür zu einem Kabinet, dessen Tapete mit geometrischen Figuren und mathematischen Formeln bemalt worden war. Dort saßen an einem grün überzogenen Tische mehrere Herren in tadellosem Abendanzuge so eifrig beschäftigt, daß sie die Eintretenden kaum beachteten.

»Aha!« sagte Szmoltopski, »hier wird ein kleines Bänkchen aufgelegt.«

»Sie irren sich,« sprach die Roldemolde scharf, »Hazardspiele würde ich als verboten (wie alles Verbotene) in meinem Hause unter keinen Umständen dulden. Das, was Sie hier sehen, sind wissenschaftliche Versuche, die Theorie der Wahrscheinlichkeitsrechnung auf ihren praktischen Werth zu prüfen, Studien von exorbitanter Wissenschaftlichkeit, die nicht nur nicht zu verbieten, sondern von Regierungen zu unterstützen sind, damit fleißige Salonexperimente unanfechtbare wissenschaftliche Grundlagen für die großen staatlichen Lotterien liefern, so daß diese als auf Wissenschaft basirend nicht mehr von altmodisch denkenden Abgeordneten angefochten werden können.«

»Bewunderungswürdig!« rief Szmoltopski. »Ich bin stets der Meinung gewesen: ohne Jeu und ohne Liebe ist das Leben unvollkommen wie ein Diner ohne Sekt.«

Die Roldemolde stellte vor: »Graf Szmoltopski!«

Die Herren erhoben sich: es waren Grafen, Barone, Geheime und ungeheime Kommerzienräthe, Bankiers, Professoren in gesetztem Alter. Sie luden Szmoltopski ein, an den Wahrscheinlichkeitsexperimenten theilzunehmen, worauf dieser hoch erfreut einging, da er hierbei entweder verdächtige Scheine loswerden oder unverdächtiges Gold erwerben konnte.

»Bitte nach der Uhr zu sehen,« sagte die Roldemolde.

»Acht ein Viertel!« antworteten die Herren einstimmig.

Szmoltopski wollte rufen: »es muß später sein, denn acht schlug die Uhr, als ich von der Siegesallee in jenen Seitenweg einbog . . .« aber ein verbietender Blick der Geheimräthin hieß ihn schweigen. Er verstand sie. Durch die magnetopathische Hauptuhr waren sämmtliche Nebenuhren in dem Pensionat, also auch die Taschenuhren zurückgestellt. Wenn es verlangt wurde, konnten alle die hochangesehenen Herren beeiden, daß Graf Szmoltopski schon um acht Uhr in der Mauerstraße und unmöglich um die gleiche Zeit im Thiergarten gewesen war.

»Lieber Direktor,« sagte hierauf die Roldemolde zu einem der Herren, »der Graf wünscht in Ihr Etablissement als Volontär einzutreten . . .«

»Wenn Sie es wünschen . . .« antwortete er sehr zögernd.

»Ich wünsche es,« sagte die Geheimräthin mit starkem Tone.

»Wird uns und dem Etablissement eine Ehre sein,« erwiderte der Direktor und setzte sich wieder zu den Experimenten.

Szmoltopski hatte Lust, es ebenso zu machen, aber die Roldemolde legte ihren Arm in den seinen, und als Kavalier mußte er sie führen, wohin sie wollte.

Nachdem sie die Herren verlassen, betraten sie ein kosiges, kleines Gemach, dessen mit Rosaseide bezogene Wände ebenso liebeslauschig waren, wie die mattblau angehauchten schwellenden Polstermöbel.

»Das Buon retiro Gefühlvoller,« sagte die Roldemolde erklärend. »Auch der ›Verlobungswinkel‹ genannt.«

»Sehr schön und sehr verlockend,« entgegnete der Graf. »Aber, meine Gnädigste, wer ist der Herr Direktor, in dessen Etablissement mir garnicht gefällt einzutreten.«

»Sie werden Volontär,« lächelte die Geheimräthin. »Es wird dort unter Anderem auch ein rauchloses Pulver für Unterseegeschosse hergestellt, dessen Fabrikation Sie ablauschen und mir mittheilen werden.«

»Ich ein Staatsverfahren verraten?«

»Sie werden!« sagte die Roldemolde schonungslos.

»Nein!«

»Ja! . . . Weigern Sie sich, kostet es mich nur ein Wort und man weiß, wer der Mörder im Thiergarten ist

»Ha!« rief Szmoltopski, sich verfärbend. »Ich sehe, ich bin in Ihrer Hand. Aber eine Frage: aus welcher Kraft üben Sie auch über jene Herren solche Gewalt aus; es sind doch große und berühmte Männer darunter.«

Die Roldemolde lächelte spitz: »Große Männer haben kleine Schwächen und berühmte Leute haben unberühmte Neigungen. Ich bin im Besitze ihrer persönlichen Geheimnisse, ich halte sie am Zügel, alle, alle . . . . wie auch Sie, mein Herr Graf.«

»Ich bin gefangen und gefesselt!« gestand Szmoltopski tonlos.

Die Roldemolde lächelte spöttisch. »Sie sind der erste nicht. Doch seien Sie heiter. Sie haben Ihr Alibi. Das ist vorläufig genug, und bald beginnen die Vorträge. Die Räume füllen sich; kommen Sie, ich werde Sie bekannt machen.«


 << zurück weiter >>