Julius Stinde
Emma das geheimnißvolle Hausmädchen
Julius Stinde

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Achtes Kapitel.

Die Kolonial-Orgie.

Zu derselben Zeit als die in dem letzten Kapitel geschilderten und wie wir sehen werden, folgenschweren Ereignisse sich abspielten, saß Gottfried Nordhäuser, der treffliche Jüngling vom Koppenplatze, bei Dressel unter den Linden im Kreise älterer und jüngerer Herren in dem oberen kleinen hellerleuchteten Saale.

Die fürstlich gedeckte Tafel bog sich unter der Last der auserlesensten Genüsse. Da gab es Kaviar mit frischer Rennthierbutter und geröstetem Brot, von jeder Semmel nur die oberste Schnitte; da gab es Masthasen aus dem Teutoburger Walde mit Schmorbananen – Goldfische grün – Biberschwanz mit Kibitzrührei – Trüffeln mit seidenen Tüchern. Dann kamen noch Gänsegrieben mit PalmenkohlGottfried Nordhäuser aß schon als Kind, wie seine Mutter bestätigte, Gänsegrieben für sein Leben gern. Dieser Charakterzug darf in der Schilderung dieses edlen Menschen nicht fehlen. – Leipziger Schnepfen – Mohrenköpfe mit Schlagsahne und andere Nouveaut é's der Saison.

Die Weine waren nicht minder erlesen, wie die Schüsseln aus dem feinsten, von G. Hasch é in der Krausenstraße bezogenen, reich dekorirten Porzellan. Der Tischwein kostete 12 Mark die Flasche, bei den höchsten Sorten machte Rudolf Dressel Rasch den Preis, um allen Anforderungen auf das Beste zu entsprechen. Deshalb waren auch sämmtliche Theilnehmer des mehr als lukullischen Mahles in jeder Beziehung zufrieden und nicht nur des köstlichen Rebensaftes, sondern auch des Lobes voll.

Wer war diese Gesellschaft? wird der geneigte Leser fragen und er ist durch das Abonnement auf dieses Werk auch dazu berechtigt. Woher kamen die Summen, die hier zur Beköstigung der Herren dienten? Hatte die Gesellschaft eingebrochen?

Spielte sie in einer verbotenen Lotterie und war zufällig herausgekommen?

Besaß sie ein Grundstück, worauf später eine Markthalle erbaut werden mußte?

Nein . . . . Nichts von allem diesen . . . . wie wäre sonst wohl Gottfried Nordhäuser unter ihnen? – Gottfried beschritt nur den Pfad der strengen Rechtlichkeit. Schon als Knabe that er nie Sträfliches.Sein Abgangszeugniß der XXXIX. Gemeindeschule lautete: »Geographie und Rechnen schwach, Betragen und Singen gut.«

Um die Neugierde des geschätzten Lesers und der noch höher geschätzten Leserin nicht auf die Folter zu spannen, theilen wir die bei der Fasanenleberpastete gehaltene Rede des Vorsitzenden mit, wozu sie moussirenden Portwein tranken, der in Bechern aus Vanilleeis gereicht wurde.

                        »Meine Herren!

Wir sind hier versammelt, um einen Freudentag der westöstlichen Afrikagesellschaft zu begehen. (Bravo!) Sie alle kennen unsere Bestreben als Mitglieder dieser Gesellschaft, deren Zweck ist (Hört! Hört!) unfruchtbare Gegenden jenes Kulturlandes der Zukunft mit deutschem Gelde, deutscher Arbeit, deutschem Menschenmaterial einträglich zu machen, dem Handel zu gewinnen, der Civilisation zu erschließen (Bravo! Bravo!!) und dann zu sehen, welche Nation den Nutzen daraus zieht. (Sehr richtig!) Denn, meine Herren, die Mittel, die nöthig sind, unseren Besitz zu erhalten und zu vertheidigen, die kommen uns zu theuer. Unsere Parole ist die Sparsamkeit. Wir wollen von Afrika ja auch nur das, was die Großmuth Anderer nicht gebrauchen kann. (Bravo!) Unsere zweite Parole ist: Bescheidenheit (Tobendes Bravo!) und ihr entsprechend haben wir den passendsten Direktor unseres Westostafrikanischen Besitzes in dem bescheidensten Manne des 19. Jahrhunderts, in Herrn Gottfried Nordhäuser gewonnen. (Großer Jubel. Herr Beiulf von Brägenlos, fünfter Vorsitzender der Gesellschaft, trinkt mit Nordhäuser Brüderschaft.) Meine Herren, Herr Nordhäuser versteht nichts, gar nichts von Kolonieen und Kolonialpolitik, und deshalb ist er unser Mann. (Jubel.) Und seine Militärpapiere sind tadellos. (Größter Jubel.) Er wird den Wilden schon die Griffe beibringen und das Durchdrücken der Kniee. Dies sind die ersten Stufen auf der Leiter der Zivilisation. Und immer Hurrah! Hurrah!«

Das Bravorufen übertönt die schwungvolle Rede und wird so tumultuarisch, daß Dressel erscheint und fragt, ob die Herren nicht lieber trinken wollten. Deshalb kommt der Präsident nicht dazu, zu sagen, daß Nordhäuser der Gesellschaft einen Bond der Northern-Pacific-Bahn vierter Emission zu freier Verfügung gestellt habe, der noch nicht alle sei.

Er beschloß jedoch den Rest zum Besten der Kolonie zu verwenden und machte den Vorschlag, den Wintergarten zu besuchen, wo eine Minstrel-Truppe aufträte, durch deren Studium Herr Direktor Nordhäuser sich mit den Sitten und Gebräuchen seiner zukünftigen Unterthanen vertraut machen könne.

Alle stimmten begeistert ein, selbst Nordhäuser, der sich stets gern belehrte, wie und wo er nur konnte.

Als sie aus dem Dressel'schen Restaurant hinaus auf die Linden traten, kam ein Fahrrad-Dienstmann in fliegender Eile, so daß er kaum sein Stahlroß zu zügeln vermochte.

»Einen Brief an Herrn Nordhäuser,« rief er heiser.

Nordhäuser nahm das Schreiben, erbrach das Siegel, las und erbleichte.

»Morgen um 11 Uhr in der Poliklinik des Dr. E. Miller oder wir sind alle verloren

Emma«

stand darin.

Der Brief war von Emma, aber es war nicht ihre Handschrift.

Mit schwerem Herzen folgte Gottfried der Westöstlichen Afrikagesellschaft in den Wintergarten.

Wer hatte den Brief geschrieben? Welche Gefahren drohten?

Furchtbar verschlungen sind selbst die einfachsten Pfade des Erdenwallens.


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