Julius Stinde
Emma das geheimnißvolle Hausmädchen
Julius Stinde

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Vierundvierzigstes Kapitel.

Brennende Liebe.

»Inschallah baschûfak an karîb, ya chadidi!« (Hoffentlich sehe ich Dich in Kurzem wieder, o Geliebter) sagte Herzensdieb zum Leutnant Fritz, als sie mit selbstopfernder Bereitwilligkeit seinen Befehl ausführend, sich auf den Weg zu der Kochstätte machte, der das Automobil sich so weit wie möglich genähert hatte. Da die Gegend in den ausgewühlten Betten sommertrockener Flüsse Schlupfwinkel in Fülle bot, wählte der Leutnant einen schluchtartigen Erdeinschnitt, worin das Automobil genügenden Versteck fand.

»Di elli barido,« (Das wünsche ich Dir) antwortete der Leutnant und half Herzensdieb zum Automobil hinaus, die hurtig davoneilend, bald um die Ecke verschwunden war. Zierlich wand sie sich durch die stachelichen Kaktuspflanzen, Alo ë und Kasuarinen, die dem Sande entsproßten.

»Herr Leutnant,« sagte Emma stolz,Natürlich im edelsten Sinne. »finden Sie es passend, in Gegenwart einer Dame, mit einer Niedrigerstehenden sich in fremder Sprache zu unterhalten, von denen ich jedoch so viel weiß, daß der Gebildete sie nicht in den Mund nimmt?«

»Ob das arme Ding wohl wiederkommt?« sprach der Leutnant nachdenklich. »Aber sie ist schlau und gewandt wie eine Schlange. Augenlieb war ebenso.«

»Herr Leutnant, eine Frage: Wie standen Sie mit diesen Kreaturen?«

»Hm!« erwiderte der Leutnant, »so allgemein orientalisch.«

»Sie weichen aus!« warf Emma mit Entschiedenheit hin. »Wie war es im Harem?«

»Nun, gethan wurde nichts und davon auch noch so wenig wie möglich.«

»Haben Sie sich keine Vorwürfe zu machen?«

»Ich mir? – Nie!«

Emma richtete sich in ihrer ganzen Größe auf. Wie eine Pythia hob sie sich gegen den dunklen Grund der Erdschlucht ab, schön und ergreifend zugleich, ganz geschaffen dazu, um Sünder zu erschüttern und Verstockten an das Innere zu pochen.

»Leutnant Fritz!« begann sie mit mariastuartgleichem Organe, langsam und leise (später anschwellend, feierlich), »so weit sind wir nun gekommen. Fern von den heimathlichen Penaten an dem grünen Strand der Spree muß ich erkennen, daß derjenige, dem ich nächst meinem Gatten (Emma wurde bei diesem Worte hochdramatisch) in meinem Herzen die meiste Sympathie bewahre, diesen Platz nicht verdient. Ja, Leutnant Fritz, haben wir nicht die größten Gefahren zusammen überstanden? Haben wir nicht bange Wochen in der Wuhlhaide verbracht, um den Verfolgungen zu entgehen; sind wir nicht zusammen geflohen, vom Schicksal in allen Tonarten auf das Grausamste bedrängt? (Hier machte Emma eine Pause und fing sehr sangt an, um nachher bei den verhaltenen Thränen nicht zu laut werden zu müssen.) Doch wozu diese Erinnerungen? Sie sind dahin wie die Gelübde. O, wie selig war ich, als ein, wenn auch nicht ganz, so doch ziemlich unverdorbenes Leutnantsherz sich mir in ewiger Schwesterliebe weihte!! Ja, liebe Fritz (Emma weinte jetzt wirklich), da glaubte ich, die goldene Urzeit sei wiedergekommen, wo Unschuld herrschte und daß Tugend kein leerer Wahn mehr sei, sondern sich – unerschütterlich über Laster triumphirend – auf die Dauer halten werde. Doch das wäre zu schön gewesen, das hat nicht sollen sein. Nein, es sollte nicht sein. Anstatt seinen Stolz darin zu suchen, dem Gelübde treuester Schwesterliebe auf das Pünktlichste nachzukommen, indem man jegliche, selbst die höchste Achtung vor ihr hegt und sich nicht das Geringste zu schulden kommen läßt, setzt man sich herab durch Einlassen mit weit unter ihm Stehenden. Darum sage ich ›Sie‹ zu Ihnen, Herr Leutnant Fritz . . . . die Du . . . . mir einst . . . . in lauterster Anständigkeit . . . . die theure . . . . Friederike warst . . . .«

Emma Konnte nicht weiter. Ueberwältigt von der Bewegung ihres Seelenlebens, sank sie auf den Sitz des Automobils. Blässe bedeckte ihre Wangen, der Glanz ihrer Augen erlosch . . . sie gleich einer Sterbenden.

»Emma, Emma!« rief der Leutnant und eilte, ihr Hilfe zu bringen. Aber womit konnte er die erschlaffenden Lebensgeister auffrischen? Da war kein Riechsalz, nicht einmal ein Trunk einfachen Wassers, von Selters mit Himbeeressig ganz abgesehen. Ihm blieb nichts übrig, als ihre erkaltenden Hände zu streicheln und sie mit schmeichelnden Kosenamen zu rufen, damit die Seele auf dem Wege nach dem finstern Thor der ewigen Nacht Halt mache und zu den sonnigen Gefilden des Daseins umkehre. Er nahm sein Taschenmesser und schnitt das sie beengende Korsett auf.

»Erwache!« rief er und begann die Leblose zu massiren, da ihm einfiel, daß Massage für Alles gut sei und jetzt auch an der Berliner Universität gelehrt werde, seitdem Virchow nichts mehr gegen sie einwenden kann.

Sein Bemühen blieb nicht ohne Erfolg. Obgleich er sei nicht vom medizinischen Standpunkt aus gelernt hatte, fand er doch gewissermaßen aus Naturheilinstinkt die richtigen Griffe und gewahrte zu seiner Freude, wie aus der kalten Emma allmälig eine warme wurde.

Aber auch ihm wurde warm, waren es doch die göttinnengleichen Formen der von ihm heiß begehrten Emma, deren Blutumlauf er durch drücken, klopfen, walken, kneten, streichen und knautschen wieder zum Strömen brachte.

Noch öffnete sie ihre Augen nicht, so sehr der Leutnant auch massirte. Wohl hob sich ihr Busen, wenn der Leutnant ihn sanft drückend niedergesenkt hatte, allein die Athmung funktionirte noch immer nicht regelmäßig.

Endlich umspielte ein leichtes Lächeln ihre Lippen.

»Süß erbebt mir ihr blühender Mund,« sprach der Leutnant. »Erwache! Erwache!«

Da Emma noch bewußtlos blieb, rief er: »Sie hört mich nicht. Ein Küßchen in Ehren, kann Niemand verwehren und sollt' ich auch sterbend vergeh'n.« Und ohne weiter um Erlaubniß zu fragen, neigte er sich über Emma und drückte ihr einen eben so langen wie festen Kuß auf die schwellenden Rosenlippen.

Jetzt aber kam Emma zu sich.

Sie richtete sich auf. »O Himmel!« rief sie. »Was ist geschehen? Unseliger Leutnant, hatten Sie keine Achtung vor meiner Ohnmacht, daß Sie es wagten, den Zustand meiner Hilflosigkeit zu benutzen, mir einen Kuß zu rauben? Hatten Sie keine Furcht?«

»Nein,« entgegnete der Leutnant, »das Fürchten habe ich nicht gelernt, aber, o Emma, laß mich Dir gestehen, hier im innersten Afrika, angesichts des Todes – denn waffenlos fielen wir in Feindes Land – daß ich Dich liebe . . . liebe . . . liebe!«

Händeringend wandte Emma sich ab. »Wehe!« rief sie, »wehe! Weißt Du, Verblendeter, nicht, daß ich verheirathet bin?«

»Ich weiß es,« erwiderte der Leutnant, »aber was geht das uns an, hier im wilden Welttheil, wo das bürgerliche Gesetzbuch keine Gültigkeit hat?«Dies ist zwar juristisch, aber keineswegs gut zu heißen. Emma, Deine Schönheit erfüllt mein Inneres mit sprühender Gluth; jetzt lösche den Brand, den Du in mir entzündet hast. Es braust mein Blut. Sei mein!«

Bei diesen leidenschaftlichen Worten breitete er die Arme aus, Emma zu umfangen. Emma zog in diesem Augenblicke einen Gegenstand aus den Falten ihres Gewandes, den sie dem Leutnant entgegenhielt, der mit einem Schreckruf des Grauens zurückwich.

War es ein Dolch, womit Emma drohte?

Oder ein Revolver?

Oder eine Flasche mit Vitriolöl, das wieder recht in Aufnahme ist?

Nein, nichts von allen solchen Tödtlichkeiten, sondern was sie ihm zur Abwehr entgegenstreckte, das war der wachsbleiche Unterkiefer Szmoltopski's, den sie stets bei sich trug und der sie immerwährend an den Gatten mahnte und an ihre Pflicht, ihm dies unentbehrliche Organ wieder zuzustellen, sobald es ohne Gefährdung geschehen konnte. Aber jetzt, auf der Flucht vor den Jesuiten, war sie von der Lösung dieser Aufgabe weiter entfernt als je.

Doch der Leutnant schüttelte das Grauen vor dem zähnefletschenden Kiefer schleunig ab. »Und wenn ich zu Grunde gehe, Du mußt mir angehören!« rief er. »Ich habe Unsägliches in Deiner Nähe gelitten von Deiner Eiseskälte gegen mich; nun will ich Deine lebensheiße Schönheit genießen, wie ein Polarreisender, dem nach zwei Jahren Nordpol zum ersten Male wieder warme Pfannkuchen vorgesetzt werden.«

»Welch ein Vergleich!« werden.«

»Welch ein Vergleich!« bemerkte Emma verletzt.

»Du siehst, wie meine Gefühle durcheinander wirbeln,« entgegnete der Leutnant. »Mir ist jetzt Alles einerlei, Du muß und sollst die Meine werden.« Und mit donnernder Stimme rief er: »Hab' ich den ganzen Harem bezwungen, werde ich auch Dich bezwingen!«

Emma stieß einen Schrei aus. Ihre Augen verglasten sich wie gebrochen. Er, der Freund, der ihr Schutz sein sollte, sie vor Gefahren zu bewahren, stand vor ihr als ihr größter Feind, wie ein Wilder, der nicht nur nach ihrem Leben trachtete, sondern der auch ihr höchstes Kleinod, ihre Tugend, bedrohte.

Aber zugleich flammte in ihrem tiefsten Herzen das Bewußtsein ihrer so sorgsam unterdrückten Liebe zum Leutnant auf. Ja, sie liebte ihn, das empfand sie, als der Leutnant im Rausche ungebändigster Sinnenlust ihr die brutale Thatsache entgegenschleuderte, daß er den ganzen Harem bezwungen. Schon während seiner verdächtigen Leutseligkeit gegen Herzensdieb und Augenlieb spürte sie, wie die Kohlen der Eifersucht bei ihr ins Glimmen geriethen, deren gepreßte Stichflammen sich nun in jenem Schrei Luft machten, der durch die Oede Mittelafrika's gellte.

Doch nicht Angst und Bangen allein sprachen aus ihren Blicken, sondern auch Liebe leuchtete aus ihnen hervor.

Der Leutnant erkannte das Morgenroth der Liebe mit jener Kennerschaft, die er sich durch fleißige anthropologische Studien im Harem erworben hatte.

»O Du, Du!« rief er. »Angebetetes Weib, die Stunde der Seligkeit hat geschlagen. Heil dem Tag, der Dich gebar . . . . die Wonne winkt . . . . versinken . . . . ertrinken . . . . unbewußt . . . . höchste Lust!«

»Ach!« seufzte Emma, ihrer selbst kaum mehr mächtig und ließ den Unterkiefer fallen, den sie bisher wie einen Talisman vor sich hin gehalten, und ihr Körper erbebte in prickelnden Zitterungen wonnigster Liebesvorahnung.

»O Emma, Emma!« rief der Leutnant, »wie bist Du schön!« Er umkrampfte die Bebende mit muskulösen Männerarmen und bedeckte ihr sanft erglühendes Antlitz mit wahnsinnigen Küssen.

»Herr Leutnant,« brachte Emma mühsam hervor, »Herr Leutnant, sind Sie bei Trost?«

»Aber sehr!« keuchte er in liebesathmendem Ringen. »O Emma, sei süß; sei süß, Emma, sei süß!«

Da sprach Emma in gewaltiger Selbstbeherrschung mit unnachahmlicher Vornehmheit: »Herr Leutnant, scheniren Sie sich doch; es kommt wer.«

Und so war es auch.

»Halloh . . . Halloh!« ertönte es von Weitem.

»Halloh!« rief Emma mit dem letzten Aufgebot ihrer Kräfte. Schon fühlte sie sich den stürmischen Angriffen des Siegessicheren unterliegen, denn, ach, sie war ein Weib . . . ein Weib zum Lieben geschaffen, dessen Herz durch lange Entbehrung durstig nach Beweisen aufrichtiger Zärtlichkeit geworden war. Wohl besaß sie den vorzüglich erhaltenen Kiefer, aber war der todte Knochen ein irgendwie genügender Ersatz für den lebensfrischen Gatten, der nicht wußte, mit welcher Heftigkeit sie ihm momentan treu war, der womöglich in diesem nämlichen Augenblicke wieder einmal im Begriffe stand, rückfällig zu werden? Und wenn er sie hinterging, wer in der ganzen civilisirten Welt konnte Emma hindern, an ihm Vergeltung zu üben, indem sie mit dem bildhübschen Leutnant Fritz, der übrigens in seiner tadellos sitzenden neuen Uniform und in der Aufregung kühnsten Liebestaumels geradezu hinriß, einen unüberlegten Kopfsprung in das Meer des wildesten Ringsumsichvergessens wagte?

Doch Eins hielt sie mit überirdischer Kraft vor solchen Fehltritt ab, nämlich der Eid, den sie einst ihrem Mütterlein auf dem Sterbebette geschworen hatte, stets ihre Tugend zu schonen.

Und näher tönte es: Halloh!

Nun hörten sie Nahende und siehe da: Herzensdieb kam angetänzelt wie eine muntere Gazelle und neben ihr schritt Jemand leichtfüßig und behende wie ein Heuspringer mit eben so dürren Beinen und Armen.

»Ya sadi, binbasch schirak!« (O Herr, ich bringe Dir gute Nachricht) rief Herzensdieb fröhlich und ließ den trillernden Jauchzer erschallen, der bei den Frauen des Orients als Zeichen höchster Freude gilt, das bekannte Hallelujah. Ihr Begleiter aber blieb wie im Traume verloren stehen und rief nur das eine Wort: »Emma!«

Emma erkannte ihn nicht gleich. Dann aber ersah sie in ihm, trotz der Abmagerung und der entstellenden Leiden, den Gespielen ihrer Jugend vom Koppenplatz – und schamhaft ihren Busen mit dem vom Leutnant zerschnittenen Korsett bedeckend, jubelte sie: »Nordhäuser! Nordhäuser!«

Und er war es in der That.


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