Julius Stinde
Emma das geheimnißvolle Hausmädchen
Julius Stinde

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Dreiundvierzigstes Kapitel.

In der Heimath der Putsche.

Elliorina war wohlbehalten in Garbasovo bei Iskar Schippka angelangt, der nicht nur einer der berühmtesten Mädchenhändler des Balkans, sondern auch der gesammten civilisirten Welt ist.

Aber jetzt war das Geschäft matt, es sah auf der Balkanhalbinsel zu unsicher aus.

Erst vor kurzem hatten Verschwörer in Serbien Thaten gethan, über die wir den Vorhang des Abscheus ziehen. Mag Draga gewesen sein wie sie will . . . waren ihre Mörder so ohne Fehl, daß sie ein Recht hatten, sie zu richten? Und Oberst Maschin war der Bruder ihres ersten Gatten, so daß man nur sagen kann: als Schwager hat er sich nicht besonders benommen. Wenigstens hätte er aufpassen müssen, daß man der Ermordeten nicht die reich beringten Finger absäbelte und die Leichen zum Fenster hinaus warf.

Dem Könige hatten sie als Offiziere den Eid der Treue geleistet. Waren sie mit seiner Regierung nicht zufrieden, konnten sie es ihm ja schriftlich geben und brauchten ihn nicht gleich todtzuschlagen. Das ist das allgemeine Urtheil, das wir deshalb nicht unterdrücken können.

Doch daß es dort so hergehen konnte, das scheint an der dasigen Unbildung zu liegen, denn wenn man in eine Verschwörung Leute hinein nimmt wie – die Feder sträubt sich – Damian Popowitsch und ähnlichen Auswurf der Gesellschaft, erlischt jedes Gefühl für Anstand und Takt, wie ja die Vorgänge in der Meuchel-Blutnacht im Konak zu Belgrad für alle Zeiten beweisen.

Iskar Schippka war deshalb nicht gut auf die Belgrader zu sprechen und schalt sie Banditen, was da unten jedoch nicht so schwer wiegt, wie in unseren Breitengraden, wo schon ein mißgedeuteter Blick als Ehrenschändung aufgefaßt wird, namentlich in Verbindung mit Alkohol.

Doch was nützte das Schimpfen? Es war wohl Nachfrage, aber kein Zuzug, denn wenn sie auch sonst muthiger sind als mancher Mann: vor dem Knallen der Schießgewehre fürchten sich die Mädchen eben so emancipationshinderlich wie vor Mäusen. Und es knallte furchtbar auf dem Balkan.

Die Komitatschi waren am Werk. Potschew mit dem Kosakenschädel und der platten Nase, Marco Stojan der pockennarbige Anarchist und der kleine verkümmerte vierzehn Jahre alte Milan Arsow hatten die Ottoman-Bank in Saloniki durch unterirdische Minen gesprengt.

Dies Verbrechen erfüllte die gesammte Finanz-Welt mit heftigem Zorn, mehr als der Königmord in Belgrad.

Denn wenn die Banken nicht mehr sicher sind, geht die Welt zu Grunde.

Das höchste Bestreben des Menschen ist sein Bankkonto; mit den Banken verliert daher die Menschheit ihren sittlichen Halt.

Solchem Treiben konnte der benachbarte Türke nicht theilnahmlos zusehen. Die hohe Pforte sandte Truppen über die Grenze. Wie immer, betrugen die Türken sich höchst vortrefflich, die bulgarischen Korrespondenten aber meldeten nach auswärts, daß die türkische Soldateska ganze Dörfer mit allen Einwohnern darin verbrannte, Männer hundertweis aneinanderkettete und vor den Augen ihrer Frauen niedermachte; der Schrecken sei so groß, daß die Flüchtlinge ihre Kinder abwürgten, damit sie durch ihr Weinen nicht verrathen würden.

Auf diese Nachricht hin reisten mehrere englische Schriftstellerinnen nach Mazedonien, um ihrer Entrüstung Ausdruck zu verleihen und Stoff zum Einschlachten in Romane zu sammeln.

Das Schlimmste aber war nach den Berichten, daß in Klein-Tirnowa an die Soldaten in den Kasernen, genau gezählt, zweihundert und fünfzehn Frauen und Mädchen verschenkt wurden.

Wie konnte Iskar Schippka bei solcher Konkurrenz auf einen grünen Zweig kommen?

Seine Magazine standen leer. In der Abtheilung für Blonde von 16–32 Jahren war nur eine einzige Cirkassierin, die er als Gelbstern-Muster ungern vergab.

Im ersten Stock, wo sich das Depot der Brünetten befand, machten zwei, bei der letzten Inventur zurückgestellte ältere Rumäninnen den ganzen Bestand aus; in dem Elite-Kontor für Schönheiten mit Erziehung lagerte eine einsame französische Gouvernante, die er hatte wieder annehmen müssen, weil sie der Faktura nicht entsprach. In dem Atelier für Verschönerung moderten die Puderquasten unbenutzt auf den Toilettentischchen und verdunstete das Feenwasser seine Kraft, verrosteten die Brennscheeren.

Elliorina fand das große Kaufhaus, das eine Sehenswürdigkeit der Hauptstraße bildete, daher recht fade und nahm um so lieber den Vorschlag an, sich den Aufständigen einzureihen, als sie beim Kneißl an dem Banditenleben Gefallen gefunden hatte. Willig unterschrieb sie die ihr vorgelegten Papiere;Natürlich auch einen Schuldschein, der sie völlig in die Macht Iskar Schippka's gab. Hier hat der Kampf gegen den Mädchenhandel einzusetzen, dem wir voll und ganz zustimmen. kein Verdacht rieth ihr, erst die Verträge zu prüfen.

Wenn Frauen für etwas begeistert sind, lesen sie nichts durch.

In rauhen Filz wurden ihre Beine geschnürt, eine Litewka diente als Obergewand. eine schwarze Lammfellmütze mit Krakehlfedern und einem Todtenkopfe, sowie ein Pallasch vollendeten die, wenn auch nicht ideale, so doch originelle Uniform, zumal mit aufgelösten Haaren, die bis in die Nachbarschaft flatterten.

Als sie eingekleidet war, beorderte man sie rasch zum Photographen, wo sie mitten im Pulverdampf und in dem dichtesten Kugel- und Granatenregen stehend (siehe das Bild) für Illustrirte Blätter aufgenommen wurde. Alsdann geleitete ein sicherer Führer sie durch unwegbare Felsenwildniß zu den Komitatschi's in der Bombenhöhle.

Hier wurde sie von der Komitatschimutter empfangen, einer alten Mazedonierin, die beinahe so häßlich war, daß sie für malerisch gelten konnte. Dann mußte sie unter Androhung, halt aufgesetzt in Theer zu Tode gesotten zu werden, schwören, auch nicht das Geringste auszuplaudern. Dann setzten sich die Männer und Frauen zum Füllen von Dynamitbomben, wobei sie Melodien sangen, die sie selbst nicht behalten konnten.

Dann kam der Photograph, um ein Gesammtbild für illustrirte Blätter von der Gesellschaft aufzunehmen, die allerdings nicht ganz sauber war, obgleich sie sich in dem Besitz einer Liebesgabenkiste mit Seife befand, die sie jedoch nicht zu verwenden wußten.

Viarda hieß die Alte. Sie trug bei der Arbeit die hochmalerisch zerlumpte Tracht des Volkes, für den Besuch der Städte als Wahrsagerin aber hatte sie einen Scharlachmantel mit Goldbesatz. Plötzlich erschien sie dann mitten in der feinsten Gesellschaft, stellte eine zu diesem Zweck mitgebrachte alte eiserne Kasserolle, aus der eine Schwefelgestank verbreitende Rothflamme hervorschlug, auf den Teppich und verkündete die Zukunft.Daß wir nicht an solche Hexen-Faxen glauben, wir der Lesen schon bemerkt haben.

Der Verf.
 

Auch bei Draga war sie so im Konak erschienen, aber als sie ihr prophezeite, daß sie Unangenehmes erleben würde, beförderte Sascha, der sein Weib abgöttisch liebte, die alte Vettel mit eigenfüßigen königlichen Tritten an das Freie und schmiß ihr den bengalischen Eisentopf hinten nach.

Darum – so sagte Viarda – konnte es in Serbien nicht anders kommen, als wie sie vorausgesehen.

Mit ihren scharfen Blicken sah sie jedoch auch, daß Pludrowitsch, ihr Gatte, Elliorina anders betrachtete als mit den die Arbeit überwachenden Augen des Vaterlandsfreundes.

Elliorina schwebte in Gefahr.

Viarda war zu Allem fähig. Sie hatte schon einmal eine Rivalin heimtückisch dadurch zum Platzen gebracht, daß sie ihr Dynamit in die Bouletten buk.

Auch scheute sie sich nicht vor dem Gurgelabschneiden.

Ebenfalls verstand sie das Erdrosseln. Im Vergiften hatte sie reiche Erfahrung; sie nahm dazu mit Vorliebe das Pulver getrockneter Kröten.

Von diesen Damoklesschwertern ahnte Elliorina nichts; sie stopfte unverdrossen Bomben zur Zerschmetterung und Verstümmelung friedfertiger Unbeteiligter, fröhlicher Frauen und unschuldiger Kinder zur Stillung politischen Ehrgeizes Weniger, was sie um so geschickter vermochte, als sie zu Hause die Gänse so vollendet stopfte wie keine Zweite im Dorfe.

Aber Pludrowitsch kannte Viarda.

Sie um ihr Opfer zu betrügen, das jeckte ihn.

Als daher die Schmuggler kamen, um frisches englisches Dynamit zu bringen, beauftragte er Elliorina, die Kisten mit den fertigen Bomben nach Saloniki zu begleiten, da ihre neue Uniform den besten Eindruck auf die Außenwelt machen werde.

So zog Elliorina mit den Schmugglern auf steilen Bergpfaden über unwegsame Hänge, durch wilden Wald über gestürzte Baumstämme und Klippen, vor jeglicher Entdeckung sicher, dahin. An den gefährlichsten Stellen sowohl, wie an den romantischsten hielten sie, damit der Photograph Sympathien erweckende Aufnahmen für illustrirte Blätter machen konnte.

Dann schworen Alle: die Komitatschi's, die Schmuggler, Elliorina, die Patrioten, der Photograph strengste Verschwiegenheit bei Strafe des Gepfähltwerdens.

Dann wurde dieser heimliche Schwur photographiert und an Zeitungen geschickt.

Auf solche Weise kam Elliorina nach Saloniki, wo Bomben mit recht gutem Erfolg in Theater und Kaffeehäuser geworfen wurden.Leider ist die Aufnahme der Kaffeehausexplosion, wo elf Frauen, fünf Kinder und zweiundzwanzig Männer in Stücke gerissen wurden, nicht gelungen, da ein Bombensplitter in den Photographenkasten schlug. Von da kehrte sie nach Garbasovo zurück.

Hier fand sie Iskar Schippka in selischer Verzweiflung. Soeben hatte er einen Auftrag vom Vezier des Sultans von Damombay erhalten, wegen Auflösung des alten Harems zur Zusammenstellung eines neuen, das Beste zu senden, worüber sein Haus verfügte. Und nun war sein Lager nicht complet.

Er riß sich die Haare aus wie Unkraut. Als einer der höchsten Steuerzahler, war er eine der geachtetsten Persönlichkeiten Garbasovo's; jetzt winkte ein Geschäft, das ihn mit einem Schlage sehr reiche und noch geachteter hätte machen können und er war nicht im Stande zu effektuiren.

Größeres Unglück hatte ihn noch nie betroffen.

Um jedoch die Verbindung mit einem so feinen Kunden aufrecht zu erhalten, verfrachtete er die blonde Cirkassierin, die beiden auf Neu hergerichteten brünetten Rumänierinnen und – es half kein Widerstreben – Elliorina!

Die nicht ganz fehlerfreie, französische Gouvernante legte er für den halben Preis bei.


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