Julius Stinde
Emma das geheimnißvolle Hausmädchen
Julius Stinde

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Zwanzigstes Kapitel.

Die Seeräuber.

Schon zwei Wochen lag der »Albatros« auf dem zehnten Grad südlicher Breite, ohne vorwärts zu kommen.

Kein Lüftchen regte sich. Die Segel hingen schlaff an den Masten. Nicht das kleinste Wölkchen tauchte im Westen auf, so oft auch der Kapitän das Glas ansetzte.

»Wir sind vom rechten Kurs abgewichen,« sagte der Kapitän zum Steuermann Klaus Theerstiefel, einem wetterfesten Seebären, der sonst stets mit Scherz und Humor begabt, düster auf das Kompaßhäuschen blickte.

»Es geht nicht mit rechten Dingen zu,« entgegnete Klaus Theerstiefel.

»Du machst Unsinn, Klaus,« erwiderte der Kapitän.

»Es ist etwas nicht richtig,« blieb Klaus mit der zähen Beharrlichkeit bei, die älteren Schiffern stets eigenthümlich ist. »Da ist zunächst der Mann mit der blauen Brille und dem kalten Blick, der behext die Kompaßnadel.«

»Klaus, lasse Dich nicht auslachen.«

»Es ist dennoch so,« fuhr Klaus unbeirrt fort. »Ginge die Nadel richtig, müßten wir längst in Westafrika sein.«

»Klaus, solltest Du Recht haben?«

»Dann sind die beiden Mädchen da. Die eine ist mir verdächtig.«

»Warum dieses, Klaus?«

»Sie rasirt sich.«

»Seetang und Schellfisch!« fluchte der Kapitän aufgebracht, »schon seit mehr als vier Wochen werden die Wasserrationen auf das Nothwendigste eingeschränkt – wir haben kaum noch für zwei Tage Trinkwasser – und es vergeudet ein Weibsbild das kostbare Naß mit Rasiren? Da soll doch . . .«

»Kapitän, mäßigt Eure Rede,« fiel ihm Klaus beschwichtigend ins Word, »die unterseeischen Mächte könnten zürnen.« Leise fügte er hinzu: »Und dann ist drittens die verdächtige Kiste da. Robert, der Schiffsjunge, sagt, er habe ein Geräusch, wie von einem Uhrwerk, darin vernommen.«

»Heilig, Donner . . . . ! Wem gehört die Kiste?«

»Dem Manne mit der blauen Brille und dem kalten Blick!«

»Hier liegt etwas vor!« sagte der Kapitän.

Rasch entschlossen zog er die Notleine. Ein greller Pfiff ertönte.

»Alle Mann auf Deck!« rief er durch das Sprachrohr.

Erschreckt stürzte Alles aufs Deck. Die Matrosen, die Schiffsjungen, der Koch, die Passagiere. Auch zwei bleiche Mädchengestalten waren unter ihnen.

Emma und Friederike.

Ja, sie waren es. Um den Verfolgungen ihrer Feinde zu entgehen, hatten sie sich durch einen Auswanderer-Agenten nach Afrika vermiethet. So nahe am Ziel – man konnte fast mit dem Finger hinzeigen – drohte Entdeckung und Verderben.

Mit rührender Schwesterliebe darbte Emma sich das immer knapper werdende Trinkwasser ab, damit Fritz sich rasiren konnte, und nicht durch den in der Tropenhitze doppelt rasch keimenden Bart verrathen würde, aber ihr klarer Verstand sagte ihr, daß der Augenblick der Entdeckung gekommen sei.

Und dennoch . . . . muthig hielten sie den forschenden Blick des Kapitäns aus.

Zum Glück war Fritz frisch rasirt. Emma duldete die furchtbaren Qualen des Durstes mit der ganzen Hingabe eines edlen Frauenherzens.

In der Gefahr bewährt sich die Tugend oft bewunderungswürdiger, als in Glück und Wohlleben.

»Klaus irrt sich,« murmelte der Kapitän. Laut befahl er darauf:

»Man Hole die verdächtige Kiste.«

Die Kiste wurde gebracht. Sie glich einem Sarge.

In athemlosem Schweigen verharrten die Umherstehenden.

Man hörte deutlich das Ticken eines Uhrwerkes in dem Sarge. – »Werft die Höllenmaschine über Bord,« kommandirte der Kapitän.

Vier Matrosen ergriffen die Kiste.

»Halt!«

Wer hatte Halt gerufen?

Der Rufer trat vor. Es war der Mann mit der blauen Brille und dem kalten Blick. – »Wer wagt es, mein Eigentum zu vernichten?« fragte er.

Emma erbebte bei dem Klange der Stimme.

Standen die Todten auf?

Sie blickte forschend hin.

Er war es, trotz der blauen Brille . . . . der von Fritz erschossene Jesuit.Jesuiten sind bekanntlich sehr zählebig. So oft sie historisch vernichtet wurden, immer waren sie wieder da. So auch hier. Mit Hülfe der Röntgenstrahlen wurden im Innern des Erschossenen zwei Kugeln gefunden, die einfach an dem durch die Lehren der Jesuiten verhärteten Herzen plattgeschlagen waren. Nach Entferung der Kugeln in Dr. E. Millers Poliklinik und Anwendung von Heilserum war der Jesuit wieder hergestellt. – Wunder giebt es eben nicht!

»Oeffnet die Kiste,« befahl der Kapitän.

Sorgfältig entfernte der Schiffs-Zimmermann den Deckel.

In der Kiste lag eine Leiche.

Ein Schrei des Schauders erscholl. Mehrere wurden ohnmächtig.

Die Leiche wimmerte.

»Hier liegt etwas vor!« rief der Kapitän mit donnernder Stimme.

Aber was?

Niemand vermochte zu antworten. Grauen lähmte das Schiffsvolk und die Passagiere.

»Wo ist Klaus Theerstiefel?« fragte der Kapitän.

»Hier!«

Der Kapitän stieß einen Ruf der Ueberraschung aus. Er erkannte Klaus nicht wieder auf den ersten Blick.

Klaus waren bei dem fürchterlichen Anblick die Haare schneeweiß geworden.Thatsache!

Die Leiche regte sich.

Nun geschah etwas Rührendes.

Ein junges Mädchen stürzte auf den Sarg zu und half der Leiche sich aufrichten. »Tante,« sprach sie liebkosend. »Geliebte Tante. Wie kommst Du in die Kiste?«

»Bist Du es, mein Fritz?« sagte die Tante und streichelte ihn mit fleischlosen Händen. »O, man hat mir Schreckliches eingegeben. Ich muß immer schlafen und schlafen. Und träumen. Viel Unsinn, mein Fritz. Und Quatsch!«

Der Schiffsarzt hatte mittlerweile das Uhrwerk untersucht. Es war eine Maschine, die über dem Haupte der Eingesargten angebracht, ihr alle fünf Stunden Schlaftropfen einflößte.

»Es ist Morphium mit einem starken Schuß Chloral,« erklärte der Schiffsarzt. »Aber noch ein unüberwindliches Schlafmittel ist dabei, das ich nicht kenne.«

Der Mann mit der blauen Brille lächelte zufrieden. Er kannte es, denn es war in der Giftküche der Jesuiten aus den zu diesem Zwecke ausgewählten Reden des Reichstages destillirt worden. Deshalb träumte die Tante so gräßlich.

Friederike erhob sich und rief:

»Vor Gott und den Menschen klage ich jenen Mann mit der blauen Brille an, meine Tante Amelie Schwudicke durch List und Ränke in seine Gewalt und in diese Kiste gebracht zu haben, um sie zu zwingen, ihr Testament zu Gunsten seines Ordens . . .«

»Noch ein Wort, und ich erzähle, wer Du bist,« rief der Mann mit der blauen Brille.

»Friederike, halt ein,« flehte Emma.

»Nein. Das Scheusal muß entlarvt werden.«

»So hört,« rief der Jesuit. »Diese Friederike ist nicht, was sie scheint, sondern ist . . . .«

Ein Kanonenschuß übertönte die Worte des Jesuiten.

»Die Seeräuber!« schrieen die Weiber und Kinder durcheinander.

Ein furchtbarer Kampf entspann sich. Die Seeräuber enterten den »Albatros« und da sie in der Uebermacht waren, wurde ihnen nach blutigem Ringen der Sieg.

»Schafft die Gefangenen auf den Sklavenmarkt,« herrschte der Anführer seine Mordgesellen an. »Diese beiden aber – er deutete mit brandgeschwärzten Fingern auf Emma und Friederike – werde ich selbst dem Sultan zum Kaufe anbieten. Sie werden eine Zierde seines Harems.«

Mit einem lauten Aufschrei sank Emma in Ohnmacht.

Friederike lachte dem Seeräuber ins Gesicht.

Zähneknirschend sprach er: »Du wirst schon kirre werden, mein Täubchen!«


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