Julius Stinde
Emma das geheimnißvolle Hausmädchen
Julius Stinde

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Neuntes Kapitel.

Die schöne Spreewälderin.

Um die bürgerliche Mittagszeit konnte man seit einigen Wochen in der Wilhelmstraße ein selten anziehendes Bild des Berliner Lebens beobachten.

Mit dem Schlage zwölf öffnete sich eine Seitenthür des auswärtigen Amtes und heraus trat, einen Kinderwagen vor sich herschiebend, in der kleidsamen Tracht einer Spreewälderin eine Amme von solcher Schönheit, daß selbst bejahrtere Geheimräthe stehen blieben und ihr nachsahen, wie sie die zierlichen Füße in den schwarzen Schuhen und die von weißesten Strümpfen prall umschlossenen Formen in anmuthigste Bewegung setzte.

Sie aber blickte schüchtern, wie in sittsamster Trauer hinab auf den Kinderwagen, auf den Weg, den sie zu schreiten hatte.

Doch die Schönheit hat zu viele Feinde und in der Welt erhebt die Niedertracht ungestraft ihr verleumderisches Haupt; sie ging sogar so weit, zu fragen, wem die Amme im auswärtigen Amte gehöre?

Als ob das auswärtige Amt nöthig hätte, Fragen zu beantworten!?!

Unsere Leser werden längst errathen haben, daß die schöne Spreewälderin keine Andere ist als Emma.

Und nur sie allein wußte, daß sie furchtbaren Plänen diente, was der Kriminalpolizei verborgen blieb. Sie hatte Kenntniß von den heimtückischen Umtrieben, die sie in dem unschuldigen Kinderwagen unter den Augen des Gesetzes vermitteln mußte, weil sie geschworen hatte. Es war ein Meisterstreich der Jesuiten, Emma als Amme in das auswärtige Amt zu schmuggeln, denn wer konnte etwas Verdächtiges darin finden, wenn die schöne Spreewälderin, anstatt auf dem Wilhelmplatz zu halten, den Kinderwagen nach der irländischen Gesandtschaft lenkte, von da zum Botschafter von Bornholm oder zum Genuesischen Gesandten und schließlich wieder zum Konsul von Manchester?

Und doch klopfte Emma das Herz, so oft sie die in Windeln gewickelten Dokumente durch die Straßen fuhr.

»O,« rief sie voll Schmerz. »Hätte mein liebes Mütterlein mich doch nicht lesen gelehrt, dann wäre ich jetzt nicht in die schrecklichen Geheimnisse eingeweiht, die als schaudervolles Verbrechen enden werden. Dann spänne ich die Fäden der politischen Intriguen unwissend und mich träfe später nicht der Fluch der Verzweifelten.«

Unwissenheit ist so gut wie Unschuld; oft noch besser!

Deshalb war Emma so gramvoll, wenn sie zum abessynischen Minister fuhr oder zum Botschafter von Südamerika, deren jüngere Legationsräthe ihr oft, aber vergebens in die Wange zu kneifen versuchten. Sie sprach dann mit der Unnahbarkeit einer Dame von Stande nur das eine Wort: »Meine Herren, werden Sie nicht aggressiv,« worauf die Attach é's vor diesem Lichtblitz unerwarteter Bildung aus dem Munde einer Magd beschämt den Kürzeren zogen. So bestätigte sich hier die alte Wahrheit unseres Jahrhunderts:

Bildung ist der höchste Trumpf im Spiele des Lebens!

Und doch zitterte Emma. Wenn einer der schäkernden Employ é's statt in ihre Wangen in den Kinderwagen griff, war das Geheimniß entdeckt. Deshalb sann sie Tag und Nacht, selbst während des Essens, darauf, sich aus den eisernen Klauen der Jesuiten zu befreien und zwar um so mehr, da sie erst kürzlich mit genauer Noth der Gefahr entronnen war, als sie um 12½ Uhr bei dem Nuntius von Ponte-Resina in der Luisenstraße sein mußte und die Wilhelmstraße einer Absperrung von Schutzleuten unterlag, weil eine Kompagnie Kürassiere vom Alexanderplatz herauf zu reiten im Begriff stand.

»Lassen Sie mich durch, gnädigster Herr Schutzmann,« flehte Emma und begleitete ihre Bitte mit den seelenvollsten ihr zu Gebote stehenden Blicken. Der Schutzmann blieb seiner Instruktion gemäß unerweicht. – »Es ist ja noch kein Helm zu sehen,« wandte sie ein. – »Zurück!!« – »Ich muß durch,« rief Emma mit aufbäumendem Gräfinnenstolz. – »Glauben Sie, wir dulden, daß das königlich preußische Militär von Kinderwagen überfahren wird?« rief der Schutzmann und riß mit rauher Hand die seidenen Vorhänge des Wägelchens auf.

Er blickte hinein, stieß einen gellenden Schrei aus, fiel jählings auf den Asphalt und lag da wie eine Leiche.

Man hob ihn auf und trug ihn in die nächste Destille, wo ihm die Schläfen mit Pommeranzen und Grünbittern so lange eingerieben wurden, bis er zu sich kam und mit schwacher Stimme ein Glas Wasser verlangte.

Emma benutzte die allgemeine Verwirrung, um über den Pariser Platz zu kommen.

Eine halbe Stunde später sprengten die glitzernden Reiter die Linden herauf und als sie durch das Brandenburger Thor waren, zerstreute sich das Publikum, das bis dahin musterhaft auf dem Bürgersteige stand, von dem es nicht um eine Nasenlänge abwich, um sich in der abgesperrten scharfen Zugluft keine Verschnupfung zu holen.

Emma aber hatte bereits den Plan zu ihrer Befreiung gefaßt.


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