Julius Stinde
Emma das geheimnißvolle Hausmädchen
Julius Stinde

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Neunundvierzigstes Kapitel.

Liebe und Ehre.

Die Erwartung ist tausendmal martervoller als der tödtliche Streich selbst, haben Hingerichtete oft genug versichert; man kann sich daher die Aengste vorstellen, mit denen unsere wehrlosen Freunde das allmälige Näherkommen des feindlichen Automobils beobachteten.

Herzensdieb wühlte ihr reizendes Köpfchen tiefer und tiefer in den Sand, der Leutnant fluchte, Nordhäuser litt ergebungsvoll auf seinem Peinsitz, Emma aber stand, wie schon so oft, ungebeugt vom Schicksal in plastischere Vollendung, als wäre sie für eine Marmor-Allee bestellt und mit idealem Schwung sprach sie: »Meinethalben kann er kommen!«

Ob sie so fest auf ihre Schönheit vertraute?

Emma, Emma! können wir hier nur mahnend ausrufen, bedenke: wird die Wiege der Sicherheit übertrieben geschaukelt, dann kippt sie um!

Oder war sie der Welt überdrüssig, in der es so vieles giebt, was es überhaupt nicht geben sollte, daß sie zu sterben bereit war?

O Emma! rufen wir: Alles, nur das nicht. Verweile doch, Du bist so schön!

Wer aber ergründet die grundlosen Tiefen eines Damengemüths?

Das Automobil fuhr, von geübter Hand geleitet, in elegantem Bogen vor. Wer jedoch ausstieg, war nicht der Sultan, sondern Menub-bel war es, sie selbst, leibhaftig Menub-bel.

»Herrjeh, Nubbelsche! Wie kommen Sie hier lang? fragte der Leutnant mit einer Intimität, die Emma in höchstem Grade mißfiel.

»Das möchtest Du wohl wissen, mein Junge?« entgegnete sie lachend.

O, wie Emma dieses Lachen haßte. Es sagte ihr mehr, als sie hätte erfahren mögen; es verrieth eine Vertraulichkeit zwischen dem Leutnant und dem Weibe aus der jüngst vergangenen Haremszeit, die sie mit Bitterkeit erfüllte. Emma konnte eben Alles vertragen, nur keine Abweichung von der Tugend.

»Ich wußte ja den Weg, den Ihr eingeschlagen,« sprach Menub-bel, »und da sagte ich zu den Herren, ich wollte sie schon führen, wenn ich begnadigt würde . . .«

»Begnadigt? Von wem?« fragte Emma.

»Von wem, mein Lämmchen? Von wem wohl anders als vom Sultan?«

»Haben den nicht die Leichengeier gefressen?«

»Wieso denn?« entgegnete Menub-bel. »Denkt Euch: kaum waret Ihr auf und davon, als sich vor dem Kiosk der unerhörten Lebenswonnen der Erdboden öffnete, dem eine Anzahl Maskirter entstieg. Sie durchsuchten den Kiosk, den Garten und riefen: Sie ist weg. Sie ist verschwunden!«

»Man suchte mich?« fragte Emma beunruhigt.

»Scheint so, Herzecken,« entgegnete Menub-bel. »Hierauf ließen sie den goldenen Käfig aus der Sagopalme herab und den Sultan aus, der wuthschnaubend in den Palast torkelte, dem ahnungslosen Usurpator, der gerade Besitz vom Harem nahm, seinen Privatrachedolch in den Rücken stieß und sich wieder auf den Thron setzte. Dann begann das Blutbad. Wer nur irgend wie ein bischen gepetzt in der Palastrevolution, war des Todes; die Residenz watete drei Tage lang in Blut und die Geier litten so an Appetitlosigkeit, daß sie dem Hof-Thierarzt in Behandlung gegeben werden mußten.«

»Was verschrieb er ihnen?« fragte der Leutnant, den die herrlichen Vögel stets interessirt hatten.

»So'ne Art Oel,« antwortete Menub-bel.

»Gewiß Ricinus!« rief Nordhäuser von seinem Sitz aus, von dem er sich nur erst theilweise gelöst hatte.

»Unterbrechen Sie hier nicht fortwährend!« schnauzte der Leutnant ihn an, der eine Pike wegen Emma auf ihn hatte.

»Wer aber waren die Verlarvten, die aus dem Untergrund hervorbrachen?« fragte Emma mit bangem Vorgefühl.

»Sie sagen ja: Derwische,« erwiderte Menub-bel. »Es hatten sich nämlich Pilger in der Palaststraße niedergelassen, Hadjis, die die Wallfahrt nach dem Grabe des Propheten – gepriesen sei der Hochheilige – gemacht und geweihte Erde von Mekka mitgebracht hatten, die sie theuer verkauften. Reißenden Absatz fand die Erde, denn sie half gegen alle Gebrechen und war so wunderbar, daß sie nie abnahm. Je mehr sie davon verkauften, um so mehr war vorhanden. Ist das nicht wirklich ein Wunder vom Propheten? Sein Name sei gebenedeit.«

»Ha! Ha!« lachte der Leutnant. »Es war die Erde aus dem Tunnel, den sie scharrten. Nette Derwische.«

Emma erbleichte; sie schwankte.

»Emma, was ist?« fragte der Leutnant besorgt.

»Nichts,« seufzte sie ungekünstelt wie immer. »Nichts. Ach, ich wollte, ich läge in einem schönen Grabe mit einem Rosenbusch zu Häupten neben einer Trauerweide, oben drin mit einer klagenden Turteltaube.«

»Aber, Emma, woher so herzzerbrechend melancholisch?« fragte der Leutnant.

»Sie ist flau,« meinte Menub-bel. »Ich habe in dem Wagen Geschirr und Alles; ich werde einen viersträhnigen Kaffee kochen, mit Barches vom Hofkonditor, da wird sie sich schon wieder aufrappeln.«

Herzensdieb ward aus dem Sand gezogen und mußte helfen und bald dampfte ein delikater Kaffee in den Täßchen, wie ihn nur Orientalen zu brauen verstehen. Emma erholte sich deutlich wahrnehmbar und auch das Gebäck that ihr gut, denn sie war wirklich hungrig und durstig vom langen Fasten und Entbehren.

»Fritzi, Fritzi,« nahm Menub-bel das Word, »Dich wird EblisDas türkische Wort für den Teufel. Es ist sehr merkwürdig: alle Völker haben verschiedene Götter, der Teufel ist aber immer der nämliche, was doch sehr für ihn spricht. noch einmal holen wegen Deines Unglaubens. Es war dennoch Erde aus Mekka, wie hätte sie sonst helfen können, selbst manchmal bei Zahnschmerz? Und noch ein größeres Wunder hat sie bewirkt. Bei den Derwischen saß nämlich im Hinterzimmer eine lebendig gewordene Mumie, die trank den ganzen Tag Kaffee und aß Napfkuchen dazu.«

»Beinahe wie meine Tante Schwudicke,« bemerkte der Leutnant scherzend.

»Sie war es auch und keine Andere!« rief Emma überzeugt, deren durchdringende Verstandeskräfte den wahren Zusammenhang wie im Hellsehen erfaßt hatten. »Denn die Derwische – o, ich kenne sie nur zu gut – die Derwische waren – – – – die Jesuiten! Sie gruben den verborgenen Stollen, um mich in ihre Gewalt zu bringen; sie retteten den Sultan aus den Fängen der Geier, um ihn zu verpflichten; sie baten um Menub-bel's Begnadigung, damit diese ihnen den Weg zu mir zeigen sollte. Ah, man muß ihre Schlauheit kennen, ihre Pläne und ihre seit Jahrhunderten ausgebildete Geschicklichkeit im Graben unterirdischer Gänge. Warum nehmen die beiden Herren, die noch im Automobil verblieben, nicht Theil an unserem Kaffeekränzchen? Weil es die Jesuiten sind

»Ih bewahre,«entgegnete Menub-bel, »der Eine ist der Major Ibn Sikkin, der Andere der Hauptmann Abdul Scharaf, die etwas an Dich zu bestellen haben, liebe Fritz

»An mich? Ich stehe zu Befehl.«

Menub-bel ging an das Gefährt und sprach mit den Herren, die abstiegen und sich dem Leutnant sehr förmlich vorstellten.

Der Leutnant stellte sich ebenso gemessen vor und lud sie zum Kaffee ein. Die Herren dankten. Dann bot er ihnen die letzten in seinem Besitz befindlichen Cigaretten an. Die Herren dankten.

»In wessen Auftrag kommen Sie?« fragte der Leutnant, der nun schon wußte, worum es sich handelte.

»Unser hoher Herr, der Sultan Madschun Kebir el Chumar, schickt uns, der Sie, Herr Leutnant Fritz, wegen Beleidigung fordert. Die Wahl der Waffen steht Ihnen zu.«

»Bitte, in diesem Falle überlasse ich dem Höherstehenden den Entscheid.«

»Pistolen!« sagte der Major Ibn Sikkin.

»Recht!« nahm der Leutnant an. »Und wievielmaliger Kugelwechsel?«

»Hundertvierzig.«

»Etwas ungewohnt,« erwiderte der Leutnant, »allein, ich stehe zu Diensten. – Darf ich jedoch fragen, warum gerade hundertvierzigmaliger Kugelwechsel beliebt wird?«

Abdul Scharaf nahm jetzt feierlich das Wort:

»Hundertvierzig Blumen des Paradieses erquickten unsern Herrn mit ihrem Duft; eine fremde Hand hat sie gebrochen; sie sind verworfen, verwelkt, vergessen. Wegen hundertvierzig Eheirrungen, Herr Leutnant, fordert Sie der Sultan Madschun Kebir el Chumar

»Ach was, Unsinn,« entfuhr dem Leutnant, aber er fügte gleich hinzu: »Ah pardon!« und da war es wieder gut.

Abdul Scharaf entgegnete: »Der Ehren-Diwan hatte nach sorgfältiger Abwägung zweiundzwanzigmal gezogene Pistolen bestimmt, vierzigmal krumme Säbel bis zur Abfuhr, dreißigmal geschliffene Schläger ohne, achtunddreißigmal mit Binden und Bandagen, aber dem Sultan – großdenkend wie immer – gilt die jüngste Thürhüterin so viel wie die älteste Favoritin, und so hat er Alles in Bausch und Bogen gerechnet. Denn nachdem Herr Leutnant den Harem der Amazonen einexerciert hatten, war er zu nichts mehr zu gebrauchen. Die Traditionen waren hin und der Stolz, ein Weib zu sein; die Ehre der Familie und der Angehörigen war befleckt – verzeihen Sie, Herr Leutnant, nach unseren Anschauungen – die Züchtigkeit war mit den Uniformstiefeln zertreten; ihre Schande schrieen sie selbst hinaus mit den Reiterliedern, die ihren Mund verpesteten. Da schied der Sultan sie von sich.«

»Darf ich jetzt nur noch um Zeit und Ort bitten?« fragte der Leutnant.

»In der Residenz zu Damombay. Sie fahren mit uns.«

»Recht; ich darf doch wohl noch erst rasch Adieu sagen?«

Als Emma nun erfuhr, daß der Leutnant abreiste, wollte sie ihn begleiten. »Es geht nicht,« weigerte er sich, und als sie wissen wollte warum, und er es nicht sagte und doch so lange bedrängt wurde, bis sie Jegliches heraushatte, da rief sie: »Du gehst nicht hin, Du bleibst.«

»Die Gesetze meiner Ehre gebieten,« sagte Leutnant Fritz.

»In solchem Falle auch noch Ehre?« rief hohnlächelnd Emma.

»Ich muß!«

»Und wenn der Sultan nun verrückt ist? Ich halte ihn dafür. Denn wie der sich mir gegenüber benommen hat, das war schon mehr als verrückt.«

»Nach solchen Dingen wird bei Ehrensachen nicht gefragt. Ich habe ihn geschädigt – er fordert mich – ich schieß' ihn todt.«

»Und wenn er Dich todt schießt?«

»Sein Recht und mein Pech.«

»O Fritz, Du bist nicht unverwundbar. Sag', sind es wirklich hundertvierzig . . . o bleibe . . . bleibe, es sind doch so viel, daß ich es nicht fassen kann . . . nein, nein, sie treffen Dich . . . nicht die hundertvierzigste, nein, schon die erste Kugel trifft Dein liebes, liebes Herz. Ach, Fritz . . . nun es zu spät ist, gestehe ich Dir . . . ja, ich liebe Dich. Aber bleibe!«

»Wenn ich Satisfaction verweigere, wenn ich kneife, ist meine Ehre hin, dann kann ich mich selber todtschießen. Ich muß gehen.«

»Meine Liebe!« rief Emma.

»Meine Ehre!« rief der Leutnant.

»Ist sie Dir mehr als meine Liebe?« fragte Emma.

»Der Comment über Alles!« rief Leutnant Fritz, drückte einen Kuß auf ihre erblassenden Lippen und eilte fort. Dann umfing sie eine, sich öfter schon bewährt habende, heilsame Ohnmacht.

So sah sie nicht, wie der Leutnant mit den beiden Kartellträgern in die Motorkutsche stieg. Es war das allerdings höchst ungehörig, aber es stand eben keine zweite Chaise zur Verfügung, nicht einmal ein Kameel, das Automobil der Wüste.

Kurz vor der Abfahrt bat Nordhäuser, ob er mit dürfe, er müsse nördlich hinauf, nach Berlin zu, wohin er einen Kontrakt als Skelettmensch habe. Der Leutnant, der sah, wie ihn die noch in der Haut steckenden Stacheln pisakten, hatte Mitleid mit dem Häufchen Unglück und sagte: »Na, nur hinauf; einen kleinen Nordhäuser kann man immer noch mitnehmenWir wollten diese Bemerkung unterdrücken, weil Humor durchaus nicht in den ernsten Ton des ganzen Buches und besonders nicht in den tief ernsten und nebenbei rührenden Schluß dieses Kapitels paßt. Aber da viele Leser ihn gern selbst da haben, wo sie es nicht müßten, so lassen wir sie stehn, zumal sie im Dienste der Wohlthätigkeit geäußert wurde, der ja vieles gutheißt.

Das Benzin zog an.

Emma kam zu sich. Sie wollte nachstürzen, aber die Entfernung war schon zu groß.

Laut heulend warf Herzensdieb sich auf die Erde.

»Verlassen,« wehklagte Emma in schmelzenden Mollakkorden, »verlassen bin ich.«

»Nein!« rief Menub-bel. »Ihr kommt mit mir. Wir gehen nach Lorenzo Marques, da gründe ich ein sozialpolitisches Seemannsheim zur Hebung verwilderter Schiffer. Dem Sultan traue ich nicht; darum weg aus dem Schuß ans Wasser. Von da kommt man überall hin weiter.«

»Ja, ja,« begeisterte sich Emma für den Vorschlag. »Fort von diesem Welttheil, der nur Unheil birgt. Ja, an das Meer . . . dort liegt unsere Zukunft. Aber wie gelangen wir dahin?«

»Mit Eurem alten Automobil; unser vorzüglicher Chauffeur reparirt es. Bald sind wir an Ort und Stelle. Ihr tretet bei mir ins Geschäft ein . . . es wird zu goldig.«

In der That, der Motor war ausgezeichnet in Stand. Sie stiegen ein und rollten nach Osten davon.

Ein Chauffeur allerersten Range, aber Emma hatte ihn nicht erkannt. (Es war der Jesuit.)

Sie dachte an den Leutnant, der dem sicheren Untergange geweiht schien und ihre bildschönen Augen füllten sich mit Thränen . . . . . .

Aber weine nicht, Emma, noch im Diesseits sollen deine seraphischen Thränen trocknen. Nicht seinem Unglück, nein, seinem Glück fährt er zu, so will es die Vorsehung zur Belohnung seiner tadellosen Korrektheit. Ist nicht die Residenz auch Elliorina's Ziel? Und ist nicht die so sehr reiche Tante Schwudicke auch dort? Und sollte es ihm, dem Inhaber mehrerer Schießprämien, schwer fallen, den alten mottenlöcherigen Sultan gleich im ersten Gange zur Strecke zu bringen? Dann – es ist muthig genug – wird er entweder selbst Sultan oder doch höherer Beamter mit dem Titel Pascha und so viel Orden als ihm auf den Leib gehen. Und dann kann er mit seiner inniggeliebten Elliorina, seinem Lenchen aus der ehemaligen Bohnenlaube, Hochzeit machen, wozu ihr alter Herr telegraphisch seinen geistlichen Segen schickt, wenn es ihm bis Damombay persönlich zu weit sein sollte.

Außerdem ist der Leutnant zu lange raus; er findet nicht mehr durch die neuen Litewken, Mäntelfalten, Feldbinden, Achselklappen, Schärpen, Schnüre, Knöpfe, Handschuhe hindurch, macht Verwechslungen und kann – kaufmännische Veranlagung vorausgesetzt – das Champagner- oder Wagenschmiere-Reisen lernen.

Darum blüht ihm sein Glück gerade da, wohin ihn der fremde Wagen fährt und zu viel Nordhäuser zum Aufhalten hat er ja nicht bei sich.

Liebend vereint, nach so langer, schmerzlicher Trennung, nach so großen Gefahren, mit Aussicht auf Avancement . . .

Viel Angenehmeres giebt es wohl kaum.


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