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Neunzehntes Kapitel.
Lenchen war die Tochter des ehrwürdigen, aber harten Pfarrers zu Laubenheim. Sie wuchs in aller Unschuld heran, lieblich anzuschauen und tugendhaft. In dem einsamen Dörflein erzogen, gleich sie der Blume des Feldes, ebenso unschuldig und kindlich.
»Ach,« sagte sie einst zu ihrem Vater, »wie reizend wäre es doch von dem Storch, wenn er mir auch ein so niedliches Wickelkindchen brächte, wie er neulich dem Bärbelchen gebracht hat. Es hat so allerliebste Händchen . . . .«
Heftig entgegnete der Vater: »Ich würde Dich in den Keller sperren, wo es am dunkelsten ist und Dich mit Nesseln peitschen. Das merke Dir.«
Lenchen erschrak ob dieser Drohung. Sie ging in den Garten, setzte sich in die Bohnenlaube und weinte bittere Thränen. Sie wußte nicht, womit sie die Vorwürfe verdient hatte. So kindlich war sie.
Während sie weinend ihren Gedanken nachhing, ertönte von der Dorfstraße her lustiges Trara. Es ritten blanke Dragoner heran, als Einquartierung zu den bevorstehenden Manövern. Lenchen eilte an den Gartenzaun. Wie geblendet starrte sie. Noch nie hatte sie etwas Schneidigeres gesehen. Und der Schneidigste ritt voran.
Der Leser wird längst errathen haben, daß dies kein Anderer war, als Leutnant Fritz.
»Ach!« rief Lenchen.
Leutnant Fritz grüßte sie lächelnd. Lenchen erglühte wie die Mohnblume auf den Beeten des Gartens; noch mehr aber erglühte sie, als sie in das Haus trat und Leutnant Fritz sich ihr als beim Pfarrer einquartiert vorstellte.
Zwar murrte der Pfarrer, aber den Quartierzettel konnte er nicht wegmurren. Er mußte sich fügen.
Eine wundervolle Zeit brach für Lenchen an.
Zum ersten Male in ihrem Leben liebte sie. Es war Leutnant Fritz ein leichtes, die unerfahrene Haideblume zu bezaubern. Die hellblaue Uniform kleidete ihn zu gut.
Nur zu rasch verflossen die Tage unschuldsvoller Freude. Die Abschiedsstunde schlug. Am nächsten Morgen mußte Fritz das Dorf verlassen.
Schwermüthig saßen Fritz und Lenchen in der blühenden Bohnenlaube. Milde war die dämmernde Sommernacht. Die Nachtigall flötete.
»Was machst Du da, Lenchen?« fragte Fritz, als Lenchen den Zeigefinger auf die Knöpfe seiner Uniform legte und dabei murmelnd sprach:
»Er liebt mich – ein wenig – ach garnicht u. s. w.«
»Ach nur ein kindisch Spiel,« antwortete sie. Laut rief sie darauf, als sie bei dem letzten Knopf angelangt war: »Er liebt mich!«
Fritz: »Ja, Lenchen, laß dieses Wort der Götter Ausspruch sein!«
Lenchen: »O, Du mußt nicht Götter sagen. Das ist heidnisch. Und heidnisch ist Sünde, wie der Vater sagt.«
Fritz: »Mir einerlei. Gefühl ist alles.«
In diesem Augenblick ward ein großer Komet am Himmel sichtbar . . . »O sieh!« rief Lenchen und zitterte.
»Bleibe ruhig, mein Kind,« sprach Fritz, der sich als Militär vor keiner Naturerscheinung fürchtete.
Muth kennt keine Furcht.
Lenchen: »O, solch ein Stern bringt Unheil, Krieg und Blutvergießen. Wenn sie Dich erschössen?«
Fritz: »Im Manöver wird nur blind geladen.«
Lenchen: »Aber Du kannst unter die Räder der Kanonen kommen, schrecklich zermalmt. Das ist das Loos der Schönen auf der Erde.«
Fritz: »Lieb Närrchen.«
Die Sterne funkelten. Die Bohnen blühten. Die Nachtigall flötete.
»Wie ist die Erde doch so schön,« sprach Lenchen.
»Besonders des Nachts,« sagte Fritz.
Lenchen: »Ewig Dein.« – Fritz: »Ewig mein.«
Der Komet erlosch. Es war, wie die Wissenschaft nachweist, nur ein sogenanntes Meteor gewesen, das platzt, sobald es die Atmosphäre der Erde erreicht. Auch der Himmel täuscht zuweilen.
»Weh', nun ist all unser Glück dahin,« sagte Lenchen.
»Ich wittere Morgenluft,« sprach Fritz. »Die Pferde wiehern. Der letzte Tag bricht an.«
Lenchen: »Verlaß mich nicht.«
Fritz: »Der Dienst befiehlt.«
Er drückte einen Kuß auf die lilienweiße Stirn Lenchens.
Lenchen: »Ach!«
Fritz: »Bleibe so unschuldsvoll und rein wie Deine Stirn. Dann wird einst das höchste Glück uns vereinen. – Lebe wohl!« (Fritz seitwärts ab durch die Bohnen.)
Händeringend blieb Lenchen zurück. Ja, sie liebte Fritz mit der ganzen Gewalt ihres jungfräulichen Herzens. Nun hatte er sie verlassen. Der erste tiefe Schmerz des Lebens hatte ihre unschuldsvolle Seele getroffen. Schluchzend sprach sie den frommen Vers:
»Ja Liebe pflegt mit Kummer Stets Hand in Hand zu gehn.« |
Es nahten sich Schritte.
»Sollte er wiederkehren?« durchrieselte es Lenchen freudig. »Fritz, bist Du es, Einziggeliebter?« rief sie.
Aber wer schildert ihren Schreck, als statt des sehnlich Erwarteten, Lenchen plötzlich in dem Eingang der Laube ihren Vater erblickt?
»Ha, Verworfene!« donnerte der Pfarrer, der wie gesagt, ein harter und grausamer Mann war, die Schreckensbleiche an. »Eine Soldatenbraut ist meine Tochter nicht mehr. Schande und Schmach bringst Du über mein ergrautes Haupt.«
»Vater,« jammerte Lenchen. »In Sitte und Züchtigkeit hat Fritz mir seine Liebe gestanden. Ich übernehme jede Garantie für seine Achtbarkeit.«
»Und wer garantiert für Deine Ehrbarkeit?«
»Fritz,« antwortete sie mit dem süßesten Liebreiz der Unschuld.
Der zornige Vater aber hatte kein Auge für die, aus den holden Augen der Tochter sprechende Wahrheit.
»Hinweg!« rief er. »Aus meinen Augen!«
Er riß eine Bohnenstange aus der Erde und mit rücksichslosen Schlägen vertrieb er Lenchen aus dem Garten, worin sie ihre Kindheit verlebt hatte, mit gezähmten Schmetterlingen, die ihr aus der Hand fraßen und sie schmeichelnd umflatterten.
Wimmernd wie ein gehetztes Reh floh Lenchen.
Wohin? Wohin?
Am fernen Horizont schimmerten die rothen Uniformen der Husaren.
Ihnen nach eilte Lenchen, immer weiter und weiter, bis sie Berlin erreichte.
Welche Kämpfe und Gefahren sie in dem großen Babel zu bestehen hatte, darüber wir sie später selbst berichten.
Schon glaubte sie aller Noth entronnen zu sein, als sie ein Engagement am Theater der Celebritäten gefunden hatte und zwar unter dem Namen Elliorina, die schöngebaute Perle vom Lande.
Da wurde ihr das Diamantenhalsband übersandt.
Nun war sie der Hölle auf Erden überliefert.