Julius Stinde
Emma das geheimnißvolle Hausmädchen
Julius Stinde

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Erstes Kapitel.

Die Gräfin aus der Rue vieux Jacques.

Die vier andalusischen Rapphengste in blitzendem Silbergeschirr und Sielen aus echt japanischem Lackleder flogen wie weiße Möven durch die Straßen Berlins, jenes großen modernen Babels, wo die Tugend neben dem Laster wohnt und die Konzerthalle neben dem Kriminalgebäude klingt, wo die Lokomotive der Stadtbahn in die Sonntagsruhe pfeift und das Auge des Gesetzes wacht.

Diese Rosse von edelstem Wuchse und herrlichster kastanienbrauner Farbe zogen eine Kutsche, deren Inneres mit echtem Goldplüsch ausgepolstert war, auf dem ein Frauengeschöpf von überirdischer Schönheit sich wiegte. Der feingeschwungene Mund, diese lächelnden Brauen, die feine Rundung der Wangen, das zarte Rosa des Halses vereinigten sich mit dem Wohllaut des sprechenden Auges zu einer bezaubernden Mosaik menschlicher Reize. Und doch . . .

Und doch war die Besitzerin solcher Schätze, die einen Sultan mit sechs bis sieben Roßschweifen zu ihrem Sklaven gemacht hätte, wäre einer dagewesen, nicht glücklich. In ihrem Auge perlte eine Thräne, tausendmal schöner als die nußgroßen Perlen, die ihren mondscheinweißen Nacken umschlangen, strahlender als die echten Riesenbrillanten, die in Gestalt eines Diadems das üppige aschblonde Haar krönten, das, nach der neuesten Mode gemacht, noch geschmackvoller war als das Reichstagsgebäude.

Warum diese Thräne? Warum?

Das Gefährt hielt. Dampfend gehorchten die feurigen Trakehner dem festen Zügelgriffe des Kutschers. Sie spürten seine Gewalt und standen. Aber sie sahen nicht den tückischen Blick ihres Bändigers, den er auf die aussteigende Schönheit warf. Sie vernahmen nicht, wie er leise höhnisch murmelte: »Nun ist sie auf ewig verloren.«

Nein, sie sahen und hörten diese Schändlichkeit nicht. Sonst wären die edlen Geschöpfe, übermannt von gerechtem Zorne, durchgegangen, über die Straße weg in den Delikatessenladen hinein, Alles zermalmend: das Schaufenster, die Artischocken, die Mandarinen, die Kieler Sprotten, die Konserven, sich, den Wagen, den Kommis, den Besitzer, zumal jedoch den heimtückischen Kutscher!

So aber standen sie lammfromm, das Bild eines gut bevormundeten Staates.

Die schöne Dame schritt in das Haus hinein. Ihre seidene Schleppe rauschte – das Meter unbezahlt 32 Mark 50 Pfennige – ihr Busen hob sich wie in Angst.

Sie machte Halt, als wollte sie umkehren.

War kein guter Genius vorhanden, der ihr zurief: »Kehre um, Du bist auf falscher Bahn«?

Nein. Kein Genius thut heute etwas ohne Honorar.

Sie hatte kein Geld. Woher auch sollte sie welches haben?

Freilich war sie die Zweite in der ersten Reihe des Operettenchors mit einer glänzenden Gage von vierzig Mark monatlich, aber nur, indem sie außerordentlich rechnete, konnte sie hiermit auskommen. Für gute Geniusse hatte sie nichts übrig, und wenn sie noch so sehr darbte.

Aber sie kam aus.

Auf dem Sterbebette hatte ihre Mutter gesagt: »Emma, die Tugend ist der größte Schatz. Wahre ihn wohl.« – Dies versprach sie. Und sie hielt Wort. Denn sie hatte einen felsenfesten Charakter.

Der Leser wird wohl schon ahnen, daß die schöne reiche Dame keine andere ist als Emma.

Woher aber das seidene Kleid, die Edelsteine, die Equipage, die vier Grauschimmel?

Die Tugend hatte sie so weit gebracht.Nach dem Berichte eines Augenzeugen.

Der Graf Szmoltopski sah sie in ihrer entzückenden Reinheit, erste Reihe, die Zweite im Operettenchor. Der Graf war ein Operettenkenner, er war zwanzig Mal im »Obersteiger« gewesen und immer noch ziemlich geistig so, wie er stets zu sein pflegte.

Er bot ihr sämmtliche Einkünfte seiner unter dem schönsten Sequester stehenden Güter, allein sie lehnte ab.

»Ich will nicht Deinen Reichthum,« sprach sie, »ich will Dein Herz.« Er sank zu ihren Füßen. Thränend rief er aus: »Nimm mich hin.«

Sie nahm ihn.

Er gab ihr seinen Namen in aller Stille und Niemand ahnte, als sie am nächsten Abend wieder auftrat, daß die einfache Emma Siebenklietsch aus der Ackerstraße eine wirkliche, echt angetraute Gräfin Szmoltopska sei.

Sie aber war glücklich und erduldete alle Verleumdung.

Nie nahm sie ein Geschenk vom Grafen, nicht das geringste. Sie blieb sich treu, indem sie nur seine Liebe begehrte und erwiderte.

Alles, was sie sonst gebrauchte, die Brillanten, die Equipage, die vier Isabellen, das bestritt sie von ihrer Gage. Denn sie war ökonomisch; sie konnte rechnen. Ja, sie nahm den Grafen Szmoltopski hauptsächlich, weil auch ihr Name mit einem S. anfing und deshalb die Kosten erspart wurden, die das Umzeichnen der Wäsche und ihrer vier Dutzend seidener Strümpfe verursacht hätte.

Dies hatte sie von ihrer braven Mutter erlernt, deren Segen sich wunderbar an ihr bewährte. Der Eltern Segen baut den Kindern nicht immer Häuser, er verhilft ihnen aber oft zu schönen Miethswohnungen. Der Graf und die Gräfin Szmoltopski wohnten glanzvoll in der Alten Jakobstraße, erstes Quergebäude, erste Etage.

Natürlich bezahlte Emma die Miethe und zwar pünktlich.Aus den Polizeiakten.

Sie nahm prinzipienhaft vom Grafen nichts als seine Liebe.

Und doch sollte dieser Friede heimtückisch gestört werden.

Gerade in der Zeit, als die Leute vom Theater unter die Gesindeordnung gestellt wurden, erschien über Emma's künstlerische Leistung eine vernichtende Kritik, worin stand: bei dem Auftreten des Chors der Blumenmädchen wäre ihr Röckchen mindestens zwei Centimeter länger gewesen als die ihrer Kolleginnen, wodurch das ästhetische Gefühl der Parkettgreise auf das Empfindlichste verletzt worden sei.

Am nächsten Morgen sagte der Herr Direktor: »Siebenklietschen, Sie sind hiermit gekündigt. Nehmen Sie ihr Dienstbuch und meiden Sie mein Kunstinstitut.«

Die Gräfin lächelte. Sie glaubte an einen Scherz. Als sie aber das Dienstbuch aufschlug und las: »Entlassen wegen Ueberschreitung des theatralischen Anstandes«, stürzte sie besinnungslos dermaßen nieder, daß die Brillanten aus ihrem echten Schildpattkamm flogen.

Als sie wieder zu sich kam, murmelte sie nur das eine Wort:

»Brotlos!«

Am nächsten Morgen ließ sie die Schecken anspannen und fuhr nach dem Miethskontor. Sie wollte, sie mußte einen Dienst haben. Durfte sie Szmoltopski ruiniren?

Nein. – Wahre Liebe ruinirt nicht.

Würde es ihr gelingen, einen Dienst zu erlangen?

Sie zitterte, als sie die Treppe hinaufstieg.

Sie betete zu dem Andenken ihres verstorbenen Mütterleins.

Dann trat sie ein.

Die Inhaberin des Miethskontors empfing sie mit ausgesuchter Grobheit.

Die Gräfin wollte empört erwidern, aber sie besann sich, daß sie unter dem Gesindegesetz stand und bezwang ihren nur zu gerechtfertigten Unmuth.

Sie war ja so edel.

Eine Bürgerfrau trat auf sie zu, um sie zu miethen. Ihr Herz klopfte erfreut. »Mein Gebet ist erhört,« dachte sie.

»Wir wohnen drei Treppen,« sagte die Frau, »wird Ihre Schleppe Sie nicht scheniren?«

»O nein,« erwiderte die Gräfin,»ich lasse einen Lift einbauen.«

»Und wie ist es mit dem Stiefelputzen?«

»Ich trage nur Patentleder.«

»Und das Kleiderbürsten? Besorgen Sie das ordentlich? Dem Herrn seine Hosen sind bei schlechtem Wetter ziemlich klaterig.«

Die Gräfin entfaltete ihren Fächer, so daß die Ponceau-Atlasseite ihr zugewandt war und einen rosigen Schein auf ihr alabasterweißes Antlitz warf. Aber diesmal verfehlte der Erröthungsfächer seine Wirkung.

Die Frau war farbenblind!

»Schön, daß Sie sich nicht zieren,« sagte sie, »hier ist der Miethsthaler.«

Die Gräfin streckte zitternd die Hand aus, das Geld zu empfangen, das sie in so unwürdigen Dienst brachte, und flüsterte: »Für Dich, Szmoltopski, für Dich!«

Sie, die sich niemals auf der Bühne küssen ließ als höchstens von einem Schauspieler in Väterrollen, that Alles für »ihn«.

In demselben Augenblicke aber geschah etwas Schreckliches.

Der Fußboden öffnete sich.

Die Gräfin versank mit einem Angstschrei in einen Abgrund.

Dann schloß die Klappe sich wieder. Kein menschliches Auge vermochte die Fugen zu entdecken. – –

Der Kutscher stieß ein teuflisches Gelächter aus, als er den Schrei vernahm. Triumphirend schlug er auf die vier Füchse ein und jagte nach Hause.

»Wo ist die Gräfin?« fragte der Graf Szmoltopski, als der Wagen schaumbedeckt in der Alten Jakobstraße hielt.

Statt aller Antwort zog der Kutscher seinen linken Stiefel aus und schlug dem Grafen den ganzen Unterkiefer weg.

»Haltet den Dieb!« schrie der Graf mit letzter Anstrengung.

Der Kutscher aber war verschwunden.

Zwei Schutzleute kamen und brachten den Grafen wegen Verleumdung auf die Wache. Denn gestohlen hatte der Kutscher nicht.

»Wie können Sie hier ohne Unterkiefer antreten?« fragte der Wachtmeister strenge.

Szmoltopski schüttelte das Haupt. Er konnte ja nicht sprechen.

Und nie wieder küssen. – Nie, wenn es nicht gelang, den Unterkiefer wieder anzuheilen.

Wo aber war der Kiefer?


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