Julius Stinde
Emma das geheimnißvolle Hausmädchen
Julius Stinde

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++


 
Dreizehntes Kapitel.

Die Erbschleicher.

Wir müssen die Ereignisse nachholen, die sich inzwischen im Hause der Klosterstraße begaben.

»Herein,« rief Susanne.

Der Vermummte trat ein.

Wie gebannt blieb er stehen.

War es Wirklichkeit oder ein Traum, was er erblickte?

Auf einem mit schwarzem Sammt überdeckten Lager von daunenweichen Kissen lag eine Gestalt hingegossen, so athemberaubend schön, daß selbst die Uhr stand.

Ein mattgrauer Stoff verhüllte in schmiegsamen Falten die formenreinen Glieder, deren Umrisse sich eine Venus nicht hätte zu schämen brauchen. Nur der rechte bloße Fuß hob sich in bildhauerischem Ebenmaße und vollendeter Zierlichkeit marzipanweiß von dem tiefen Schwarz des Sammets ab. Den engelsschönen Kopf stützte die feingeformte rechte Hand, die in einen sanft gerundeten Arm überging. Eine Prachtfülle goldblonden Lockenhaares fiel über die Hand und den Arm auf den seerosenweißen Busen, der wie athmender Marmor sich hob und senkte. Die thränenfeuchten, seelenvollen Augen dieser berückenden Schönheit richteten sich in Inbrunst auf das Zeichen der Vergänglichkeit, auf einen weißgebleichten Todtenschädel, in dessen leeren Augenhöhlen der Todtenwurm hauste.

War dies Alles nur ein Bild oder war es die büßende Magdalene selbst?

So fragte sich auch der Vermummte, der wie an den unter der Verkleidung hervorstehenden Sporen ersichtlich, kein Anderer war als Fritz, Amelie Schwudicke's leichtsinniger Neffe.

»O Susanne!« rief er.

»Ha!« fuhr Susanne auf. »Weiche! Du bist der Rechte nicht!«

»Ja, ich bin es,« entgegnete er. »Ich liebe Dich mit aller Gluth eines Kavallerieoffiziers; ich werde Dich glücklich machen und sei es am Traualtare.«

»Verwegener!« erwiderte Susanne. »Erblicke hier den Todtenschädel, den ich stets als Amulet mit mir führe, dessen bluterstarrender Anblick mich schon einmal aus der von einem Schutzmann drohenden Gefahr errettete. Beachte wohl die Plomben aus echtem kalifornischem Golde in den beiden Vorderzähnen, daran erkennst Du den Unterkiefer meines Gatten. Ich bin nicht frei.«

(Die frivole Antwort Fritzen's können wir hier nicht wiederholen, sondern nur darauf hinweisen, daß er eifriger Stammgast des Residenztheaters war.)

Susanne blickte ihn traurig an. »Mißgeleiteter Krieger,« sprach sie, »obgleich Du der Meinung bist, die Ehe sei nur da, daß sie zerstört werde, so will ich Dir doch verzeihen und zwar aus Rache.«

»Ich will Deine Liebe.«

»Unbesonnener, noch einen Schritt und Deine ganze Zukunft ist vernichtet. Willst Du die Millionen Deiner Tante für ewig verlieren, so rühre mich an.«

Fritz lächelte ungläubig.

»Verbünde Dich mit mir zur Rache, edler Held,« sprach Susanne. »Man hat mich von meinem Gatten getrennt, man hat mich zur Amme erniedrigt, jetzt bin ich barmherzige Schwester und dies Alles nur, um . . . .«

Susanne schwieg plötzlich. »Horch,« flüsterte sie, »hörst Du nicht schlurfende Schritte auf dem Gange?«

Fritz nickte zustimmend, nachdem er eine Weile gelauscht hatte.

»Sie sind es,« sprach Susanne mit leisem Grauen, »allnächtlich in der Stille vernehme ich sie. Und weißt Du, wer sie sind?«

»Nein,« sagte Fritz, dem sich die Haare gesträubt hätten, wären sie nicht zu kurz geschnitten gewesen.

»Sie stellen Deinem Vermögen nach, dem Gelde und dem Testamente der Tante . . . es sind Erbschleicher.«

»Täuschst Du dich nicht?« sagte Fritz.

»Thor,« erwiderte Susanne. »Die Thatsachen werden Dir die Wahrheit meiner Worte beweisen.«Später wurden im Hause in der Klosterstraße wirklich mehrere Paar Filzpariser gefunden, die nach der Aussage eines gewiegten Kriminalisten keinem anderen Zwecke gedient haben können.

Fritz konnte nicht länger zweifeln. Susannens Seelengröße hatte sein besseres Selbst in ihm erweckt. Sie, die er durch Sinnenlust, wenn auch nicht in böser Absicht, zu verderben gedachte, rettete sein Vermögen und damit seine ganze Karriere. Ueberwältigt von so viel Edelmuth, fiel er Susanne um den weißen Schwanenhals und weinte heiße Reuethränen, die herrlicher auf dem keuschen Alabasterbusen Susannens erglänzten, als ein echter Perlenschmuck bis zu fünftausend Mark vermocht hätte.

Es war ein nicht mit Worten zu beschreibender Weiheaugenblick, dieser Sieg der Tugend, den jedoch ein leises seltsames Klopfen auf die Thürklinke jäh unterbrach.

Wonnestunden sind oft, wie so manches Irdische, zu kurz.

»Das ist das Zeichen,« raunte Susanne. »Verbirg Dich in der Nebenkammer und wenn ich rufe, eile zur Hilfe herbei.«

Fritz verschwand hinter der Tapetenwand. Kaum hatte Susanne ihre Stellung als büßende Magdalene wieder eingenommen, als der Jesuit eintrat.

»Wozu diese Schaustellung?« fragte er strenge.

»In das Sinnbild des Grabes versunken, fliehe ich die Versuchungen der Welt.«

»Wir spielen selbst Komödie,« entgegnete er spöttisch. »Warum ließest Du mich rufen? Was ist Dein Begehr?«

»Gieb mir meine Freiheit wieder, löse meinen Eid.«

»Unmöglich. Dem Orden sind Deine Dienste unentbehrlich. Hast Du diese geleistet, bist Du frei.«

»Was soll ich thun?«

»Amelie Schwudicke so lange mit der Hölle, dem Fegfeuer und der ewigen Verdammniß graulen, bis sie uns Hab und Gut vermacht.«

»Was wollt Ihr mit Geld und Gold, da Ihr doch das Gelübde der Armuth abgelegt habt?«

»Eben weil der Arme Geld gebraucht,« antwortete er spitzfindig.

Susanne warf sich ihm zu Füßen. Das graue Gewand sank von ihren rosigen Schultern, ihre Lilienarme erhoben sich bittend: »Gieb mir meinen Gatten wieder.«

»Seine Explosion ist nur eine Frage der Zeit.«

Susanne seufzte. Das graue Gewand glitt weiter herab, aber im höchsten Grade decent.

»Laß den Gespielen meiner Jugend, laß Nordhäuser nicht länger im Kerker schmachten.«

»Nordhäuser ist bereits in Afrika. Was Du in jenem unterirdischen Gemache sahest, war seine Nachbildung in Wachs.«

»Teufel,« wollte Susanne rufen, aber sie bezwang sich, um ihr Spiel nicht zu verlieren. Sie lächelte. Wer konnte diesem Lächeln widerstehen?

Der Jesuit war in den besten Jahren.

Susanne lächelte noch bezaubernder.

Es war um ihn geschehen. Mit wildem Feuer preßte er die schöne Büßerin an sich.

Plötzlich erfüllte eine blitzartige Helle das Zimmer.

»Was war das?« rief er.

»Soeben bist Du photographirt. Das Bild sende ich an den Ordensgeneral als Beweis, daß Du das Gelübde der Keuschheit zu brechen bereit warst, und ich bin wieder was ich war: Emma, Gräfin Szmoltopska

»Als Du im Grunewald in der verfallenen Kapelle dem Grafen die Hand reichtest, traute Dich kein rechter Priester, sondern eine Kreatur im priesterlichen Ornate. Deine Ehe ist nichtig. Du bist, was Du warst: Emma Siebenklietsch

»Szmoltopski ist mein Gatte durch meine Treue,« rief Emma groß und erhaben. »Du aber, Sklave, besiegt durch meine Schönheit, Du hast Dein Gelübde gebrochen. Dich erwartet das Urtheil Deiner Oberen.«

»Alles, was zum Nutzen des Ordens geschieht, wird vergeben. Verbrechen verwandeln sich in Verdienst. Warum bist Du so sündhaft schön? Du mußt die Meine werden.«

Er drang auf sie ein. Wie eine Verzweifelte wehrte sich Emma. Schon erlahmten ihre Kräfte.

»Hilfe!« schrie sie, »Hilfe!«

Mit einem gewaltigen Tritt sprengte Leutnant Fritz die Tapetenthür. Wie der Kriegsgott selbst stand er da, den Schnurrbart schneidig aufgerichtet, mit funkelnden Augen, in jeder Hand einen sechsfach geladenen Revolver aus der mit Recht berühmten Waffenfabrik von Loewe & Co.Preisgekrönt, mehrfache Medaillen und Auszeichnungen. und zielte scharf auf den zurücktaumelnden Jesuiten.

»Ha!« rief Leutnant Fritz in wildem Spotte. »Nennst Du, Elender, solches Betragen gegen eine Wehrlose Heiligung des Sonntags?«

Das Antlitz des Jesuiten verzerrte sich zu einer schrecklichen Fratze. – Denn er konnte nicht leugnen; es war Sonntag!

»Dies nenne ich Sabbathschändung,« fuhr Fritz mit tödtlichem Hohne fort.

Der Hohn wird tödtlich, sobald er wahr ist.

Der Jesuit rüstete sich wie ein Jaguar zum Sprunge. Dem Leutnant an die Kehle fliegen, ihn erdrosseln und würgen, bis die schönen blauen Augen wie rothe Radieser aus ihren Höhlen quollen, ihn mit den gelben Knochenfingern ermorden, das war seine Absicht.

»Rühre Dich nicht, oder ich schieße Zentrum,« rief Fritz, der selbst in dieser Situation so kaltblütig blieb, daß er einen für den Reichstag brauchbaren Witz machen konnte. Emma aber brach mit einem Wehschrei zusammen.

Diesen Augenblick benutzte der Jesuit, auf Fritz loszuspringen, sein gräßliches Vorhaben auszuführen.

Aber er kam nicht weit.

Krach! Krach!! Krach!!!

Von drei Kugeln durchbohrt, wälzte das Scheusal sich in seinem Blute.

»Rache,« röchelte er. »Rache. Ich – habe – Hintermänner! – Rache!«

Mit diesen Worten hauchte er seine schwarze Seele aus.

Die Lichter brannten düster. Der Todtenschädel grinste. Tiefe Stille war eingetreten.

Emma kam langsam wieder zu sich. Sie erhob sich, richtete sich bleich empor, blickte Fritz mit dem Ausdrucke jammervollsten Entsetzens an und fragte dumpf: »Was hast Du gethan?«

»Die Welt von einem Ungeheuer befreit und Dich gerettet,« antwortete dieser frei und offen.

»Aber Du bist verloren,« rief Emma, »und ich bin mit Dir dem Untergange geweiht. Wehe uns!«

»Ich fürchte mich nicht!«

»Weil Du die furchtbare Macht nicht kennst, deren Zorn Du auf Dich geladen hast. Ich aber, die ich, durch schauerliche Eide gezwungen, in ihrem Dienste stehe, ich kenne ihre Gewalt, die sie durch List und Ränke zu schaudervoller Geltung bringen.«

»Mich schützt der Staat!« rief Fritz groß.

»Im Gegentheil; er muß Dich verfolgen!« jammerte Emma. »Wie kann der Staat die Jesuiten wieder einführen, wenn Du sie todtschießest? Mit Deinem Avancement ist es aus. Du hast Dich an einer gleichberechtigten Partei vergriffen. Das wird Dir nimmer verziehen. Unglücklicher Jüngling, was hast Du gethan?«

Jetzt wurde Fritz klar, daß er zu weit gegangen war. Aber warum hatte er sich ungenügend mit Politik beschäftigt?

»Und mich,« fuhr Emma klagend fort, »mich werden sie in ihre Marterkammern schleppen, den blühenden Leib mit glühenden Zangen zwicken, mit eisernen Hakengeißeln die zarte Hut zerfleischen und mich –« krampfhaftes Schluchzen erstickte ihre Stimme – »zur Nonne machen. Weißt Du, was das heißt: Nonne?«

»Alles, nur das nicht,« rief Fritz. »Das darf nicht geschehen. Du bist zu schön zur Nonne, zu schön!«

»Wir müssen fliehen,« wisperte Emma, sich in Angst und Noth an ihn schmiegend.»Nur in der Flucht ist Heil.« Und laut setzte sie hinzu: »Wie preise ich das Geschick, daß ich in die Schliche der Jesuiten eingeweiht bin. Im anstoßenden Gemache findest Du Alles, was zur Verkleidung nothwendig ist. Rasch, rasch, Fritz, jede Minute ist kostbar.«

Plötzlich hielt sie inne und betrachtete ihn wehmuthsvoll. »Aber Dein Schnurrbart muß fallen; der würde Dich verrathen.«

»Um keinen Preis,« rief der Leutnant.

»Es muß sein. Wie aber entfernen wir ihn?«

»Ich habe stets mein TaschenrasirzeugEingetragenes Warenzeichen; Nachahmung wird verfolgt. D. R. P. M. W. G. bei mir.«

»Das ist ein Wink des Himmels. Eile Dich. Fritz, eile Dich.«

Während Fritz sich in das Nebengemach begab, wechselte Emma ihr Kostüm, und in kurzer Zeit verwandelte sich die hochdramatische Gestalt der büßenden Magdalena in ein anspruchsloses, einfach gekleidetes, dienendes Wesen, in eine zum Verwechseln ähnliche Magd. Emma war wieder, was sie oft gewesen . . . . das geheimnißvolle Hausmädchen.

Jetzt trat der Leutnant ein. Emma stieß einen Freudenschrei aus. »Gerettet,« rief sie. »Niemand vermag Dich zu erkennen, vom Nachtwächter aufwärts bis zum Kriminal-Reporter.«

So war es in der That. Wer hätte vermuthet, daß diese dralle Köchin in dem Rosakattunkleide mit weißer Schürze und niedlichem Hamburger Häubchen auf dem krausgelockten Köpfchen der Leutnant Fritz sei? – Nur wer es wußte. Und dies war Emma allein.

Oder vielleicht noch Jemand?

Hatte die auf dem Boden liegende blutige Leiche nicht soeben verdächtig geblinzelt?

Oder war es Täuschung?

Weder Fritz noch Emma hatten es bemerkt. »Du bist nun meine Schwester Friederike,« sprach Emma und gab ihm zwei Verwandtschaftsküsse auf beide Wangen, die sie nicht um eine Million mit ihren Lippen berührt hätte, wenn sie noch wie kurz vorher, mannhaft von dem Schnurrbart beschattet gewesen wären.

Emma hielt Eins vor Allem hoch.

Ihre Tugend.

Emma löschte die Lichter und zog Friederike – so werden wir Leutnant Fritz von jetzt an nennen – an der Hand die Treppe hinunter, in das Schlafgemach der Tante Schwudicke, vor deren Bette sie niederknieten.

»Gelobe mir bei dem Scheine der Nachtlampe und dem unschuldsvollen Schlummer Deiner Tante stets reinste Schwesterliebe zu widmen,« sprach Emma. »Durch dieses Gelübde allein werden die Pläne unserer Feinde zu schanden und erreichst Du ein hohes, herrliches Ziel.«

»Ich gelobe es,« erwiderte Friederike. »Aber . . .«

»Kein ›Aber‹! Das geringste ›Aber‹ würde mich zwingen, Dich zu verlassen. Und nun komm', wir haben eine weite, gefahrvolle Wanderung vor uns.«

»Wohin?« fragte Friederike

»Nach der Wuhlhaide. Dort sind wir geborgen.«


 << zurück weiter >>