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Das große Sterben schien vorüber zu sein. Nur noch zehn Leute waren von all den vielen am Leben, die damals am Ufer gestanden und den Brand der Kermadec beobachtet hatten. Aber eines Nachts wurde Le Moan, die bei Kanoa schlief, von Katafa geweckt.

Katafa weinte.

Sie faßte Le Moan bei den Händen, zog sie empor, ohne Kanoa zu wecken, und führte sie zu dem Haus, bei dem noch immer der Gott Nan auf seinem Pfosten wachte und in die mondbeschienene Nacht hinausgrinste.

In dem Haus lag Taori auf einer Matte und warf sich von einer Seite zur anderen. Er sprach fremdklingende Worte.

Er redete in der Sprache seiner frühen Kindheit und rief nach Kearney, den er längst vergessen hatte. Aber jetzt erinnerte er sich plötzlich an ihn.

Die grüne Krankheit hatte auch Taori gepackt. All die vielen Tage hatte er ihr Widerstand geleistet, aber nun war er ihr doch unterlegen.

Le Moan stand in der Tür. Der Mond schien über ihre Schultern in das Innere und auf den Kranken, der auf der Matte lag. Am Riff rauschte die Brandung, und in den Bäumen raunte der Wind, aber Le Moan hörte nichts, sah nichts und fühlte für einen Augenblick auch nichts mehr.

Taori lag auf der Matte, sprach fremde, unverständliche Worte und warf den Kopf von einer Seite zur anderen.

Wie ein Ertrinkender kurz vor seinem Tod sein Leben noch einmal vor sich sieht, so erkannte Le Moan plötzlich wieder die Welt um sich, die Welt, die sie gekannt hatte, bevor sie ihr abgestorben war.

Taori lag im Sterben; das Herz, das sie sich ausgerissen hatte, schlug wieder in ihrer Brust, und wieder fühlte sie die Liebe, die nur Taori gegolten hatte.

Taori lag im Sterben – er sollte gehen wie all die anderen. Und nur sie war daran schuld, sie, die diesen Fluch auf Karolin heraufbeschworen hatte. Sie war es, durch die Le Juan immer noch Tod und Verderben brachte.

Und so groß war die Macht dieses Gedankens, daß er in ihr den leidenschaftlichen Wunsch überschattete, sich neben Taori auf die Knie zu werfen und ihn in die Arme zu nehmen. Allen hatte sie Unglück gebracht, Peterson, Rantan, Carlin, Poni, Tahuku und Tirai – allen, mit denen sie in Berührung gekommen war. Auch Aioma – und zuletzt Taori.

»Taori liegt im Sterben – Ai amasu Taori«, seufzte der Wind in den Bäumen. Seine Stimme mischte sich in die schluchzenden Klagen Katafas und in die hohl und dumpf klingenden Worte Taoris, der dauernd sprach und sprach, als ob er auf dem Riff mit Kearney wandelte, in einem Land, das Katafa nicht kannte.

Ai amasu Taori – und sie durfte es nicht einmal wagen, ihm Lebewohl zu sagen. Um ihn zu retten, mußte sie gehen. Sie mußte ihn unberührt lassen, denn das Netz Le Juans war noch nicht zerrissen, und die Speere Uta Matus waren noch nicht stumpf geworden.

Selbst wenn sie auf ihn niederschaute, bedeutete es Unheil, und doch konnte sie den Blick nicht von ihm wenden.

Ai amasu Taori – eine große Welle, die sich an dem Korallenfelsen brach, schrie die Worte in die Nacht hinaus und brach den Bann. Le Moan wandte sich an Katafa, die herzzerreißend schluchzte.

»O Katafa«, sagte sie ganz leise, »Taori wird nicht sterben – ich werde ihn retten. Die Netze des Todes sind für ihn ausgespannt, aber ich will sie zerreißen.«

Als sie diese Worte sprach, beruhigte sich die Stimme des Kranken plötzlich.

»Ich, die dieses Übel gebracht hat«, hörte Katafa und wußte nicht, was diese Worte zu bedeuten hatten. Taori sprach jetzt mit einer anderen Stimme, die sie verstehen konnte. Sie ging ins Haus, ließ sich an seiner Seite nieder und legte ihre kühle Hand auf seine Stirn.

Le Moan aber wandte sich dem Ufer zu. Nacht lag über Karolin, und Mondlicht rieselte über die sandigen Ufer.

Fern zur Rechten lag das Kanu, das beinahe vollendet worden war, links das kleine, schwarze Boot des Schoners. Und zu diesem ging Le Moan.

Die Flut war auf ihrem höchsten Punkt angelangt und berührte beinahe den Kiel des leichten Fahrzeugs. Der Sand war fest, und obwohl das Boot unheilvoll war, konnte es ihr keinen Widerstand leisten. Bald hatte sie es ins Wasser geschoben und trieb es mit einem Ruder hinaus. Dann richtete sie das Segel, zog es hoch und steuerte so, daß der Wind es füllte.

Die Brise war günstig, und die Ebbe begann. Alle Dinge halfen ihr nun, weil sie gesiegt hatte. Der Tod konnte ihr nichts mehr anhaben, denn sie gehörte ihm.

Zu ihrer Rechten lag die mondbeschienene südliche Küste, von der sie an jenem Morgen mit Peterson abgefahren war. Damals hatte sie sich zu Tode gefürchtet; heute fühlte sie keine Furcht. Vor ihr lag das weite Tor des Morgens. Eine Möwe, die noch in der Nacht flog, schrie über ihr, als sie durch die Brandung der Ausfahrt entgegensteuerte. Bald hatte Le Moan das Tor hinter sich. Wind und Flut trieben sie auf das Meer hinaus.

Als sie so weit entfernt war, daß sie weder der Wind noch der Zufall nach Karolin zurückbringen konnten, zog sie das kleine Segel ein, löste den Mast und warf ihn mit dem Segel über Bord. Die Ruder folgten. Dann legte sie sich nieder und gab ihre Seele in die Macht, durch die die Stammesgenossen ihrer Mutter Erlösung gefunden hatten, wenn sie müde von dieser Welt ihr Gesicht von der Sonne abkehrten.

*

Die Leute erzählen, daß nordwestlich von den Paumotu-Inseln eine große, sagenhafte Koralleninsel liegen soll. Kapitäne haben bei Tag eine langgestreckte Reihe von Palmbäumen gesehen, aber eine Gegenströmung ließ sie nie so weit vordringen, daß sie eine Korallenküste entdecken konnten. Und bei Nacht hörten Perlfischer eine Brandung an einem unbekannten Ufer. Und jedesmal folgte darauf ein Wind, der sie von diesem geheimnisvollen Land fernhielt.

Karolin – wer kennt sie, die Insel der Träume, die durch Le Moans Opfer der Zivilisation verschlossen ist, damit die Kinder Taoris und ihre Nachkommen ihr entgehen sollen? Eine in hellem Sonnenschein strahlende Küste ist es, die nur mir leuchtet; Aioma verwandelt dort Baumstämme in Kanus, und ich genieße dort, fern dem Lärm der Städte, eine Freiheit und Frische, die wir längst verloren haben. Und ich sehe das sieghafte Licht, das nur durch das Tor des Morgens strömt.

 

Ende

 


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