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[8]

Le Moan steuerte unermüdlich. Den ganzen Tag und die folgende Nacht hielt sie das Rad in der Hand und übergab es Poni nur für kurze Pausen. Taori schlief während dieser Zeit.

Sie hatte ihm das Leben wiedergeschenkt, und es war fast, als ob sie ihm ihr eigenes Leben gegeben hätte, denn die Welt ringsum hatte sich für sie in die Welt der Geister verwandelt, die keinen Körper mehr besitzen. Sie sind nicht tot, aber auch nicht mehr mit 5er Erde verbunden.

Den Tod und die Furcht vor dem Unbekannten hatte sie tapfer überwunden, nur um sich am Ende dem Nichts – dem Tode gegenüberzusehen, der ihr zurief: »Taori gehört mir – oder Katafa.«

Wie die Mutter des Kindes, die vor König Salomo stand, mußte Le Moan wählen, ob sie das Geliebteste der Vernichtung preisgeben oder es der Rivalin überlassen wollte, und sie entschied sich für das größere Opfer. Nicht, weil sie, Le Moan, ein außergewöhnliches oder übernatürliches Wesen, sondern weil sie im innersten Herzen ein Weib war.

Sie handelte als Frau, als sie auf diese furchtbare Probe gestellt wurde, nicht als Einzelwesen, sondern als Vertreterin ihres Geschlechtes. Dieser Opfergeist hat sich durch unendliche Zeiten während der Entwicklung der Menschheit erhalten. Wenn eine Frau wirklich liebt, wird sie zur Mutter, selbst wenn sie niemals einem Kind das Leben schenkt.

Aioma schlief die ganze Nacht. Er hatte sich mit dem Gesicht auf das Deck gelegt und die Glieder weit von sich gestreckt, so daß er fast einem Seestern glich. Bei Sonnenaufgang erwachte er. Poni stand am Steuer, Le Moan war nach unten gegangen. Die Kabine hatte jetzt nichts Furchtbares mehr für sie. Bevor sie Poni das Steuer übergab, zeigte sie nach Nordwesen und sagte: »Du wirst das Licht der Lagune dort sehen.«

Taori schlief noch immer vorn neben dem Eingang zur Schiffsküche, Tahuku und Tirai hatten die Wache.

Die Schönheit dieses Sonnenaufgangs auf der dunkelblauen, einsamen See sah Aioma nicht.

»Karolin liegt dort«, sagte Poni zu ihm und zeigte mit dem Arm genau in die Schiffsrichtung, »aber man sieht es noch nicht.«

Aioma ging zum Vorderschiff und schaute nach Nordwesten. Nein, man konnte es noch nicht sehen. Erst wenn die Sonne höher stieg, würde es sich zeigen. Aber plötzlich entdeckte er etwas anderes am Horizont in ihrer Fahrtrichtung. Es sah zuerst aus wie ein Fels, der aus dem Meer ragte, aber bald bemerkten seine scharfen Augen, daß es ein Schiff war, eine ayat der Papalagi. Aber es hatte keine Segel gesetzt.

Und hinter dem fernen Schiff tauchte jetzt im Norden das ersehnte Bild auf, nach dem er schon so lange Ausschau gehalten hatte – das Licht der Lagune von Karolin. Der kaum wahrnehmbare Glanz am Himmel zeigte sich genau an der Stelle, die Le Moan vorausgesagt hatte.

Aber die fremde ayat zerstörte Aiomas Freude. Er fühlte sich durch die Erscheinung dieses Schiffes bedroht.

Er wollte nichts mehr mit Schiffen zu tun haben. Die Erlebnisse auf dieser unglücklichen Fahrt hatten ihn zu den Kanus zurückgebracht. Schon vor Tagen hatten ihm seine Vorfahren im Traum zugerufen: »Aioma, du bist ein Narr; du hast die Kanus deiner Väter verraten für die ayat der Papalagi. Nun sieh, wie sie dich betrogen hat! Und warum? Weil sie eine Erfindung der verfluchten weißen Männer ist, die Karolin immer schweres Unglück gebracht haben. Wenn wir dich fassen könnten, Aioma, würden wir dich draußen an das Riff binden, den Haifischen zum Fraß. Du verdientest eine solche Strafe.«

Er hatte nichts davon gesagt, weil er niemals einen Fehler eingestand.

Und nun lag in ihrer Fahrtrichtung eine andere ayat, die ihnen den Weg nach Karolin versperrte und ihnen sicher Unannehmlichkeiten und Sorge bringen würde.

Was sollten sie tun? Umwenden und fliehen? O nein! Aioma hatte mit großen Rochen gekämpft, und er war glücklich, wenn er die großen Meeraale erlegen konnte. Er kehrte der Gefahr nicht den Rücken, besonders nicht im Angesicht von Karolin.

Dieses Schiff fuhr genau in seiner Richtung, als ob es ihn reizen wollte, und er nahm die Herausforderung an. Sie hatten doch die sprechenden Stöcke, und sie waren sieben Mann an Bord ohne Le Moan. Wenn es zum Kampf kommen sollte, gut, er war bereit.

Ohne Taori aufzuwecken, rief er die anderen von unten herauf, zeigte ihnen das Schiff und beobachtete dann, wie es größer und größer wurde.

Jetzt konnte man es deutlich sehen. Es war eine Brigg, die alle Segel gerefft hatte, als ob sie sich auf einen Sturm vorbereitete. Wenn die Segel gesetzt waren, mußten sie vom Wind fortgerissen sein, denn es zeigte sich nichts als die nackten Rahen, während das Schiff leicht auf den Wogen rollte. Tahuku, der den scharfen Blick eines Habichts und den Instinkt einer Raubmöwe hatte, lachte plötzlich.

»Das Schiff ist ja unbemannt«, rief er. »Es ist kein Mensch an Bord. Aioma, du hast uns zum Kampf mit einer toten Schildkröte gerufen!«

Der alte Mann hatte dasselbe bemerkt, lief zum Vorderschiff und weckte Taori, der sofort aufsprang. Schlaf und Hoffnung hatten ihn wieder zu sich gebracht, aber als er bei den anderen stand, achtete er kaum auf das fremde Schiff. Seine Blicke hingen an dem Lichtschein der Lagune von Karolin.

Poni, der noch das Steuer führte, rief Le Moan. Sie kam herauf und schaute auch über die Reling. Die Brigg war nun schon ziemlich nahe. Sie war altmodisch gebaut, hatte ein hohes Hinterdeck, viel Takelage, Segelstangen und Rahen. In hohem, kühnem Bogen war das Vorderteil geschwungen. Der Schiffsrumpf, der sich auf den leichten Wellen wiegte, zeigte ein ganz verblaßtes, fast gespenstisches Grün. Sie sahen jetzt auch von Bord der Kermadec aus die Kupferplatten, die vollständig mit Tang und Schlinggewächsen bedeckt waren. Leer lag das verlassene Deck vor ihnen; keine Boote hingen an den Auslegekranen. Und als die Strömung die Lage des Schiffes änderte, hörten sie das Klappern einer Decktür.

Aioma wandte sich um, lief nach hinten, trat zu Poni ans Steuerrad und gab ihm Anweisungen. Der alte Mann haßte die Papalagi und hatte einen Plan gefaßt.

Dick, der den Blick von der Brigg nach dem Lagunenlicht von Karolin schweifen ließ, hörte plötzlich, daß die Segel klatschten. Der Steuermann drehte den Schoner bei, so daß er nicht mehr vor dem Wind lag.

Aioma wollte an Bord der ayat gehen und rief Tahuku und den anderen Befehle zu. Sie eilten zum Boot und ließen es aufs Wasser herunter. Gleich darauf ruderte er fort und rief und schrie wie ein ausgelassener Junge. Dann kletterte er wie ein Affe an der Seite des fremden Schiffes empor, nachdem er sein Boot befestigt hatte.

Was war das für ein seltsames Fahrzeug? Knochen von Toten lagen an Bord; die Möwen hatten das Fleisch gefressen. Ein Schädel, glattpoliert wie eine Marmorkugel, rollte über das Deck. Die Steuerkette rasselte, und die Tür des Deckhauses schlug laut.

Aioma hatte seinen Feuerstock und seinen kleinen Bogen mitgenommen. Eine Weile schaute er um sich, dann verschwand er im Deckhaus.

Er blieb vielleicht zehn Minuten dort, und als er sich dann wieder zeigte, kam eine Rauchwolke hinter ihm aus der Tür. Er hielt sie auf und sah in das Innere, bis ihm Feuerfunken ins Gesicht schlugen. Dann führte er einen Freudentanz an Deck auf, stieß den Schädel mit dem Fuß, daß er in die Speigatten rollte, und kletterte wieder in sein Boot. Singend ruderte er zum Schoner zurück.

Das Boot wurde nach oben gezogen; die Kermadec setzte ihre Fahrt fort und ließ die rauchende und brennende Brigg hinter sich.

Aioma saß auf dem Aufbau des Deckenlichtes zur Kabine und sang von den Knochen der Toten, von dem Schädel, den er mit dem Fuß gestoßen hatte, und von der ayat der Papalagi, die nun in Flammen aufging. Er sang auch von der Bosheit der weißen Männer, deren Werk er zerstört hatte. Dann legte er sich an Deck nieder und schlief ein. Hinter ihnen verschwand allmählich das Schiff, das vom Feuer verzehrt wurde, und vor ihnen wurde der Lichtschein von Karolin am Himmel immer größer.

Taori stand an der Spitze des Schiffes, und seine Seele flog der Kermadec voraus wie ein schneller Vogel, Katafa entgegen.

Als sie sich schließlich dem Tor des Morgens näherten, schob Le Moan Tahuku beiseite, der das Steuerrad handhabte. Denn nur sie allein kannte die Gefahren der Einfahrt, wenn Ebbe herrschte.

Die Wasserströmung war gegen sie gerichtet – ein letzter schwacher Versuch des Schicksals, Taori von seiner Geliebten zu trennen. Aber Le Moan bezwang die Strömung.

Die Kermadec segelte durch das Tor des Morgens, und die Lagune breitete sich in all ihrer Schönheit vor ihnen aus.

Katafa schlief. Vorher hatte sie Nächte lang kaum ein Auge geschlossen. Immer hatte sie nur auf das Meer hinausgesehen. Kanoas Rufe weckten sie.

»Sie kommen, Katafa, sie kommen!«

Sie stützte sich auf eine Hand und sah die untergehende Sonne, die durch die Bäume und die Sträucher schien. Ihre Blicke folgten Kanoa, der zum Ufer eilte.

»Sie kommen, sie kommen, Katafa!« rief ihr Kanoa über die Schulter zu.

Alle Einwohner des Dorfes warteten schon am Strand, und nun trat auch Katafa zu ihnen. Die Lagune lag vor ihr, und auf dem ruhigen Wasser segelte die Kermadec stolz der sinkenden Sonne entgegen. Alle Segel waren gefüllt, und als sie in einem Bogen zu ihrem Ankerplatz fuhr, zitterten die großen Leinwandflächen. Der Wind verließ sie, die Ankerkette rasselte.

Katafa war zumute, als ob sie träume. Das war wohl ein Schiff, aber nicht dasselbe, das Taori weggeführt hatte. Ihr Glaube an seine Rückkehr war gestorben. Düster und schwarz lag das Leben vor ihr. Es konnte nicht sein. So sicher, so ruhig konnte das Traumschiff nicht zurückkehren, das den Liebsten trug.

Das Boot, das abstieß, konnte nicht wirklich sein. Selbst als Taori ans Ufer sprang und Katafa in die Arme schloß, wollte sie es noch nicht glauben. Er war so unwirklich wie ihre ganze Umgebung. Erst sein Kuß erlöste sie aus allem Zweifel und gab ihr Gewißheit.

Niemand kümmerte sich um Le Moan, die ihre Aufgabe gelöst hatte. Sie stand am Ufer, schaute ins Leere und sah nicht einmal Kanoa, der halbtot vor Glückseligkeit im Sand saß und sie anstarrte wie eine Vision.


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