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Als sie zu dem Schoner zurückruderten, blendete sie die Sonne im Westen, aber sie konnten sehen, daß der Schwimmer sich wieder dem Ufer zuwandte. Eine Schar von Seemöwen hatte sich bereits dort angesammelt, um die Leichen der vier Kanakas zu zerfleischen, und immer neue flogen hinzu. Ihr unheimliches Gekreisch schallte durch die Luft.
Die großen Raubmöwen lassen sich nicht nieder, wenn sie eine Leiche fressen. Sie sind fast ständig in Bewegung, besonders wenn sie in Scharen auftreten.
»Das hat gerade noch gefehlt. So ein Lumpenkerl muß uns in die Flucht schlagen!« sagte Carlin und spuckte ins Wasser, während er weiterruderte.
Sie waren jetzt nahe beim Schiff. Den Tod der Kanakas konnten sie nicht verheimlichen, und sie wußten nicht, wie die anderen diese Tatsache aufnehmen würden. Außerdem konnte ihnen selbst der Verlust der Leute nicht gleichgültig sein, denn sie hatten vier Taucher weniger.
Als sie näher herankamen, zeigte sich niemand an Deck, nicht einmal Le Moan. Sie hatte sich in der Küche versteckt, als sie Rantan und Carlin zurückkehren sah. Dort saß sie und hatte die Augen geschlossen, als ob sie schliefe.
Den sechs Kanakas, die an Bord geblieben waren, hatte sie versprochen, sie zu warnen, wenn das Boot zurückkam. Aber das hatte sie längst vergessen. Ihre Seele war aufgescheucht und weilte in der Ferne wie ein Vogel, der sich im Nebel verflogen hat und keine Ruhe findet. Sie wußte, daß dies nicht das Ende war, obgleich das Boot zur Umkehr gezwungen worden war. Morgen würde der Kampf aufs neue beginnen. Die Zerstörung der Kanus, das mörderische Feuer vom Boot aus und der gehässige Gesichtsausdruck Rantans hatten ihr alles gesagt. Sie hörte den Schlag der Ruder, dann das leise Geräusch, als das Boot an der Schiffswand anlegte.
Carlin und Rantan kletterten über die Reling an Deck. Keiner der beiden sprach.
Carlin überschaute die Lage an Bord mit einem Blick: die Besatzung war in ihren Räumen, rauchte oder schlief; keiner gab sich Mühe, oben Wache zu halten. Das traf sich ganz gut. Wahrscheinlich hatten sie nichts von den Schüssen gehört oder doch wenigstens nicht gesehen, was vorgefallen war. Er kannte die Kanakas und wußte, daß sie sich sofort in ihre Räume zurückgezogen hatten, nachdem er und Rantan von Bord gegangen waren.
Carlin ging nach unten, um sich zu stärken. Rantan befestigte erst noch das Boot und kam dann auch zu ihm.
Nach kurzer Zeit hatten sie ihren Hunger gestillt und fingen nun an, sich zu zanken.
»Sie wollten doch alle Eingeborenen auf der Insel hier niederknallen – na, nun haben Sie Ihren Willen gehabt, und was haben Sie erreicht?!« sagte Carlin. »Ich habe nichts dagegen, daß Sie die Leute niederschießen, nur haben die anderen mehr Erfolg gehabt als wir. Welchen Zweck hat es also, so große Sprüche zu klopfen? Wenn das so weitergeht, brauchen wir mindestens ein Jahr, um die Gesellschaft auszurotten. Und wie wollen Sie es überhaupt vom Boot aus machen?«
»Morgen fahren wir mit dem Schiff an das Dorf heran und werfen in der Nähe Anker. Dann werden wir ja sehen. Sie werden nicht herausschwimmen, um ein Schiff anzugreifen, und wir können sie vom Deck aus bequem beschießen, bis sie sich ergeben. Wir haben keine Zeit, alle zu erledigen, aber ich rechne damit, daß wir in ein paar Tagen ihren Widerstand gebrochen haben. Und wenn ein Kanaka erst einmal den Mut verloren hat, dann ist er auch vollkommen zahm.«
Carlin erwiderte nichts darauf, legte sich in seine Koje und steckte seine Pfeife an. Als er Rantan die Streichholzschachtel zuwarf, kam vom Deck ein Geräusch, als ob ein Stock durchgebrochen würde. Rantan sah nach der Kabinenluke und wartete einen Augenblick. Da sich aber nichts mehr regte, zündete er auch seine Pfeife an.
Dann gab er die Schachtel zurück und stieg an Deck.
Das Deck lag verlassen, aber der Speer, der an der Reling gestanden hatte, war verschwunden. Rantan bemerkte es jedoch nicht. Er ging an der Küche vorbei, ohne hineinzuschauen, blieb im Vorderschiff stehen und lauschte.
Es ist eine merkwürdige Eigentümlichkeit der Kanakas, die zur See gehen, daß sie sich irgendwo in einem engen Raum zusammendrücken. Sie schließen sich dort vom Land, von der See und vom Himmel ab und atmen in einer furchtbaren Stickluft, die kein Europäer ertragen könnte.
Die Leute unten wachten gerade auf; Tabakrauch kam aus dem Eingang zu ihren Quartieren, und sie unterhielten sich miteinander. Von der Schießerei hatten sie nichts gehört, und wenn es der Fall gewesen wäre, hätten sie sich nicht weiter darum gekümmert. Sie hatten keine Ahnung von dem unglücklichen Schicksal Srus und ihrer Kameraden. Diese harmlosen Leute waren sorglos und nahmen das Leben mit einer unglaublichen Leichtigkeit hin. Ob es Schläge oder Bananen gab, ob sie gut oder schlecht von den Weißen behandelt wurden, sie zeigten fatalistische Gleichgültigkeit.
Rantan klopfte an die Holzwand und rief hinein, daß sie heraufkommen sollten. Bald darauf waren sie alle oben an Deck versammelt, und die untergehende Sonne schien auf ihre ängstlichen Gesichter. Sie fürchteten böse Worte, weil sie den Schoner unbewacht gelassen hatten.
Aber Rantan sagte kein böses Wort. Er begann in ruhigem Ton zu sprechen, wie nur er es verstand.
Er sagte ihnen, daß die Eingeborenen dieser Insel schlechte Leute wären, die Sru und die drei anderen verräterischerweise getötet hätten, als diese an Land gingen, um mit ihnen zu sprechen. Darauf hätte er, Rantan, viele von ihnen getötet und ihre Kanus zerstört. Morgen wollte er nun das Schiff näher an das Dorf heranfahren lassen und mit den Wunderstöcken, die eine so laute Stimme hatten, noch mehr Inselbewohner umbringen. Bis dahin könnten sie nach unten gehen, sich ausruhen und amüsieren. Nur einer müßte an Deck Wache halten, um das Wetter zu beobachten. Vom Ufer aus drohte ihnen keine Gefahr, da alle Kanus zerstört waren. Nach dieser Ansprache entließ er sie und ging zum Hinterschiff.