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»Höre«, flüsterte der Wind.
Le Moan hatte sich wie ein Hase zwischen den Bäumen niedergelegt. Sie hörte das feine Rieseln des Sandes am Ufer und das Rauschen der Blätter über sich.
Aus großer Entfernung drangen die Stimmen der Leute von der Schiffsbesatzung zu ihr herüber, die froh waren, wieder mit ihren Frauen vereint zu sein. Ab und zu klapperte der Gott Nan auf seinem Pfosten, wenn ihn der Wind bewegte, nahe bei dem Hause, in dem Taori in Katafas Armen ruhte.
Für Le Moan bedeutete all das nichts. Sie hatte den Tod gewählt an Stelle von Taori, dem Ziel all ihrer Sehnsucht. Sie war vollkommen lustlos und hatte nicht einmal den Wunsch, sich selbst das Leben zu nehmen. Die Flamme ihres Lebens brannte nur schwach und dunkel und würde nie mehr hell aufleuchten.
»Höre«, flüsterte der Wind.
Irgend etwas bewegte sich zwischen den Bäumen – es war Kanoa, dessen Herz zum Zerspringen schlug. Er hatte die Hände ausgestreckt und tastete sich zwischen den Stämmen durch.
Als er wie ein Phantom in der sternklaren Nacht auf sie zukam, wußte sie, was ihn zu ihr führte. Aber sie rührte sich nicht, als er neben ihr niederkniete. All das war ihr jetzt nichts mehr.
Seit der Nacht, in der er sie aus Rantans hartem Griff befreit und ihr das Leben gerettet hatte, war er ihr nicht nähergekommen als alle die anderen Männer an Bord des Schiffes. Er war nur eine Gestalt, eine Erscheinung für sie.
In dieser Nacht nun bedeutete er etwas mehr. Er war wie ein treuer Hund für einen einsamen, verlassenen Menschen. Als er Le Moan leise flüsternd die Wünsche seines Herzens offenbarte, hörte sie ihm zu, ohne zu antworten. Sie duldete es, daß er seinen Arm um sie legte und sie auf die Lippen küßte. All das war ihr jetzt nichts mehr; nie wieder würde ihr Herz schneller schlagen.
*
Der Wind schlief ein, und der Tag erwachte. Es wehte eine leichte, kühle Morgenbrise, und die Sonnenstrahlen weckten Freude und Leben auf Karolin. Freude für Katafa, die aus dem Hause trat und auf eine neue, leuchtende Welt blickte. Freude auch für die Frauen, deren Männer zurückgekehrt waren, für die Männer und für die Kinder. Und Freude für Kanoa. Sein Herz jubelte: »Sie ist mein – sie ist mein!«
Aber in Aioma weckten sie aufs neue Rachgier und Zerstörungswut.
Er hatte das grüne Schiff getötet, und an diesem Morgen wollte er nun das große Segelschiff vernichten, die verfluchte ayat der Papalagi, die er noch vor einer Woche so sehr geliebt hatte. Ihr Untergang war beschlossen.
Er haßte sie mit einem neuen, glühenden Haß. Hätte er das Schiff an der Küste den Haifischen zum Fraß hinwerfen können, so hätte er es getan.
Außerdem gab ihm das wieder Gelegenheit, ein Feuer anzuzünden. Kindliche Gelüste flackerten noch einmal in ihm auf, und die Freude an der Brandstiftung packte ihn.
Er rief die Bewohner des Dorfes zusammen und erklärte ihnen alles.
Die ayat war verflucht. Sein Vater Amatu war ihm im Traum erschienen und hatte ihm befohlen, diese große Sache auszuführen. Das Schiff mußte verbrannt werden, wenn nicht schweres Unheil Karolin heimsuchen sollte.
»Feuer! Feuer! – aripa! aripa!« riefen die Knaben.
»Aripa!« wiederholten die Weiber. Auch die Stimmen der Männer mischten sich ein, und der Schrei loderte auf zum Himmel wie eine Flamme.
Katafa lauschte. Sie haßte das Segelschiff, und auch aus ihrem Innersten stieg der Schrei.
Taori stand stumm. Er zögerte, das letzte Band zu zerschneiden, das ihn mit der Vergangenheit verknüpfte. Er war stumm wie ein Mann, der im Begriff ist, seine Rasse zu verleugnen, obwohl er von dieser Rasse und von der zivilisierten Welt, aus der er stammte, nichts wußte. Nichts außer dem Kanonenschuß der »Portsey«, die vor vielen Jahren weiße Männer von Melanesien nach Marua gebracht hatte, außer den Roheiten Carlins und Rantans und der wilden Abenteurerlust in seinem Herzen, die ihn beinahe für immer von Katafa getrennt hatte.
Und plötzlich fiel auch er in den Ruf der anderen ein:
»Aripa! aripa! aripa!«
Er vergaß, daß er ihr Führer war, lief mit ihnen zum Ufer und half, das Boot ins Wasser zu schieben, damit Aioma sein Zerstörungswerk vollenden konnte.
Dann blieb er mit Katafa am Ufer und schaute zu. Nahe bei ihnen und neben Kanoa stand Le Moan.
Aioma kletterte an Bord des Schiffes. Sie sahen, wie er einen Siegestanz an Deck aufführte und wie ein Wahnsinniger die Taue, die Rahen und die Masten schmähte und beleidigte. Und sie hörten den Klang der Schiffsglocke, als er sie zum letztenmal anschlug.
Er verschwand in den Mannschaftsquartieren auf dem Vorderschiff, und als er nach geraumer Zeit wieder erschien, folgte ihm eine Rauchwolke. Nun eilte er die Treppe zu der Kapitänskajüte hinunter. Bald darauf quoll graublauer Rauch durch das Deckfenster, der von einer leichten Brise zum Ufer getragen wurde.
Aioma erschien wieder an Deck, kletterte über die Reling und fuhr in dem Boot davon, während der Schoner am Bug und am Heck zu brennen begann.
Rauch hüllte den stolzen Segler ein, aber er verzog sich und zeigte zwei ungeheure Brandwolken, die der Wind in Spiralen davontrieb. Rote Flammen leckten wie Hundezungen aus den Schiffsluken, und die züngelnden Flammen tanzten wie Gespenster über das alte, trockene Holzdeck. Jetzt fing der Hauptmast Feuer. Die oberen Taue brannten und zerrissen. Flammen kletterten an den Segelstangen empor wie Schlangen, Flammen prasselten im Innern des Schiffes, lohten aus allen Öffnungen, ergriffen die Ladung und zerfetzten das Deck.
Das Sandelholz brannte; ein Duft von Weihrauch breitete sich über die Lagune und drang bis zu den weißen Möwen, die auf den Korallenriffen saßen und aufschrien. Immer höher stiegen die Flammen empor, bis die Masten wie lodernde Feuersäulen über Bord stürzten.
Sie schlugen lichterloh empor und entwickelten kaum noch Qualm und Rauch. Es war, als ob das Feuer den Rauch verzehrte und der Sonnenschein das Feuer. Haushohe Glutgarben schossen zur Sonne empor und sanken in sich zusammen, um von neuem aufzulodern; Funken sprühten wie Feuerwerk, und doch gab der große Brand kein helles Licht. Das Schiff und die Ladung prasselten in der Glut; die Stapel von Teak- und Sandelholz barsten wie Granaten und Schrapnells in einer wilden Schlacht. Aber die Sonne des strahlenden Tropentages verschlang das Licht der Flammen, so daß sie ihren Glanz verloren. Sie färbten sich wie Goldtopase, aber sie hatten keine Leuchtkraft.
Nun brach der obere Teil des Schiffes zusammen. Die Ankerkette riß, da die Flammen sie in Gluthitze gebracht hatten. Das Schiff schwamm jetzt auf den Fluten; einzelne Teile stürzten zischend in die Lagune, andere folgten. Dampf bildete sich; das Wasser drang in den Rumpf und löschte die Flammen. Eine Zeitlang kämpften die feindlichen Elemente miteinander, dann erlosch das Feuer.
Und nun war nur noch Treibholz auf den Fluten zu sehen. Eine dünne Rauchwolke lagerte über der Lagune, wurde aber bald vom Wind zerteilt. Nur der Duft des Sandelholzes hing noch gespenstisch in der Luft ... dann war auch er verweht.