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7

Außer Neugierde und Abenteuerlust trieb auch Sehnsucht Dick zu dem Entschluß, nach Marua zu segeln.

Er wollte Marua noch einmal sehen, wenn auch nur für einen kurzen Augenblick. Der Hügel, die Büsche und Bäume, die farbigen Vögel sandten ihre Stimmen über das Meer zu ihm, ebenso wie das Korallenriff von Karolin, die Lagune und all ihre Herrlichkeiten Katafa angezogen hatten, als sie auf der Insel der Palmbäume lebte.

Die beiden Inseln brachten von jeher Zwiespalt in die Herzen der Menschen. In früheren Zeiten waren Einwohner von Karolin nach Marua gegangen, um dort zu leben, aber die Erinnerung an ihre Heimatinsel hatte sie verfolgt und zurückgetrieben. Und Eingeborene von Marua waren nach Karolin übersiedelt, aber die Sehnsucht nach der Insel der Palmbäume hatte sie wieder zurückgeführt.

Wie ein leiser Schatten stand dieser Zwiespalt auch zwischen Dick und Katafa. Mit den Jahren mochte er dunkler und dunkler werden und sie unglücklich machen. Es war der Unterschied zwischen Marua und Karolin, der sich zwischen sie drängte. Marua war eine hohe Insel, Karolin nur ein kreisförmiges Korallenriff. Und Dick hatte seine Jugend auf Marua verlebt, während Katafa in Karolin aufgewachsen war.

Die Seele eines Menschen kann außerordentlich von Dingen angezogen werden, die leblos erscheinen und doch sprechen können. Sie wirken in ihrer zauberhaften Poesie, und ohne sich zu bewegen, verfolgen sie die wehrlosen Menschen, auch wenn sie weltenweit von ihnen entfernt sind. Und die Liebe zu ihnen ist so dauernd und so stark wie die Liebe, die ein Mann oder eine Frau wecken kann.

Als Aioma von der Fahrt nach Marua sprach, erhob sich in Dicks Seele die lange verborgene Sehnsucht. Er vergaß Katafa, er vergaß die bösen Männer, die von Marua Besitz ergriffen hatten. Die Erinnerung an frühere Tage wurde in ihm lebendig: er hörte wieder die Brandung an dem Ufer, die so verschieden war von der Stimme der Wellen, die am Strand von Karolin aufschäumten.

Er beobachtete Le Moan am Steuerrad und sah, wie ihre Blicke der fast unmerklichen Linie am Steuerbord folgten, wo sich die Farbe des Wassers änderte. Sie steuerte nach der Strömung und auch nach ihrem Richtungssinn, der ihr sagte, daß Karolin hinter ihr lag. Er hatte keine Ahnung, wie schnell der Schoner segelte, aber er hatte diese Fahrt schon einmal gemacht, als er mit Katafa nach Karolin fuhr. Deshalb wußte er, daß sich bald, sehr bald die Spitze des Hügels von Marua zeigen mußte.

Er ging zum Vorderteil des Schiffes und schaute auf die Wasserwüste hinaus – aber es zeigte sich nichts. Die Landmöwen waren längst zurückgeblieben, und auf dem ganzen nördlichen Teil des Meeres war nichts zu sehen. Als er zurückkam, fand er Poni am Steuerrad. Auf dem Weg war er an Le Moan vorbeigegangen. Sie sah nicht nach ihm, und er bemerkte sie kaum. Für Dick war sie das tapfere Mädchen, das die Einwohner von Karolin durch eine kühne Tat gerettet hatte; persönlich bedeutete sie ihm nichts. Und sie verbarg ihre Liebe und die Sehnsucht ihres Herzens so gut, daß sie ihm nicht einmal durch einen Seitenblick oder durch einen noch so leisen Gesichtsausdruck ihr Geheimnis verriet. Kanoa war der einzige, der es argwöhnte – und er war hellsichtig, weil er sie liebte.

Aioma hatte sich in der Nähe des Steuermanns auf das Deck gekauert. Er aß Bananen und warf die Schalen über die Reling ins Wasser.

»Aioma«, sagte Dick, »von Marua zeigt sich noch keine Spur. Aber bald werden wir sehen, wie sich die Insel mit ihren Bäumen aus dem Meer hebt – sie spricht zu meinem Herzen. Hast du sie gesehen?«

»Ich war einer der Männer, die Makara und seine Leute nach Marua verfolgten. Wir kämpften mit ihnen und erschlugen sie am Ufer. Das waren noch gute Zeiten, als Uta Matu uns führte und Laminai die Trommel schlug – taromba – wenn sie ertönte, rief sie uns zum Sieg. Aber sie wird nie wieder geschlagen werden, denn sie ist mit Laminai gegangen und wird niemals zurückkehren. Sage mir noch eins, Taori. Als du mit Katafa nach Karolin kamst, machtest du dich zum Freund der Frauen und Kinder, und Katafa erzählte ihnen, daß die Kanus von Laminai bei einem Sturm zerschellten und daß all die Männer, die bei ihm waren, untergingen. Sie sagte auch, daß du die Keule von Matu am Ufer von Marua fandest und daß die Götter dich dadurch zu unserem Häuptling erklärten. Ich war damals am südlichen Ufer der Lagune und hörte die Geschichte nicht, aber die Frauen und Kinder glaubten sie, ohne weiter zu fragen, und waren froh, daß sie einen Führer hatten. Sage mir, Taori, war das die ganze Geschichte? Ich habe dich früher nie danach gefragt, und ich weiß auch nicht, warum ich dich jetzt frage.«

»Das war nicht alles, Aioma«, erwiderte Dick. »Laminai und seine Leute kamen durch das dichte Gebüsch von Marua, und es entbrannte ein heftiger Kampf zwischen ihnen und mir. Mit meinen eigenen Händen habe ich Laminai und einen anderen Mann erschlagen. Die anderen fürchteten sich, liefen fort und kämpften dann in den Wäldern miteinander. Viele wurden getötet. Und dann kam der große Sturm von Süden, und die Männer, die in ihren Kanus versuchten, Marua zu verlassen, wurden gegen das Riff geschleudert. Keiner von ihnen blieb übrig.«

Aioma vergaß seine Bananen. Ein Instinkt hatte ihm schon früher gesagt, daß mehr hinter der Geschichte steckte, die Katafa den Frauen erzählt hatte. Aber das hatte er nicht erwartet.

Laminai, der Sohn Uta Matus, war also von Taori erschlagen und seine Leute von ihm in die Flucht getrieben worden; der Sturm hatte sie vernichtet, bevor sie zurückfahren konnten, aber das hätte nicht geschehen können, wenn Taori nicht gewesen wäre.

Er sah zu Taori auf, der an der Reling lehnte. Die rotgoldenen Haare hoben sich leuchtend von dem Dunkelblau des Meeres ab. Aioma hatte plötzlich das Gefühl, daß sie von den unsichtbaren Wächtern von Karolin und den Geistern der Vorfahren auf die See hinausgelockt worden waren, damit die Rache des toten Uta Matu, seines Sohnes und all der Leute, die durch Taoris Hand oder Willen umgekommen waren, sie erreichen sollte.

Der tiefe Donner aus dem Innern des Meeres, die drei ungeheuren Wogen, die aus unbestimmter Ferne kamen, das böse Vorzeichen der Möwenschlacht – all diese seltsamen Ereignisse waren Vorboten kommenden Unheils.

»Taori«, sagte Aioma, »nachdem du mir das alles gesagt hast, möchte ich zurückfahren. Mein Herz ist unruhig in mir. Wenn ich gewußt hätte, daß Laminai durch deine Hand fiel, so wäre ich nicht hinausgefahren. Ich liebe dich wie einen Sohn, Taori. Du hast gegen die weißen Männer gekämpft, um die Frauen und Kinder von Karolin zu schützen; aber du kennst Uta Matu nicht, den König, dessen Sohn du erschlugst und dessen Männer du zur Flucht zwangst.«

»Uta Matu ist tot«, entgegnete Dick. »Er hat keine Macht mehr.«

»Du kennst Uta Matu nicht«, wiederholte Aioma.

»Du kennst weder die Länge seines Armes noch die Gewalt seines Schlages. Du hast seine Augen nicht gesehen, sonst hättest du diese Worte nicht gesprochen. Laß uns umkehren, Taori, bevor er uns vernichtet.«

»Wenn ich gesehen habe, was ich sehen will, dann kehre ich um«, erwiderte Dick. Er ließ sich von den Toten so wenig schrecken wie von den Lebenden, und zum erstenmal sank Aioma in seiner Achtung.

»Ich fürchte mich nicht.«

Der alte Mann erhob sich und richtete sich auf.

»Ich habe noch niemals Furcht gekannt«, sagte er, »und ich kenne sie auch jetzt nicht. Um deinetwillen habe ich gesprochen. Fahre weiter, aber ich sage dir, Taori, es sind Feinde gegen uns, die wir nicht sehen und deshalb auch nicht schlagen können. Sie haben ihre Netze für uns ausgespannt, und ihre Speere liegen bereit.«

»Aioma, mich kann kein solches Netz halten. Netze, die von den Unsichtbaren gespannt werden, sind für den Geist – ananda – nicht für den Leib. Mein Geist ist aber bei Katafa und sicher in ihrer Obhut. Wie sollte also Uta Matu ihn fangen können?«

»Wer kann das wissen? Er ist ebenso schlau wie stark, und Le Juan, die auch mit ihm starb, ist noch listiger. Und sieh, wir haben die Tochter Le Juans bei uns – Le Moan. Ach, hätte ich all dies vorher gewußt, so hätte ich sie niemals auf die Fahrt mitgenommen.«

»Wie sollte sie uns denn etwas zuleide tun?«

»Sie nicht, sondern Le Juan, die Böse, deren Blut in ihr lebt.«

Für Aioma waren Leute nicht tot wie für uns, sondern nur in eine gewisse Entfernung gerückt, und wenn er von Geistern sprach, so meinte er Leute, die zwar nicht mehr sichtbar, aber trotzdem noch mächtig waren.

Er glaubte nicht, daß Uta Matu ein wirkliches Netz oder einen wirklichen Speer gegen Dick gebrauchen würde. Aber er war davon überzeugt, daß der tote König von Karolin und seine Zauberfrau aus weiter Entfernung Netze legen und Speere werfen konnten. Geisterspeere und Geisternetze, nicht für den Körper, sondern für die Seele.

»Ich fürchte weder Le Juan noch Uta Matu«, sagte Taori, und als er sprach, erzitterte die Luft plötzlich von dem Klang einer Glocke.


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