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2

Rantan stand am Steuer; Le Moan lehnte im vorderen Teil des Schiffs an der Reling. Ihr Herz war von Hoffnung geschwellt, und sie beobachtete alles genau, als sie durch die Öffnung in das Korallenriff fuhren. Sie sah nach der südlichen Küste hinüber, die tot und verlassen lag, dann nach Norden, wo die Bäume das Dorf schützten, so daß man es nicht sehen konnte. Nichts rührte sich am Ufer, bis sich endlich von den weit entfernten Bäumen eine Gestalt löste – Aioma.

Hinter ihm tauchten andere auf, und bald wimmelte die Küste von Menschen. Wie ein Schwarm aufgestörter Ameisen liefen sie durcheinander. Vom Schiff aus war deutlich das Blitzen ihrer Speere zu erkennen.

Eine böse Ahnung erfüllte plötzlich Le Moans Herz. Rantan steuerte vorwärts; Carlin stand neben ihm und schützte die Augen mit der Hand gegen die Sonnenstrahlen.

Das hatte Rantan nicht erwartet – er hatte sich Karolin als eine einsame, unbewohnte Insel vorgestellt. Sru hatte nichts von dem gesagt, was Le Moan ihm über Taori erzählt hatte, und er sagte ihm auch jetzt noch nichts, als er mit zusammengekniffenen Augen nach dem Ufer der Lagune schaute.

Auch Sru hatte sich alles anders gedacht. Er hatte geglaubt, Le Moan hätte sich in einen Kanakaburschen verliebt, der sich über ihre Rückkehr freuen würde. Aber nun erschrak er doch, als sich eine große Menschenmenge am Ufer bewegte. Vor allem beunruhigte ihn das Aufblitzen der Speere. Er antwortete nur ausweichend auf die Fragen, die der Schiffsmaat an ihn stellte. Als dann der Befehl gegeben wurde, den Anker niederzulassen, eilte er ins Vorderschiff, während Carlin nach unten ging und gleich darauf mit zwei Gewehren und Munition zurückkam. Wenige Sekunden später rasselte die Ankerkette nieder, und die Kermadec drehte sich mit der Flut, die Spitze nach dem Tor des Morgens gerichtet. Rantan verließ das Steuer, trat an die Reling, preßte die Lippen aufeinander und sah zum Ufer hinüber. Dann wandte er sich an Carlin.

»Wir wollen keinen Kampf. Wir müssen sehen, daß wir ein Palaver mit ihnen abhalten. Das ist allerdings ein Schlag für uns. Peterson sagte doch, die Insel wäre unbewohnt. Entweder hat er uns angelogen, oder er hat die Augen nicht aufgemacht. Auf jeden Fall müssen wir jetzt versuchen, durchzukommen. Nur schade, daß wir keine Tauschobjekte an Bord haben außer diesem verdammten Sandelholz. Aber schließlich wollen wir ja weiter nichts, als daß man uns in Ruhe läßt. Das Boot soll heruntergelassen werden, wir rudern an die Küste. Die Gewehre dürfen wir nicht sofort zeigen.«

Rantan ging nach unten, um Petersons Revolver zu holen, den Carlin vergessen hatte. Als er an Deck zurückkehrte, war das Boot schon auf dem Wasser; vier Kanakas und Carlin saßen darin. Rantan nahm neben dem Abenteurer Platz, dann stieß das Boot ab.

Rantan beging einen großen Fehler: er vergaß Le Moan vollständig, die er doch so gut als Unterhändlerin hätte gebrauchen können.

Peterson war erledigt und ausgeschaltet, aber trotzdem spielte der Tote in Rantans Gedanken noch eine Rolle, nicht als Gestalt, nicht einmal als Schatten, sondern nur als heimliche Drohung, daß eines Tages Schwierigkeiten entstehen könnten. Ob Rantan am Steuer stand oder in seiner Kabine rauchte und über die Aussicht auf Reichtum nachdachte, immer kam ihm zum Bewußtsein, daß ihn etwas störte. Es war das Gefühl, daß er Petersons wegen doch noch große Unannehmlichkeiten haben würde.

Als er in die Lagune segelte, war er jedoch freudig erregt gewesen und hatte nicht mehr an diese geheime Sorge gedacht. Große Reichtümer lagen vor ihm, und niemand war hier, der ihn bewachen oder daran hindern konnte, sie zu nehmen. Auf dieser einsamen Insel schien es nur Möwen zu geben.

Aber dann waren plötzlich die Eingeborenen zwischen den Bäumen hervorgekommen, und für Rantan bedeutete diese Tatsache fast dasselbe, als ob Peterson plötzlich wieder von den Toten auferstanden wäre.

Er hatte beschlossen, die Besatzung der Kermadec auf irgendeine Weise beiseite zu schaffen, nachdem er sie zu seinem Vorteil ausgenützt hatte. Auch Carlin sollte beseitigt werden, Er selbst wollte einen anderen Namen annehmen und sich von allem lösen, was ihn mit diesem Abenteuer in Verbindung bringen konnte. Und nun sah er sich plötzlich Hunderten von Zeugen gegenüber. Das war eine böse Entdeckung!

Als sich das Boot dem Ufer näherte, kam Bewegung in die Menschenmenge, und die speerbewaffneten Männer sammelten sich vorn auf einer Stelle. Es waren mindestens dreißig junge Burschen von Karolin, die einen Speer ebenso genau und sicher werfen konnten wie ein Mann. Als Aioma den Schoner sichtete, gab er Befehl, daß sie sich bewaffnen sollten. Dick, der am Meeresufer geweilt hatte, eilte sofort herbei und rief die Waffenfähigen zusammen. Taiepa, der jüngste Sohn Aiomas, hatte die Speere verteilt, und der alte Mann hatte mit kurzen Worten die Leute zum Kampf angefeuert.

Die Fremden durften unter keinen Umständen landen. Für einen Augenblick nahm er das Kommando in die Hände. »Sie kamen schon früher hierher, als ich noch ein junger Mann war, und der große Uta Matu wußte, daß sie böse Leute waren mit schlechten Herzen. Deshalb ließ er sie nicht landen, sondern trieb sie fort. Aber dann kamen sie in einem größeren Kanu wieder und kämpften mit Uta. Aber er tötete sie alle und verbrannte das große Kanu. Und nun sind sie wieder hier, und wir müssen wieder mit ihnen kämpfen. Wir sind zwar nur wenige an Zahl, aber Taori allein kämpft für viele.«

»Sie sollen nicht landen«, rief Dick, »selbst wenn ich ihnen allein gegenübertreten müßte.«

Die Einwohner von Karolin waren in feindseliger Stimmung. Das zeigte sich, als das Boot näher ans Ufer kam. Sie sandten ihm ein wildes Kriegsgeschrei über das Wasser entgegen. Es klang unheildrohend, so daß die Kanakas die Ruder anhielten und die Köpfe nach dem Ufer wandten.

»Die wollen kämpfen«, sagte Carlin und bückte sich, um eines der Gewehre aufzunehmen.

»Lassen Sie die Waffe liegen«, erwiderte Rantan ärgerlich.

Auf seinen Befehl hin ruderten die Kanakas näher heran. Dann erhob er sich und winkte mit den Armen, um den Leuten klarzumachen, daß er mit ihnen sprechen wollte.

Die einzige Antwort war ein Speer, den Taiepa warf. Die Lanze glänzte im Sonnenlicht, fiel aber ein paar Meter vor dem Boot ins Wasser, obwohl die Richtung genau stimmte.

Die Ruderer hielten wieder ein und brachten sofort das Boot zum Stehen. Carlin fischte den Speer auf und legte ihn zu den Gewehren auf den Boden des Bootes. Rantan setzte sich nieder und ließ die Kanakas die Ruder wieder aufnehmen. Aber er steuerte vom Ufer weg nach Westen.

Als sie weiterruderten, liefen die Eingeborenen am Ufer mit, aber Rantan kümmerte sich nicht darum. Er suchte die Lage der Insel genau zu erkunden; vor allem wollte er sehen, wie die Bäume standen. Es gab zwar genug, um das Dorf vor Sicht zu schützen, aber nirgends waren sie so dicht, um den Leuten wirksame Deckung zu gewähren. Das Korallenriff war an der Stelle besonders breit, aber nicht höher als auch anderswo. Man konnte die Eingeborenen sehen und auch gut auf sie zielen, selbst wenn sie ans Meeresufer gingen.

Als Rantan alles ausgeforscht hatte, was er wissen wollte, steuerte er zum Schiff zurück.

»Sollen wir ihnen nicht wenigstens eines auf den Pelz brennen?« fragte Carlin enttäuscht.

»Warten Sie nur«, entgegnete Rantan kurz.

Als sie bei der Kermadec ankamen, ließ er die Kanakas im Boot warten und ging mit Carlin zu seiner Kabine. Er öffnete den Waffenschrank und zählte die Munition. Es waren gegen tausend Stück.

»Ich glaube, das genügt. Sie sagten doch, Sie wären ein guter Schütze, Carlin. Sie haben jetzt eine Gelegenheit, das zu beweisen. Ich werde die ganze Gesellschaft auf der Lagune niederknallen.«

»Vom Schiff aus?«

»Nein. Das geht vom Boot aus auch sehr gut. Die Leute haben nicht genügend Deckung und nur ein paar alte Fischerkanus. Damit können sie uns nicht angreifen.«

»Ich will nicht sagen, daß Sie unrecht haben, aber ich glaube, wir werden nicht an einem Tag fertig.«

»Wir haben es ja nicht eilig, selbst wenn es Wochen dauern sollte.«

Jeder von ihnen trug eine Schachtel Munition, als sie an Deck kamen. Der Speer, den Carlin aus dem Wasser gefischt hatte, war inzwischen an Deck gebracht worden und lehnte an der Reling. Sie achteten nicht darauf, ebensowenig auf Le Moan, die sich in der Tür zur Küche niedergesetzt hatte, anscheinend, um sich gegen die Sonnenstrahlen zu schützen.

Carlin hatte Befehl gegeben, ein Wasserfaß zu füllen, das er jetzt selbst in das Boot hinabließ. Er kletterte dann hinunter, gefolgt von Rantan. Wieder stieß das Boot ab.

Es war nahe an Mittag, und die Sonne stand senkrecht am Himmel. Die sechs Kanakas, die an Bord zurückgeblieben waren, gingen in die Mannschaftsräume, wo sie rauchten und plauderten. Le Moan konnte ihre Stimmen hören, als sie sich erhob und an die Reling trat. Ihre Blicke folgten dem Boot. Am liebsten hätte sie sich ins Wasser gestürzt und wäre zu dem Korallenriff hinübergeschwommen, aber eine innere Stimme warnte sie davor. Ihr Instinkt sagte ihr, daß sie hierbleiben, beobachten und warten müßte.

Sie wußte, was ein Gewehr bedeutete, denn sie hatte Peterson einmal zugesehen, wie er nach einer Flasche im Wasser schoß. Es waren wohl zwei Gewehre ins Boot gebracht worden, aber nicht aus diesem Grunde fürchtete sie Unheil. Rantans Gesicht beunruhigte sie. Und sie konnte nichts tun.

Es war ihr auch aufgefallen, daß Carlin, bevor er das Wasserfaß hinunterließ, eine Axt ins Boot reichte. Warum hatte er das getan? Sie konnte es nicht sagen, ebensowenig wußte sie, warum das Wasserfaß mitgenommen worden war. Es gehörte alles zu einem Plan, den sie nicht verstand. Sie fühlte nur, daß Taori dadurch bedroht war.

Vom Schiff aus konnte sie seine Gestalt in der Menge nicht unterscheiden; die Entfernung war zu groß. Aber sie war fest davon überzeugt, daß er am Ufer stand.

Das Boot näherte sich der Küste, und als es bis auf ein paar hundert Meter herangekommen war, hielten die Ruderer inne. Das Fahrzeug trieb vorwärts, aber nur eine kurze Strecke, denn die Strömung hatte aufgehört. Der Höhepunkt der Flut war erreicht. Man hätte denken können, die Leute in dem Boot fischten oder legten sich träge in die Sonne.

Aber plötzlich bemerkte Le Moan eine kleine Rauchwolke auf der Seite des Bootes. Ein Mann am Ufer sprang in die Luft und fiel zu Boden. Das Krachen eines Schusses drang aus der Ferne zu ihr herüber.

Carlin hatte einen Eingeborenen getroffen. Es war ein kaltblütiger Schütze, aber er hätte kaum vorbeischießen können, wenn er auf eine so große Menge von Leuten zielte. Rantan feuerte kurz danach, aber wie durch ein Wunder wurde niemand verletzt.

Le Moan beobachtete scharf und sah, wie die Menge auseinanderstob und hinter den Bäumen verschwand. Nur zwei Gestalten blieben am Ufer zurück. Die eine lag im Sand, die andere stand hochaufgerichtet und schien den Leuten im Boot mit erhobenen Armen zu drohen. Es war Taori. Sie konnte ihn nicht erkennen, aber sie wußte es genau.

Er bückte sich, nahm den Gefallenen in die Arme und trug ihn zu den Bäumen. Die Leute feuerten hinter ihm her, verfehlten ihn aber. Dann wurde es ruhig am Ufer und auf der Lagune. Nur die Schreie der Möwen, die durch die Schüsse aufgeschreckt worden waren, unterbrachen die Stille.

Le Moan ging an eine andere Stelle. Die Ebbe begann, und der Schoner schwang nach der anderen Richtung. Das Mädchen trat an die Spitze des Schiffes, schaute aber unentwegt zu dem Boot und dem Ufer hinüber. Von der Treppentür, die zu den Mannschaftsräumen führte, drang das Schnarchen der Kanakas herauf. Sie hatten sich in ihre Kojen gelegt und schliefen fest.

Vier Fischerkanus lagen am Ufer in der Nähe der Bäume, und auf diese hielt das Boot jetzt zu. Die Ruderer sprangen an Land, eilten zu den Kanus und schlugen sie zusammen, während die beiden Weißen im Boot blieben.

Sru schwang die schwere Axt. An der Größe konnte ihn Le Moan erkennen. Zwei andere halfen ihm. Sie hatten große Korallenstöcke gepackt, die sie als Keulen benutzten. Der vierte Kanaka hielt Wache.

Es dauerte geraume Zeit, denn sie taten ganze Arbeit und vernichteten die Boote mit einer Lust, wie sie nur Kinder beim Zerstören fühlen.

Die vier Kanakas standen am Ufer und betrachteten ihr Werk, bevor sie zum Boot zurückgingen, aber plötzlich warf einer von ihnen die Arme in die Luft und stürzte zu Boden, als ob er einen Schlag erhalten hätte. Die anderen liefen davon, aber gleich darauf strauchelte einer und fiel. Ein anderer überschlug sich im Fall, als ob ihn ein Jiu-Jitsu-Gegner zu Boden geworfen hätte, und wenige Sekunden später brach der vierte zusammen.

Le Moans Herz schlug heftig. Sie wußte, was geschehen war. Die schrecklichen, vergifteten Pfeile, die schneller töteten als eine Revolverkugel, hatten die Leute getroffen. Die Einwohner von Karolin waren auf die Bäume geklettert und hatten von oben geschossen.

Im allgemeinen war der Speer die begehrtere Waffe, nicht der Bogen, der nur gelegentlich auf weite Entfernung benützt wurde. Als die Eingeborenen zum Ufer geeilt waren, um die Landung Rantans zu verhindern, hatten sie sich mit Speeren bewaffnet, aber als sie zurückgedrängt wurden, hatte sich Aioma sofort darauf besonnen, daß die Bogen in einem der großen Kanuhäuser lagen. Vor Jahren waren die Pfeilspitzen vergiftet worden, aber das Argoragift verliert niemals seine Wirkung.

Die vier Schüsse hatten nicht gefehlt. Vier Männer lagen reglos am Ufer. Das grauenvolle Gift wirkt auf das Nervenzentrum und tötet in der Zeit zwischen zwei Pulsschlägen.

Rantan und Carlin waren nahe genug, um den Flug der Pfeile zu sehen. Schrecken packte sie, und sie ruderten nun mit aller Macht, um ihr Leben in Sicherheit zu bringen. Als sie ein paar hundert Meter entfernt waren, hielten sie an, um zu beraten, was sie tun sollten. Es war eine böse Situation. Mit ihren Gewehren und sicherem Ziel hatten sie nur einen ihrer Feinde erledigt, dagegen ...

»Zum Donnerwetter!« fluchte Carlin.

Der Schweiß rann an seinem breiten Gesicht herunter. Rantan brütete vor sich hin und sagte zunächst nichts. Aber nach einer Weile richtete er sich plötzlich auf und brach das Schweigen.

»Wir haben ihre Kanus zertrümmert; sie können nicht herauskommen und uns angreifen, und auf weite Entfernungen nützen ihnen ihre Bogen nichts. Sie leben doch vor allem vom Fischfang, und ohne Kanus können sie den nicht betreiben. Wir haben es nicht eilig.« Er schien mit sich selbst zu sprechen und die Lage zu überlegen.

Inzwischen hatte Carlin eins der Gewehre aufgenommen und quer über die Knie gelegt. Er sah nach dem Ufer, wo die vier Toten im Sande lagen und sich außer den Möwen kein lebendes Wesen zeigte. Die Ebbe trieb das Boot langsam nach dem Schoner zurück.

»Wir brauchen nur ein kleines Stück weiterzurudern«, fuhr Rantan fort, »dann sind wir wieder in gleicher Höhe mit den Bäumen. Sie geben nicht genügend Deckung, und das Korallenriff ist nicht breit genug dazu. Die Häuser haben schwache Wände, so daß man durchschießen kann. Nehmen Sie das Ruder, wir wollen zu einer günstigen Stelle fahren und in aller Ruhe vorgehen.«

Carlin legte das Gewehr nieder und griff zu dem Ruder. Mühsam steuerten sie das schwere Boot gegen die Strömung, bis sie das Dorf und die Bäume erreichten.

Sie kamen so nahe an das Ufer heran, daß sie leicht an Land schießen konnten, aber außer Reichweite der Pfeile blieben. Die Ankerkette rasselte herunter, dann wandte sich das Boot nach der Strömung und lag parallel mit dem Ufer.

Rantan hatte recht. Die Bäume standen ab und zu ziemlich dicht, aber sie boten einer Menschenmenge nicht genügend Schutz. Die Häuser waren noch gefährlicher. Die beiden konnten die einzelnen Hütten deutlich unterscheiden, denn ihre Umrißlinien hoben sich scharf vom Himmel ab. Sie sahen auch das Haus Uta Matus, neben dem auf einem schön geschnitzten Pfosten der Kopf des Gottes Nan thronte. Nan, der Gütige, beschützte die Kokospalmen, die Puraka-Beete und die Pandanusbäume, und er wachte über die Menschen.

Von altersher gab es zwei Götter in Karolin: Nan, den Guten, und Naniwa, den Bösen und Wilden. Le Moans Mutter war Le Jenabon gewesen, die Tochter Le Juans, der Priesterin, die Naniwa, dem Gott mit den Haifischzähnen, diente. Als Le Juan starb, schien Naniwa Karolin zu verlassen. Aber war er wirklich gegangen? Sterben die Götter jemals, solange noch ein menschliches Herz ihnen Verehrung darbringt?

Nan, der Gütige, grinste von seinem Pfosten herab. Sein Gesicht war aus einer Kokosnuß geschnitten, und er war so aufgestellt, daß er nach Osten schaute, dem Tor des Morgens zugewandt. Von alters her war es so Brauch. Zufällig hatte das große Schiff so Anker geworfen, daß es in dem Blickfeld des Gottes lag. Hände hatte der arme, alte Nan nicht; er war vollkommen hilflos wie die meisten wohlwollenden Dinge und konnte nichts tun, um das Volk zu beschützen, das er zweifellos liebte. Er konnte wohl die schädlichen Würmer von den Purakapflanzen fernhalten, und er konnte auch ein wenig dazu helfen, daß es regnete. Man nahm sogar an, daß er die Kanus vor dem Kobrawurm schützte, der die Planken zerfraß; aber gegen böse Menschen und Gewehre war er machtlos.

Und doch war sein Grinsen unverändert, als er an diesem Tag zu dem großen Schiff hinüberblickte, und als der Wind an dem alten Pfosten rüttelte, wackelte der Gott vergnügt mit dem Kopf. Vielleicht sah er auf dem Deck des Schoners die Enkelin Le Juans, der Priesterin des bösen Gottes, und vielleicht sagte er sich schaudernd: ›Naniwa ist zurückgekehrt.‹

In den alten Zeiten glaubte man, daß ein Mann, der sich an einem anderen rächte und ihm in wilder Raserei den Schädel einschlug, von Naniwa besessen sei. Denn war Nan der Gott des Ackerbaus, so war Naniwa der Gott der ausgleichenden Gerechtigkeit. In gewisser Weise repräsentierte er das Gesetz, das Verbrechen bestrafte; er machte Leute zu Verbrechern, wenn sie in seinem Sinne Vergeltung übten, genau wie unser Gesetz.

Trotz all seiner Schlechtigkeit war er der geschworene Feind der Fremden. Er hatte Uta Matu angetrieben, den Walfischfänger anzugreifen, und vor langen Jahren hatte Le Juan in seinem Namen die Eingeborenen angefeuert, das spanische Schiff zu zerstören. Und vielleicht gab er heute Aioma ins Herz, die Landung dieser Ankömmlinge zu verhindern. Der Kampf war noch unentschieden; aber an Deck des großen Schiffes stand die Enkelin der Priesterin Naniwas. Sie brütete dumpf vor sich hin, für den Augenblick machtlos; aber sie beobachtete und wartete auf ihre Zeit.

Kein Wunder, daß Nan grinste, mit dem Kopf wackelte und dabei ein merkwürdiges Geräusch von sich gab, denn die Kokosnuß war auf dem Zapfen, der sie hielt, ein wenig lose geworden.

Rantan setzte sich hinten bequem auf den Boden des Bootes und legte den Lauf seines Gewehres über den Bootsrand. Carlin ging zur Spitze des Fahrzeuges und tat dasselbe. Der Wind, der aufgesprungen war und Nan auf seinem Pfosten wackeln ließ, bewegte auch die großen Blätter der Bäume. Zwischen den Stämmen und über dem Gebüsch tanzten Schatten und Sonnenlichter, aber nirgends zeigte sich ein menschliches Wesen.

Aioma hatte durch Dick den Kindern und jungen Leuten befehlen lassen, sich in dem unteren Gebüsch zu verstecken. Die Frauen waren in die Hütten gegangen, während Aioma und Dick sich hinter Bäumen verborgen hatten, zwei dicken Stämmen, die wie Riesen zwischen den Kokosnuß- und Pandanuspalmen standen.

Aioma wußte aus alter Erfahrung, welchen Schaden weiße Leute mit ihren Gewehren anrichten können, aber er wußte nicht, daß die Wand eines Hauses ein Gewehrgeschoß nicht aufhalten kann, auch wenn sie einen Pfeil nicht durchdringen läßt.

Da Rantan kein anderes Ziel sah, feuerte er auf eins der Häuser, und als sich der Rauch verzog, war der Teil einer Wand weggefegt.

Die Frauen eilten heraus und wollten weiter nach Westen laufen, aber Dick trat ihnen mit einem Ruder in der Hand entgegen und trieb sie alle in das Gebüsch, wo sie sich bei den anderen versteckten. Dann rannte er zu der zweiten Zufluchtshütte, während die Kugeln um ihn pfiffen, und befahl den Frauen, sich auf den Boden zu legen. Er selbst suchte wieder hinter dem Baum Schutz.

Aber das war ein Fehler. Die Männer im Boot wußten nun bestimmt, daß sich Leute in dem Gebüsch versteckt hatten. Vertiefungen und große Löcher gab es dort nicht; die Eingeborenen mußten dichtgedrängt auf dem kleinen Fleck niedergekauert sein.

Rantan zielte daher genau auf das Gebüsch. Er konnte kaum fehlen, und auf den lauten Knall seines Gewehrs folgte auch ein Schrei. Ein unglücklicher Eingeborener war getroffen worden, und als er aufspringen wollte, hatten ihn die Umliegenden zu Boden gerissen.

Carlin lachte und feuerte auch. Nach der Stille zu urteilen, die nach dem Schuß herrschte, hatte er niemand getroffen.

Rantan hatte eine Ladehemmung. Er blickte nicht mehr so düster drein, seitdem er das Versteck der Eingeborenen kannte. Rasch warf er die beschädigte Patrone weg, lud wieder und feuerte. Eine Frau schrie auf, und das laute Jammern eines Kindes wurde hörbar. Vermutlich war das Kind getroffen, nicht die Frau, der es gehörte, denn das Wehklagen hielt an. Es klang unheimlich und seltsam.

Carlin lachte wieder brutal. Er wollte gerade schießen, als plötzlich eine Gestalt hinter den Bäumen vorsprang.

Es war Dick. In der Linken hielt er den Bogen, in der Rechten einen Pack Pfeile. Aioma hatte angeordnet, daß die Bogen an dem westlichsten der beiden Bäume niedergelegt werden sollten, hinter dem er und Dick sich verborgen hielten. So brauchte Dick nur den Arm auszustrecken, um die Waffen zu ergreifen. Er verließ die Deckung und lief zu dem sandigen Ufer.

Beim Schrei des ersten Opfers war er zusammengezuckt; als dann das Kind aufschrie, dachte er nur noch daran, daß sich auch Katafa unter den Frauen und Kindern befand und daß ihr tödliche Gefahr drohte. Im ganzen hatte er sieben Pfeile genommen. Er ließ sie auf den Sand fallen, nahm einen auf und zielte. Carlin hatte währenddessen den Gewehrlauf auf ihn gerichtet. Einen Meter rechts von Dick schlug das Geschoß in den Sand ein. Dick zog den Pfeil mit der Sehne zurück, bis die Spitze beinahe den Bogen berührte, dann ließ er los.

Der Pfeil hatte genaue Richtung, fiel aber einige Meter zu kurz. In dem Augenblick, als er ins Wasser schlug, drückte Rantan ab, und sein Geschoß ging nur drei Finger breit von Dicks rechtem Fuß in den Sand.

Dick lachte. Seine Züge waren erregt von dem Kampf.

Er war mit der Absicht herausgeeilt, das Feuer von dem Gebüsch abzulenken. Aber jetzt hatte er alles vergessen außer dem Boot und den Feinden, die sich darin versteckten. Brennender Haß loderte in ihm auf.

Rasch hob er einen anderen Pfeil auf und schnellte ihn ab. Diesmal hob er den Bogen höher. Der Pfeil ging über das Boot weg und schlug auf der anderen Seite ins Wasser.

»Himmeldonnerwetter!« fluchte Carlin.

Er legte sofort das Gewehr nieder und zog an dem Tau, um den Anker zu lichten, während Rantan hastig und erfolglos feuerte. Schließlich packte auch er ein Ruder.

Vergiftete Pfeile waren gefährlich, selbst wenn sie nicht genau getroffen hatten, und die beiden ruderten, von Todesfurcht gepackt. Jetzt schlug ein dritter Pfeil ein, nur einen Meter vom Boot entfernt, dann noch ein anderer kurz hinter dem Boot. »Weiter kann er nicht mehr schießen – wir sind sicher«, sagte Carlin. Sie ließen das Boot einen Augenblick treiben. Noch ein Pfeil kam geflogen, fiel aber ziemlich weit hinter dem Boot ins Wasser.

Mit einem Schrei sprang Rantan plötzlich auf und drohte dem Bogenschützen mit der Faust. Carlin warf wieder Anker und nahm das Gewehr auf. Das Boot war nun außer Reichweite der Pfeile, aber sie konnten von hier aus noch ebensogut auf die Büsche schießen. Sie wußten wohl, daß man einen einzelnen Menschen am Ufer auf diese Entfernung hin schlecht treffen konnte, und richteten ihre Aufmerksamkeit deshalb auf das größere Ziel.

Dick erkannte, daß seine Pfeile das Boot nicht mehr erreichten, und legte keinen mehr auf den Bogen. Für den Augenblick war er siegreich und hatte die Feinde in die Flucht geschlagen, aber er wartete.

Er sah, wie sie Anker warfen und sich wieder zum Schuß fertig machten, und er wußte, daß das Feuer von neuem beginnen würde. Rasch bückte er sich, nahm einen Pfeil und hielt ihn mit dem Bogen in der Linken. Dann lief er ins Wasser.

Er schwamm allein mit dem rechten Arm und hielt gerade auf das Boot zu.

Wie ein Fisch konnte er schwimmen. Er wollte nahe an das Boot herankommen und auf die Feinde schießen. Seine Wut und sein Haß kannten keine Grenzen mehr.

Rantan und Carlin hatten gefeuert, bevor sie erkannten, was das zu bedeuten hatte. Jetzt aber entdeckten sie einen Kopf und einen Arm, der einen Bogen über Wasser hielt. Carlin wurde von Entsetzen gepackt. Er biß die Zähne aufeinander und versuchte, die Hülse aus dem Gewehr zu ziehen. Aber er war zu nervös, und es gelang ihm nicht.

Rantan war ruhiger. Er hatte wieder geladen, zielte und feuerte, fehlte aber.

»Schießen Sie doch, Sie verdammter Kerl!« rief er Carlin zu, aber dieser war so aufgeregt, daß er das Spiel verloren gab und den Anker lichtete. Die vier von giftigen Pfeilen niedergestreckten Kanakas am Ufer waren eine zu große Drohung. Nun ließ auch Rantan sein Gewehr fallen und packte ein Ruder.

Sie waren geschlagen und mußten die Flucht ergreifen – wenn auch nur für den Augenblick.


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