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Auf ihren Wink setzten sie sich im Halbkreis um sie nieder, und nun erzählte sie ihnen alles, was sie auch schon Kanoa mitgeteilt hatte. Sie sagte, daß die Einwohner von Karolin nicht ihre Feinde, sondern ihre Freunde wären. Rantan und der Mann mit dem roten Bart wären in Wirklichkeit die gefährlichen Teufel, die nur so glatt mit ihren Zungen sprechen könnten. Sie hätten viele der Einwohner von Karolin getötet, ebenso Sru und seine Begleiter. Und morgen wollten sie Kanoa und den Rest der Besatzung umbringen.
Die Kanakas saßen vor ihr und lauschten wie Kinder, wenn Märchen erzählt werden. Sie glaubten ihr, waren entsetzt und verstört, wußten aber nicht, was sie tun sollten.
Die Leute waren nicht feige, sondern tapfer, wenn sie alles wußten und verstanden, was um sie vorging. Sturm, Wind und Wetter jagten ihnen keine Furcht ein, und auch ein Kampf gegen Männer ihrer eigenen Rasse schreckte sie nicht. Aber die Weißen waren seltsame, rätselhafte Wesen, und Rantan fürchteten sie noch mehr als Carlin.
Sie würden keine Hand gegen ihre Herren rühren. Ihrer Meinung nach war es besser, in dem Boot ans Ufer zu rudern und sich den Einwohnern von Karolin anzuvertrauen, wenn sie so zuverlässig und gutartig waren, wie Le Moan sie schilderte.
Poni, der Größte und Stärkste von ihnen, äußerte das, und die anderen nickten beifällig. Le Moan lachte. Sie kannte sie und sagte es ihnen, sagte ihnen auch, daß sie ihr Leben gerettet hätte dadurch, daß sie Rantan belauschte. Sie wollte sie wieder retten; sie brauchten weiter nichts zu tun, als hier oben zu warten und in Frieden und Freundschaft zu ihren Landsleuten zu gehen, wenn sie das große Werk vollbracht hätte, das sie plante.
Dann erhob sie sich, und das Mondlicht umflutete ihre schöne Gestalt. Plötzlich hörten sie vom Hinterschiff eine abgerissene, angsterfüllte Stimme, die jedoch sofort wieder verstummte, als ob eine Tür geschlossen worden wäre. Die Leute wußten, was es war. Einer der Weißen hatte im Schlaf gesprochen. Carlin lag in seiner Koje auf dem Rücken, von einem bösen Traum gepackt. Vor Furcht hatte er laut gerufen und war halb erwacht. Dann wandte er sich zur Seite und fiel wieder in Schlaf.
Die Kanakas waren einen Augenblick unruhig geworden, aber dann nahmen sie wieder ihre alte Stellung ein. Es liegt ein besonderer Ausdruck in der Stimme eines Mannes, der im Schlaf spricht, und nach der ersten Erregung beruhigten sie sich wieder. Alle waren bereit, sofort nach der Seite des Schiffes zu laufen und ins Boot zu klettern. Die Hände hatten sie flach aufs Deck gelegt, und mit den Blicken folgten sie Le Moan, die geräuschlos nach hinten glitt. Den abgebrochenen Speer hatte sie in der Linken, mit der Rechten berührte sie die Reling.
Am Eingang zu den Kajütenräumen blieb sie stehen und lauschte. Ihr scharfes Gehör unterschied genau die rauhe Brandung der Meereswogen außen am Riff von dem leisen Plätschern der Wellen an der Schiffswand des Schoners. Aus der dunklen Türöffnung zur Treppe klang leise ein schwaches Geräusch: das regelmäßige Atmen der weißen Männer, die unten in ihrer Kabine schliefen.
Sie war noch niemals unten gewesen. Selbst bei Tage hatte sie sich vor der Treppe gefürchtet. Es war die Furcht vor dem Unbekannten, vor einer Falle. Da sie an die Freiheit der offenen Natur gewöhnt war, empfand sie unwillkürlich Angst vor der Enge eines geschlossenen Raumes.
Wenn sich bei Tage schon Furcht in ihr Herz gekrallt hatte, so packte sie in der Dunkelheit entsetzliches Grauen. Aber sie mußte nach unten gehen, denn das Leben Taoris lag auf dem Boden dieser dunklen Grube. Mit ihren Händen mußte sie es retten und herauftragen – sie allein, kein anderer.
Kanoa saß bei seinen Gefährten und beobachtete Le Moan. Und während er ihr nachschaute, ging eine seltsame Wandlung in ihm vor. Vorher hatte ihn Furcht übermannt, als sie von dem drohenden Tod erzählte; vorher hatte er sich nach ihr gesehnt, nach ihrer Schönheit und nach ihrer Liebe. Mit seinen achtzehn Jahren war er noch ein großes Kind gewesen, dem Lachen und Fröhlichkeit das Leben bedeuteten. Aber nun war alles anders geworden.
Die heldenhafte Tat, die Le Moan vollführen wollte, um ihn und die anderen zu retten, weckte in ihm das Erbe der großen Vergangenheit seiner Vorfahren, die in den Krieg gezogen waren, gekämpft und gelitten hatten. Begeisterung kam über ihn, wie er sie sonst nur beim Tanz und bei dem Rhythmus der Musik gefühlt hatte.
Er erhob sich, wich Poni geschickt aus, der ihn mit der Hand am Bein zurückhalten wollte, trat an die Reling und blieb einen Augenblick dort stehen, als Le Moan in der Kajütentür verschwand. Dann glitt er leicht wie ein Schatten zu dem Eingang der Treppe und lauschte.
Le Moan hielt sich an dem polierten Geländer fest und bewegte sich vorsichtig Stufe für Stufe nach unten. Ihre Linke umklammerte krampfhaft den abgebrochenen Speer.
Die verbrauchte, abgestandene Luft der unteren Räume schlug ihr entgegen. Es roch nach Schweiß, Menschenkörpern, Tabaksqualm und dumpfen, nicht gelüfteten Kabinenbetten.
Dieser Geruch überfiel sie wie ein böser Geist und versuchte, sie zurückzutreiben. Einen Augenblick prallte sie auch zurück, von heftigem Widerwillen gepackt. Sie kannte ja nur die frische, freie Luft und konnte mit ihrem feinen Unterscheidungsvermögen den Geruch des nahenden Regens im Winde unterscheiden und den Umschwung des Wetters vorausahnen. Aber ihre Energie und ihr Mut überwanden den Abscheu, und sie kam am Fuß der Treppe an. Vor ihr lag eine mattgraue, rechteckige Öffnung; dahinter war das Innere der Kabine zu sehen.
In der Mitte des Raums stand der Tisch mit der Hängelampe darüber; an beiden Wänden lagen die schlafenden Männer in ihren Kojen. Ihre Kleider hatten sie unordentlich hingeworfen. Die Mondstrahlen drangen durch die runden Luken und erhellten die ganze Kabine.
Von dem Bett an der rechten Seite hing ein Arm herunter. Dort lag Carlin. Sie erkannte es sofort an der Größe. Leise schlich sie sich an seine Seite, blieb stehen und schaute auf.
Etwas bewegte sich und tanzte über Carlin, bald an der Decke, bald an der Wand. Es glich einem großen, silbernen Schmetterling, der jetzt zu ruhen, jetzt wieder umherzuflattern schien.
Es war ein Schimmer von dem mondbestrahlten Wasser der Lagune, der durch das offene Kabinenfenster hereinfiel. Das Geisterlicht hielt Le Moan einen Augenblick gefangen, aber dann ergriff sie die Hand des Schlafenden und trieb die Speerspitze in seinen Arm. Fast in demselben Moment, in dem der Verwundete wie wahnsinnig aufschrie, sprang Rantan über den Tisch, packte sie an der Kehle und drückte sie zu Boden.
Kanoa stand oben an der Treppe und lauschte. Er hörte die Brandung am Riff, und er hörte, wie das Wasser von den Planken des Schiffes abtropfte, aber von unten drang kein Laut zu ihm herauf. Erst nach langen Sekunden durchgellte ein furchtbarer Schrei die Stille, dann tönten die Geräusche eines heftigen Kampfes nach oben. Die Furcht fiel von Kanoa ab, und ein wilder Zorn packte ihn. Entschlossen eilte er in die Dunkelheit, stolperte in der Eile, fiel hinunter, erhob sich etwas verwirrt und stürmte in die Kabine.
Carlin lag vollkommen nackt mit dem Gesicht nach unten auf dem Boden. Entweder war er schon tot, oder er lag im Sterben. Auch Rantan war vollkommen unbekleidet. Er hatte Le Moan gepackt, um sie zu erwürgen. Mit übermenschlicher Anstrengung war es ihr gelungen, sich zu erheben, aber er drängte sie gegen den Tisch und drückte sie auf die Platte. Er hatte ihr das Knie in die Hüfte gestemmt, würgte mit den Händen ihre Kehle und wollte das Mädchen zu Tode quälen. Geisterhaft und gespenstisch beschien der Mond die gräßliche Szene.
Kanoa sah das alles in einem Augenblick. Schnell wie der Blitz und gewandt wie ein Tiger sprang er zu, saß Rantan im nächsten Moment im Nacken und befreite Le Moan aus der tödlichen Umklammerung. Er packte Rantan von hinten an der Kehle; mit seinen Knien umklammerte er den Körper des weißen Mannes und ritt auf ihm wie auf einem Pferde. Aus Rantans Mund kamen gurgelnde Laute. Er versuchte, nach hinten zu schlagen, fuchtelte mit den Armen in der Luft umher, erhob sich, strauchelte und stürzte dann nieder. Aber Kanoa hielt ihn fest und klammerte sich nur noch zäher an ihn, während er sich auf dem Boden hin- und herwälzte. Immer tiefer gruben sich seine Fingernägel in die Kehle des Weißen, bis dieser schließlich ruhig wurde und reglos liegen blieb.
Es war vorüber.
Der silberne Schmetterling tanzte immer noch an der Decke, und die Brandung am Korallenriff rauschte eintönig, einschläfernd und melancholisch. Nach einer Weile stützte sich Le Moan, die noch auf dem Tisch lag, auf den Ellbogen, schaute sich um und wußte, was geschehen war. Ihre Füße glitten auf den Boden. Rantan lag halb auf Carlin, und Kanoa hatte Rantan noch immer gepackt.
Aber sein Griff hatte nachgelassen, und der Kanaka schien eingeschlafen zu sein. Als sie ihn anfaßte, rührte er sich. Sein Zorn und die wilde Erregung waren verrauscht, und eine seltsame Benommenheit lag über ihm. Langsam setzte er sich auf, und gleich darauf erhob er sich. Im selben Augenblick bewegte sich Rantan kaum merklich. Er war nicht tot, und Le Moan, die sich über Carlin neigte, packte das Bettuch, das über den Rand der Koje hing, zog es heraus und reichte es Kanoa.
»Binde ihn«, sagte sie. »Er lebt noch. Die Leute meines Volkes auf Karolin sollen ihn umbringen wie einen großen Hundsfisch.«
Während sie ihn fesselten, hörten sie Ponis Stimme von oben. Er hatte sich ebenfalls an die Tür geschlichen, um zu lauschen, und Le Moans Worte gehört.
»Kanoa, was macht ihr da unten?«
»Du Feigling!« rief Le Moan. »Komm herunter und sieh! Und hilf uns, nachdem alles getan ist.«
»Ja«, sagte nun auch Kanoa, der sich stark fühlte im Bewußtsein seines Sieges. »Jetzt kannst du kommen und helfen, nachdem der Kampf vorüber ist.«
Er kniete neben dem gefesselten Rantan und sah auf das Mädchen. Seine Blicke hingen wie gebannt an ihr. Er wußte ja nicht, daß dies alles nur für Taori geschehen war.
Taori, neben dem für Le Moan alle anderen Männer nur Schatten glichen, leblos und unwirklich wie der silberne Schmetterling, den die Mondstrahlen an die Decke der Kabine zauberten.