Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

[10]

Alles, was vom Schiff übrigblieb, war das kleinere Boot, das schwarze Fahrzeug, das Aioma im Augenblick noch nicht geopfert hatte.

Auf der Insel gab es kein einziges Kanu mehr, und er wollte schnell wieder eines bauen, damit die Leute auf den Fischfang gehen konnten. Dann wollte er auch das schwarze Boot vernichten und damit die letzte Spur der verfluchten Papalagi.

Das Werk machte gute Fortschritte, und Le Moan half wie all die anderen. Sie arbeitete mit Kanoa an dem Segel. Er war glücklich und ahnte nicht, daß sie der Welt abgestorben war. Nur wunderte er sich manchmal.

Zuweilen erschien ihm die Frau, die er in sein Herz geschlossen hatte, wirklich wie ein Geist oder eine verlorene Seele, wie er vor der Ermordung Carlins geglaubt hatte. Immer war ihr Geist fern von ihm, unnahbar und unberührbar wie die Möwen, die er als Kind auf Soma hatte greifen wollen. Und doch war sie sein und ließ sich von ihm lieben. »Mit der Zeit wird auch sie die Arme um mich schlingen«, sagte das Herz von Kanoa.

Ihre Gleichgültigkeit und ihr sonderbares Wesen steigerten nur seine Leidenschaft. Er war ein Kind und trotzdem ein Mann und lebte jetzt in einer Welt des Wunders. Immer sang er, wenn er allein war, und seine Stimme sprach von unsagbarem Glück; sie war nicht wie die Stimmen der anderen. Wenn die Frauen ihn im Gebüsch hörten, sagten sie: »Das ist Kanoa.«

Und trotz des Glücks, das er durch ihren Besitz empfand, trotz seiner Liebe und seiner heißen Umarmungen, trotz des freudigen neuen Lebens, das Karolin erfüllte, und der Schönheit der Nächte, in denen Taori und Katafa zusammen am Riff entlanggingen, stieg in Le Moan niemals der Wunsch auf, sich selbst zu vernichten – all das galt ihr jetzt nichts mehr.

Sie hatte sich das Herz ausgerissen, und nichts anderes zählte, nicht einmal ihr Leben.

»Und morgen oder am nächsten Tag«, sagte Aioma eines Morgens, »wird das Kanu fertig sein. Dann werden wir die kleine ayat verbrennen, wie wir die große in Flammen gesetzt haben. Ah hai, was ist denn das? Das Riff hebt sich vor meinen Augen. Sieh doch, Tahuku!«

Aber Tahuku sah nichts. Das Riff war fest und unbeweglich wie in alten Zeiten, und die Sonne strahlte darauf nieder. Das sagte er auch Aioma.

Der alte Mann schloß die Augen, und als er sie wieder öffnete, lag das Riff ruhig und still wie zuvor. Aber er war müde und unruhig. Glocken klangen in seinen Ohren; seine Hände waren heiß und trocken, und später, gegen Mittag, schien es ihm, als ob einer der Papalagi ihn von hinten gepackt hätte und ein Band so fest um seinen Kopf schlänge, daß er laut aufgeschrien hätte, wenn er ein gewöhnlicher Mann gewesen wäre.

Und als er auf dem Boden lag, kam eine Frau, eins der Weiber von Poni, in schnellem Lauf herbei.

»Ich brenne, ich brenne!« rief sie keuchend.

»Aioma, ich kann nicht mehr sehen – es ist ein furchtbares Feuer in mir!« Sie fiel zu Boden. Katafa eilte zu ihr und hob ihren Kopf.

Aioma wandte sich zur Seite und versuchte aufzustehen, aber es gelang ihm nicht mehr. Und dann lachte er.

Nach einer Weile begann er zu singen. Er kämpfte mit den Papalagi, und er tötete sie, die Spanier, die vor langen, langen Jahren hierhergekommen waren, und die Besatzung des Walfischfängers, und Carlin und Rantan. Er sang den Siegesgesang, und doch unterlag er. Die weißen Männer hatten ihn überwunden mit einer Seuche der Weißen. Die Masern waren in Karolin ausgebrochen, denn das grüne Schiff irrte deshalb führerlos auf dem Meer umher, weil seine ganze Besatzung dieser Krankheit zum Opfer gefallen war. Und Aioma hatte sein Schicksal besiegelt, als er an Bord gegangen war.

Poni ahnte den Zusammenhang. Er hatte schon masernkranke Leute gesehen, und jetzt erinnerte er sich an das Schiff. Er schrie laut, daß sie verloren seien, daß die Teufel von dem grünen Schiff sie gepackt hätten, und daß sie alle sterben müßten.

Das brauchte er nicht zu sagen.

Aioma lebte nur noch einen Tag, dann wurde das Wasser der Lagune sein Grab. Die ganze Einwohnerschaft von Karolin lag krank darnieder, nur Taori, Katafa, Le Moan und Kanoa waren verschont geblieben.

Kanoa hatte die Krankheit vor vielen Jahren als Kind in Vana Vana durchgemacht und war dagegen gefeit; die anderen waren vielleicht schon geschützt, weil europäisches Blut in ihren Adern floß.

Die Leute starben auf den Korallenfelsen, oder sie stürzten sich selbst in die Lagune, weil sie den inneren Brand nicht mehr ertragen konnten. Dann wurden sie sofort von den Haifischen zerrissen, die in Scharen nach Karolin gekommen waren, da sie ihre Opfer witterten.

Aber für Le Moan, die alles sah, war es nicht die grüne Krankheit, die hier wütete – es war ihr böser Einfluß.

Sie hatte den Fluch über Karolin gebracht, sie hatte den Schoner und die weißen Männer hierhergeführt, und sie hatte ihn falsch gesteuert, so daß er der grünen Brigg begegnen mußte. Es war ihre Großmutter Le Juan, die durch sie den Bewohnern von Karolin Tod und Verderben brachte. Aioma hatte sie in dem letzten klaren Augenblick vor seinem Tod bei den Händen ergriffen und ihr das gesagt. Aber sie brauchte es nicht von Aioma zu erfahren. Sie wußte es. Und sie beobachtete alles. Sie konnte nicht helfen, und es war ihr auch gleichgültig. Die Leute gingen dahin und verschwanden wie Geister. Sie starben wie Fliegen, während der Wind leise wehte, während die Sonne schien und die Möwen Fische fingen, während die Dämmerung des jungen Tages schön und verheißungsvoll wie in alten Zeiten durch das Tor des Morgens ihren Einzug hielt.


 << zurück weiter >>