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Als der Wagen auf dem von hohen Bäumen umragten und mit braunen Nadeln wie mit einem Teppich überdeckten Platze vor der Tür hielt, erschien Oldenburg oben auf der Galerie, die die zwei Stockwerke trennte und sich um das ganze Haus zog, und grüßte freundlich hinab. Im nächsten Augenblick war er an der Tür und schüttelte Oswald mit Herzlichkeit die Hand.
»Also doch!« sagte er. »Ich fürchtete schon, es wäre Ihnen ergangen wie den meisten Leuten, die, wenn sie einmal mit mir zusammen gewesen sind, für alle Ewigkeit genug haben.«
»Ich weiß nicht, Herr Baron, ob Sie sich den meisten Leuten so zeigen, wie Sie sich mir gezeigt haben«, sagte Oswald; »wäre dies der Fall, so habe ich für mein Teil nicht den Geschmack der meisten Leute.«
»Wahrlich, ein Selam in optima forma!« sagte Oldenburg lächelnd. »Ein paar alte graubärtige Söhne Mohammeds könnten es nicht besser. Es fehlt bloß noch, daß wir zum Schluß unsere eigenen Fingerspitzen küssen! Aber kommen Sie ins Haus, da können wir die Sache noch bequemer haben.«
Sie betraten einen kleinen Flur, von dem man auf einer niedrigen, breiten Treppe in das obere Stockwerk zu einem Entree gelangte, das von oben Licht empfing. Aus diesem gingen sie in ein weites, ziemlich hohes Gemach, zwischen dessen zwei Fenstern eine Glastür auf die breite Galerie führte, die eine unbeschränkte Aussicht auf das Meer gewährte, und obgleich noch ziemlich dreißig Fuß zwischen dem Hause und dem scharf abfallenden Rande des Ufers lagen, unmittelbar über der Brandung, die tief unten zwischen den Rollsteinen und auf den Kieseln des Strandes murmelte, zu hangen schien.
Von diesem erhabenen Standpunkte schweifte der Blick auf das blaue unermeßliche Meer und auf das hohe weiße Kreideufer, das sich, nach links in einem weiten Halbmond hinziehend, zuletzt in einem Vorgebirge endigte, das der Buchwald von Grenwitz krönte.
Oswald konnte einen lauten Ruf der Bewunderung nicht unterdrücken.
»Nicht wahr«, sagte Oldenburg, sich neben ihm auf die Brüstung der Galerie lehnend, »es war ein gescheiter Einfall meines würdigen Großvaters, an diesem Punkte, nebenbei einem der höchsten der ganzen Insel, ein Haus zu bauen. Ich habe den alten Mann mit seinem langen eisgrauen Barte noch gekannt und sehe ihn im Geiste noch hier auf dieser Galerie sitzen und, wie der König von Thule, mit seinen verlöschenden Augen auf das heilige Meer schauen, das er verehrte, wie ein Enkel seine alte Großmutter ehrt, und liebte, wie ein Jüngling die Geliebte seiner Seele liebt. Ich wollte, er hätte mir außer seiner Figur auch seine unermeßliche Fähigkeit, für Naturschönheit schwärmen zu können, vererbt. Leider bin ich in der letzten Beziehung in demselben Grade zu kurz gekommen, wie in der ersten zu lang.«
»Ist das Ihr Ernst?« sagte Oswald.
»Wahrhaftig«, sagte Oldenburg, »und ich habe mich auf meinen Reisen oft genug deshalb geschämt und meine ästhetische Verstocktheit verwünscht, die mich auf den schönsten Punkten, wo andere vor Vergnügen Purzelbäume schlugen oder sentimentale Tränen weinten, geradezu nichts empfinden ließ. Vergebens, daß ich, wie die englischen Misses an meiner Seite: Beautifully, very fine, indeed! seufzte, vergebens, daß ich Tag und Nacht die herrlichsten Naturschilderungen von Byron und Lamartine las, bis ich sie auswendig wußte – es half alles nichts. Ich brachte es nicht weiter, wie der arme Werther, als ihm die ewige Natur wie ein lackiertes Bildchen erschien; und ein paar Bettelbuben, die sich auf dem Sande des Strandes balgten, und ein armer Fellah, der sein Wasserrad drehte, waren mir interessanter als der Golf von Neapel und der Nil. Ich habe nur an Menschen und Menschentreiben meine Freude – von der Natur verstehe ich ein für allemal nichts.«
»Aber warum verbannen Sie sich denn in diese Einsamkeit? Warum wohnen Sie, da Sie es doch haben können, anstatt hier an diesem nordischen Strande, nicht lieber an dem Boulevard des Capucines oder in London auf dem Pall-Mall?«
»Aus demselben Grunde, aus welchem man den Falken, bevor man ihn auf die Gazellenjagd nimmt, vierundzwanzig Stunden fasten läßt – um meinen Hunger nach meiner Lieblingsspeise zu schärfen. Wenn ich hier ein paar Wochen gehaust habe, sind meine Sinne wieder frisch und empfänglich, und das Schauspiel des Menschentreibens hat wieder seinen alten Reiz für mich.«
»Und wie lange gedenken Sie diesmal hierzubleiben?«
»Ich weiß noch nicht. Meine Solitude – so taufte nämlich mein Großvater diesen seinen Lieblingsort – gefällt mir diesmal besser als sonst. Ich habe in den letzten Jahren ein etwas buntes Leben geführt und unzählige Adamskinder der verschiedensten Rassen und Kulturzustände durcheinander gesehen. Zuletzt sah einer genauso aus wie der andere; meine Sinne waren vollkommen abgestumpft und eine längere Hungerkur nötig. Daß ich nicht ganz verhungere, dafür sollen Sie und die Czika sorgen.«
»Und wo ist denn unser kleiner Findling?«
»Irgendwo auf der Heide, wo sie sich in den blühenden Ginster legt und in den Himmel starrt, oder am Strande, wo sie zwischen den Felsblöcken umherklettert und vor Vergnügen in die Hände klatscht, wenn eine höhere Welle ihre nackten Füße benetzt. Bis zu Schuhen hat sie es nämlich noch nicht gebracht, das heißt, ich habe sie noch nicht dazu bringen können. Ich lasse ihr überhaupt absolute Freiheit, seitdem sie mir gleich am zweiten Tage, als ich sie bei dem schauderhaften Wetter nicht herauslassen wollte, sehr energisch erklärte: Czika stirbt, wenn Czika nicht in den Regen darf.«
»Sehnt sie sich denn nicht nach ihrer Mutter zurück?«
»Glauben Sie wirklich, daß das braune Weib, das ich übrigens nur ganz flüchtig gesehen habe, des Kindes Mutter ist?«
»Unbedingt. Die Ähnlichkeit zwischen Czika und der braunen Gräfin ist unverkennbar.«
»Von wem habe ich doch diesen Ausdruck schon gehört?« sagte Oldenburg nachdenklich. »Von Ihnen neulich, ohne Zweifel, aber er kam mir gleich so bekannt vor. Stammt das Wort von Ihnen?«
»Nein, von Frau von Berkow«, sagte Oswald, den Blick fest auf Oldenburg richtend.
»So so«, sagte der Baron.
Es war das erste Mal, daß Melittas unter den beiden Männern Erwähnung geschah, und es war bezeichnend genug, daß sofort eine Pause in dem Gespräch eintrat.
»Bei welcher Gelegenheit hat denn Frau von Berkow die Bekanntschaft der Zigeunerin gemacht?« fragte der Baron nach einiger Zeit.
Oswald erzählte in kurzen Zügen die Geschichte von der braunen Gräfin, so wie sie ihm Melitta mitgeteilt hatte.
Oldenburg lächelte. »Ja, ja«, sagte er, »jetzt erinnere ich mich. Frau von Berkow hatte mir die Anekdote schon vor ein paar Jahren erzählt. Die Geschichte ist allerliebst, besonders für den, der sich für Frau von Berkow interessiert, weil sie den liebenswürdigen, aus Mutwillen, Schalkheit und Gutmütigkeit wunderbar gemischten Charakter dieser Dame so vortrefflich charakterisiert.«
Der Baron sagte das einfach und ruhig, als hätte es niemals eine Zeit gegeben, wo er für ein Lächeln dieser Dame sein Leben aufs Spiel gesetzt haben würde.
»Aber wollen wir nicht hineingehen«, fuhr er fort, »ich sehe, Hermann, mein Rabe und Faktotum, hat einen Tisch mit allerlei Appetitlichem gar zierlich gedeckt, und dort kommt auch Thusnelda, seine Gemahlin und meine Amme, um uns feierlich zum Vesperbrot zu laden.«
Eine alte, würdig aussehende Frau von stattlichem Umfange erschien in der Glastüre, machte einen tiefen Knix und sagte:
»Herr Baron, es ist serviert.«
»Schön«, sagte Oldenburg, »hast du die Czika nicht gesehen?«
»Ich dachte, sie wäre beim Herrn Baron«, antwortete die Matrone, ängstlich umherblickend.
»Nein. Bring sie doch herauf, wenn sie unterdessen kommen sollte. Du kannst dich einmal nach ihr umsehen. Kommen Sie, Doktor, ich hoffe, der weite Weg hat Sie hungrig, zum mindesten durstig gemacht! Thusnelda hat für beide Fälle gesorgt.«
Während sie an dem mit Erfrischungen aller Art reichlich besetzten Tische Platz nahmen, schaute Oswald sich in dem Zimmer um. Der weite Raum wurde durch einen großen Schreibtisch von Eichenholz und durch Stühle und Sofas von mancherlei Formen, die den Platz häufig zu verändern schienen, wesentlich verringert. An den Wänden standen Eichenschränke mit Büchern angefüllt. Bücher lagen auf dem Boden. Einige Büsten nach der Antike, und ein paar große Kupferstiche waren der einzige Schmuck des Zimmers, das im übrigen offenbar auf Eleganz nicht den mindesten Anspruch machte; zwischen zwei der Schränke, wo ein Kupferstich hingehörte, war eine grünseidene Gardine, die entweder ein ungeschickt angebrachtes Fenster oder ein Bild verdeckte, das der Besitzer aus diesem oder jenem Grunde dem Bliche neugieriger Besucher nicht ausgesetzt wünschte.
Sodann wurde seine Aufmerksamkeit wieder von dem Baron selbst in Anspruch genommen, der ihm heute in einem kurzen gelben, leinenen Rock, der seiner langen, hagern Figur gar seltsam stand, ein ganz anderer zu sein schien. Mehr aber noch als der veränderte Anzug war es der veränderte Ausdruck des Gesichtes, der Oswald auffiel. Der höhnische Zug um den Mund, den selbst der dichte Bart nicht ganz verdecken konnte, die scharfen kleinen Fältchen auf der hohen Stirn, um die Augen und Nasenflügel – alles war von einem freundlichen Lächeln ausgelöscht, das den grauen, sonst so stechenden Augen einen Ausdruck von Milde und Gutmütigkeit gab, den Oswald, soweit er auch von seinem Vorurteil gegen den Baron zurückgekommen war, niemals für möglich gehalten haben würde. Ja, der Gedanke, daß ein Weib diesen seltsamen Mann von ganzem Herzen lieben könnte, schien ihm nicht mehr so wunderlich wie auf dem Balle von Barnewitz. Er dachte an das Blatt in Melittas Album, er dachte an seine eigenen Worte: Dieser Mann wird niemals glücklich sein, weil er niemals wird glücklich sein wollen, und an Melittas Antwort: Darum ist dieser Mann aus meinem Leben losgelöst, wie sein Bild aus diesem Album, und er sagte sich jetzt: Er hätte glücklich sein können, wenn er gewollt hätte; warum wollte er es nicht? Was trennte diese beiden? Wer von ihnen sprach das Wort, das sie – wie es scheint – auf ewig trennte?
Diese Gedanken erweckten heute in Oswald nicht mehr jene wilde Eifersucht, die sein Herz an dem Tage, wo er dem Baron zuerst im Walde begegnete und hernach auf dem Balle in Barnewitz zerfleischt hatte – aber das geheimnisvolle Dunkel, welches über diesen Vorgängen lag, das er nicht lüften konnte und, was schlimmer war, nicht einmal zu lüften wagte, erfüllte seine Seele mit tiefer Trauer.
Oswald suchte dieser trüben Stimmung Herr zu werden; es war ihm, als wenn des Barons scharfe Augen lesen könnten, was in seiner Seele vorging. Indessen schien dieser vollkommen unbefangen und ganz von dem Thema ihres Gesprächs in Anspruch genommen, das, wie erklärlich, sich hauptsächlich um Czika und die braune Gräfin drehte. Beide Männer versuchten ihren Scharfsinn vergeblich an der Lösung der vielen Rätsel dieser wunderbaren Angelegenheit. Was hatte die braune Gräfin bestimmt, ihr Kind, an dem sie doch mit so großer Liebe zu hängen schien, so ohne weiteres fremden Männern zu überlassen? Woher nahm sie zu dieser Entsagung den Mut in dem Augenblicke, wo sie durch die brutalen Scherze der jungen Edelleute (der Reitknecht des jungen Grafen Grieben hatte Oldenburgs Kutscher die Sache erzählt) und durch den, allerdings bloß scherzhaft gemeinten Raub der Kleinen so außer sich gebracht war? Hatte sie das Kind Oswald oder dem Baron oder hatte sie es beiden geschenkt? Oder hatte sie es ihnen nicht geschenkt, sondern verkauft, und hatte sie nur den Zahlungstermin einen Monat hinausgeschoben, in der Hoffnung, daß die beiden Männer oder auch einer von ihnen das schöne Kind während dieser Zeit liebgewinnen und demnach gern einen höheren Preis zahlen würden?
»Meine größte Furcht«, sagte Oldenburg, »ist, daß die braune Gräfin der noch nicht einmal abgeschlossene Handel gereut und sie das Kind wieder raubt oder auch die Czika selbst der Sehnsucht nach ihrem Wanderleben nicht widerstehen kann und eines schönen Morgens verschwunden ist. Ich gestehe, daß es ein harter Schlag für mich sein würde. Ihre Prophezeiung, daß ich in der süßen Dirn einen Schatz gefunden habe, köstlicher als Aladins Wunderlampe, scheint in Erfüllung zu gehen. Ich sage mit dem weisen Nathan: Ich bliebe, oder richtiger: Ich wäre des Mädchens Vater doch so gern! Ich möchte so gern dieser bis jetzt stummen Seele eine Sprache entlocken, und in dieser Sprache meinen eigenen Gedanken veredelt und verschönert wiederhören! Ich möchte sie an mich ketten mit allen Banden, durch die ein Vater an seine Tochter, eine Tochter an ihren Vater gefesselt sein kann – versteht mich, um sie nachträglich alle diese Bande zerreißen und sich dem ersten besten Gelbschnabel in die Arme werfen zu sehen, dem der Rock um einen Grad besser sitzt als seinen Nachbarn. Aber bis dahin möchte ich wenigstens, daß sie mein wäre. Ich stehe jetzt in den Jahren, wo man sich, wenn man nicht zufällig ein Swift ist, der bekanntlich die Kinder hätte fressen mögen, aber nicht aus Liebe, – nach Kindern sehnt wie ein müder Wanderer nach einem Stab, die erschlaffenden Glieder zu stützen. Wenn wir fühlen, daß wir den höchsten Punkt auf unserem Lebenswege erreicht haben und es nun unaufhaltsam bergab geht und das Land unserer Jugend hinter dem Kamm des Hügels allgemach verschwindet, da möchten wir fröhliche Kinderstimmen von drüben ertönen hören, die uns unsere eigene selige Jugendzeit wieder in die Erinnerung rufen. Sie werden mich fragen, weshalb ich denn dieser spießbürgerlichen Tendenz nicht nachgebe und heirate? Oder Sie werden mich das auch nicht fragen, denn Sie werden sich selber sagen, daß für jemand, der sich die zehn besten Jahre seines Lebens in allerlei liaisons dangereuses oder innocentes unausgesetzt bewegt hat, das Heiraten eine moralische Unmöglichkeit ist. Ich will keine Frau, die so blasiert wäre, nicht von mir hören zu wollen: Ich liebe dich! Und wie kann ich das, ohne mir selbst lächerlich vorzukommen, zu ihr sagen, wenn ich es schon soundso vielen anderen in allen mir bekannten Sprachen gesagt habe? Nein, nein! Mit solchen Gesinnungen mag man Türke werden und sich einen Harem anschaffen, aber für die monogamische Ehe im höchsten, reinsten Sinne, wo sie eine wunderbare Alchimie ist, die aus den zweien eins macht, für diese Ehe, die auch ich heilig halte, ist man wahrlich zu schlecht.«
»Und doch«, sagte Oswald, »liegt in der wahren Liebe eine reinigende und heiligende Macht, vor der alle Zweifel an uns selbst verschwinden wie der Nebel vor den Strahlen der Sonne. Die wahre Liebe wischt – wie der echte Haß – ›von der Tafel der Erinnerung weg alle törichten Geschichten‹ und macht uns mit einem Schlage aus wüsten Barbaren zu zartfühlenden, feinsinnigen Hellenen. Die rohe Kraft, die vorher sich nur betätigen wollte, gleichviel, ob sie schaffte oder zerstörte, nimmt jetzt Form an; und wo sie früher einen Siva schuf, dessen glühender Blick alle Kreatur verzehrt, schafft sie jetzt einen olympischen Zeus, der alles, was ist, mit Vateraugen segnet.«
»Sehr schön gesagt«, erwiderte der Baron, »wollen Sie nicht diese Liebfrauenmilch versuchen, der Wein macht seinem Namen Ehre – sehr schön gesagt, auch wohl wahr –, nur nicht für problematische Naturen.«
»Was nennen Sie problematische Naturen?«
»Es ist ein Goethescher Ausdruck und kommt in einer Stelle vor, die mir viel zu denken gegeben hat. ›Es gibt problematische Naturen‹, sagt Goethe, ›die keiner Lage gewachsen sind, in der sie sich befinden, und denen keine genug tut. Daraus‹, fügt er hinzu, ›entsteht der ungeheure Widerstreit, in dem sich das Leben ohne Genuß verzehrt.‹ – Es ist ein grausiges Wort, denn es spricht in olympischer Ruhe das Todesurteil über eine, besonders in unseren Tagen, weitverbreitete Gattung guter Menschen und schlechter Musikanten. – Da ist Czika!«
»Wo?«
»Hinter Ihnen.«
Oswald wandte sich um. In der offenen Tür, die auf den Balkon führte, stand das schöne Kind, vom roten Licht der untergehenden Sonne umflossen. Ihr üppiges, tiefschwarzes Haar fiel von beiden Seiden über die feine Stirn auf die Schultern, die aus einer blauen Bluse hervorschauten, die mit einem dünnen, rotseidenen Schal um die schlanke Hüfte gegürtet war. Weite seidene Beinkleider reichten bis zu den mit Sandalen bekleideten, sonst nackten Füßen. Als sie einen Fremden in dem Zimmer erblickte, hatte sie sich leise, wie sie gekommen war, wieder wegstehlen wollen, bis der Ausruf des Barons sie bannte und Oswald sich umgewandt hatte. Bei seinem Erblicken flog ein freudiges Lächeln über ihr ernstes, dunkles Gesicht, und die braunen Gazellenaugen schauten beinahe zärtlich zu ihm empor, als er ihr jetzt, eine ihrer Hände in den seinen haltend und mit der andern ihr das üppige Haar schlichtend, vor ihr stand.
»Czika kennt dich«, sagte sie, »du bist sehr gut. Du hast die Armen lieb, die Armen haben dich lieb.«
»Eine Liebeserklärung!« sagte Oldenburg lachend, der am Tische sitzen geblieben war, »die wievielte, Doktor, in den letzten acht Tagen! Doktor, Sie sind ein gefährlicher Mensch, und ich werde mich genötigt sehen, Ihnen mein Haus zu verbieten.«
»Warum bist du nicht immer hier?« sagte Czika, ihre großen Augen von dem Baron wieder zu Oswald wendend. »Czika will mit dir an dem großen Wasser sitzen, Czika will dir Blumen auf der Heide pflücken. Warum bist du nicht immer hier?«
»Er kann nicht immer hier sein, Czika«, sagte der Baron, »aber er wird recht oft herkommen. Nicht wahr, Doktor?«
Die Tür nach dem Vorsaal wurde geöffnet und Madame Müller oder Thusnelda, wie sie der Baron nannte, schaute herein.
»Ich kann sie nicht – ah, da ist sie ja. Wo bist du denn gewesen, mein Herzenspüppchen? Komm, ich will dich ein wenig zurechtmachen. Wie du wieder aussiehst – ganz voll Heidekraut, wie gewöhnlich; was sollen die Herren von uns denken.«
So sprach die Matrone, das Kind mit sanfter Gewalt an der Hand aus dem Zimmer führend.
»Sie müssen wissen, daß eine große Liebe zwischen den beiden besteht«, sagte der Baron. »Meine alte Amme hat viel blühende Kinder gehabt, die alle frühzeitig gestorben sind. Anderer Frauen Herz wird durch solches Unglück oft verhärtet, aber Thusneldas Herz ist weich geblieben, und jetzt liebt sie die Czika, als wäre sie ihr Letztgeborenes. Das ist aber nun gerade, als wenn eine Taube einen Falken ausgebrütet hätte. Czikas Tendenzen zu einem möglichst ungebundenen Dasein bringen die arme alte Dame alle Tage zehnmal in die größte Not und Verzweiflung. Und dann ist noch ein Umstand. Thusnelda ist gut kirchenfromm – und Czika hat – horribile dictu – gar keine Religion –, es müßte denn irgendein geheimnisvoller Sterndienst sein, den sie begeht, wenn sie sich des Nachts von ihrem Lager stiehlt und auf der Höhe des Strandes im Mondenscheine tanzt, wie Thusnelda es mit Grausen und Schaudern gesehen zu haben schwört. Übrigens glaube ich, Thusnelda hat in diesem Falle recht. Ich habe wenigstens schon früher die Beobachtung gemacht, daß, wenn die Zigeuner Gegenstände der Anbetung haben, es Sonne, Mond und Sterne sind.«
»Haben Sie auf Ihren Reisen öfter Gelegenheit gehabt, mit diesem interessanten Volke in nähere Berührung zu kommen?«
»O ja«, sagte der Baron, »sogar in sehr nahe Berührung; besonders einmal – in Ungarn vor zwölf Jahren etwa.«
Der Baron schwieg, schenkte sich ein Glas Wein ein und trank es in mehreren Absätzen langsam aus, die Augen auf die Tischdecke geheftet, wie jemand, dessen Gedanken von einer Erinnerung ganz in Anspruch genommen sind.
»Nun«, sagte Oswald, »wie war das?«
»Was?« sagte der Baron, wie aus einem Traum erwachend. »Ja so, Sie wollen wissen, was ich in Ungarn mit den Zigeunern zu tun hatte.«
»Ich vermute, es steckt dahinter eine romantische Geschichte.«
»Allerdings«, sagte der Baron, »ich selbst stand damals noch in den Jahren, wo jeder Mensch, er müßte denn zufällig ein geborner Stockfisch sein, ein lebendiges Stück Romantik ist. Ich schwärmte für Eichendorffs mondscheindurchleuchtete Zaubernächte, für Brunnen und Wälderrauschen, und vor allem schwärmte ich für schlanke Mägdelein mit und ohne Gitarre am blauen Bande.
Meine ganze Weltanschauung war in einem eminenten Grade romantisch, vor allem meine Moral. Das ganze Leben hatte für mich nicht mehr Bedeutung als ein Schattenspiel an der Wand, und das einzige Reelle, was ich gelten ließ, war die souveräne Ironie. Mit einem Worte, ich war ein charmanter Kerl, und wenn man mich an den ersten besten Galgen gehangen hätte, so wäre das nur ›mir zur gerechten Straff, andern aber zum abscheulichen Exempul‹ gewesen.
Ich hatte damals das sogenannte Studieren in Bonn und Heidelberg gerade herzlich satt. Ich hatte in tausend Büchern vergeblich nach der Lösung des Rätsels gesucht, über dem sich schon so viel bessere Köpfe als ich den Kopf zerbrochen haben, und wollte es nun einmal auf andere Weise anfangen. Ich schrieb an meinen Vormund und drückte ihm den Wunsch aus, ein paar Jahre zu reisen. Der Vormund billigte diesen Plan höchlichst, wie er denn alles billigte, was mein Spatzenkopf ausheckte – nur um mich loszuwerden –, schickte mir Wechsel und Empfehlungsbriefe, und ich begab mich auf die Wanderschaft. Ich reiste durch Süddeutschland, die Schweiz, Oberitalien. Wenn Sie einen aber auch nur oberflächlichen Bericht dieser Reise von mir verlangten, so käme ich in die größte Verlegenheit. Ich weiß von den Gegenden gerade noch so viel, wie von den Landschaften, die man im Traume sieht. Zuletzt war ich in Ungarn. Der Zufall, der überhaupt mein Reisemarschall war, hatte mich dorthin geführt. Ich war in Wien mit einem jungen ungarischen Edelmann bekannt geworden, dessen Vater am Fuße des Tatragebirges reich begütert war. Er hatte mich eingeladen, mit ihm zu kommen; ich war dieser Einladung gefolgt. Wir führten ein sehr idyllisches Leben, dessen Hauptingredienzien Würfel, Wein und Weiber waren. Herr von Kryvan hatte ein paar sehr schöne Schwestern, in die ich mich der Reihe nach verliebte. Sodann begeisterte ich mich für die französische Gesellschafterin der alten Frau von Kryvan, die eben frisch von Paris gekommen war und die jungen Ungarinnen durch die Grazie ihrer Manieren, ihr Konversationstalent und ihren Geschmack in Sachen der Toilette beschämte.
Als ich einst, voll von dem Bilde dieser Huldin, die ich nebenbei einige Jahre darauf in Paris unter wesentlich anderen Verhältnissen wiedertraf – für den Augenblick glaubte ich an die Echtheit ihrer Perlen und ihrer Tugend –, als ich einst, sage ich, träumend in dem Walde umherlief, der sich von Kryvan weit in das Gebirge hinauf erstreckte, führte mich mein Reisemarschall, der Zufall, auf eine Lichtung im Walde, die sich eine Zigeunerbande zum temporären Wohnort erwählt hatte. Kleine Hütten aus Lehm und Reisig in archaischem Stile aufgeführt, eine Feuerstelle, an der ein altes Mütterlein einen Marder briet, Tierfelle und Lumpen an den Zweigen der Bäume zum Trocknen aufgehängt – das war das Bild, das sich meinen erstaunten Blicken darbot. Die ganze Bande war abwesend, mit Ausnahme besagter alter Hexe, einiger ganz kleiner Kinder, die sich in paradiesischer Nacktheit im Sande wälzten, und eines Zigeunermädchens von fünfzehn Jahren etwa –«
Der Baron schenkte sich ein Glas voll und trank es mit einem Zuge aus.
»Von fünfzehn Jahren etwa – vielleicht war sie auch älter – es ist das Alter von Zigeunermädchen schwer zu bestimmen. Sie war schlank und geschmeidig wie ein Reh, und ihre dunklen Augen leuchteten in einem so magisch sinnlich-übersinnlichen Feuer, daß mich ein Schauder des Entzückens packte, als ich tief und tiefer hineinschaute, während sie unter allerlei Manipulationen mir aus der flachen Hand mein Schicksal verkündete. Mein Schicksal war in ihren Augen viel deutlicher zu lesen als in meiner Hand. Ich war entzückt, berauscht, außer mir; die Welt war für mich versunken. – Sie erinnern sich, daß ich damals zwanzig Jahre und Romantiker von reinstem Wasser war – und daß ein Zigeuner sein, sich von Mardern nähren und sich in den Augen eines Zigeunermädchens sonnen, der Weisheit letzter Schluß und das höchste Ziel menschlichen Strebens sei, war für mich über allen Zweifel erhaben. Ich blieb bei den Zigeunern – ich weiß nicht, wieviel Tage. Meine Freunde im Schlosse glaubten, die Wölfe hätten mich zerrissen. – Da, eines Abends – die Sonne war schon hinter die Bergwand gesunken, die unseren Lagerplatz nach Westen schirmte – die Bande war noch nicht von ihrem Streifzuge zurück – ich saß mit der Zingarella am Fuß einer alten Eiche und war selig in meiner jungen Liebe – da –
Ich glaube gar, wir bekommen noch Besuch«, unterbrach sich der Baron, »war das nicht eine fremde Stimme?«
»Ich hoffe nicht«, sagte Oswald.
Die Tür wurde geöffnet, der alte Hermann schaute herein und sagte: »Herr von Cloten wünscht seine Aufwartung zu machen, Herr Baron; sind Sie zu Hause?«
»Bewahre«, sagte der Baron, »aber freilich, ich kann ihn nicht gut abweisen; er kommt um mich – hm, hm!«
»Lassen Sie sich durch mich in der Ausübung Ihrer Gastfreundschaft nicht stören«, sagte Oswald, aufstehend.
»Bleiben Sie! Bleiben Sie!« sagte der Baron. »Er wird sich hoffentlich nicht lange aufhalten. Er kommt in einer gewissen Angelegenheit, in der er meinen Rat haben will. Das ist alles. Führe ihn herauf, Hermann!«
Einen Augenblick darauf trat Herr von Cloten ein. Er war in Reitfrack und Stulpenstiefeln und schien einen weiten Ritt gemacht zu haben. Wenigstens sah er sehr erhitzt aus. Oswalds Anwesenheit schien ihn zu ärgern oder verlegen zu machen; wenigstens begrüßte er ihn mit auffallender Förmlichkeit, nachdem er dem Baron die Hand geschüttelt hatte.
»Sehr warm heute«, sagte er, auf einem Stuhl, den ihm der Baron anbot, am Tische Platz nehmend. »Robin trieft von Schweiß; habe Ihrem Reitknecht gesagt, ihn mit Stroh abzureiben. Konserviert die Pferde merkwürdig. Angenehmer Wein – Liebfrauenmilch? – Famoser Wein – hatten neulich auch welchen in Barnewitz – nicht halb so gut. Apropos, Barnewitz – gut bekommen, Baron? War etwas vor der Zeit fortgefahren – Hitze wirklich abominabel –«
»Wollen Sie nicht ablegen, Cloten?«
»Danke, danke! Will gleich wieder fort; wollte nur einmal, weil gerade in der Nähe – war auf Grenwitz – alles ausgeflogen dort – vorsprechen, zu sehen, wie es steht.«
»Aber Sie werden doch ein paar Minuten Zeit haben.«
»Keinen Augenblick – auf Ehre«, sagte Herr von Cloten, sein Glas leerend und aufstehend, »spreche morgen vielleicht wieder vor. Adieu, Baron.«
Von Cloten verbeugte sich wiederum sehr förmlich vor Oswald und schritt, von dem Baron begleitet, nach der Tür.
»Bitte, bitte, derangieren Sie sich nicht«, sagte Cloten.
»Ich will mir nur Ihren Robin einmal ansehen«, sagte der Baron und dann zu Oswald: »Entschuldigen Sie mich für ein paar Augenblicke, Herr Doktor.«
Oswald war allein; das auffallend kühle Benehmen des jungen Edelmannes hatte, wie sehr er denselben auch verachten zu dürfen glaubte, doch seinen leicht verletzlichen Stolz beleidigt. Er ging erregt in dem Gemache auf und ab. Sein Adelshaß hatte wieder neue Nahrung bekommen; auch Oldenburgs Benehmen schien ihm während Clotens Visite weniger herzlich gewesen zu sein.
»Ich sage es ja«, murmelte er durch die Zähne, »wo zwei zusammen sind, ist der Kastengeist mitten unter ihnen, und sie fließen zusammen wie Quecksilber.«
Sein Blick haftete auf dem grünseidenen Vorhang zwischen den beiden Bücherschränken, der seine Aufmerksamkeit schon vorhin erregt hatte.
Welches ist denn dies verschleierte Bild? Irgendein wollüstiger Correggio vermutlich; auf jeden Fall ein Beitrag zur intimeren Kenntnis dieses wunderlichen Mannes. Sie entschuldigen meine Neugierde, Monsieur le Baron!
Oswald zog mit einem Ruck der seidenen Schnur den Vorhang zurück, und der Jüngling zu Sais, der den Schleier von dem heiligen Bilde der Isis hob, kann kaum mehr erschüttert gewesen sein, als es Oswald war, wie er jetzt anstatt eines farbetrunkenen italienischen Gemäldes in einer Nische eine Büste aus keuschem weißem Marmor erblickte, die, obgleich in antikem Haarschmuck und ein wenig idealisiert, nichts war, als ein sprechend ähnliches Porträt Melittas. Das war ihr reiches, welliges Haar, das war ihre schöne zarte Stirn, die feine gerade Nase, das waren die weichen, selbst noch im Marmor taufrischen Lippen!
Ehe sich Oswald von seinem Erstaunen, dem Bilde der Geliebten sich so plötzlich gegenüberzusehen, nur soweit erholen konnte, den Vorhang wieder über das Bild zu ziehen, trat der Baron in das Zimmer.
»Entschuldigen Sie meine Indiskretion«, sagte Oswald, sich schnell fassend, »aber wer heißt Sie auch, verschleierte Bilder in einem Sanktuarium aufstellen, zu dem Sie jedem Fremden den Zutritt gewähren.«
»Sie haben recht«, sagte der Baron, ohne eine Spur von Verwirrung; »dieser grüne Schleier ist wie andere Schleier auch geradezu provozierend, und nebenbei ist es sehr töricht, die Kopie zu verhüllen, da jedermann das Original unverhüllt sehen kann, wenn er sich die Mühe gibt, nach Palermo zu reisen, und sich eine Erlaubnis verschafft, die Villa Serra di Falco besuchen zu dürfen.«
»In der Tat!« sagte Oswald, den die unverwüstliche Ruhe, mit welcher ihm der Baron dies Märchen aufzuheften suchte, ein wenig ärgerte: »Also bei Palermo? Ich war schon versucht, das Original weniger weit zu suchen.«
»Sie meinen im Berliner Museum?« sagte der Baron. »Es existiert dort allerdings eine Muse, die mit diesem Bilde große Ähnlichkeit hat, aber der Unterschied ist doch, wenn Sie genauer vergleichen, sehr bedeutend.«
»Allerdings«, sagte Oswald, »die Nase ist an jenem Bilde energischer; auch ist die Haltung des Kopfes eine andere, und überhaupt die Ähnlichkeit mit Frau von Berkow, die an dieser Büste so frappant ist, weniger auffallend.«
»Finden Sie?« sagte der Baron, aufstehend und vor das Bild tretend. »Wahrhaftig, Sie haben recht. Es ist wirklich eine flüchtige Ähnlichkeit zwischen diesem Bilde und Frau von Berkow. Nun, das macht mir das Bild nicht schlechter, denn ich gestehe, daß es wenige Damen auf der Welt gibt, an die ich mich so gern erinnern ließe als an diese ebenso liebenswürdige wie geistreiche Frau.« Der Baron zog den Vorhang wieder über das Bild, als wünschte er, jetzt das Gespräch darüber abzubrechen.
»Kommen Sie, Doktor«, sagte er, »setzen Sie sich wieder und tun sie, als ob Cloten, dieser geistreichste Jüngling, nicht hier gewesen wäre.«
»Ich glaube, es ist die höchste Zeit, daß ich aufbreche«, sagte Oswald, »die Sonne ist im Untergehen – ich möchte gerade heute nicht spät nach Hause kommen.«
»Wie Sie wollen«, sagte der Baron, »man soll den kommenden Gast willkommen heißen und den davoneilenden nicht halten. Ich habe große Lust, Sie eine Strecke zu begleiten. Sind Sie Reiter?«
»Ein wenig.«
»So wollen wir reiten, wenn es Ihnen recht ist. Ich nehme einen meiner Leute mit. Entschuldigen Sie mich für einen Augenblick. Ich will nur ein wenig Toilette machen und die nötigen Befehle geben.«
»Sie sitzen gut zu Pferde, Doktor«, sagte der Baron, als sie eine Viertelstunde später auf der Höhe des Strandes langsam dahinritten. »Es ist wirklich merkwürdig, welch wunderbares Talent Sie in diesen Dingen zeigen. Ich glaube, es gibt keine körperliche Geschicklichkeit, in der Sie es nicht in kurzer Zeit zur Meisterschaft bringen könnten.«
»Es ist das um so merkwürdiger«, sagte Oswald, »weil ich doch eigentlich infolge meiner plebejischen Geburt und Erziehung gar keine Ansprüche auf diese aristokratischen Vorzüge machen kann.«
»Schade, daß ich nicht Cloten bin«, sagte der Baron.
»Weshalb?«
»Weil ich dann die Ironie in Ihren Worten nicht im entferntesten ahnen, im Gegenteil durch Ihre rührende Bescheidenheit von der an Haß grenzenden Abneigung gegen Sie zurückkommen würde.«
»Ist Herr von Cloten so gegen mich gesinnt?«
»Denken Sie denn, daß einem Dandy lieb ist, wenn ein anderer sich im Pistolenschießen, Tanzen, Courmachen, kurz in allem überlegen zeigt, was der größte Stolz seiner kleinen Seele ist? Weiber und weibische Männer verzeihen dergleichen nie. Ich habe mich an dem Abend in Barnewitz königlich über die Gesichter amüsiert, die, natürlich hinter Ihrem Rücken, von einigen dieser geistreichen Jünglinge geschnitten wurden, und mir leider den billigen Spaß gemacht, durch allerlei kleine Teufeleien diese Püppchen noch mehr in Harnisch zu bringen.«
»Warum leider? Ich versichere Sie, daß mir an der guten oder schlechten Meinung dieser Herren sehr wenig gelegen ist.«
»Ohne Zweifel, aber Sie sind, solange Sie in dieser Gegend bleiben, genötigt, mit diesen Herren zu verkehren, und es ist eine Regel der allergewöhnlichsten Klugheit, daß man seine Mitreisenden nicht geflissentlich auf die Hühneraugen tritt. – Wer zum Teufel kommt denn da querfeldein von Cona her?«
Dieser Ausruf des Barons galt dem geheimnisvollen Reiter, den Oswald bei seiner Ankunft bemerkt hatte, und der jetzt wieder quer über die Heide herantrabte und ungefähr tausend Schritte vor ihnen auf den Weg gelangte.
Oswald erzählte dem Baron, was ihm mit dem Reiter begegnet war.
»Das müssen wir doch untersuchen«, sagte der Baron, »lassen Sie uns einmal Trab reiten.«
Sie hatten kaum ein paar Schritte zurückgelegt, als der Reiter vor ihnen wie auf Verabredung sein Pferd ebenfalls in Trab setzte. Es schien, als ob er sich einige Male verstohlen umschaute; doch war dies bei dem Dämmerlichte, das jetzt herrschte, nicht mehr deutlich zu erkennen.
»Versuchen wir es einmal mit Galopp«, sagte Oswald, »ich sehe, der Geheimnisvolle macht es gerade so wie heute nachmittag.«
Sie befanden sich jetzt auf der weiten, ebenen Fläche, die, sich allmählich zum Fischerdorf senkend, dem steinigen und weniger ebenen Terrain des Vorgebirges, auf dem Oldenburgs Villa lag, folgte. Der mit einer dünnen Erdschicht, in welcher spärliches Heidekraut wuchs, überkleidete felsige Boden erdröhnte vom Hufschlag der Pferde, die jetzt wacker ausgriffen.
Der Geheimnisvolle war, sowie sein Ohr den schnelleren Hufschlag vernahm, dem Beispiele gefolgt und galoppierte jetzt immer in derselben Entfernung vor seinen Verfolgern her.
»Stern chase is a long chase«, sagte Oldenburg, dem die Sache großes Vergnügen zu machen schien. »Der Bursche ist übrigens ausgezeichnet beritten. Sehen Sie nur, wie das Tier den Boden kaum mit den Hufen zu berühren scheint. Weißt du nicht, Karl, wer es sein kann?«
»Nein, Herr«, sagte der Reitknecht, der jetzt in einer Linie mit den beiden Herren ritt, »es kann niemand aus unserer Gegend sein, sonst müßten wir ihn schon eingeholt haben.«
»Karl schmeichelt sich nämlich mit dem Gedanken, daß er die besten und schnellsten Pferde weit und breit unter seinem Kommando hat«, bemerkte der Baron.
»Er hält es auch nicht lange mehr aus, Herr«, sagte Karl.
»Das müssen wir abwarten«, meinte der Baron.
»Sollen wir nicht, um dem Dinge ein Ende zu machen, die Pferde einmal laufen lassen?« sagte Oswald nach einigen Minuten. »Es muß sich dann ja zeigen, ob wir ihn einholen können oder nicht.«
»Meinetwegen«, sagte Oldenburg, »en avant!«
Die drei Reiter ließen ihren Pferden die Zügel. Die edlen Tiere, wie entzückt über die ihnen gewährte Freiheit, und als wüßten sie, daß ihr Ruf als beste Renner der ganzen Gegend heute auf dem Spiele stand, stürmten mit gewaltiger Geschwindigkeit dahin, zuerst Brust an Brust, bis Oldenburgs Rappe die Spitze nahm und behauptete, sooft auch eins der beiden andern Pferde ihm den Rang streitig zu machen suchte.
Der Geheimnisvolle hatte, als seine Verfolger ihre Pferde in Karriere setzten, sie bis auf fünfhundert Schritt herankommen lassen. Schon glaubten sie die Jagd ihrem Ende nahe und der Reitknecht seine und seiner Pferde Ehre gerettet, als plötzlich der Mann vor ihnen seinem Renner die Sporen gab und seinen Kopf tief hinab bis fast auf die Mähne des Tieres beugend mit einer Schnelligkeit dahinschoß, die bald die Unmöglichkeit ihn einzuholen selbst dem wütenden Reitknecht klarmachte.
»Ich glaube, es ist der Teufel selber«, sagte er durch die Zähne.
Oldenburg lachte. »Ich glaube es auch«, rief er, »wir wollen die Sache aufgeben.«
Es dauerte einige Zeit, bis die aufgeregten Pferde sich beruhigen konnten. Der Geheimnisvolle stürmte mit unverminderter Geschwindigkeit weiter und war schon nach wenigen Minuten in dem Hohlwege, der nach dem Fischerdorfe hinunterführte, verschwunden.
Eine halbe Stunde später langten sie vor dem Tore von Grenwitz an.
Oswald stieg ab und übergab die Zügel seines Pferdes dem Reitknecht, um dem Baron die Hand zu schütteln.
»Wenn Sie sich nicht allzusehr gelangweilt haben«, sagte dieser, »so wollen wir das Experiment in den nächsten Tagen wiederholen. Leben Sie wohl!«
Oswald gelangte auf seine Stube, ohne auf dem stillen Hofe, in dem stillen Hause auch nur einem Menschen begegnet zu sein. Als er sich an das offene Fenster lehnte und in den schon vom Abenddunkel erfüllten Garten hinabsah, bemerkte er zwei Gestalten, die flüsternd und kosend in den Gängen auf und ab schritten. Es waren Albert und Marguerite. Sie hatten offenbar die schöne Gelegenheit, in der Konjugation von aimer weiterzukommen, nicht unbenutzt verstreichen lassen.