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In Gallien war unter Vindex eine Empörung der Legionen ausgebrochen, aber sie erschien anfangs ungefährlich. Nero war erst einunddreißig Jahre alt, und niemand wagte daher zu hoffen, daß die Welt bald von ihm befreit werden könnte. Einige empfanden sogar eine gewisse Sehnsucht nach dem Imperator seit dessen Abreise nach Achaja, denn Helios und Polythetes, die während der Kunstreise Neros nach Griechenland die Herrschaft über Rom und Italien hatten, übertrafen ihn noch an Grausamkeit, so daß niemand mehr seines Lebens und Eigentums sicher war.
Aus Griechenland kamen inzwischen Nachrichten von unglaublichen Triumphen des Kaisers, und man erzählte, daß er Tausende von Wettbewerbern besiegt habe. Er kümmerte sich auch wenig um die aufrührerischen Legionen des Vindex, und erst auf die Meldung des Helios, daß ein weiteres Aufschieben der Rückkehr ihm den Thron kosten könne, reiste er nach Neapel ab. Dort sang er von neuem und spielte Komödie und hörte gar nicht auf die beunruhigenden Nachrichten. Nur mit großer Mühe gelang es Tigellinus, ihn schließlich zur Rückkehr nach der Hauptstadt zu bewegen.
Der Einzug stellte alle bisherigen Triumphzüge in Schatten. Er fuhr in dem Triumphwagen, den einst Augustus benutzt hatte, und man zerstörte einen Bogen des Circus, um für den Einzug genügend Raum zu gewinnen. Der Senat, die Ritter und eine unübersehbare Menge gingen dem Sieger entgegen. Die Mauern erdröhnten unter dem Jubelgeschrei: »Sei gegrüßt, Augustus, sei gegrüßt, Herkules! Göttlicher! Olympischer! Pythischer! Unsterblicher! Sei gegrüßt!«
Hinter dem Triumphwagen trug man die Siegeskränze und Tafeln mit den Namen der Städte, in denen er aufgetreten war, wie auch die Namen der Besiegten.
Nero war wie berauscht, und fragte die ihn umgebenden Augustianer gerührt, was denn des ersten Cäsar Triumphzug im Vergleiche zu dem seinen bedeute? Der Gedanke, daß ein Sterblicher gegen ihn, den Meister, den Halbgott, aufzutreten wagte, wollte ihm nicht in den Sinn, er fühlte sich als Gott und als solcher unantastbar.
Unter den Blumen und Stößen von Kränzen sah niemand den drohenden Abgrund. Noch am selben Abende waren die Säulen und Tempelmauern mit Inschriften bedeckt, worin die kaiserlichen Verbrechen aufgezählt wurden, worin man ihn verspottete und mit Rache drohte. Eine Unruhe bemächtigte sich der Augustianer, die eine ernste Gefahr vor Augen sahen.
Doch Nero lebte weiter für Musik und Theater. Er beschäftigte sich mit neu erfundenen Musikinstrumenten und ließ ein Spielwerk, das durch Wasser getrieben wurde, auf dem Palatinus ausprobieren. Völlig kindisch geworden, wollte er von keiner Gefahr etwas wissen. Tausend wirre Pläne durchkreuzten sein Gehirn. Manchmal wollte er ein wandernder Sänger werden und nicht mehr als Beherrscher der Welt, sondern als der größte Künstler der Erde verehrt werden.
So spielte er, verwarf die eben gefaßten Pläne und machte wieder neue. Er tobte und lachte und gab Befehle, um sie im nächsten Augenblick zu widerrufen. Er machte Gedichte und verwarf sie wieder. Sein Leben war eine lächerliche Komödie geworden.
Inzwischen wuchs die Wolke im Westen und wurde immer drohender. Das Maß war überschritten, die tolle Komödie näherte sich ihrem Ende.
Als die Nachricht von Galba und dem Aufstand in Hispanien zu Nero gelangte, verfiel er in Raserei. Er zertrümmerte die Becher und warf die vor ihm stehende Festtafel zu Boden, er gab Befehle, die weder Helios noch Tigellinus auszuführen wagten. Er befahl, die in Rom lebenden Gallier umzubringen, Rom wiederum in Brand zu stecken, die wilden Tiere aus den Arenen loszulassen und die Residenz nach Alexandria zu verlegen, dies schien ihm das beste.
Doch die Tage seiner Allmacht waren vorbei, und selbst die Vertrauten erblickten in ihm nur mehr einen Narren.
Der plötzliche Tod des Vindex wie auch die Uneinigkeit der aufrührerischen Legionen schienen die Wagschale wieder für kurze Zeit auf seine Seite zu neigen. Man fing schon an, Festmahle und Triumphzüge in Aussicht zu stellen, als eines Nachts ein Bote auf schaumbedecktem Rosse aus dem Lager der Prätorianer eintraf mit der Meldung, daß die Soldaten selbst in der Stadt die Fahne des Aufruhrs erhoben und den Galba zum Kaiser ausgerufen hätten.
Der Kaiser schlief, als der Bote anlangte, und als er aufwachte; rief er vergeblich nach den Wachen, die vor dem Schlafgemach aufgestellt waren.
Im Palaste war es leer. Nur in den entlegeneren Räumen raubten die Sklaven, was ihnen gerade in die Hände fiel. Bei Neros Anblick stoben sie erschrocken auseinander, und er irrte einsam und verlassen durch den Palast, den er mit Jammern und Angstgeschrei erfüllte.
Schließlich kamen die Freigelassenen Phaon, Sporus und Epaphrodit herbei. Sie beredeten ihn zur Flucht und suchten ihm klarzumachen, daß alles vorbei und keine Zeit mehr zu verlieren sei. Er aber gab sich noch immer trügerischen Hoffnungen hin. Er wollte sich in Trauergewänder hüllen und an den Senat eine Ansprache halten, seine Tränen und seine Beredsamkeit mußten das Volk erweichen. Auf eine Präfektur in Ägypten hoffte er bestimmt.
Die Freigelassenen waren zu sehr gewohnt, dem Kaiser zu schmeicheln, als daß sie gewagt hätten, ihm direkt zu widersprechen. Sie gaben ihm aber zu bedenken, daß ihn das empörte Volk in Stücke reißen würde, bevor er noch das Forum erreichen könne, und drohten schließlich, ihn ebenfalls zu verlassen, wenn er nicht sogleich das bereitstehende Pferd besteige. Phaon bot ihm seine Villa vor dem Nomentanischen Tore als Zufluchtsort an. Alle vier hüllten sich in Kapuzenmäntel, bestiegen Pferde und eilten bei anbrechendem Morgen dem Stadttore zu.
Ein außergewöhnliches Treiben herrschte in den Straßen; überall konnte man Soldaten begegnen. In der Nähe des Lagers scheute Neros Pferd vor einem am Wege liegenden Leichnam, wobei dem Kaiser die Kapuze vom Kopfe glitt. Ein vorübergehender Soldat erkannte ihn, war aber über das unerwartete Zusammentreffen so verwirrt, daß er militärisch grüßte und ihn vorüberließ. Als die vier Reiter am Lager der Prätorianer angelangt waren, vernahmen sie laute Hochrufe auf Galba.
Jetzt endlich erkannte Nero, daß alles verloren sei. Eine gewaltige Todesangst ergriff ihn, und er glaubte, in einer dunklen Wolke seine Mutter, seine Gattin, den Bruder und eine unzählige Menge anderer Gemordeter zu sehen. Sein feistes Antlitz wurde leichenblaß, und die Zähne schlugen aneinander. Die Freigelassenen verhehlten ihm jetzt auch nicht länger, daß der Tod sein einziger Ausweg sei, doch wagte er nicht, ernsthaft daran zu denken, pathetisch deklamierte er, der Augenblick sei noch nicht gekommen, zitierte Verse und jammerte dann wieder, daß ihn die Schatten von Vater, Mutter und Gattin verfolgten. Bei Tagesanbruch erreichten sie Phaons Villa.
Hier verbarg ihm der Freigelassene nicht länger mehr, daß er sterben müsse. Er gab seinen Leuten Befehl, ein Grab zu machen und hieß Nero sich auf die Erde legen, damit das Maß genau genommen werden könne.
Der Anblick der aufgeworfenen Erde erfüllte Nero mit Schrecken. Sein fleischiges Antlitz wurde weiß, auf seiner Stirn stand der Schweiß in Tropfen wie der Morgentau. Er zögerte. »O welch ein Künstler geht in mir zugrunde!« rief er aus.
Da langte ein Bote mit der Nachricht an, der Senat habe das Urteil bereits gesprochen, das für den Muttermörder in der für dieses Verbrechen üblichen Weise lautete.
»Wie lautet dieses?« fragte Nero mit blassen Lippen.
»Man wird dich mit einer Heugabel am Halse festhalten und in den Straßen Roms totpeitschen, den Leichnam aber in den Tiber werfen!« entgegnete Epaphrodit schroff.
Aus Furcht, ergriffen zu werden, eilte Nero nun nach einem nahegelegenen Sumpfe, wo er sich mit seinen Begleitern im Schilfe verbarg. Die Gluthitze des Sommers legte zwar einen unausstehlichen Gestank über den Sumpf, allein Nero achtete darauf nicht, so überwältigend hatten Schrecken und Entsetzen ihn ergriffen.
In dieser kläglichen Lage verblieb er einen Tag. Seine erdrosselte Gattin, seine erstochene Mutter und die Tausende alle, welche er schuldlos hinschlachten ließ, erhoben sich wie Rachegeister vor seiner gepeinigten Seele. Nero winselte und wimmerte, vergoß Tränen und verschmachtete in den schrecklichsten Qualen.
Gegen Morgen erschien ein Centurio an der Spitze einer Soldatenschar. Bei ihrem Anblick bat Nero seine Diener, ihn zu ermorden. Als diese sich weigerten, rief er: »So bin ich der einzige, der weder Freund noch Feind hat!«
»Beeile dich, dies selbst zu tun!« riefen die Freigelassenen.
Nero setzte nun das Messer an die Kehle und stach zaghaft zu, und es war offenbar, daß er niemals wagen würde, die Schneide tiefer zu versenken. Die Augen sprangen ihm aus den Höhlen, groß, schrecklich und mit entsetztem Ausdruck. Zuckend und stöhnend lag der Kaiser in seinem Blute, ohne sterben zu können, bis ihm Epaphrodit vollends das Messer bis ans Heft hineinstieß.
Das Blut floß von seinem breiten Nacken wie ein schwarzer Strom, seine Füße stampften das Erdreich auf, und er hauchte sein Leben aus.
Neros einstige Ammen Ekloga und Alexandria und die treue Akte hüllten den Leichnam in kostbare Gewebe und verbrannten ihn auf einem mit Wohlgerüchen besprengten Scheiterhaufen. So zog Nero vorüber, wie Sturm, Feuersbrunst, Krieg und Pest vorüberziehen, aber die Basilika des Petrus herrscht noch von den Höhen des Vatikan über Rom und die Welt.
Außerhalb der Porta Appia steht noch heute eine kleine Kapelle mit der etwas verwischten Inschrift:
Domine, quo vadis?