Henryk Sienkiewicz
Quo vadis?
Henryk Sienkiewicz

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11

Als die beiden vor dem Hause des Petronius die Sänfte verließen, verkündigte ihnen der Hüter des Atriums, daß noch keiner der ausgesandten Sklaven zurück sei. Er habe ihnen etwas Nahrungsmittel zugeschickt und ihnen nochmals unter Androhung von Peitschenhieben einschärfen lassen, die Aus- und Eingehenden genau zu beobachten.

»Siehst du,« sagte Petronius, »daß sie sich noch in der Stadt befinden, und in dem Falle finden wir sie sicher! Doch befiehl auch deinen Leuten, an den Toren Wache zu halten, besonders denen, die Lygia abgeholt haben, weil diese sie leicht erkennen werden.«

»Ich gab den Befehl, sie in das Sklavengefängnis zu schicken,« erwiderte Vinicius, »doch werde ich meinen Befehl widerrufen; mögen sie an die Tore gehen.«

Nachdem er einige Worte auf ein mit Wachs überzogenes Täfelchen geschrieben hatte, übergab er es dem Petronius, der es sogleich in des Vinicius Haus sandte.

Darauf gingen sie in die innere Säulenhalle, wo sich Vinicius auf einer Marmorbank niederließ. Die goldhaarige Eunike und Iras stellten ihnen Schemel von Bronze unter die Füße, und nachdem sie einen Tisch herangerückt hatten, gossen sie aus wunderschönen enghalsigen Krügen, die aus Volaterrae und Caecinae stammten, Wein in die Schalen.

»Kennt einer deiner Leute den riesenhaften Lygier?« fragte Petronius.

»Atacinus und Gulo kannten ihn. Aber Atacinus fiel bei dem gestrigen Zusammenstoß neben der Sänfte, und Gulo habe ich erschlagen.«

»Schade um ihn,« sagte Petronius. »Er hat nicht nur dich, sondern auch mich auf seinen Armen herumgetragen.«

»Ich wollte ihn freilassen,« versetzte Vinicius; »aber lassen wir das. – Sprechen wir von Lygia! Stirbt jetzt das Kind, so wird Poppäa glauben, es sei Lygias Schuld, und auch dem Cäsar dies einreden.«

»Ja, so ist es; auch mich beunruhigt dies. Vielleicht wird aber der Wurm bald gesund. Stirbt er jedoch, so werden wir uns auf irgendeine Art zu helfen wissen.« Hier dachte Petronius ein wenig nach und fügte dann hinzu: »Poppäa bekennt sich zur Religion der Juden und glaubt an böse Geister. Auch der Kaiser ist abergläubisch, wir verbreiten die Nachricht, böse Geister hätten Lygia entführt, und da sie sich weder bei Aulus noch in den Händen des Kaisers befindet, so wird man leicht daran glauben. Du brauchst nur deinen Sklaven gegenüber davon zu sprechen, so werden sie gleich behaupten, mit eigenen Augen hätten sie solche Geister gesehen, weil sie sich dadurch dir gegenüber für gerechtfertigt halten. Mache einen Versuch, frage einen, ob er nicht gesehen habe, wie Lygia durch die Lüfte entführt worden sei, und er wird auf der Stelle schwören, er sei Zeuge davon gewesen.«

Vinicius, der gleichfalls abergläubisch war, schaute Petronius plötzlich voll Angst und Unruhe an. »Wenn Ursus keine Leute zur Hilfe hatte und sie nicht allein fortbringen konnte, wer hat sie dann fortgebracht?«

Petronius aber fing an zu lachen. »Siehst du,« sagte er, »sie werden ganz sicher daran glauben, da auch du schon daran glaubst. So ist die jetzige Welt, die über die Götter spottet! Während nun alle daran glauben, bringen wir sie, fern von der Stadt, in einer unserer Villen unter.«

»Aber wer konnte ihr beistehen?«

»Ihre Glaubensgenossen,« entgegnete Petronius.

»Wer sind sie? Was für eine Gottheit wird von ihr verehrt? Ich müßte dies eigentlich besser wissen denn du.«

»Fast jedes Weib in Rom verehrt eine Gottheit. Es ist außer Zweifel, daß Pomponia das Mädchen in dem Glauben an die Gottheit erzogen hat, die sie selbst anbetet; welche dies jedoch sei, weiß ich nicht. Das ist mir auch bekannt, und noch niemals hat man sie gesehen, daß sie unsern Göttern im Tempel geopfert hätten. Man hat sie sogar beschuldigt, sie sei eine Christin, allein dies ist unmöglich, und durch ein Hausgericht wurde sie von dem Verdacht gereinigt. Von den Christen sagt man, daß sie Feinde des Menschengeschlechts sind und die schändlichsten Verbrechen begehen. Aus diesem Grunde kann Pomponia keine Christin sein, denn ihre Tugend ist bekannt, und eine Feindin des Menschengeschlechts würde mit ihren Sklaven nicht so gut umgehen, wie sie es tut.«

»In keinem Hause werden sie so gut behandelt wie bei Aulus,« unterbrach ihn Vinicius.

»Nun siehst du! Pomponia sprach einmal von einem Gotte, der einzig, allmächtig und barmherzig sein muß. Ihr Gott müßte demnach ein schwacher Gott sein, wenn er nicht mehr Anhänger als Pomponia, Lygia und vielleicht noch Ursus hätte. Es muß noch mehr dieser Bekenner geben, und diese waren Lygia behilflich.«

»Dieser Glaube befiehlt zu verzeihen,« sagte Vinicius, »denn als ich Pomponia bei Akte traf, sagte sie mir: Möge dir Gott das Unrecht verzeihen, das du uns und Lygia angetan hast.«

»Offenbar ist ihr Gott sehr gemütlich. Ha! Ha! Möge er dir verzeihen und zum Zeichen der Verzeihung das Mädchen wiedergeben.«

»Morgen werde ich ihm ein Opfer bringen. Ich mag weder Essen, noch ein Bad, noch Schlaf. Ich werde einen dunklen Mantel anlegen und in der Stadt umherschweifen, vielleicht treffe ich sie in der Verkleidung. Ich bin krank!«

Petronius sah ihn mitleidig an. Vinicius sah wirklich aus wie ein Kranker mit seinen fieberglühenden, eingefallenen Augen.

»Höre mich an,« sagte Petronius. »Ich weiß zwar nicht, was der Arzt dir verschreiben würde, aber ich weiß, was ich an deiner Stelle tun würde.«

Er ließ sein Auge zu Iras und Eunike schweifen, worauf er die Hand auf die Schultern der goldhaarigen Griechin legte. »Ich mache sie dir zum Geschenk, da, nimm sie!«

Die goldhaarige Eunike wurde blaß wie ein Tuch, und mit erschrockenen Augen zu Vinicius emporblickend, schien sie atemlos auf dessen Antwort zu warten.

Er sprang auf und sagte: »Nein! Nein! . . . Ich danke dir! Ich gehe lieber in die Stadt, Lygia zu suchen. Laß mir einen gallischen Mantel mit Kapuze geben. Ich gehe über den Tiber . . . Wenn ich doch wenigstens Ursus sehen könnte!«

Damit eilte er fort, und Petronius versuchte nicht, ihn zurückzuhalten. Weil er aber nicht wollte, daß seine Großmut ihren Zweck verfehle, sagte er, zu der Sklavin gewendet: »Eunike, du wirst dich baden, salben und umkleiden, dann aber in das Haus des Vinicius gehen.«

Sie aber fiel vor ihm auf die Knie nieder und flehte ihn mit gefalteten Händen an, sie nicht aus dem Hause zu schicken. Sie gehe nicht zu Vinicius. Sie wolle nicht! Sie könne nicht! Er möge sie täglich peitschen lassen, wenn er sie nur nicht aus dem Hause schicke!

Petronius hörte sie verwundert an. Eine Sklavin, die einem Befehl nicht gehorchte, war in Rom etwas Unerhörtes. Zwar war er nicht grausam, einen solchen Widerspruch konnte er aber nicht durchgehen lassen, schon weil dadurch seine Ruhe gestört wurde. Er sah deshalb die vor ihm Kniende eine Weile an und sagte dann: »Rufe mir den Teiresias und komme mit ihm zurück.« Eunike erhob sich zitternd, mit Tränen in den Augen, und kehrte nach wenigen Augenblicken mit dem Hüter des Atriums, dem Kretenser Teiresias, zurück.

»Führe Eunike hinweg,« sagte Petronius, »und gib ihr fünfundzwanzig Rutenstreiche, aber so, daß die Haut nicht verletzt wird.«

Nach diesen Worten begab er sich in die Bibliothek und begann, vor einem Tische von rötlichem Marmor Platz nehmend, an seinem »Gastmahl des Trimalchion« zu arbeiten.

Aber Lygias Flucht und die Krankheit der kleinen Augusta nahmen seine Gedanken in Anspruch, so daß er nicht lange arbeiten konnte. Besonders die Krankheit war ein wichtiges Ereignis. Es fiel ihm ein, daß, falls der Kaiser an den Zauber glaubte, welchen Lygia gegen die kleine Augusta angewendet haben sollte, die Verantwortung auch auf ihn fallen konnte, weil er das Mädchen in den Palast gebracht hatte. Er rechnete nur darauf, daß es ihm gelingen werde, beim ersten Zusammentreffen mit dem Kaiser das Unsinnige einer solchen Vermutung zu erklären, und ein wenig rechnete er auch auf eine gewisse Schwäche, die Poppäa für ihn hegte und welche sie zwar sorgfältig zu verbergen suchte, aber doch nicht so, daß er sie nicht wahrgenommen hätte. Er beschloß ins Triklinium zu gehen, um sich zu stärken, worauf er sich nochmals auf den Palatinus und dann auf das Marsfeld tragen lassen wollte.

Auf dem Wege nach dem Triklinium beim Durchschreiten des Korridors, der für die Dienerschaft bestimmt war, erblickte er an der andern Wand unter den Sklaven die schlanke Gestalt Eunikes.

Da er vergessen hatte, daß er Teiresias bloß den Befehl gab, sie zu peitschen, runzelte er abermals die Brauen und begann sich nach ihm umzusehen.

Da er ihn nicht unter der Dienerschaft entdeckte, wandte er sich an Eunike: »Hast du die Züchtigung bekommen?«

Und zum zweitenmal warf sie sich ihm zu Füßen, preßte den Rand seiner Toga an den Mund und erwiderte: »O ja, Herr! Ich habe sie bekommen. O ja, Herr!«

In ihrer Stimme zitterten Wonne und Dankbarkeit. Offenbar war sie der Meinung, daß die Züchtigung an Stelle ihrer Entfernung aus dem Hause getreten sei, und daß sie bleiben dürfe. Petronius, der es erriet, war über den leidenschaftlichen Widerstand der Sklavin verwundert, doch war er ein zu guter Kenner der Menschennatur, um nicht zu erraten, daß nur die Liebe die Ursache des Widerstandes sein könne.

Nach einem eingenommenen Imbiß ließ er sich auf den Palatinus tragen, wo er bis in die tiefe Nacht verblieb.

Nach seiner Rückkehr befahl er, Teiresias zu rufen,

»Hat Eunike Schläge erhalten?«

»Ja, Herr. Doch erlaubtest du nicht, die Haut zu verletzen.«

»Habe ich nicht bezüglich ihrer noch einen andern Befehl erteilt?«

»Nein, Herr,« erwiderte mit einiger Unruhe der Atriensis.

»Das ist gut. Weißt du etwas über sie?«

Teiresias begann mit etwas unsicherem Ton: »Eunike verläßt niemals bei Nacht das Cubiculum, in dem sie mit der alten Akrysyona und Ifide schläft. Die übrigen Sklavinnen verlachen sie und nennen sie eine Diana.«

»Genug,« sagte Petronius. »Mein Blutsverwandter, Vinicius, dem ich Eunike heute früh schenkte, hat sie nicht angenommen, sie bleibt daher weiter im Hause. Du kannst abtreten.«

»Ist es mir erlaubt, etwas von Eunike zu sagen, Herr?«

»Ich habe dir doch befohlen, alles zu sagen, was du von ihr weißt.«

»Das ganze Haus spricht heute von der Flucht des Mädchens, die zum edlen Vinicius ins Haus kommen sollte. Nach deinem Weggang kam Eunike zu mir und sagte, daß sie jemand kenne, der das Mädchen auffinden könne.«

»Ah!« rief Petronius, »was ist das für ein Mann?«

»Ich kenne ihn nicht, Herr, doch dachte ich, daß ich dir davon Mitteilung machen müsse.«

»Gut! Dieser Mann soll morgen hier auf das Eintreffen des Tribuns warten, den du in meinem Namen bitten wirst, mich morgen früh zu besuchen.«

Der Atriensis verneigte sich und ging.

Unwillkürlich mußte Petronius an Eunike denken. Anfangs leuchtete ihm ein, daß die junge Sklavin die Auffindung Lygias herbeiwünsche, um nicht aus dem Hause gehen zu müssen. Dann aber fiel ihm ein, daß der Mann, den Eunike empfohlen hatte, vielleicht ihr Geliebter sei, und dieser Gedanke war ihm unangenehm. Es gab zwar ein einfaches Mittel, die Wahrheit zu erfahren, es genügte, Eunike rufen zu lassen, aber die Zeit war schon weit vorgerückt, Petronius war ermüdet, und es lag ihm daran, bald zur Ruhe zu kommen.

 


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