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Petronius hatte Vinicius versprochen: »In wenigen Tagen schon wird die göttliche Lygia unter deinem Dache von deinem Brote essen.«
Er hielt sein Versprechen. Tags darauf schlief er ununterbrochen bis zum Abend, ließ sich dann nach dem Palatinus tragen und hatte mit Nero eine vertrauliche Unterredung. Die Folge davon war, daß schon am dritten Tage ein Centurio an der Spitze einer Abteilung der prätorianischen Leibwache vor dem Hause des Plautius erschien.
Die Zeiten waren unsicher und schrecklich. Boten dieser Art waren häufig Verkünder des Todes. Als daher der Centurio mit dem Hammer an das Tor des Aulus pochte und der Oberaufseher des Atriums die Kunde brachte, daß Söldlinge in der Vorhalle sich befänden, herrschte Bestürzung im ganzen Hause. Die Angehörigen versammelten sich alsbald um den alten Krieger, denn niemand zweifelte, daß vornehmlich ihm Gefahr drohe. Pomponia umklammerte seinen Hals mit ihren Armen, schmiegte sich innig an ihn, und ihre blassen Lippen bewegten sich rasch, unverständliche Worte murmelnd. Lygia, weiß wie ein Tuch, bedeckte seine Hand mit Küssen, und der kleine Aulus klammerte sich an die Toga des Vaters.
Nur der alte Kriegsmann selbst, der dem Tod unzähligemal ins Antlitz geschaut hatte, blieb ruhig, und sein kurzes Adlerprofil schien wie aus Stein gemeißelt. Sanft schob er seine Gattin von sich und trat ins Atrium, wo der Centurio seiner harrte. Es war der alte Cajus Hasta, sein ehemaliger Untergebener und Gefährte aus den britannischen Kriegen.
»Sei gegrüßt, mein Feldherr,« sagte er. »Ich bringe dir einen Befehl und die Grüße des Kaisers. Hier sind die Täfelchen zum Zeichen, daß ich in seinem Namen komme.«
»Ich bin dem Kaiser dankbar für seine Grüße, und dem Befehl werde ich Folge leisten,« erwiderte Plautius. »Sei mir gegrüßt, Hasta, und sprich: welchen Auftrag hast du zu überbringen?«
»Aulus Plautius,« begann Hasta, »der Kaiser hat in Erfahrung gebracht, daß in deinem Hause die Tochter des Lygierkönigs weilt, die dieser König noch zu Lebzeiten des göttlichen Claudius den Römern als Geisel dafür übergab, daß die Grenzen des Reiches niemals durch die Lygier verletzt werden sollten. Der göttliche Nero ist dir dankbar, mein Feldherr, weil du ihr so viele Jahre hindurch Gastfreundschaft gewährtest, doch will er nicht, daß sie dir länger zur Last falle, auch ist er der Meinung, daß das Mädchen, als eine Geisel, unter den Schutz des Kaisers und des Senats gehöre, und deshalb befiehlt er dir, sie in meine Hände auszuliefern.«
Aulus war zu sehr Soldat und zu sehr Römer, als daß er sich diesem Befehl gegenüber einen Ausruf des Bedauerns, ein unnützes Wort oder eine Klage erlaubt hätte. Aber eine Falte des Zorns und des Schmerzes grub sich plötzlich in seine Stirn. Vor diesem Zucken der Wimpern hatten einst die britannischen Legionen gezittert, und jetzt in diesem Augenblick malte sich auf Hastas Gesicht ein jähes Erschrecken. Doch Aulus Plautius fühlte sich diesem Befehl gegenüber machtlos. Einige Zeit blickte er auf die Täfelchen und die Schriftzüge, dann hob er den Blick zum alten Centurio und sprach mit ruhiger Stimme: »Warte hier im Atrium, Hasta, bis die Geisel dir ausgeliefert werden kann.«
Nach diesen Worten begab er sich an das andere Ende des Hauses in den Ökus genannten Saal, wo Pomponia Graecina, Lygia und der kleine Aulus ihn voll Angst und Unruhe erwarteten.
»Keinem von uns droht der Tod noch Verbannung auf ferne Inseln,« sagte er, »und dennoch ist der Bote des Kaisers ein Unglücksbote. Um dich handelt es sich, Lygia.«
»Um Lygia?« rief Pomponia erstaunt.
»So ist es,« antwortete Aulus. Und zu dem Mädchen gewendet sagte er: »Lygia, du bist in unserem Hause aufgewachsen wie unser leibliches Kind, und wir beide, Pomponia und ich, lieben dich wie eine Tochter. Aber du weißt, daß du nicht unsre Tochter bist. Als Geisel bist du Rom von deinem Volke übergeben worden, und dem Kaiser gebührt die Obhut über dich. Daher nimmt dich der Kaiser aus unserem Hause.«
Der alte Kriegsmann sprach ruhig, aber mit seltsamer, fremd klingender Stimme. Lygia hörte ihn mit weit offenen Augen an, als ob sie nicht recht verstehe, um was es sich handelte, und die Wangen Pomponias bedeckten sich mit Todesblässe.
»Aulus!« schrie Pomponia entsetzt und umschlang das Mädchen mit ihren Armen, als ob sie es schützen wollte. »Besser wäre ihr der Tod.«
Lygia hatte sich an ihre Brust geworfen und wiederholte immer nur das Wort: »Mutter! Mutter!«, denn sie brachte nichts anderes hervor.
Auf des Aulus Zügen zeigten sich Zorn und Schmerz. »Wäre ich allein auf der Welt,« sagte er finster, »gäbe ich sie nicht lebend hin. Aber ich habe kein Recht, dich und unsern Knaben ins Verderben zu stürzen; er kann vielleicht noch bessere Zeiten erleben. Heute noch will ich zum Kaiser gehen und ihn anflehen, daß er den Befehl widerrufe. Ob er mich vorlassen wird, weiß ich freilich nicht. Jetzt aber lebe wohl, Lygia! Pomponia und ich haben immer den Tag gesegnet, an dem du einen Platz an unserm Herd einnahmst.«
Hierauf wandte er sich rasch um und kehrte ins Atrium zurück, um der in ihm aufsteigenden, eines Römers und Feldherrn unwürdigen Rührung Einhalt zu tun. Pomponia aber führte Lygia ins Schlafzimmer und suchte sie zu beruhigen, zu trösten und ihr Mut zuzusprechen.
»Jetzt ist die Zeit der Prüfung gekommen,« sagte sie. »Das Haus des Kaisers ist eine Lasterhöhle, ein Haus der Schande und des Verbrechens. Aber Lygia, die neue Lehre, der wir anhängen, erlaubt uns nicht, Hand an uns zu legen, sie erlaubt uns nur, gegen Schmach und Schande uns zu verteidigen, selbst wenn wir dafür Marter und Tod erleiden müßten. Die Erde ist ein Jammertal, aber zum Glück währt das Leben nur einen Augenblick, und es gibt ein Auferstehen aus dem Grabe, ein Jenseits, wo nicht mehr Nero, sondern die ewige Barmherzigkeit waltet, wo statt des Schmerzes ewige Freude und statt der Tränen ewiger Jubel herrscht.«
Und sie drückte das Köpfchen des jungen Mädchens noch inniger an ihre Brust. Lygia aber ließ sich zu ihren Füßen nieder, und die Augen in den Falten von Pomponias Gewand verbergend, verharrte sie eine Zeitlang schweigend. Als sie sich endlich erhob, zeigte das junge Gesicht schon etwas mehr Fassung.
»Ich scheide schwer von euch, von dir, Mutter, vom Vater und vom Bruder, aber ich weiß, daß jeder Widerstand vergeblich wäre und euch allen Verderben brächte. Ich gelobe dir jedoch, im Kaiserpalast deiner Worte nie zu vergessen.«
Einmal noch schlang sie die Arme um den Hals Pomponias, und als sie beide in den Ökus zurückgekehrt waren, nahm sie Abschied vom kleinen Plautius, von dem greisen Griechen, beider Lehrer, von der Gewandhüterin, von der sie als Kind gewartet worden war, und von allen Sklaven.
Einer von ihnen, ein hochgewachsener, breitschultriger Lygier, den man im Haus Ursus, den Bären, hieß und der seinerzeit mit Lygia, deren Mutter und anderen Dienern ins römische Lager gekommen war, fiel zu den Füßen des jungen Mädchens nieder, beugte auch die Knie vor Pomponia und rief: »O Domina! Laßt mich meine Herrin begleiten, damit ich ihr im Kaiserpalast dienen und sie beschützen kann.«
»Du bist nicht unser Diener, sondern Lygias,« erwiderte Pomponia Graecina. »Aber wird man dir auch den Eintritt gestatten? Und wie willst du über sie wachen?«
»Das weiß ich nicht, Domina, ich weiß aber, daß Eisen in meinen Händen wie Holz bricht.« –
Als Aulus Plautius, der jetzt zurückkehrte, von der Bitte des Lygiers erfuhr, erklärte er, man habe gar kein Recht, ihn zurückzuhalten, da er zum Gefolge Lygias gehöre. Auf seinen Rat wurden noch einige Sklavinnen zur Bedienung mitgegeben. Pomponia wählte dazu nur Bekennerinnen des neuen Glaubens, und da auch Ursus diesem Glauben seit mehreren Jahren angehörte, konnte sie auf die Treue dieser Diener zählen, sich aber auch mit dem Gedanken trösten, daß nun ein Saatkorn der neuen Lehre im Hause des Kaisers ausgestreut werde.
Durch einige Zeilen, die sie niederschrieb, stellte sie dann noch Lygia unter den Schutz Aktes, der Freigelassenen Neros. Bei den Versammlungen der Glaubensbekenner war Akte zwar nie anwesend, aber Pomponia hatte von andern gehört, daß Akte den Christen nie ihre Hilfe versage und eifrig in den Briefen des Paulus von Tarsos lese. Sie hatte auch vernommen, daß die junge Freigelassene, die in stiller Trauer dahinlebte, ganz anders war als die andern Frauen in Neros Hause und sie für den guten Geist des Palastes galt.
Hasta versprach, Akte den Brief einzuhändigen, und machte nicht die mindesten Schwierigkeiten, die Sklaven mitzunehmen, denn er hielt es für selbstverständlich, daß eine Königstochter ihr eigenes Dienergefolge haben müsse; ja, er wunderte sich sogar über die geringe Anzahl. Nur bat er um Eile, weil er sonst fürchten müsse, in den Verdacht zu kommen, die Erfüllung des kaiserlichen Befehls mit Saumseligkeit betrieben zu haben.
Die Stunde der Trennung war gekommen. Pomponias und Lygias Augen füllten sich abermals mit Tränen, Aulus legte noch einmal die Hand auf das Haupt des Mädchens – und von den Klagerufen des kleinen Aulus begleitet, der, um die Schwester zu schützen, den Centurio mit den kleinen Fäusten bedrohte, führten die Söldlinge Lygia in den Kaiserpalast.
Der alte Krieger befahl, seine Sänfte bereit zu halten, dann schloß er sich mit Pomponia in ein Zimmer ein und sagte zu ihr: »Höre mich an, Pomponia. Ich gehe zum Kaiser, obwohl ich fürchte, daß es vergeblich sein wird, und auch zu Seneka, dessen Wort aber leider nicht mehr viel vermag. Heut haben Sofonius Tigellinus oder Vatinius mehr Geltung . . . Was den Kaiser selbst anbelangt, so hat er wahrscheinlich niemals in seinem Leben irgend etwas vom Stamme der Lygier gehört; wenn er also die Auslieferung Lygias als Geisel fordert, so tut er es nur, weil jemand ihn dazu überredet hat, und es ist leicht zu erraten, wer dies ist.«
Pomponia hob rasch den Blick empor: »Petronius.«
»So ist es.«
Eine kurze Pause folgte, dann fuhr der Feldherr fort: »Das hat man davon, wenn man einen dieser Menschen ohne Ehre und Gewissen über die Schwelle läßt. Verflucht sei die Stunde, in welcher Vinicius mein Haus betrat. Er ist es, der uns Petronius zuführte. Wehe über Lygia! Denn nicht die Geisel suchen sie in ihr, sondern die Buhlin.«
Erregt ging er auf dem Mosaikboden des Gemachs hin und her. Er hing doch mehr an Lygia, als er selbst wußte. Als es ihm endlich gelungen war, den ersten heftigen Zorn zu bändigen, der ihm die Gedanken verwirrte, sagte er: »Ich glaube nicht, daß Petronius sie für den Kaiser selbst bestimmt hat, denn er wird sich kaum Poppäa zur Feindin machen wollen. Also entweder für sich selbst oder für Vinicius. Heut noch will ich mir Klarheit darüber verschaffen.«
Bald darauf ließ er sich in seiner Sänfte nach dem Palatinus tragen. Pomponia, welche allein- zurückblieb, begab sich zum kleinen Aulus, dessen Tränen um die Schwester noch nicht versiegt waren und der fortwährend Drohungen gegen den Kaiser ausstieß.