Henryk Sienkiewicz
Quo vadis?
Henryk Sienkiewicz

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7.

Niemand hielt Ursus auf, niemand fragte nach seinem Tun. Die Gäste, die noch nicht unter dem Tische lagen, nahmen längst ihre Plätze nicht mehr ein, und als daher die Dienerschaft den Riesen mit einer Festteilnehmerin auf dem Arm erblickte, hielt man ihn für einen Sklaven, der seine ihrer Sinne nicht mehr mächtige Herrin hinwegtrug. Zudem ging Akte mit ihnen, und deren Anwesenheit ließ vollends jeden Verdacht schwinden.

Inzwischen waren sie bis in das kleine Atrium gelangt, das zu Aktes Wohnung gehörte. Hier ließ Ursus das erregte Mädchen auf einer Marmorbank in der Nähe des Springbrunnens nieder, und Akte bemühte sich, sie zu beruhigen, sie davon zu überzeugen, daß ihr hier keine Gefahr drohe, da die betrunkenen Gäste sicher bis zum Abend schlafen würden. Doch Lygia wollte sich lange nicht zufrieden geben; sie preßte beide Hände gegen die Schläfen und wiederholte wie ein Kind immer wieder: »Nach Hause zu Aulus und Pomponia!«

Ursus war bereit. Bei den Toren standen zwar Prätorianer, aber er kam schon durch. Die Soldaten hielten ja die Fortgehenden nicht auf. Vor den Toren waren Sänften, und die Leute begannen scharenweise heimzuziehen. Niemand würde sie zurückhalten. Sie konnten sich unter die Menge mischen und direkt nach Hause zurückkehren. Was die Königstochter befahl, das mußte geschehen. Dazu war er ja hier.

Doch Akte mußte für beide Überlegung haben. Hinauskommen würden sie wohl leicht, und niemand dächte daran, sie aufzuhalten. Aber es war nicht gestattet, aus dem Hause des Herrschers zu entfliehen, und wer es tat, beleidigte seine Majestät. Hinaus konnten sie wohl, doch schon am Abend würde ein Centurio dem Aulus das Todesurteil überbringen und Lygia in den Kaiserpalast zurückschleppen, wonach es keine Rettung mehr für sie gab.

Mutlos ließ Lygia ihre Hände sinken. Ach, es gab keinen Ausweg! Sie hatte nur zu wählen zwischen dem Verderben der Pflegeeltern und ihrem eigenen. Als sie zum Festmahl ging, hatte sie noch Hoffnung, daß Vinicius und Petronius sich für sie verwenden und Pomponia zurückgeben würden. Nun wußte sie genau, daß gerade diese beiden den Kaiser überredet hatten, sie von Pomponia wegzunehmen. Nur ein Wunder konnte sie dem drohenden Abgrund entreißen.

»Akte,« sagte sie verzweifelt, »hast du gehört, was mir Vinicius sagte? Der Kaiser habe mich ihm zum Geschenk gemacht und er werde noch vor Abend seine Sklaven senden, um mich zu sich holen zu lassen!«

»Ich habe es gehört,« erwiderte Akte, »aber im Palast des Kaisers droht dir nicht weniger Gefahr als bei Vinicius. Gib dich zufrieden mit deinem Schicksal.«

Doch Lygia barg das Gesicht mit ihren Händen und rief: »Niemals! Ich bleibe weder hier noch gehe ich zu Vinicius!«

Akte war von diesem leidenschaftlichen Ausbruch überrascht. »Ist dir Vinicius so sehr verhaßt?« fragte sie.

Doch Lygia konnte diese Frage nicht beantworten, sie brach statt dessen in Tränen aus. Akte zog sie an ihre Brust und suchte sie zu trösten. Ursus atmete schwer und ballte die riesigen Fäuste, denn er liebte seine Königstochter mit der Treue eines Hundes und vermochte die Tränen nicht zu ertragen. Mit seinem lygischen, halb kindlichen Herzen wäre er am liebsten in den Saal zurückgestürzt, um Vinicius und im Notfalle selbst den Kaiser zu erwürgen, aber er wollte seine Herrin keinen Augenblick verlassen; dann war er auch mit sich nicht einig, ob ein Bekenner des Gekreuzigten so etwas tun dürfe.

Die Freigelassene sagte weiter: »Ich frage dich, weil du mir leid tust, weil ich Mitleid mit der guten Pomponia und Aulus und deren Kind empfinde. Lange schon lebe ich hier in dem Palast, und sehr wohl ist mir bekannt, was der Zorn des Kaisers deutet. Nein! Dir steht nicht das Recht zu, von hier zu fliehen. Nur ein Ausweg bleibt dir offen: flehe Vinicius an, er möge dich zu Pomponia zurückführen!«

Doch Lygia sank in die Knie, um einen andern anzuflehen. Ursus ließ sich neben ihr nieder, und sie beteten beide im Kaiserpalast beim ersten Morgenrot.

Akte war zum erstenmal Zeugin eines solchen Gebets. Sie vermochte die Augen von Lygia nicht abzuwenden, die, das Profil ihr zugekehrt, zum Himmel emporblickte, von dorther Rettung erwartend. Das Morgenlicht fiel auf ihr Haar und auf das weiße Gewand und spiegelte sich in ihren Augen; von Glanz umflutet, sah sie selber aus wie das Licht. Aus dem erblaßten Antlitz, den geöffneten Lippen, den erhobenen Augen und Händen sprach überirdische Begeisterung. Akte betrachtete die Betende voll Verwunderung. Noch vor einem Augenblick hatte sie gedacht, daß es für Lygia keine Rettung geben könne, jetzt aber fing sie an zu glauben, es werde etwas Außergewöhnliches geschehen und plötzlich eine Hilfe kommen, die so mächtig war, daß nicht einmal der Kaiser etwas dagegen vermochte.

Akte hatte schon von vielen Wundern gehört, die sich unter den Christen ereignet haben sollten, und jetzt, nachdem sie dem Gebete Lygias beigewohnt, glaubte sie fest an die Wahrheit dieser Wunder.

Lygia erhob sich endlich mit hoffnungsfreudigem Antlitz. »Gott segne Pomponia und Aulus!« sprach sie. »Ich darf sie nicht ins Verderben stürzen, und so darf ich sie nicht mehr sehen.«

Dann wandte sie sich an Ursus und sagte ihm, daß sie jetzt niemand mehr habe als ihn, und daß er von nun an ihr Beschützer, ihr Vater sein müsse. Er solle sie aus dem Palaste bringen, aus der Stadt führen und ein Versteck für sie ausfindig machen, wo weder Vinicius noch dessen Diener sie finden würden, sie wolle überall mit ihm gehen, selbst über das Meer, über die Berge zu den Barbaren, wo man kein römisches Wort mehr höre und wohin des Kaisers Macht nicht mehr reiche.

Der Lygier war sofort zu allem bereit, aber Akte hielt auch diesen Fluchtplan für gefährlich, da der Kaiser sich in jedem Fall an den Ihrigen rächen werde. Besser sei es, aus dem Hause des Vinicius zu fliehen. Dann würde Nero es nicht für eine Majestätsbeleidigung halten und sich nicht rächen.

Doch Lygia hatte auch schon einen Plan, weder Aulus noch Pomponia sollten erfahren, wo sie sei, erklärte sie, nur wollte sie nicht erst nach dem Hause des Vinicius, sondern schon auf dem Wege dahin fliehen. Er hatte ihr in seiner Trunkenheit verraten, daß er gegen Abend seine Sklaven um sie senden werde. Augenscheinlich war er allein oder mit Petronius vor dem Gastmahl beim Kaiser gewesen und hatte von diesem die Zusicherung erhalten, er bekomme sie am folgenden Tage ausgeliefert.

Unterwegs würde Ursus sie retten, denn niemand könne ihm widerstehen, selbst nicht jener gewaltige Ringkämpfer, der in dem Triklinium gesiegt hatte. Da jedoch Vinicius vielleicht eine große Zahl Sklaven senden werde, möge Ursus zu dem Bischof Linus gehen, um dessen Rat und Hilfe zu erbitten. Der Bischof würde sicher seinen Christen befehlen, dem Ursus zu helfen und sie aus der Stadt zu geleiten.

Auf Lygias Wangen malten sich Mut und Zuversicht. Plötzlich warf sie sich Akte an den Hals und flüsterte: »Du wirst uns nicht verraten, Akte – nicht wahr?«

»Beim Schatten meiner Mutter,« antwortete die Freigelassene, »ich verrate euch nicht; bitte nur deinen Gott, daß es Ursus gelingen möge, dich zu befreien.«

Die blauen Kinderaugen des Lygiers strahlten vor Glück. Er wollte zum Bischof gehen, weil der vom Himmel ablas, was geschehen solle und was nicht; Christen hätte er auch allein in genügender Anzahl zusammengebracht. Hatte er doch genug Bekannte unter den Sklaven, den Gladiatoren und den Freien – in der Sabura und jenseits der Brücken. Jedenfalls würde er mit hundert Verbündeten der Sänfte auflauern. Und mochten selbst Prätorianer die Begleitung bilden, er werde sein Königskind befreien. Keinem aber rate er, ihm unter die Fäuste zu kommen, selbst eine eiserne Rüstung werde ihn nicht schützen.

Doch mit tiefem und kindlichem Ernst hob Lygia den Finger in die Höhe: »Ursus, du sollst nicht töten!« sagte sie.

Der Lygier legte seine keulenförmige Hand an den Hinterkopf und begann murrend den Nacken in großer Verlegenheit zu krauen. Er mußte sie doch retten, und er wollte sich in acht nehmen, so gut es ging. Aber wenn es unabsichtlich geschah, was dann? Er mußte sie doch retten!

Auf seinen Zügen malte sich heftige Rührung, und um diese zu verbergen, bückte er sich tief und sagte: »Ich gehe zum heiligen Bischof.«

Akte aber umschlang Lygias Hals und brach in Tränen aus. Aufs neue regte sich in ihr die Ahnung, daß es eine Welt gebe, die mitten im Leiden ein größeres Glück zu geben vermöge als aller Überfluß und alle Wonnen des Kaiserpalastes. Noch einmal tat sich eine Pforte, die zum Lichte führte, vor ihr auf, aber sie fühlte sich unwürdig, die Schwelle zu überschreiten.

 


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