Henryk Sienkiewicz
Quo vadis?
Henryk Sienkiewicz

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30.

Petronius feierte in Antium täglich neue Siege über die Augustianer, die um die Gunst Cäsars buhlten. Tigellinus hatte fast allen Einfluß verloren. In Rom freilich war dieser unentbehrlich, denn keiner verstand es besser als er, lästige Personen aus dem Weg zu räumen und deren Güter einzuziehen; niemand konnte die ungeheuerlichen Gelüste des Kaisers besser befriedigen als er. In Antium aber, dessen Marmorpaläste sich im Meer spiegelten, lebte der Kaiser wie ein Hellene. Den ganzen Tag wurden Gedichte gelesen, musiziert und Theater gespielt, und unter diesen Verhältnissen mußte Petronius das Übergewicht behaupten. Nero suchte seine Gesellschaft, fragte ihn bei seinen künstlerischen Schöpfungen um Rat und bezeugte ihm eine innigere Freundschaft als jemals zuvor. Es gab Augenblicke, wo er selbst Tigellinus leicht hätte verderben können, aber er zog es vor, ihn auszulachen. Gar mancher fühlte sich in seinem Innern beglückt darüber, daß nun ein Mann wieder die Macht in Händen hatte, der die Menschen zu beurteilen wußte, der, sei es aus Trägheit, sei es infolge seiner höheren Bildung, weder rachsüchtig war, noch seine Macht zum Schaden und Nachteil für andere ausnützte. Der römische Senat atmete auf, denn seit sechs Wochen war kein Todesurteil mehr verhängt worden. Sowohl in Antium als auch in Rom lobte man die raffinierte Lebensführung des Kaisers und seines Günstlings und erzählte sich Wunderdinge; jedermann begrüßte es mit Freuden, daß sich der Cäsar verfeinerte und nicht verrohte. Nero wiederholte oft, daß es nur zwei Männer von Geist am Hof gäbe, die fähig seien, einander zu verstehen: er und Petronius.

Ungefähr acht Tage nach der Rückkehr des Vinicius aus Rom las Nero im engeren Kreise eine Stelle aus seiner Dichtung: Der Brand von Troja, vor. Als er geendet hatte und die Ausrufe der Bewunderung verhallt waren, befragte er Petronius um sein Urteil.

»Schlechte Verse, nur wert, ins Feuer geworfen zu werden.«

Den Anwesenden schien das Herz vor Entsetzen zu stocken. Seit seiner Kindheit hatte Nero solche Worte nicht zu hören bekommen. Nur das Antlitz des Tigellinus strahlte vor Freude. Vinicius aber, der bleich wie der Tod wurde, glaubte, Petronius sei berauscht, obwohl sich dieser nie zu betrinken pflegte.

Nero aber sagte mit seiner süßesten Stimme, in der die verletzte Eitelkeit nachklang:

»Was erscheint dir daran gefehlt?«

Petronius eilte auf ihn zu. »Schenke diesen hier keinen Glauben,« rief er, indem er auf die Anwesenden zeigte, »sie verstehen nichts davon. Um die Wahrheit zu sagen, die Verse wären gut genug für Virgil, gut genug für Ovid, ja sogar gut genug für Homer, aber sie sind nicht gut genug für dich. Du darfst so etwas nicht schreiben. Der Brand, den du beschreibst, brennt nicht, dein Feuer ist nicht heiß genug. Höre nicht auf die Schmeicheleien des Lukanus. Hätte er diese Verse verfaßt, so würde ich ihn für einen Genius halten, bei dir aber lege ich einen anderen Maßstab an. Und weißt du, weshalb? Weil du alle an Geist überragst. Wem die Götter so viel gaben wie dir, von dem kann man mehr fordern. Aber du bist träge, du schläfst lieber nach der Mahlzeit, statt fleißig zu sein. Du könntest die Welt mit einem Werk beschenken, wie es bisher noch nicht dagewesen ist, darum muß ich dir sagen: schreibe besser!«

Petronius sprach dies in völlig ungezwungenem und doch tadelndem Ton; der Kaiser aber schaute ihn mit entzückten, tränenfeuchten Augen an.

»Die Götter haben mir nicht nur Gaben verliehen,« sagte er, »sie beschenkten mich mit noch etwas Wertvollerem, sie gaben mir einen treuen Freund.«

Bei diesen Worten streckte er seine fette, mit roten Härchen bedeckte Hand aus, um an einem aus Delphi geraubten goldenen Kandelaber die Verse zu verbrennen.

Doch Petronius fiel ihm in die Arme und verhinderte dadurch, daß die Flamme den Papyrus ergriff. »Nein, nein!« rief er. »Wenn die Verse auch nicht gut sind, so gehören sie doch der Menschheit an. Überlaß sie mir!«

»Dann gestatte mir, sie dir in einer Kapsel überreichen zu lassen, die nach meiner Angabe angefertigt wird,« entgegnete Nero, indem er Petronius umarmte. – »Ja, du hast recht,« fügte er nach kurzem Schweigen hinzu, »mein Brand Trojas ist matt. Jeder Bildhauer braucht ein Modell zu seinen Götterbildern; ich aber hatte kein Vorbild. Ich habe nie eine brennende Stadt gesehen.«

»Cäsar,« unterbrach jetzt Tigellinus, »ich habe es schon einmal gesagt, du hast nur zu befehlen, und ich verbrenne Antium oder die Schiffe in Ostia, oder ich erbaue eine hölzerne Stadt am Fuß des Albanergebirges, in die du selbst die Brandfackel schleudern magst, wenn es dir gefällt.«

Nero warf ihm einen verächtlichen Blick zu. »Brennende Holzbaracken soll ich mir ansehen? Dein Hirn ist verbrannt, Tigellinus! Auch scheinst du mein Talent und mein Gedicht nicht besonders hoch zu schätzen, da du ihm nicht mehr opfern möchtest.«

Tigellinus war bestürzt.

Wie um dem Gespräch eine andere Wendung zu geben, sagte Nero: »Der Sommer ist nahe. Da wird es in Rom wieder übel riechen! Und leider, zu den Spielen werden wir dahin zurückkehren müssen.«

Als der Kaiser an diesem Tage die Augustianer entließ, näherte sich ihm Tigellinus und flüsterte: »Gestatte mir noch zu bleiben, Cäsar, wenn auch nur einen Augenblick.«

»Du hast mich heute sehr erschreckt,« sagte Vinicius zu Petronius, als er mit diesem die Villa verließ. »Ich dachte, du seiest berauscht. Bedenke, daß du mit Tod und Leben spielst.«

»Ja, das ist meine Arena,« lächelte Petronius. »Er wird mir seine Verse in einer Dose schicken, die wohl wertvoll, aber entsetzlich geschmacklos sein wird. Ich werde sie meinem Arzt geben zur Aufbewahrung von Abführmitteln, die Verse selbst sind schon ein solches Mittel. Und das beste ist, daß Tigellinus mich wird nachahmen wollen. Das kann gut ausfallen. Ich stelle ihn mir vor wie einen pyrenäischen Bären, der auf dem Seile tanzt! Wenn ich wollte, könnte ich Tigellinus vernichten und an seiner Stelle Präfekt der Prätorianer werden; ich hätte dann den Feuerbart selbst in meinen Händen. Aber ich ziehe mir mein ruhiges gegenwärtiges Leben, selbst mit des Cäsars Versen, der Mühe vor.«

»Welche Geschicklichkeit, sogar Tadel in Schmeichelei zu verwandeln! Aber sind jene Verse wirklich so schlecht? Ich bin kein Sachverständiger.«

»Sie sind nicht schlechter als andere. Lukanus hat natürlich in einem Finger mehr Talent, als der Rotbart überhaupt. Der Kaiser besitzt übrigens eine außerordentliche Vorliebe für Poesie und Musik. In zwei Tagen werden wir die in Musik gesetzte Hymne auf Aphrodite, die er heute oder morgen beendigen wird, zu hören bekommen. Wir werden einen kleinen Kreis bilden, nur ich, du, Tillius Senecio und der junge Nerva. Übrigens sind Neros Verse manchmal sogar beredt. Er ist ein merkwürdiger Mensch. Nicht einmal Caligula erreichte diese Stufe des Wahnwitzes.«

»Wer kann wissen, wozu die Verrücktheit den Rotbart noch bringen wird?« fragte Vinicius.

»Wahrlich niemand. Er mag Dinge vollbringen, daß spätere Jahrhunderte bei dem bloßen Gedanken daran noch schaudern. Aber gerade das ist es, was mich interessiert, und obwohl ich mehr als einmal von ihm verletzt wurde, glaube ich, daß ein anderer Cäsar dies noch hundertmal öfter getan hätte. Paulus, dein kleiner Jude, kann überzeugend reden, aber er vergißt, daß gerade die Ungewißheit meinem Leben einen Reiz verleiht. Du sagst, ich spiele mit dem Leben, und das ist wahr; aber ich spiele weil es mir gefällt, während die Tugenden der Christen mir Licht bringen würden, wie die Abhandlungen des Seneka. Darum verwendet Paulus seine Beredsamkeit umsonst. Ahnend erkenne ich die Wahrheit dessen, was sie sagen. Wir sind wahnwitzig und eilen dem Abgrunde zu; etwas Unbekanntes kommt uns aus der Zukunft entgegen. Trotzdem wollen wir das Leben nicht als eine Bürde betrachten und nicht dem Tode dienen, ehe er uns ergreift. Das Leben ist um des Lebens willen, nicht um des Todes willen da.«

»Ich bedaure dich, Petronius.«

»Bedaure vielmehr dich selbst, als mich. Früher warst du froh unter uns, jetzt aber liegt eine Traurigkeit auf deinem Gesicht. Auch Pomponia Graecina ist immer nachdenkend.«

»Ein sehnendes Verlangen erfüllt meine Seele; eigentümlicherweise fürchte ich, fern von Lygia, es möchte ihr Gefahr drohen. Ich weiß nicht, welche Gefahr und woher sie kommen mag; doch ich fühle es wie das Nahen eines Gewitters.«

»In zwei Tagen werde ich dir die Erlaubnis zu vermitteln suchen, Antium zu verlassen, so lange es dir beliebt, Poppäa ist etwas ruhiger, und soviel ich weiß, droht Lygia von ihrer Seite keine Gefahr.«

»Paulus lehrte mich,« sagte Vinicius, »daß Gott uns zuweilen warnt; doch sei es nicht erlaubt, an Vorzeichen zu glauben. Trotzdem hat eine zufällige Begebenheit mich ängstlich gemacht. Ich saß an einem Abend mit Lygia zusammen, und wir fühlten uns unsagbar glücklich und zufrieden. Plötzlich begannen die Löwen zu brüllen. Wohl ist das nichts Besonderes in Rom, aber das Brüllen kam so befremdend und so unerwartet, daß ich die Töne noch jetzt vernehme und mein Herz in beständiger Furcht ist, als ob Lygia vor irgend etwas Schrecklichem, selbst vor jenen Löwen meines Schutzes bedürfe.«

»Söhne der Konsuln oder deren Frauen werden den Löwen in der Arena nicht vorgeworfen,« sagte Petronius lachend. »Ein anderer Tod mag dich erwarten. Was mich betrifft, so verachte ich Vorzeichen und Schicksale.« Er schwieg und fügte nach einigem Nachdenken hinzu: »Wenn dein Christus von den Toten auferstanden ist, so wird er vielleicht euch beide vor dem Tode bewahren.«

»Er möge es tun,« antwortete Vinicius und wendete seinen Blick nach dem sternbesäten Himmel.

 


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