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Nero kam in mißmutiger Stimmung nach Rom zurück und wäre am liebsten sofort nach Griechenland abgereist. Doch nachdem er in dem Tempel der Vesta von einer plötzlichen Ohnmacht befallen worden war, änderte er seine Entschlüsse und ließ dem Volke verkünden, daß er angesichts der betrübten Mienen der Bürger beschlossen habe, bei ihnen zu bleiben und ihre Freuden und Leiden zu teilen, wie ein Vater, der seine Kinder liebe.
Tigellinus wollte Nero für den Aufschub seiner Reise nach Griechenland entschädigen, alle übertreffen, die je Nero bewirtet hatten, und beweisen, daß keiner wie er es verstünde, Feste zu geben. Zu diesem Zwecke hatte er schon in Neapel und später in Beneventum Vorbereitungen getroffen und aus den fernsten Ländern Raubtiere, Vögel, seltene Fische und Pflanzen, Gefäße und Anzüge kommen lassen, um die Pracht des Festes zu erhöhen. Die Einkünfte ganzer Provinzen wurden verschwendet, um tolle Pläne zu verwirklichen. Doch der mächtige Günstling besann sich nicht. Sein Einfluß wuchs ja täglich. Nicht daß Nero ihn anderen vorgezogen hätte, aber Tigellinus wußte sich immer mehr unentbehrlich zu machen. Petronius übertraf ihn weit an Geist und feinem Witz und verstand es besser, eine angenehme Unterhaltung zu führen. Aber gerade dadurch erregte er auch die Eifersucht und den Neid des Kaisers, der sein Urteil in Sachen des guten Geschmacks immer fürchtete. Vor Tigellinus dagegen brauchte Nero sich nie Zwang anzutun. Dieser war klug genug, seine eigenen Mängel einzusehen. Da er mit Petronius, Lukan und mit andern durch Abstammung, Talent oder Wissen Bevorzugten sich nicht messen konnte, suchte er sie durch Willfährigkeit bei Diensten zu übertrumpfen, vor allem aber durch einen Aufwand, dessen Pracht Nero in Entzücken versetzen mußte. Tigellinus hatte für das Fest ein riesiges Floß aus vergoldeten Balken bauen lassen, dessen Ränder mit seltenen bunten Muscheln verziert waren. Über dem Floß erhob sich ein Zeltdach aus syrischem Purpurstoff, das auf silbernen Säulen ruhte. Unter dem Dache standen Tische für die Gäste, schwer beladen mit alexandrinischem Glase, Kristall und Vasen, deren Glanz die Augen blendete und deren Preis ein unermeßlicher war: ein Raub aus Italien, Griechenland und Kleinasien. Das Floß hatte infolge der darauf angebrachten Pflanzen das Aussehen einer Insel oder eines Gartens. Ringsum waren mit Gold- und Purpurstricken Kähne in Gestalt von Fischen, Schwänen, Möven und Flamingos angebunden, worin an bemalten Rudern Sklaven und Sklavinnen saßen von ausgesuchter Schönheit, die Haare nach orientalischer Sitte aufgeputzt oder durch goldene Netze zusammengehalten. Sobald Nero das Floß in Begleitung Poppäas und der Augustianer bestiegen und sich unter das Zeltdach gesetzt hatte, sanken die Ruder ins Wasser, die Kähne bewegten sich, zogen die Stricke straff und das Floß samt den Gästen fuhr in Kreisen auf dem Teiche herum.
Aus den Hainen am Ufer, aus phantastischen Konstruktionen, die für dieses Fest gebaut und im Dickicht verborgen waren, drang Musik und Gesang in die Umgebung, und die Hörner und Trompeten klangen von einem Ende des Teiches zum anderen. Nero, zwischen Poppäa und Pythagoras sitzend, war entzückt; das »schwimmende Fest« gefiel ihm, denn es war etwas Neues. Die ausgesuchtesten Gerichte wurden aufgetragen.
Außer den Frauen saßen auch die Augustianer an der Tafel. Vor allen glänzte Vinicius durch seine männliche Schönheit. Früher hatten Gestalt und Antlitz zu sehr an den Berufssoldaten erinnert; geistige und körperliche Qual aber hatten seine Züge so gemeißelt, als ob die Meisterhand eines Künstlers sie geschaffen hätte. Petronius sah, wie alle Augustianerinnen auf Vinicius wohlgefällig blickten, Poppäa und die Vestalin Rubria nicht ausgenommen, die der Cäsar beim Feste zu sehen wünschte. Die Weine wurden in mit Bergschnee gefüllten Kübeln gekühlt, und desto mehr erhitzten sich die Herzen und Köpfe der Festteilnehmer. Der Wasserspiegel war jetzt wie besät mit Blütenblättern, und von den kleinen Booten flogen Tauben und andere Vögel Indiens und Afrikas auf, die an silbernen oder himmelblauen Fäden befestigt waren. Der warme Tag neigte sich seinem Ende zu, unaufhörlich bewegte sich das Floß im Kreise, und immer lärmender wurden die trunkenen Gäste darauf. Als die Dämmerung hereinbrach, wurde plötzlich der Hain durch tausend Lampen erhellt. Das Floß näherte sich jetzt dem Ufer, und die Festteilnehmer wurden dort von den am Ufer stehenden Frauen und Töchtern der ersten Häuser Roms begrüßt. Ein wilder Taumel erfaßte jetzt alle. Man schlug mit den Stäben auf die Lampen, um sie zu verlöschen. Rom hatte etwas Ähnliches bisher nicht gesehen.
Vinicius war zwar nicht betrunken, wie bei jenem Gelage im Palaste des Cäsar an der Seite Lygias, aber auch er war geblendet und trunken von all dem, was um ihn her vorging. Plötzlich umringten ihn junge Mädchen in tollem Reigen, flohen aber bald wieder wie ein Rudel Rehe. Nur eine verschleierte Gestalt blieb zurück, legte ihre Hände auf seine Schultern, und während ihr heißer Atem ihn traf, flüsterte sie: »Komm!«
Vinicius erwachte wie aus einem Traume. »Wer bist du?« fragte er.
»Errate es!«
Bei diesen Worten drückte sie durch den Schleier ihre Lippen auf die seinen und wandte den Kopf wieder ab.
Vinicius schob die Verschleierte von sich und sagte: »Wer du auch sein mögest: ich liebe eine andere, dich will ich nicht.«
Sie aber sagte: »Lüfte den Schleier!«
Doch in diesem Augenblick raschelte es im Myrtenlaub, und die Gestalt verschwand wie ein Traumbild, aber aus der Entfernung vernahm man ihr seltsames, unheilverkündendes Lachen.
Petronius stand vor Vinicius. »Ich habe alles gesehen und gehört,« sagte er.
»Laß uns von hier fortgehen,« entgegnete Vinicius.
Und sie entfernten sich durch den Hain und durch die Kette der berittenen Prätorianer und begaben sich zu ihren Sänften.
Beide stiegen ein, sprachen aber kein Wort unterwegs. Erst als sie im Atrium des Vinicius waren, sagte Petronius: »Weißt du, wer das war?«
»Nein.«
»Die göttliche Augusta!« Nach einer kleinen Pause fuhr Petronius weiter fort: »Ich störte euch absichtlich, denn wenn du die Augusta erkannt und dann noch zurückgewiesen hättest, wärest du unrettbar verloren gewesen. Du, Lygia und vielleicht auch ich.«
Aber Vinicius brauste auf: »Ich habe Rom, Cäsar, die Feste, Augusta, Tigellinus und euch alle satt! Ich ersticke hier! Ich kann so nicht leben!«
»Du verlierst den Kopf, den Verstand, Vinicius.«
»Ich liebe nur eine von der ganzen Welt!«
»Und was folgt daraus?«
»Ich will keine andere Liebe, ich will eure schamlosen Feste nicht, ich will euer lasterhaftes Leben und eure Schandtaten nicht!«
»Was geht mit dir vor? Du bist ein Christ?«
Da preßte der junge Mann mit beiden Händen seine Schläfen und rief voll Verzweiflung: »Noch nicht! Noch nicht!«