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Petronius weilte um diese Zeit im Gefolge des Kaisers in Bajae und schrieb von dort, daß er jetzt nach Benevent abreisen würde. Vinicius hatte kaum den Brief zu Ende gelesen, als Chilon sich leise und unangemeldet in das Bibliothekzimmer hineinschlich; die Dienerschaft hatte den Befehl, ihn zu jeder Zeit bei Tag oder bei Nacht einzulassen.
»Möge die Mutter deines erhabenen und großen Vorfahren Äneas,« rief er, »dir gnädig sein, o Herr, wie mir der göttliche Sohn der Maria gnädig war.«
»Und dies bedeutet . . . ?« fragte Vinicius, vom Tisch aufspringend, an dem er saß.
Chilon blickte empor und sagte: »Ich hab's!«
Der junge Patrizier befand sich in solcher Aufregung, daß er einige Zeit kein Wort herausbringen konnte.
»Hast du sie gesehen?« fragte er schließlich.
»Nein, Herr. Ein anderer hätte sich wohl dem Lygier zu erkennen gegeben, ich tat es aber nicht, um keinen Verdacht zu erregen, was wohl einen Wechsel des Aufenthaltsortes des Mädchens zur Folge gehabt hätte. Ich, o Herr, begnügte mich damit, zu wissen, daß Ursus in der Nähe des Emporiums bei dem Müller Demas arbeitet. Ferner vermag ich mit Bestimmtheit zu sagen, daß sowohl Ursus als auch Lygia sich in der Stadt befinden, und weiter bringe ich die Nachricht, daß sie heute wohl sicher im Ostranium sein wird und . . .«
»Im Ostranium? Wo ist das?« unterbrach Vinicius den Griechen in einer Art, als ob er beabsichtige, sofort dorthin zu eilen.
»Es ist dies ein altes unterirdisches Gewölbe zwischen der Via Salaria und der Via Nomentana. Jener Oberpriester der Christen, den sie offenbar erst später erwartet haben, ist angekommen und wird diese Nacht im Ostranium taufen und lehren. Ursus selbst sagte, es werde heute an jener Grabstätte keine christliche Seele fehlen, und so wird auch unzweifelhaft Lygia dort sein.«
Vinicius, der bis dahin in steter Aufregung gelebt hatte, fühlte nun, da sich seine Hoffnung bald verwirklichen sollte, eine solche Ermattung, wie sie ein Mensch bei Erreichung des Zieles nach einer großen Reise empfindet. Der Grieche nahm dies gleich wahr und beschloß, seinen Nutzen daraus zu ziehen.
»Die Tore sind zwar durch Leute bewacht, Herr,« begann er, »und die Christen müssen das wissen. Allein sie benützen die Tore nicht, da es tausend andere Gelegenheiten gibt, um aus der Stadt zu kommen. Im Ostranium wirst du Lygia finden, und bestimmt ist Ursus da, um Glaukus zu töten. Dort kannst du nun den Ursus von deinen Leuten und schließlich auch Lygia ergreifen lassen. O Herr, gewähre mir nun auch in deiner Großmut die eine Bitte und gib mir jetzt schon einen Teil von dem, was du mir zugedacht hast.«
Vinicius ging an einen auf einem marmornen Untersatz stehenden Goldbehälter, nahm einen Beutel heraus und warf ihn Chilon zu. »Hier sind kleine Münzen,« erklärte er, »sobald Lygia in meinem Hause sein wird, erhältst du einen ebensolchen Beutel mit Goldmünzen.«
»Du bist ein Gott,« rief Chilon.
Vinicius runzelte die Stirn und bemerkte ungeduldig: »Iß und trink in meinem Hause, dann kannst du ruhen. Bei anbrechender Nacht begleitest du mich zum Versammlungsplatz; versuche nicht, mein Haus zu verlassen.«
Bei dem Gedanken, daß er heute Lygia ergreifen würde, schwand in Vinicius' Herz aller Groll gegen sie. Auch gegen Ursus war er nicht mehr ergrimmt, er fühlte, daß er jetzt allen vergeben könnte. Nie war es ihm so zum Bewußtsein gekommen, wie sehr er Lygia liebte. Wie die wärmende Sonne im Frühling die Erde erweckt, so erweckte jetzt das freudige Hoffen in ihm ein grenzenloses Sehnen. Weder die Christen der ganzen Welt noch der Kaiser sollten ihm jetzt Lygia entreißen.
Durch das Benehmen des jungen Patriziers kühn gemacht, ließ Chilon seinem Redefluß wieder freien Lauf und gefiel sich in allerlei Ratschlägen. Vinicius stimmte ihm in allem bei, und da er sich auch des Rates, den ihm Petronius in einem Schreiben gegeben hatte, erinnerte, ließ er durch einen seiner Sklaven den Kroton holen.
Mit leichtem Herzen ließ sich Chilon zum Mahle nieder, zu dem ihn der Hüter des Atriums rief, und erzählte während des Essens den Sklaven von der wundertätigen Salbe, die, wenn die Hufe eines Pferdes damit bestrichen werden, unfehlbar zum Siege verhelfe. Er entwickelte einen erstaunlichen Appetit, lobte den Koch und versicherte, daß er sehr gern diesen dem Vinicius abkaufen möchte.
Nach einer ordentlichen Sättigung streckte er sich auf einer Ruhebank aus und legte sich seinen Mantel unter den Kopf.
Bald war er eingeschlafen und erwachte erst wieder bei der Meldung, daß Kroton gekommen sei. Sogleich begab er sich ins Atrium, wo er mit Befriedigung die mächtige Gestalt des Fechtmeisters und früheren Gladiators betrachtete. Kroton verhandelte schon mit Vinicius über die Höhe des Lohnes, den er bekommen sollte.
»Beim Herkules, es ist gut, o Herr, daß du heute nach mir geschickt hast,« erklärte gerade Kroton, »denn morgen breche ich nach Beneventum auf, wohin mich der edle Vatinius berufen hat. Dort soll ich mit Syphax, dem stärksten Neger aus Afrika, ringen. Nun stelle dir vor, o Herr, wie dessen Wirbelknochen in meinen Armen krachen werden, wie ich dessen Kinnbacken mit Faustschlägen bearbeiten werde.«
»Ich zweifle keinen Augenblick daran,« entgegnete Vinicius.
»Du wirst dich vortrefflich bewähren,« rief jetzt Chilon. »Ja, ihm die Kinnbacken zerschlagen, das ist eine Idee. Inzwischen aber salbe deinen Leib mit Olivenöl und gürte dich, mein Herkules, denn du wirst es mit einem wahren Kakus zu tun haben. Der Hüter des Mädchens, für das der edle Vinicius so großes Interesse genommen hat, besitzt ungeheure Kräfte.«
»Das ist richtig,« bemerkte Vinicius, »ich sah ihn zwar noch nicht, hörte aber, daß er imstande sei, einen Stier an den Hörnern zu packen und ihn wegzutragen.«
»Ich unternehme es, edler Herr,« sagte Kroton, verächtlich lachend, »mit dieser Hand jeden hinwegzutragen, den du mir bezeichnest, und mich mit der andern Hand gegen sieben solcher Lygier zu verteidigen. Ich bringe dir das Mädchen, selbst wenn alle Christen Roms sich auf mich wie auf einen kalabrischen Wolf stürzten.«
»Gestatte dies nicht, o Herr!« rief Chilon. »Man wird Steine nach uns werfen, und was kann uns dann all seine Kraft nützen?«
»So soll es sein, Kroton,« rief Vinicius, »fünfhundert Sklaven harren auf meine Befehle!«
Darauf bedeutete er beiden, ihn zu verlassen, begab sich in die Bibliothek und schrieb an Petronius:
»Chilon hat Lygia gefunden. Heute abend gehe ich mit ihm und Kroton in das Ostranium und ergreife sie dort oder entführe sie morgen aus ihrem Hause. Mögen dich die Götter mit ihren Gaben überschütten! Lebe wohl, Teuerster! Die Freude läßt mich nicht weiterschreiben.«
Das Rohr beiseite legend, ging er mit raschen Schritten auf und ab, denn bei all der Freude, die seine Seele erfüllte, verzehrte ihn doch eine fieberhafte Unruhe.
Der Eintritt Chilons störte ihn in seinem Nachdenken.
»Herr,« begann der Grieche, »mir ist noch etwas eingefallen. Die Christen haben ihre geheimen Erkennungszeichen, ohne die niemand im Ostranium zugelassen wird. Gestatte, o Herr, daß ich mich zu Euricius begebe und ihn darüber befrage.«
»Du hast recht, edler Weiser,« entgegnete Vinicius heiter, »du bist sehr vorsichtig, dir gebührt das größte Lob; geh zu Euricius, aber zur Sicherheit lasse den Beutel hier, den du von mir erhalten hast.«
Chilon, der sich nur ungern vom Gelde trennte, machte ein verdrießliches Gesicht, allein er gehorchte und machte sich auf den Weg. Von der Carinae nach dem Circus, in dessen Nähe der kleine Laden des Euricius lag, war es nicht sehr weit, und er kehrte noch vor Anbruch des Abends zurück.
»Hier sind die Zeichen, o Herr, ohne welche wir keinen Einlaß bekommen hätten; auch den Weg kenne ich jetzt genau, und Euricius glaubt, ich sei im Auftrag meiner gläubigen Freunde gekommen.«
Als es Abend wurde, ließ Vinicus Kroton und Chilon rufen, und alle drei begannen sich umzukleiden. Sie hüllten sich in gallische Kapuzenmäntel und nahmen jeder eine Laterne. Vinicius bewaffnete sich und seine Genossen mit kurzen, krummen Waffen, und Chilon stülpte eine Perücke über den Schädel, um sich unkenntlich zu machen. So verwandelt, eilten sie aus dem Hause, um noch vor Toresschluß die Porta Nomentana zu erreichen.