Henryk Sienkiewicz
Quo vadis?
Henryk Sienkiewicz

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5.

Petronius war zu Hause, als Vinicius bei ihm eintraf. Der Türhüter wagte den jungen Mann nicht zurückzuhalten, der wie ein Sturmwind ins Atrium einbrach, und als er erfahren, daß der Hausherr in der Bibliothek sei, ohne Aufenthalt weiterstürmte. Er traf Petronius schreibend an. Ohne weiteres riß er ihm das Rohr aus der Hand, brach es entzwei, warf die Stücke auf die Erde, grub seine Finger geradezu in den Arm und stieß, Gesicht an Gesicht, mit heiserer, rauher Stimme die Worte hervor: »Was hast du mit ihr gemacht? Wo ist sie?«

Da ereignete sich etwas Merkwürdiges. Der schmächtige und verweichlichte Petronius faßte zuerst die in sein Fleisch gekrallte Hand des jungen Athleten mit festem Griffe, hierauf die zweite, und beide Hände in einer der seinen wie mit Eisenzangen zusammenpressend, sagte er: »Ich bin nur des Morgens ein Schwächling, des Abends gewinne ich die frühere Spannkraft wieder. Versuche es, dich zu befreien. Ein Weber, so dünkt mich, hat dich Gymnastik gelehrt und ein Schmied die Sitten.«

Seine Züge verrieten kaum eine Spur von Ärger; nur in den Augen zuckte ein fahler Abglanz von Mut und Energie. Endlich ließ er die Hände des jungen Mannes los, welcher gedemütigt, beschämt und wutschnaubend vor ihm stand.

»Wo ist Lygia?« fragte er endlich, als er sich etwas beruhigt hatte.

»Im Wolfskäfig – beim Kaiser.«

»Petronius!«

»Willst du dich nicht setzen? Ich bat den Kaiser um zwei Dinge, die er mir gewährte: erstens Lygia dem Aulus zu nehmen, und zweitens sie dir zu geben. Ich sagte zu ihm: Mein Schwestersohn Vinicius hat sich in ein mageres Mädchen, das beim Aulus Plautius aufgezogen wurde, so sterblich verliebt, daß er sein ganzes Haus durch sein Seufzen in ein Dampfbad verwandelt hat. Der Bursche war immer ein Dreifuß, und jetzt ist er ganz verdummt.«

»Petronius!«

»Wenn du nicht einsiehst, daß ich das nur sagte, um Lygia zu schützen, muß ich fast annehmen, daß ich wahr gesprochen. Ich habe dem Feuerbart eingeredet, daß er als Mann von feinem Geschmack ein solches Mädchen unmöglich für eine Schönheit halten kann, und Nero, der sich bis jetzt nicht getraut, irgend etwas mit anderen Augen anzusehen als ich, wird daher nichts Schönes an ihr finden und sie nicht begehren. Außerdem wird auf diese Weise Poppäa weit eher als Nero die körperlichen Reize Lygias entdecken und sie so rasch als möglich aus dem Palast zu entfernen suchen. So beiläufig sagte ich dann zum Feuerbart: ›Wie wär's, wenn du Lygia dem Aulus abfordern würdest, um sie dem Vinicius zu geben? Das Recht dazu hast du, denn sie ist eine Geisel, und wenn du es tust, spielst du dem Aulus einen Possen.‹ Dies leuchtete ihm ein. Weshalb hätte es ihm nicht einleuchten sollen, da ich ihm eine Gelegenheit verschaffte, anständige Leute zu kränken. Man wird dich also in aller Form zum Hüter der Geisel einsetzen und diesen lygischen Schatz in deine Hände ausliefern. Der Kaiser behält Lygia, um den Schein zu wahren, einige Tage im Palast, und dann schickt er sie dir ins Haus. Übrigens ist morgen Gastmahl beim Nero. Ich habe dir einen Platz an Lygias Seite ausgewirkt.«

»Cajus, verzeihe mir meine Übereilung,« sagte Vinicius. »Ich dachte, du habest sie für dich oder für den Kaiser entführen lassen.«

»Die Übereilung kann ich dir verzeihen, weit schwerer fällt es mir, dein pöbelhaftes Betragen und das rohe Geschrei zu vergessen, das mich an die Moraspieler erinnert. So etwas liebe ich nicht, Markus, und davor mußt du dich hüten! Des Kaisers Kuppler ist Tigellinus, das merke dir – und lasse dir gesagt sein, daß ich, wenn ich das Mädchen selber begehren würde, dir einfach sagen würde: Vinicius! Ich nehme dir deine Lygia weg und werde sie behalten, solange sie mich nicht langweilt.«

Bei diesen Worten richtete er seine nußfarbenen Augen mit einem so kühnen und kühlen Ausdruck auf Vinicius, daß dieser immer mehr außer Fassung geriet.

»Ich sehe es ein, ich habe gefehlt,« sagte er. »Du bist gut und rechtschaffen, und ich danke dir aus ganzer Seele. Erlaube mir nur noch die Frage: Warum ließest du Lygia nicht lieber gleich in mein Haus bringen?«

»Weil der Kaiser den Schein wahren will. Man wird in Rom natürlich viel darüber reden, und Lygia, die in ihrer Eigenschaft als Geisel ausgeliefert wurde, muß also ein paar Tage im Palast bleiben. Der Feuerbart ist ein feiger Hund. Er weiß, daß seine Macht grenzenlos ist, und doch sucht er bei jeder Gelegenheit den Schein zu wahren. Wozu diese Mühe? Meiner Ansicht nach sind zwar Bruder-, Mutter- und Gattenmord Dinge, vielleicht eines kleinen asiatischen Königs würdig, niemals aber eines römischen Kaisers, und doch, wenn sie zufällig mir passiert wären, so hätte ich sicher keine Briefe an den Senat gerichtet . . . Doch Nero schreibt Briefe.«

Vinicius hörte kaum noch auf die Worte des Petronius. Er dachte an die Geliebte und sagte: »Morgen werde ich Lygia sehen, dann bleibt sie immer in meinem Hause bis zum Tode.«

»Ja, du wirst deine Lygia haben, und ich habe dafür Aulus Plautius auf dem Halse. Er wird die Rache sämtlicher Götter der Unterwelt auf mich heraufbeschwören.«

»Aulus war bei mir, und ich versprach, ihm Nachricht über Lygia zukommen zu lassen.«

»Schreibe ihm, daß des göttlichen Kaisers Wille das höchste Gesetz sei und daß dein erster Sohn Aulus heißen soll. Einen Trost muß man dem Alten doch lassen. Ich bin übrigens bereit, bei dem Feuerbart eine Einladung für Plautius zu dem morgigen Gastmahl zu erbitten; dann kann er dich im Triklinium an Lygias Seite sehen.«

»Tue es nicht,« sagte Vinicius, »Mir ist es doch leid um die beiden, besonders um Pomponia.«

 


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