Henryk Sienkiewicz
Quo vadis?
Henryk Sienkiewicz

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40.

Als Petronius den Kaiser verlassen hatte, ließ er sich nach seiner in der Carinae gelegenen, vom Feuer verschont gebliebenen Besitzung tragen. Ein großer Garten umgab das Wohnhaus von drei Seiten und an der Vorderseite lag ein kleines Forum. Deshalb hatte das Feuer sein Haus nicht erreichen können, und die Höflinge beneideten ihn um sein Glück. Petronius aber sagte zu sich selber: wäre mein Haus abgebrannt und wären damit meine Edelsteine, meine etruskischen Vasen, mein alexandrinisches Glas und meine korinthische Bronze zugrunde gegangen, dann könnte Nero die Beleidigung vergessen haben. Bei Pollux! Und doch hing es in dieser Stunde von mir allein ab, Präfekt der Prätorianer zu werden. Ich brauchte ja nur Tigellinus der Brandstiftung zu beschuldigen, ihn dem gemeinen Volk auszuliefern und Rom wieder aufzubauen. Wer weiß, ob damit nicht eine bessere Zeit für ehrliche Leute begonnen hätte. Ich hätte das Amt nehmen sollen aus Liebe zu Vinicius! Wäre es mir zu anstrengend geworden, so hätte ich ihm die Leitung anvertrauen können, und Nero würde nicht einmal versucht haben, zu widerstehen. Dann hätte Vinicius alle Prätorianer taufen lassen können und den Cäsar dazu, was schadete mir das? Nero, fromm, tugendhaft und barmherzig: das wäre ein unterhaltendes Schauspiel gewesen!

Der scharfsinnige Petronius sah nun, daß der Anfang vom Ende für ihn gekommen sei; doch wußte er auch, daß das Ende nicht schnell heranrücken würde, denn Nero hatte sich durch die schönen Worte über Freundschaft und Vergebung dem Petronius verpflichtet. Außerdem hatte er ja mit den Christen Zerstreuung genug.

Die Insula des Vinicius war eine Beute der Flammen geworden, und der junge Mann wohnte bei Petronius.

»Hast du Lygia heute gesehen?« fragte er den Neffen beim Eintreten.

»Ja, ich komme soeben von ihr.«

»Höre, was ich dir jetzt sage, und verliere keine Zeit mit unnützen Fragen. Beim Kaiser wurde heute beschlossen, den Brand Roms auf die Christen zu schieben; Verfolgung und Martern stehen ihnen bevor. Nimm Lygia und flieh mit ihr über die Alpen oder nach Afrika. Eile, denn vom Palatinus hat man nach Transtiber näher als von hier.«

Vinicius war Krieger genug, um nicht viele Worte zu verlieren. Er wußte, um was es sich handelte, und machte sich sogleich auf den Weg. »Ich gehe,« sagte er.

Schön wie eine Göttin trat jetzt Eunike ein und riß Petronius aus dem ernsten Sinnen, in das er nach dem Fortgange des Neffen versunken war. In diesem Augenblick vergaß er den Kaiser, die Ungnade, die Augustianer, die den Christen drohende Verfolgung, den Vinicius, die Lygia. Eunike wußte, daß sie bewundert wurde, und ihr Gesicht strahlte vor Freuden.

»Was bringst du, Charis?« fragte Petronius, beide Hände nach ihr ausstreckend.

»O Herr,« sagte sie, ihr goldenes Haupt auf seine Schulter legend, – »Anthemios ist mit seinen Sängern angekommen und läßt fragen, ob du ihn heute anhören willst?«

»Mag er warten; beim Mittagsmahl mag er uns einen Hymnus an Apollo vortragen. Inmitten einer großen Brandstätte und großer Aschenhaufen werden wir dem Hymnus lauschen.«

Eine Stunde darauf saßen sie an der Tafel mit verschleierten Augen und mit Kränzen von Rosen auf den Häuptern. Knaben in Gestalt von Amoretten bedienten bei der Tafel, die voll goldener Gefäße stand. Aus efeuumrankten Gefäßen tranken sie Wein und lauschten dem Apollohymnus und den Harfenklängen des Anthemios. Sie fühlten sich glücklich und kümmerten sich weder um die noch rauchenden Trümmerhaufen, noch um das zerstörte Rom.

Doch kaum war der Hymnus beendet, da trat der Türhüter ein und meldete den Hauptmann Aper mit einer Abteilung Prätorianer.

Da Nero für gewöhnliche Fälle sich der Prätorianer nicht zu bedienen pflegte, wenn er einem Freunde eine Botschaft sandte, so bedeutete diese Botschaft nichts Gutes. Doch Petronius zeigte keinerlei Erregung und sagte wie gelangweilt: »Man hätte mich wenigstens in Ruhe essen lassen sollen. – Lasse eintreten,« wandte er sich an den Vorsteher des Atriums.

Einen Augenblick später hallten schwere Schritte, worauf der Hauptmann mit dem Helm auf dem Kopfe eintrat.

»Edler Herr,« sagte er, »hier ist ein Schreiben des Kaisers.«

Nachlässig streckte Petronius seine weiße Hand nach dem Täfelchen und reichte es Eunike hin, nachdem er einen Blick darauf geworfen hatte. »Er wird heute abend seinen Gesang auf Troja vorlesen und ladet mich ein.«

Petronius lud den Hauptmann ein, einen Becher Weins zu trinken, und schenkte ihm nachher den kostbaren Becher. Als der Krieger gegangen war, gab er Anthemios ein Zeichen, weiter zu spielen.

Der Feuerbart fängt an, sein Spiel mit mir zu treiben, sagte Petronius zu sich. Er wollte mich erschrecken! Obwohl ich weiß, daß ich deiner Rache nicht entgehen werde, darfst du nicht glauben, daß ich deine Gnade anflehen werde!

Nach diesem Selbstgespräche machte er den gewohnten Spaziergang und ließ sich abends auf den Palatin tragen. Die Augustianer, verwundert darüber, daß er eine Einladung erhalten hatte, wichen ihm aus, als sie ihn in ihre Reihen treten sahen. Aber er schritt so gleichgültig und selbstbewußt an ihnen vorüber, als wäre nichts vorgefallen.

Der Kaiser tat, als bemerkte er ihn nicht, und erwiderte seinen Gruß nicht, anscheinend von einem wichtigen Gespräche ganz in Anspruch genommen. Doch später, während des Vortrages, forschte Nero eifrig in den Zügen des Petronius, der bald die Brauen zusammenzog, bald zustimmend mit dem Kopfe nickte, immer aber mit der größten Aufmerksamkeit zuhörte. Als der Kaiser geendet hatte, lobte Petronius einzelne Stellen, tadelte andere in der gewohnten Weise, und Nero ließ sich wie sonst in ein längeres Gespräch mit ihm ein.

»Im letzten Gesange wirst du sehen, warum ich gerade dieses Wort wählte,« sagte er, als Petronius die Richtigkeit eines bestimmten Ausdruckes angezweifelt hatte.

Ach so, dachte Petronius, ich soll also den letzten Gesang noch erleben!

Beim Abschiede fragte Nero mit halbgeschlossenen Augen, die vor boshafter Freude funkelten: »Weshalb ist denn Vinicius nicht erschienen?«

Hätte Petronius gewußt, daß Vinicius mit Lygia auf der Flucht sei, hätte er geantwortet: Er hat sich mit deiner Erlaubnis verheiratet und ist verreist. Doch als er das ironische Lächeln Neros sah, wurde er über den ersten Gedanken stutzig und sagte: »Deine Einladung traf ihn nicht zu Hause an, Herr.«

»Sage ihm, daß ich ihn gern sehe,« entgegnete Nero, »und trage ihm von mir auf, er solle bei den Spielen nicht fehlen, in denen die Christen auftreten werden.«

Diese Äußerung beunruhigte Petronius Lygias wegen, und es drängte ihn, nach Hause zu kommen.

»Ist der edle Vinicius zurückgekehrt?« fragte er, dort angelangt, den Türhüter, und als dies der Sklave bejahte, fühlte er sich lebhaft enttäuscht. Er hatte sie also nicht mehr retten können! dachte er und eilte, die Toga abwerfend, nach dem Atrium, wo Vinicius auf einem Dreifuß saß.

»Du bist zu spät gekommen?« fragte Petronius.

»So ist es; sie wurde schon vormittags eingekerkert!«

Ein kurzes Schweigen folgte.

»Hast du sie gesehen?«

»Ja!«

»Wo ist sie?«

»Im Mamertinischen Kerker!«

Petronius schauderte und er sah Vinicius fragend an.

Dieser verstand ihn. »Nein!« sagte er. »Nein, sie ist in dem unterirdischen Teil. Ich habe den Aufseher bestochen, und er überließ ihr seine Stube. Ursus liegt auf der Schwelle und bewacht sie.«

»Warum hat sie Ursus nicht verteidigt und sie wegführen lassen?«

»Es waren fünfhundert Prätorianer ausgerückt. Der Übermacht mußte er weichen! Auch wehrte ihm Linus ab!«

»Und Linus?«

»Der liegt im Sterben, deshalb ließ man ihn zurück.«

»Und was beabsichtigst du jetzt?«

»Sie retten oder mit ihr sterben! Auch ich glaube an Christus!« sagte Vinicius scheinbar ruhig, doch traurig und niedergeschlagen, so daß auch Petronius von Mitleid erfaßt wurde.

»Ich verstehe dich!« sagte er, »doch wie willst du sie retten?«

»Ich habe die Wächter bestochen, um sie vor Belästigungen zu schützen und ihr, wenn möglich, zur Flucht zu verhelfen!«

»Und wann soll dies geschehen?«

»Sie sagten mir, es sei jetzt nicht möglich, da sie die Verantwortung fürchten. Würden jedoch die Gefängnisse mit den übrigen Christen angefüllt, dann wäre es eher zu bewerkstelligen, da in diesem Falle die Übersicht verloren gehe.«

Anstatt darauf zu antworten, ließ Petronius zwei dunkle Mäntel und zwei Schwerter bringen. »Nimm jetzt einen Mantel, ein Schwert, und unterwegs erfährst du das weitere,« sagte er, »stecke aber für die Wächter hunderttausend Sesterzien ein, gib schließlich auch mehr, wenn sie nur Lygia freilassen, sonst ist alles zu spät.«

Kurz darauf waren beide auf der Straße.

»Höre jetzt!« sagte Petronius. »Ich selbst bin in Ungnade gefallen, weil ich die Christen verteidigte. Mein Leben hängt jetzt an einem dünnen Faden. Im übrigen soll ich dich vom Kaiser benachrichtigen, du möchtest an den Spielen teilnehmen, in denen die Christen auftreten werden. Weißt du nun, was dies bedeutet? Er will sich an deinem Anblick weiden, und wohl nur aus diesem Grunde hat man uns bisher verschont.« Als sie zu dem Mamertinischen Kerker einbogen, sagte Petronius: »Die Prätorianer! Zu spät!«

Wirklich war das Gefängnis von einer doppelten Reihe Soldaten umschlossen. Die Morgendämmerung versilberte ihre Helme und die Spitzen ihrer Wurfspieße.

Vinicius wurde weiß wie Marmor. »Gehen wir hin!« sagte er.

Bald hielten sie vor den Soldaten. Petronius, der ein ungewöhnliches Gedächtnis besaß, kannte nicht nur die Offiziere, sondern auch fast alle Prätorianersoldaten. Bald entdeckte er einen Bekannten, den Führer einer Abteilung, und winkte ihn zu sich heran.

»Aber was ist denn dies, Niger?« fragte er. »Habt ihr Befehl, das Gefängnis zu bewachen?«

»Ja, edler Petronius, der Präfekt fürchtet, man könnte sonst versuchen, die Brandstifter zu befreien.«

»Seid ihr beauftragt, niemand einzulassen?« forschte Vinicius.

»Nein. Die Bekannten dürfen die Gefangenen besuchen, und auf diese Weise bekommen wir noch mehr Christen.«

»Dann laß mich hinein,« sagte Vinicius, und die Hand des Petronius drückend, bat er: »Geh zu Akte, ich werde kommen, um ihre Antwort zu vernehmen.«

»Komm!« versetzte Petronius.

In diesem Augenblicke ertönte Gesang aus den unterirdischen Räumen, sowie von jenseits der Gefängnismauern. Eine Hymne, erst leise und unverständlich, erklang immer stärker, Männer-, Frauen- und Kinderstimmen bildeten einen harmonischen Chor; das ganze Gefängnis begann in der Stille des Morgens zu erklingen gleich einer Harfe. Es waren jedoch nicht Töne der Sorge oder Verzweiflung; sie hörten sich im Gegenteil an wie Freude oder Triumph. Erstaunt sahen die Soldaten drein. Der erste rosige und goldene Glanz zeigte sich eben am Himmel.

 


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