Henryk Sienkiewicz
Quo vadis?
Henryk Sienkiewicz

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31.

Nero spielte und sang zu Ehren der »Herrin von Cypern« eine Hymne eigener Dichtung und Komposition. Diesmal war er bei Stimme und bemerkte, daß sein Vortrag die Zuhörer wirklich gefangennahm. Dieses Bewußtsein schwellte seine Seele so hoch, daß er vor Ergriffenheit bleich wurde. Es war gewiß das erstemal, daß ihn nicht nach fremdem Lobe verlangte. Er setzte sich nieder und blieb lange schweigend, die Hand auf die Kithara gestützt, das Haupt vornübergebeugt. Plötzlich sprang er auf und sagte: »Ich bin ermüdet und sehne mich nach Luft. Inzwischen sollen die Kitharen gestimmt werden.« Dabei legte er ein seidenes Tuch um seinen Hals. »Ihr begleitet mich,« befahl er Petronius und Vinicius, die in einer Ecke der Halle saßen. »Gib mir deinen Arm, Vinicius, denn ich bin erschöpft, und Petronius wird mit mir über Musik plaudern.«

Als sie die mit Alabaster verzierte, safranbestreute Terrasse betraten, atmete Nero auf.

»Hier fühle ich mich wohler,« sagte er. »Ich bin bis in die Tiefe meiner Seele erschüttert, und dennoch bin ich mir bewußt, daß ich mit diesem Gesang öffentlich auftreten und Triumphe feiern könnte.«

»In Rom, in Achaja, wo du willst! Ich bewundere dich, Göttlicher!« rief Petronius.

»Das weiß ich. Du bist zu streng, um dich zu Schmeicheleien hinreißen zu lassen. Du bist aufrichtig. Nur du allein in ganz Rom verstehst mich! Wenn ich singe, wenn ich spiele, bin ich der Welt entrückt. Die Musik hebt mich über mich hinweg, macht mich erst allmächtig. Ich sehe neue Reiche, neue Berge und Meere, ich empfinde nie gekannte Wonnen! Ich fühle die Götter, ich sehe den Olymp . . . und ich sage dir« – hier bebte Neros Stimme vor Erregung – »dann fühle ich mich, ich, der Cäsar und Gott, klein wie ein Körnchen im Staube.«

»Ich begreife es. Die wahren Künstler fühlen sich der Kunst gegenüber klein.«

»Die heutige Nacht stimmt mich ernst, Petronius, daher will ich dich als Freund einen tiefen Blick in meine Seele tun lassen. Glaubst du, daß ich blind bin? Glaubst du, daß ich nicht weiß, was man in Rom über mich spricht? Daß man mich Muttermörder, Gattenmörder nennt, einen Tyrannen, ein Ungeheuer, weil ich Todesurteile unterschrieb, die Tigellinus durchaus von mir verlangte? Ich weiß es, man hält mich für grausam, und doch, niemand wird es glauben: wenn die Musik mein Ohr umschmeichelt, dann fühle ich mich weich und gut, wie ein Kind in der Wiege. Die Menschen haben keine Ahnung, wie gut ich eigentlich bin.«

Petronius zweifelte keinen Augenblick daran, daß Nero in diesem Augenblick wahr spreche und daß die Musik in dessen Seele edlere Regungen erweckte; er antwortete daher lebhaft:

»Die Menschen sollten dich, Cäsar, so genau kennen, wie ich dich kenne. Doch Rom hat dich nie zu würdigen gewußt.«

Der Kaiser stützte sich schwer auf den Arm des jungen Tribuns, als drücke ihn die erlittene Unbill zu Boden. Dann sagte er: »Niemand ahnt, auch du nicht, was für ein Künstler ich bin! Wie öde wird diese Welt sein, wenn ich nicht mehr sein werde! Ich leide, Petronius! Du glaubst nicht, wie sehr ich leide! Wie schwer ist es, die Bürde der höchsten Macht und des größten Talentes zu tragen!«

»Ich nehme von ganzem Herzen teil an deinem Leiden, Göttlicher,« sagte Petronius, »und das gleiche fühlt Vinicius, der dich von jeher vergöttert hat.«

»Ich konnte ihn auch immer leiden, obwohl er dem Mars dient und nicht den Musen.«

»Jetzt dient er hauptsächlich Aphroditen,« erwiderte Petronius, indem er die weiche Stimmung des Kaisers zugunsten seines Neffen ausnützen wollte. »Erinnerst du dich der lygischen Geisel, o Göttlicher, die du ihm schenktest? Er wollte sie zu seiner Geliebten machen, doch sie ist tugendhaft wie Lukretia, darum will er sie heiraten. Er seufzt, klagt und magert vor Sehnsucht ab; doch als echter Soldat wartet er auf die Bewilligung des Kaisers.«

»Ich erinnere mich sehr wohl. Weshalb sollte ich ihm die Genehmigung versagen?« Dann wandte er sich huldvoll lächelnd zu Vinicius. »Du fährst morgen nach Rom,« sagte er, »heiratest deine Lygierin und kommst mir ohne Ehering nicht vor die Augen!«

»O Herr, Dank, von ganzem Herzen Dank,« stammelte Vinicius.

»O wie beglückend ist es doch, die Menschen glücklich zu machen!« rief Nero. »Mein ganzes Leben hindurch möchte ich nichts anderes tun.«

So sprechend wandte er sich der Villa wieder zu, und die beiden folgten ihm, hochbeglückt über den errungenen Sieg.

In dem Atrium der Villa bemühte sich der junge Nerva und Tullius Senecio, die Augusta zu unterhalten, während Terpnos und Diodorus die Instrumente stimmten. Nero ließ sich sofort auf einen mit Schildkrot eingelegten Sessel nieder und erteilte dem neben ihm stehenden griechischen Knaben leise einen Befehl. Der Knabe entfernte sich und kehrte sofort mit einem goldenen Kästchen wieder. Nero öffnete es und entnahm ihm ein Halsband aus wunderbaren Opalen, indem er bemerkte: »Diese köstlichen Juwelen passen für den herrlichen Abend.«

»In ihrem Farbenspiel gleichen sie der Morgenröte,« bemerkte Poppäa, in der festen Annahme, das Halsband sei für sie bestimmt.

Nero spielte einen Augenblick mit diesen Steinen, dann sagte er: »Vinicius, überbringe dieses Halsband in meinem Namen der jungen lygischen Königstochter, die, meinem Wunsche gemäß, dein Weib werden soll!«

Aus Poppäas Augen brach ein zornerfüllter und zugleich erstaunter Blick, der vom Kaiser zu Vinicius hinüberschweifte und schließlich an Petronius haften blieb. Doch dieser, sich lässig über die Lehne seines Stuhles beugend, fuhr mit der Hand sanft über die Saiten der Harfe.

Nachdem Vinicius dem Kaiser für die prächtige Gabe gedankt hatte, näherte er sich dem Petronius und sagte: »Wie soll ich dir für das danken, was du heute für mich getan hast.«

»Opfere der Euterpe ein paar Schwäne, lobe den Gesang des Kaisers und gräme dich nicht über die bösen Ahnungen,« entgegnete Petronius. »Von jetzt an wird das Gebrüll der Löwen deinen Schlaf ebensowenig stören wie den Schlaf deiner lygischen Lilie, dessen bin ich gewiß. Der Kaiser greift zur Forminga, jetzt heißt es wieder den Atem anhalten, zuhören und Tränen vergießen.«

Da plötzlich drang aus der Vorhalle lauter Lärm. Der Vorhang wurde zurückgerissen, und Faon, der Freigelassene des Cäsar, stürzte in den Saal und hinter ihm der Konsul Lecanius. Nero runzelte die Brauen.

»Verzeihe, göttlicher Imperator!« rief Faon atemlos. »Rom brennt, der größte Teil der Stadt steht schon in Flammen!«

»O ihr Götter! Ich werde eine brennende Stadt sehen und meine Trojade beenden!« Hierauf wendete er sich zum Konsul: »Kann ich den Brand noch sehen, wenn ich gleich aufbreche?«

»Herr!« versetzte der Konsul, bei Neros Worten totenbleich geworden, »ein Flammenmeer wogt über der Stadt; das Volk erstickt im Rauch, die Menschen brechen ohnmächtig zusammen, wenn sie sich nicht, vom Wahnsinn ergriffen, ins Feuer stürzen. Rom ist verloren, Herr!«

Einen Augenblick herrschte ein unheimliches Schweigen, dann brach Vinicius in den Schreckensruf aus: »Weh mir Unglücklichem.« Und der junge Krieger stürmte, die Toga abwerfend, in der Tunika aus dem Palaste.

Nero dagegen erhob seine Hände und rief: »Wehe dir, du heilige Stadt des Priamos.«

 


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