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Sechstes Kapitel.

Auch in der Frühe ließ der Sturm nicht nach, sondern nahm dermaßen zu, daß es unmöglich war, das Zelt aufzuschlagen, worin der König seit dem Beginn des Feldzuges drei heilige Messen täglich zu hören pflegte. Schließlich eilte Witold herbei und bat flehentlich, den Gottesdienst zu einer angemesseneren Zeit in der Stille des Waldes abzuhalten und den Vormarsch des Heeres nicht zu verhindern. Sein Wunsch ward in der That erfüllt, weil man die Notwendigkeit einsah.

Bei Sonnenaufgang setzte sich das Kriegsheer in Bewegung, gefolgt von einer unübersehbaren Reihe von Wagen. Nach Ablauf einer Stunde legte sich der Wind, sodaß man die Fahnen wehen lassen konnte. Und so weit die Blicke reichten, schien nun das ganze Gefilde mit Blumen von allen Farben bedeckt zu sein. Kein Auge vermochte all die Heeresabteilungen und den Wald von verschiedenen Standarten zu umfassen, unter denen die Krieger vorrückten. Das wichtigste Feldzeichen für alle Kriegsscharen, das Hauptbanner des ganzen Königreiches war die Fahne des Krakauer Gebietes mit dem weißen, gekrönten Adler im roten Felde. Sie wurde von Marcin aus Wrocimowice, der eine halbe Ziege im Wappen hatte, einem mächtigen, weltberühmten Ritter getragen. Hinter ihm ging die Leibwache des Königs, der das Banner mit dem doppelten litauischen Kreuze, sowie das Banner, worauf der nachsetzende Reiter mit dem zum Hiebe erhobenen Schwerte prangte, vorangetragen wurden. Unter dem Zeichen des heiligen Georg zog eine starke Heeresabteilung von fremden Söldlingen und von Kriegern dahin, die sich freiwillig gestellt hatten und die hauptsächlich aus Böhmen und Mähren stammten. Gar viele hatten ihre Dienste angeboten und das neue, vierzigste Fähnlein war ausschließlich aus solchen Mannen gebildet. Es war meist Fußvolk, das hinter den Lanzenträgern dahinschritt, eine wilde, ungezügelte Rotte, aber so geübt im Kampfe, so gefährlich bei einem Zusammentreffen, daß jedes andere Fußvolk, das auf sie stieß, so rasch wie möglich vor ihr floh wie der Hund vor dem Stachelschwein. Streitäxte, Sensen, Beile und vornehmlich eiserne Knittel waren die Waffen dieser Krieger, und sie wurden in geradezu furchtbarer Weise von ihnen gehandhabt. Diese Leute dienten jedem, der sie bezahlte, denn ihr einziges Lebenselement war Krieg, Plünderung und Gemetzel.

Neben den Streitern aus Mähren und Böhmen zogen mit ihrer Standarte sechzehn Fähnlein aus polnischen Landen dahin, darunter eines aus Przemysl, eines aus Galitsch und drei podolische, hinter diesem kam Fußvolk aus denselben Gebieten, hauptsächlich mit Wurfspießen und Sensen bewaffnet. Die Fürsten aus Masovien, Janusz und Ziemowit führten die einundzwanzigste, zweiundzwanzigste und dreiundzwanzigste Heeresabteilung an. Dicht hinter ihnen schritten die bischöflichen Fähnlein und die des weltlichen Adels, zweiundzwanzig an Zahl. Es waren die Fähnlein von Jasko aus Tarnow, Jedrek aus Teczyn, Spytko Leliwa und Brzezie, Krzon aus Kozichglowy, Kuba aus Koniecpole, von Jasko Ligeza, von Kmita und Zaklika, und die Fähnlein der Geschlechter der Gryfici und Bobowski, sowie des Geschlechtes, das im Wappen »Kozle Nogi« Ziegenhörner. Anmerkung der Uebersetzerinnen. trug, ferner die Fähnlein von verschiedenen andern, welche in der Schlacht unter einem gemeinschaftlichen Wappenschilde und durch ein gemeinschaftliches Losungswort vereint waren.

Und einer Wiese, auf der im Frühjahr bunte Blüten emporsprießen, glich jetzt das weite Gefilde mit den farbigen Bannern. Wie ein Strom zogen Pferde und Menschen dahin, über ihnen ein Wald von Lanzen mit farbigen Fähnchen, die allerlei Blumen ähnlich waren, und hinter ihnen, in Staubwolken, das aus Städtern und Großbauern zusammengesetzte Fußvolk. Alle wußten, daß sie einer furchtbaren Schlacht entgegen gingen, aber alle wußten auch, daß es sein »mußte«, und mit frohem Mute rückten sie vor. Die den rechten Flügel bildenden Scharen Witolds zogen unter vielfarbigen Fahnen dahin, auf denen das Bildnis des nachsetzenden Reiters mit dem zum Hiebe erhobenen Schwerte prangte. Mit einem Blicke konnte man diese gewaltigen Heeresmassen nicht überschauen, denn aus einem mehr als eine deutsche Meile breiten Flächenraum bewegten sie sich zwischen Wald und Feld vorwärts.

Am Vormittag in der Nähe der Dörfer Bogdan und Tannenberg angelangt, machten die Kriegsscharen Halt am Saume des Waldes. Der Platz schien gut zur Rast geeignet und zudem vor jedem unerwarteten Ueberfall geschützt zu sein, denn auf der linken Seite grenzte er an die Gewässer des Dobrowa-Sees, auf der rechten an den Lubieczer See und vor den Kriegscharen öffnete sich ein weites, etwa eine Meile breites Gefilde. Inmitten dieses Gefildes, gegen Westen sanft ansteigend, lagen die sumpfigen Wiesengründe Grünwalds und etwas weiter hin die öden, düstern Brachfelder Tannenbergs, dessen schadhafte Strohdächer in der Ferne zu sehen waren. Der Feind, welcher von der Anhöhe herunterkam und sich dem Walde näherte, mußte sofort gesehen werden, aber es war nicht zu erwarten, daß er sich früher als am folgenden Tage zeigen werde. Am Waldessaum machte das Heer nun Halt, um der Ruhe zu pflegen, da indessen der in Kriegssachen wohlerfahrene Zindram aus Maszkowice sogar während des Vormarsches den Kriegsplan im Auge behalten hatte, nahmen sie jetzt eine solche Stellung ein, daß sie jeden Augenblick zum Kampfe bereit sein konnten. Dem Befehle des Anführers zufolge wurden sofort auf leichten, schnellfüßigen Pferden Kundschafter nach Grünwald, Tannenberg und noch etwas weiter gesandt, damit sie die Umgegend erforschten und mittlerweile schlug man für den Gottesdienst, nach dem der König so inbrünstiges Verlangen trug, am hohen User des Lubiecz-Sees das als Kapelle dienende Zelt auf, sodaß er wie gewöhnlich die Messe hören konnte.

Jagiello, Witold, die masovischen Fürsten, sowie der Kriegsrat begaben sich in das Zelt. Vor dem Eingange versammelten sich die angesehensten Ritter, sowohl um vor dem furchtbaren Tage die Gnade Gottes für sich zu erflehen, als auch um den König zu schauen. Und sie sahen ihn, wie er in schlichtem, grauem Gewande, mit ernstem Angesichte, auf dem sich deutlich ein tiefer Kummer malte, dahinschritt. Die Jahre hatten ihn wenig verändert, auf seinem Antlitz zeigten sich noch keine Runzeln, seine Haare waren noch nicht weiß geworden und wie damals, als Zbyszko ihn zum erstenmal in Krakau sah, strich er sie auch jetzt mit einer raschen Bewegung hinter die Ohren. Doch schien er darniedergebeugt von der Wucht der furchtbaren Verantwortlichkeit, welche auf ihm lastete, und wie versenkt in große Traurigkeit zu sein. Im Heere sprach man vielfach davon, daß der König beständig Thränen über das Christenblut vergieße, das voraussichtlich fließen müsse, und so war es in der That. Jagiello schrak vor dem Kriege zurück, vornehmlich vor dem Kriege mit Gegnern, welche das Kreuzeszeichen auf Mänteln und Bannern trugen, und von ganzer Seele sehnte er sich nach Frieden. Es nützte wenig, daß ihn die polnischen Edelleute und sogar die ungarischen Friedensvermittler Scibor und Gara auf das hochmütige Selbstvertrauen der Kreuzritter aufmerksam gemacht hatten, auf das hochmütige Selbstvertrauen, womit auch der Meister die ganze Welt zum Kampfe herausforderte. Umsonst schwur ihm sein Gesandter Piotr Korzbaz auf das heilige Kreuz und auf sein eigenes Wappenschild, daß der Orden nichts von Frieden hören wolle, und daß Graf von Wende, der Komtur aus Mewe, der allein zum Frieden geneigt sei, von den andern mit Hohn und Schimpfreden überschüttet worden war – Jagiello gab doch die Hoffnung noch nicht auf, daß der Feind die Billigkeit seiner Forderungen anerkennen, Blutvergießen vermeiden und durch einen gerechten Vergleich den furchtbaren Zwiespalt endigen werde.

Daher ging er auch jetzt in die Kapelle, um zu beten, denn seine einfache, gütige Seele war von Angst und Unruhe erfüllt. Wohl hatte er einst die Gebiete der Kreuzritter mit Feuer und Schwert heimgesucht, aber das hatte er noch als litauischer Fürst, als Heide gethan, jetzt hingegen war er König von Polen, war er Christ, und wenn er brennende Dörfer, Brandstätten, Blut und Thränen sah, dann ergriff ihn bange Furcht vor dem Zorn Gottes, zumal dies erst der Anfang des Krieges war. »Ach! daß dieser Kampf doch schon sein Ende erreicht hätte!« sagte er sich. »Aber heute oder morgen können die Völker aufeinanderprallen, und dann muß die Erde von Blut gerötet werden. Des Feindes Ungerechtigkeit ist in der That groß, doch trägt er das Kreuz auf dem Mantel und zudem wird er von so kostbaren und heiligen Reliquien geschützt, daß allein schon der Gedanke daran Schrecken einflößt.« An diese Reliquien dachte man im ganzen Heere voll Angst, und weder die Lanzenspitzen, noch die Schwerter, noch die Streitäxte, wohl aber diese heiligen Ueberreste wurden von den Polen gefürchtet.

»Wie können wir gegen den Meister die Hand erheben,« sagten die sonst so kühnen Ritter, »wenn er auf dem Panzer ein Reliquienkästchen mit den Gebeinen eines Heiligen und mit Holz von dem Kreuze des Erlösers trägt!« Witold freilich in seinem Feuereifer drängte zum Kriege, ihn verlangte es nach Kampf und Schlacht, aber das fromme Gemüt des Königs ward von banger Scheu ergriffen, wenn er der himmlischen Mächte gedachte, welche den Orden trotz seiner ungerechten Sache zu schützen schienen.


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