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Ein kaum merkliches Lächeln umspielte Ritter Arnolds Lippen, als er am nächsten Morgen von der Flucht der Ordensdienerin hörte, allein er sagte das Gleiche wie Zbyszko, daß das Weib entweder von Wölfen überfallen oder von Litauern getötet werde. Dies war auch sehr wahrscheinlich, denn die Bewohner der litauischen Ansiedelungen haßten den Orden und alle, die mit ihm in Verbindung standen. Die Bauern waren teils zu Skirwoillo geflohen, teils hatten sie sich zusammengerottet, hatten da und dort Deutsche erschlagen und sich dann selbst mit ihren Weibern, Kindern und dem Vieh in die undurchdringlichen Wälder gerettet. Alle Nachforschungen, die seit Tagesanbruch nach der Dienerin angestellt wurden, blieben erfolglos, wenn auch vielleicht aus dem Grunde, weil Macko und Zbyszko viel zu sehr von andern Dingen in Anspruch genommen waren, um ihre Befehle mit der nötigen Strenge zu erteilen. Ihnen lag hauptsächlich daran, rasch Masovien zu erreichen, ja, sie hätten sich sogar vor Sonnenaufgang auf den Weg gemacht, wenn Danusia nicht mit Tagesanbruch in tiefen Schlummer gefallen wäre, aus dem Zbyszko sie nicht wecken wollte. Er hatte sie in der Nacht beständig wimmern hören und daraus geschlossen, daß sie nicht schlafe, jetzt aber hoffte er, der Schlummer werde eine wohlthätige Wirkung auf sie ausüben. Zweimal trat er leise in die Hütte und jedesmal bemerkte er bei dem durch die Luken dringenden Sonnenschein, daß Danusia mit geschlossenen Augen, offenem Munde und den geröteten Wangen eines fest schlafenden Kindes dalag. Eine tiefe Rührung überkam ihn. »Gott gebe Dir Ruhe und Gesundheit, Du Holdeste aller Blumen!« flüsterte er ihr unwillkürlich zu, als er das zweite Mal neben seines Weibes Lager stand, »Deine Leiden sind vorbei, Deine Thränen werden versiegen, und der allbarmherzige Herr Jesus wird Dir ein Leben verleihen, das so ruhig dahinfließt, wie die sanften Wellen eines Stromes.« Und kraft seines schlichten, edlen, Gott zugewandten Gemütes fragte sich der junge Ritter: »Wie kann ich meinen Dank erweisen, wie kann ich alles vergelten, was soll ich irgend einer Kirche weihen von meinem Hab und Gut, von meinem Korn, meinem Vieh, von dem Wachse oder von andern ähnlichen, gottgefälligen Dingen?« Gar gern würde er sofort genannt haben, was er opfern wolle, allein dann kam ihm doch auch wieder der Gedanke, er müsse zuerst das Erwachen Danusias abwarten. »Weiß ich denn,« so fragte er sich, »wie es mit ihrer Gesundheit steht, ob sie bei ihrem Erwachen bei klarem Verstande ist, weiß ich denn, ob ich für etwas zu danken haben werde?«
Obgleich Macko der Sicherheit wegen die Lande des Fürsten Janusz so rasch wie möglich erreichen wollte, stimmte er doch auch damit überein, Danusia dürfe nicht aus dem Schlafe erweckt werden, der ihr vielleicht Heilung bringen konnte. Trotzdem sich daher die Mannen bereit halten mußten, trotzdem die Saumrosse zum Aufbruche gerüstet waren, harrte der alte Ritter geduldig aus.
Als indessen Stunde auf Stunde verrann, als die Mittagszeit verstrich und Danusia noch immer schlief, bemächtigte sich aller große Unruhe. Nachdem Zbyszko unaufhörlich durch die Luken und durch die Thüre geschaut hatte, trat er zum dritten Male in die Hütte und setzte sich auf den Pflock, den die Ordensdienerin am vorhergegangenen Abend für sich an das Lager Danusias geschleppt hatte, um diese leichter umkleiden zu können.
Lange saß Zbyszko da und schaute auf die Schlafende, deren Augen fest geschlossen waren. Nach geraumer Zeit indessen – man hätte dazwischen in aller Ruhe ein Vaterunser und ein Ave Maria sagen können – bebten mit einem Male ihre Lippen und gerade als ob sie ihn durch ihre geschlossenen Augenlider sähe, flüsterte sie: »Zbyszko!« – Sofort warf er sich vor ihr auf die Knie, drückte leidenschaftliche Küsse auf ihre abgemagerten Hände und rief in herzzerreißendem Tone: »Danusia! Gelobt sei Gott! Du hast mich erkannt!« Der Laut seiner Stimme brachte sie völlig zu sich. Sie setzte sich auf und wiederholte mit weit geöffneten Augen: »Zbyszko!« Dann blickte sie blinzelnd und voll Staunen umher.
»Du bist frei, Danusia,« erklärte nun Zbyszko, »ich habe Dich den Händen der Feinde entrissen, ich bringe Dich nach Spychow.«
Doch sie entzog ihm ihre Hände und sagte: »Das alles mußte so kommen, weil uns des Vaters Zustimmung gefehlt hat. Wo ist die Herrin?«
»Komme zu Dir, meine süße Blume! Die Fürstin ist weit, weit fort von hier, wir aber haben Dich aus der Gefangenschaft befreit.«
Danusia aber flüsterte nun, gerade als ob sie nichts gehört hätte, wie in Erinnerung verloren, vor sich hin: »Sie haben mir meine Laute genommen, sie haben meine Laute an der Wand zerschellt.«
»Gott! erbarme Dich unser!« rief Zbyszko.
Jetzt erst bemerkte er, wie unstät Danusias Blick war, wie ihre Augen glänzten, ihre Wangen glühten, und sofort schoß ihm der Gedanke durch den Kopf, sie müsse schwer krank sein, im Fieber habe sie zweimal seinen Namen genannt.
Sein Herz krampfte sich zusammen vor Leid und Schmerz, kalter Schweiß trat ihm auf die Stirn. »Danusia,« hub er von neuem an, »siehst Du mich, verstehst Du mich?«
Sie aber erwiderte in demütig bittendem Tone: »Trinken! ... Wasser! ...«
»Barmherziger Jesus!«
Aus der Hütte eilend, stieß er mit Macko zusammen, der sich vergewissern wollte, wie es mit Danusia stehe. Er rief ihm nur das Wort »Wasser« zu und rannte an den sich ganz in der Nähe durch Moos und Gestrüpp hinschlängelnden Bach.
Schon nach wenigen Minuten kehrte er mit einem Gefäße voll Wasser zurück, das er Danusia an die Lippen setzte. Sie trank gierig. Tief betrübt beobachtete der inzwischen in die Hütte getretene alte Ritter die Kranke, indem er fragte: »Fiebert sie?«
»Sie fiebert heftig!« entgegnete Zbyszko seufzend.
»Versteht sie, was Du mit ihr sprichst?«
»Nein.«
Macko zog bedenklich die Brauen zusammen, strich sich fortwährend über Stirn und Haupt und fragte: »Was ist nun zu thun?«
»Ich weiß es nicht.«
»Da giebt es nur einen Ausweg!« hub der Ritter abermals an, wurde aber von Danusia unterbrochen, welche, nachdem sie getrunken hatte, ihre fieberglänzenden Augen auf ihn richtete und leise sagte: »Ich habe Euch ja nichts Böses gethan! Habt Erbarmen mit mir!«
»Tiefes Erbarmen fühle ich mit Dir, Kind, und nur für Dein Wohl bin ich bedacht,« antwortete der alte Ritter, sichtlich bewegt. »Höre,« wandte er sich hierauf sofort an Zbyszko, »länger hier zu verweilen hat gar keinen Zweck. Wenn der Wind um sie bläst, wenn die Sonne sie wärmt, wird sie sich vielleicht bald besser fühlen. Verliere den Kopf nicht, Bursche, sondern bette sie entweder auf ihre Tragbahre, oder nimm sie vor Dich auf den Sattel. Dann aber rasch auf den Weg! Verstehst Du mich?«
Nach diesen Worten verließ Macko die Hütte, um noch einige Befehle zu erteilen, allein schon nach wenigen Schritten blieb er wie erstarrt stehen. Eine starke Kriegsschar – mit Hellebarden und Lanzen bewaffnet – stand auf allen vier Seiten der Lichtung aufgepflanzt und umringte gleich einer Mauer die Hütte und die Teerhaufen.
»Deutsche!« murmelte Macko vor sich hin.
Entsetzen erfaßte ihn. Rasch griff er nach seinem Schwerte, biß die Zähne zusammen und stand da, einem wilden Tiere ähnlich, welches, unerwartet von Hunden gestellt, sich zu einer verzweifelten Verteidigung bereit macht. Jetzt kamen auch der riesenhafte Arnold und etliche andere Ritter hinter den Teerhaufen hervor, und unverweilt trat ersterer auf Macko zu.
»Das Glücksrad hat sich gewendet,« sagte er, »ich bin Euer Gefangener gewesen, nun seid Ihr der unsere.«
So sprechend, blickte er mit einem Hochmut auf den alten Ritter, als ob dieser ein weit unter ihm stehendes Wesen sei. Dabei war Arnold kein böser, kein grausamer Mensch, allein er war mit dem allen Kreuzrittern gemeinsamen Fehler behaftet, welche, demütig und nachgiebig im Unglück, weder ihre Verachtung für ihre Gefangenen, noch ihren grenzenlosen Stolz zu bezwingen vermochten, sobald sie eine starke Kriegsmacht hinter sich hatten.
»Ihr seid unser Gefangener,« erklärte er nach kurzem Schweigen abermals.
Der alte Ritter blickte finster darein. Kein zaghaftes, nein, ein ausnehmend tapferes Herz schlug in seiner Brust. Hätte er sich in voller Rüstung und auf seinem Streitrosse dem Feinde gegenüber befunden, wäre Zbyszko ihm nahe gewesen, hätten beide ihre Schwerter, die Streitäxte oder jene mächtigen Speere zur Hand gehabt, welche die Ritter aus Lechien so geschickt zu führen wußten, so würde er vielleicht die Mauer aus Lanzen und Hellebarden zu durchbrechen versucht haben. Denn nicht umsonst hatten fremdländische Ritter bei Wilno den Polen beinahe vorwurfsvoll zugerufen: »Ihr verachtet den Tod allzusehr.« Doch ungewappnet, allein, ohne Streitroß stand Macko vor Arnold. Als er daher sah, daß seine Begleiter entwaffnet und gefangen waren, als er Zbyszkos gedachte, der ohne Wehr und Waffe bei Danusia in der Hütte weilte, begriff er als erfahrener, kriegskundiger Kämpe sofort seine eigene Hilflosigkeit. Langsam zog er sein Schwert aus der Scheide und warf es vor die Füße des Ritters, der mit Arnold zu ihm getreten war. Jener zeigte zwar keinen geringeren Hochmut als Arnold, allein er sprach doch mit einer gewissen Zuvorkommenheit und in gutem Polnisch: »Wie ist Euer Name, o Herr? Wenn Ihr Euer Wort gebt, werde ich nicht befehlen, Euch zu binden, denn wie ich sehe, seid Ihr ein gegürteter Ritter, und Ihr habt meinen Bruder menschlich behandelt.«
»Ich gebe mein Wort!« ließ sich Macko vernehmen.
Rasch nannte er hierauf seinen Namen und fragte, ob es ihm gestattet sei, sich in die Hütte zu begeben. »Ich möchte meinen Bruderssohn vor einer unklugen Handlung warnen,« erklärte er
und verschwand nach erhaltener Erlaubnis in der Hütte, aus der er nach kurzer Zeit, ein Misericordia in der Hand, wieder zurückkehrte.
»Mein Bruderssohn hat nicht einmal ein Schwert bei sich,« sagte Macko, »und er bittet darum, bei seinem Weibe bleiben zu dürfen, bis Ihr von hier aufbrecht.«
»Dies sei ihm gewährt!« erklärte Arnolds Bruder. »Ich werde ihm Trank und Speise zusenden, denn wir machen uns nicht sofort auf den Weg. Die Leute sind ermüdet, und wir selbst bedürfen der Erquickung, der Ruhe. Erfüllt meine Bitte, o Herr, und schließt Euch uns an.«
Nach diesen Worten wandten sich alle dem Feuer zu, an dem Macko die Nacht verbracht hatte – sei es aber nun aus Hoffart oder Stolz, die Kreuzritter gingen voran, Macko mußte ihnen folgen. Doch der alte, in allen Lebenslagen erfahrene Kämpe, welcher die herkömmlichen Sitten genau kannte, fragte sofort: »Habt Ihr, o Herr, mich als Euren Gast oder als Euren Gefangenen betrachtet, als Ihr mich batet, Euch zu folgen?«
Tief beschämt blieb Arnolds Bruder stehen, indem er entgegnete: »Geht voran, o Herr.«
Unverweilt leistete der alte Ritter dieser Aufforderung Folge, da er indessen die Eigenliebe eines Mannes nicht verwunden wollte, in dessen Gewalt er sich befand, bemerkte er: »Offenbar, o Herr, sprecht Ihr nicht nur mehrere Sprachen, sondern kennt auch die höfische Sitte.«
»Wolfgang,« fragte nun Arnold, der nur wenige Worte verstand, »wovon ist die Rede, was sagt er?«
»Was sich für ihn geziemt, das sagt er!« erwiderte Wolfgang, augenscheinlich sehr geschmeichelt von Mackos Worten.
Bald saßen sie um das Feuer vereint, an das Speise und Trank gebracht ward. Die von Macko dem Deutschen erteilte Lehre war nicht in den Wind gesprochen, denn Wolfgang ließ dem alten Ritter alles zuerst reichen. Im Laufe des Gesprächs erfuhr letzterer, auf welche Weise er und Zbyszko ergriffen worden waren. Wolfgang, ein jüngerer Bruder Arnolds, sollte das Czluchowsche Fußvolk nach Gotteswerder, also demnach gegen die aufrührerischen Samogitier führen. Da er indessen von einer weit entfernten Komturei kam, war es ihm nicht gelungen, sich an dem dazu bestimmten Platze mit der Reiterei zu vereinigen. Arnold hatte auch nicht auf ihn gewartet, konnte er doch darauf rechnen, auf seinem Wege mit andern Abteilungen Fußvolkes aus den an der litauischen Grenze gelegenen Plätzen und Burgen zusammenzutreffen. Der jüngere Bruder, der einige Tage länger zur Zurücklegung seines Marsches bedurft hatte, gelangte gerade zu der Zeit in der Nähe der Waldlichtung an, als die Ordensdienerin sich auf der Flucht befand und ihn von dem Mißgeschick in Kenntnis setzte, von dem Arnold betroffen worden war. Dieser bat, jetzt auch ihm alles auf Deutsch zu wiederholen, dann lachte er befriedigt auf, indem er erklärte, auf einen solchen Ausgang habe er gehofft.
Der schlaue Macko aber, der, wenn er sich auch in einer Klemme befand, stets darauf ausging, seinen Vorteil zu wahren, suchte die beiden Deutschen für sich zu gewinnen und sprach also: »Schlimm ist es für einen jeden, in Gefangenschaft zu fallen, doch ich danke Gott, daß er mich in Eure und nicht in andere Hände gegeben hat, denn wahrlich, Ihr seid echte Ritter, Ihr haltet auf Ehre.«
Wohl drückte Wolfgang die Augen zu und schüttelte abwehrend das Haupt, doch auf seinem Antlitz spiegelte sich hohe Zufriedenheit. Und Macko hub von neuem an: »Wie gut Ihr auch unsere Sprache kennt! Gott hat Euch, das sehe ich, für alles Verstand verliehen.«
»Ich spreche Eure Sprache, weil man in Czluchow Polnisch redet, und seit sieben Jahren dienen der Bruder und ich dort unter dem Komtur.«
»Und mit der Zeit, in nicht gar zu langer Zeit, geht dessen Würde auf Euch über. Es kann nicht anders sein. Doch Euer Bruder spricht unsere Sprache nicht, wie Ihr sie sprecht.«
»Er spricht sie nicht, verstehen aber kann er gar manches. An Kraft und Stärke ist mir der Bruder weit überlegen, obgleich ich selbst kein Schwächling bin, an Verstand und Klugheit aber kommt er mir nicht gleich.«
»Hei, durchaus nicht thöricht scheint er mir zu sein!« erklärte jetzt Macko.
»Wolfgang, was sagt er?« fragte Arnold abermals.
»Dein Lob verkündet er,« antwortete Wolfgang.
»Ich preise ihn,« ergriff Macko von neuem das Wort, »denn er ist ein echter Ritter, und das ist die Hauptsache. Ihr dürft mir glauben, noch heute wollte ich ihn auf sein Wort hin freilassen und ihm gestatten, an irgend einen Ort nach seiner Wahl, ja, selbst so weit in die Ferne zu ziehen, daß zu seiner Rückkehr ein Jahr erforderlich wäre. So müßten alle gegürteten Ritter handeln.«
Bei diesen Worten blickte Macko prüfend auf Wolfgang, dieser aber runzelte die Stirn und sagte: »Ich würde Euch vielleicht auch auf Euer Wort freilassen, wenn Ihr nicht den Heidenhunden gegen uns geholfen hättet.«
»Darin täuscht Ihr Euch,« entgegnete Macko.
Und abermals entspann sich ein heftiger Wortwechsel, wie am Tage zuvor mit Arnold. Obgleich nun das Recht auf der Seite Mackos war, hatte er doch dem seinem älteren Bruder an Klugheit überlegenen Wolfgang gegenüber einen sehr schweren Stand. Die Auseinandersetzungen hatten indessen den Vorteil, daß auch der jüngere Bruder von den in Szczytno verübten Schandtaten Kunde erhielt, daß er von der meineidigen Verräterei, von dem unglückseligen Geschick Danusias hörte. Kein Wort der Erwiderung fand er, als ihm der alte Ritter die begangenen Nichtswürdigkeiten enthüllte. Wie sehr er sich auch anfänglich dagegen sträubte, er mußte schließlich die gerechte Sache seiner Feinde anerkennen, er mußte zugestehen, daß die polnischen Ritter allen Grund hatten, Rache zu üben, so zu handeln, wie sie handelten.
»Bei den heiligen Gebeinen des Liborius,« erklärte daher Wolfgang, »ich hege kein Mitleid mit Danveld. Man sagte von ihm, er habe sich der Schwarzkunst ergeben, allein die Macht und die Gerechtigkeit Gottes sind gewaltiger als die schwarze Magie! Zygfryd ist vielleicht auch ein Knecht des Teufels, ich vermag keine Entscheidung darüber zu treffen. Zu seiner Befreiung unternehme ich jedoch nichts, denn erstens untersteht mir die Reiterei nicht, und zweitens soll er in die Hölle kommen, wenn er, wie Ihr behauptet, jenes Mägdlein gemartert hat. Gott stehe mir bei, jetzt und in meiner Todesstunde!« fügte er, sich streckend und dehnend, hinzu.
»Wie ist es aber mit jener unglücklichen Märtyrerin? Was soll mit ihr geschehen?« fragte Macko. »Wollt Ihr nicht die Erlaubnis erteilen, daß sie nach Spychow gebracht werde? Wenn sie in Euren Kerkern stürbe? denkt an den Zorn Gottes!«
»Macht mit dem Weibe, was Ihr wollt!« antwortete Wolfgang kurz, »Möge einer von Euch es zu seinem Vater bringen, wenn er sich verpflichtet, wieder zurückzukehren. Euch beide gebe ich aber nicht frei.«
»Wenn ich aber, traun, auf meine Ehre, auf den Speer des heiligen Georg schwöre?«
Wolfgang schaute unschlüssig darein, denn ein solcher Schwur war von großer Bedeutung, allein in diesem Augenblicke fragte ihn Arnold zum drittenmale: »Was sagt der alte Ritter?«
Kaum vernahm jener jedoch, um was es sich handelte, so widersetzte er sich leidenschaftlich und entschieden der Freilassung beider Ritter, durch deren Gefangennahme er für sich selbst Rettung erhoffte. In einer großen Schlacht hatte ihn Skirwoillo besiegt, im Kampfe mit den polnischen Rittern war er unterlegen. Als Krieger wußte er ganz genau, daß sein Bruder das Fußvolk nach Marienburg zurückführen mußte, denn wenn dieser den Marsch nach Gotteswerder fortsetzte, so wäre eine solche That nach der Vernichtung der vorangezogenen Heerschar gleichbedeutend mit der Hinschlachtung der Mannen gewesen. Arnold war sich folglich ganz klar darüber, daß er sich vor dem Großmeister und dem Marschall zu verantworten haben werde, konnte er aber wenigstens einen namhaften Gefangenen aufweisen, dann, so glaubte er, werde sein Urteil milder ausfallen. Was sollte es ihm aber nützen, von zwei Gefangenen zu erzählen, wenn er nicht einmal einen gefangenen Ritter vorführen konnte?
Als Macko das wilde Geschrei, die lauten Flüche Arnolds vernahm, begriff er sofort, daß er sich mit dem zufrieden geben müsse, was ihm angeboten worden war, und so sagte er zu Wolfgang gewendet: »Ich bitte Euch noch um eines, o Herr! Wohl wird mein Bruderssohn einsehen, was ihm obliegt, dessen bin ich gewiß. Er muß bei seinem Weibe bleiben und ich bei Euch. Nichtsdestoweniger erlaubt mir, ihm darzuthun, daß jede Verhandlung darüber unnütz ist, weil Euer Entschluß feststeht.«
»Gut, damit bin ich einverstanden,« erklärte Wolfgang. »Vor allem ist mir jedoch an der Festsetzung des Lösegeldes gelegen, das Euer Bruderssohn für sich und für Euch mitbringen soll, darauf kommt es besonders an.«
»Auf das Lösegeld?« fragte Macko, bestrebt diese Besprechung hinauszuschieben. »Haben wir denn nicht genug Zeit vor uns, um uns darüber zu verständigen? Das Wort eines gegürteten Ritters gilt meines Erachtens so viel wie Geld, und was die Höhe des Lösegeldes anbelangt, so müssen wir dies mit unserm Gewissen abmachen. Vor Gotteswerder machten wir einen Eurer namhaftesten Ritter zum Gefangenen, einen gewissen Herrn de Lorche, und mein Bruderssohn, der ihn selbst gefangen genommen hat, gab ihm auf sein Wort die Freiheit wieder und erwähnte nicht einmal den Betrag des Lösegeldes.«
»Nahmt Ihr Herrn de Lorche gefangen?« fragte Wolfgang eifrig. »Ich kenne ihn. Er ist ein reicher, angesehener Ritter. Doch wieso sind wir nicht mit ihm zusammengetroffen?«
»Weil er augenscheinlich gen Gotteswerder oder gen Ragneta gezogen ist,« entgegnete Macko.
»Ja, er stammt aus einer reichen, angesehenen Familie,« ergriff Wolfgang von neuem das Wort. »Da habt Ihr einen guten Fang gethan. Gern höre ich dies, denn nicht für das erste Beste werde ich Euch nun freilassen.«
Macko biß sich auf die Lippen, warf aber trotzdem stolz den Kopf zurück und sagte: »Wir wissen ganz genau selbst, was wir wert sind.«
»Um so besser,« antwortete Wolfgang von Baden.
Gleich darauf fügte er indessen hinzu: »Um so besser! Ich spreche hier freilich nicht von uns, denn wir sind demütige Mönche, welche Armut gelobt haben, ich spreche von dem Orden, der Euer Geld zum Ruhme Gottes verwenden wird.«
Darauf erteilte Macko keine Antwort. Er warf Wolfgang nur einen Blick zu, wie wenn er sagen wolle: »Rede dies jemand anderem vor«, und unverweilt begann man über die Bedingungen zu beraten. Der alte Ritter befand sich in einer äußerst schwierigen Lage. Einerseits scheute er jeden Verlust, andererseits wollte er weder Zbyszko noch sich selbst zu gering schätzen lassen. Seine Furcht, den kürzeren zu ziehen, war um so berechtigter, als Wolfgang, trotz seines zuvorkommenden Wesens, sich höchst geldgierig und hartherzig erwies. Der einzige Trost für Macko war der Gedanke, daß das Lösegeld von de Lorche für alles hinreichen werde, allein gleichzeitig schmerzte ihn auch die vergebliche Hoffnung auf Gewinn. Auf ein Lösegeld für Zygfryd durfte er nicht rechnen, denn seiner Ansicht nach verzichtete weder Jurand noch Zbyszko um irgend welchen Preis auf das Recht, das Urteil über den alten Komtur zu fällen.
Erst nach längerer Beratung wurde eine Einigung über die Höhe des Lösegeldes und über den Zeitpunkt der Auszahlung erzielt, kaum hatte sich jedoch der alte Ritter vergewissert, wie viele Mannen und wie viele Pferde Zbyszko mit sich nehmen dürfe, so eilte er zu diesem, um ihn, wohl aus Furcht, die Deutschen könnten wieder andern Sinnes werden, zu einem sofortigen Aufbruch zu veranlassen.
»So geht es eben im Ritterstande,« bemerkte er seufzend, »gestern hattest Du sie beim Schopfe, heute haben sie Dich. Bei meiner Treu, gar schwer wird's uns gemacht, doch Gott gebe, daß auch wir wieder einmal an die Reihe kommen. Du darfst jetzt keine Zeit verlieren. Wenn Du Dich beeilst, wirst Du Hlawa einholen, und in größerer Sicherheit werdet Ihr gemeinsam dahinziehen. Habt Ihr aber erst die Wälder hinter Euch, habt Ihr die bewohnten Gefilde Masoviens erreicht, dann werdet Ihr bei jedem Edelmann, bei jedem Bauernvogt gastliche Aufnahme und Unterstützung finden. Selbst einem Fremden gewährt man bei uns Hilfe, gewiß also einem der Unsrigen! Vielleicht wird auch dies arme Weib auf der Fahrt Heilung finden.«
So sprechend, schaute er auf Danusia, die, wie in einem Halbschlafe befangen, laut und rasch atmete. Ihre auf dem dunkeln Bärenfelle ruhenden Hände zitterten wie im Fieber. Macko machte das Zeichen des Kreuzes über sie und sagte: »Hei, nimm sie und mache Dich auf den Weg! Möge ihr Gott gnädig sein, denn wie mich dünkt, schweben die Schatten des Todes über ihr.«
»Sprecht dies nicht aus!« schrie Zbyszko verzweifelt auf.
»Gott ist allmächtig! Ich werde die Pferde satteln lassen. Halte Dich also bereit.«
Aus der Hütte tretend, beeilte sich Macko, alles für die Fahrt vorzubereiten. Die Zbyszko von Zawisza geschenkten Türken führten die Pferde vor, an deren Sattel die Tragbahre befestigt war, und Wit, einer der Mannen aus des jungen Ritters Gefolge, brachte dessen aufgezäumtes Roß herbei.
Bald darauf trug Zbyszko auf seinen Armen Danusia aus der Hütte. Dieser Anblick war ein so rührender, daß Arnold und Wolfgang von Baden, die, von Neugierde getrieben, herzugekommen waren, sich wechselseitig bedeutsam anschauten und von Ingrimm gegen die Urheber eines solchen Jammers erfaßt wurden, als sie Danusia sahen mit ihrer kindlichen Gestalt, ihrem Gesichte, das dem Antlitz einer Heiligen auf irgend einem Kirchenbilde glich, als sie die Schwäche der Beklagenswerten bemerkten, deren Köpfchen schwer auf Zbyszkos Schulter ruhte. »Das Herz eines Henkersknechtes, nicht das eines Ritters hat Zygfryd,« flüsterte Wolfgang dem Bruder zu, »und wenn auch jenes verruchte Weib, jene Schlange, zu Deiner Rettung beigetragen hat, werde ich sie doch mit Ruten auspeitschen lassen.« Beide waren auch tief bewegt davon, daß Zbyszko sein Weib auf den Armen trug, wie eine Mutter ihr Kind trägt, und sie hatten Verständnis für seine große Liebe, denn jugendfrisches Blut floß in ihren Adern.
Zbyszko stand eine Weile zögernd da. Er wußte nicht recht, ob er sein krankes Weib vor sich auf den Sattel nehmen, oder ob er es auf die Tragbahre niederlegen solle. Schließlich entschied er sich für das letztere, von dem Gedanken ausgehend, Danusia könne nur bei äußerster Schonung die Fahrt überstehen. Rasch näherte er sich hierauf seinem Ohm und beugte sich nieder, um dessen Hand zum Abschied zu küssen. Obwohl nun Macko vor den Deutschen gern seine Erregung verborgen hätte, vermochte er sich doch nicht zu bezwingen, sondern nahm Zbyszko in seine Arme und preßte seine Lippen auf dessen üppige goldblonde Haare.
»Gott sei mit Dir!« sagte er. »Vergiß nicht des alten Mannes, denn Gefangenschaft ist ein gar hartes Los.«
»Ich werde Euer stets gedenken,« antwortete Zbyszko.
»Möge Dir die heilige Mutter Gottes Trost gewähren.«
»Gott lohne Euch für diese Worte, und für alles, was Ihr mir gethan.«
Schon nach wenigen Minuten saß Zbyszko zu Pferde. Dem alten Ritter schien aber ein neuer Gedanke gekommen zu sein, denn er sprang auf seinen Bruderssohn zu, und, seine Hand auf dessen Knie legend, sagte er: »Höre! Wenn Du Hlawa einholst, siehe zu, daß Du Dich Zygfryd gegenüber im Zaume hältst, damit Du nicht auf Dich, damit Du nicht auf meine grauen Haare Schande häufst. Jurand mag richten – ihm überlasse die Rache! Schwöre mir dies auf Dein Schwert und auf Deine Ehre.«
»So lange Ihr nicht frei seid, darf auch Jurand nicht gegen Zygfryd vorgehen, damit sich die Deutschen, Zygfryds wegen, nicht an Euch rächen,« entgegnete Zbyszko.
»Liegt Dir mein Geschick so sehr am Herzen?«
Da lächelte der junge Ritter traurig und meinte: »Ihr solltet mich doch kennen!«
»Zögere nicht mehr, ziehe mit Gott und in Gesundheit dahin.«
Die Pferde setzten sich in Bewegung, und bald waren alle hinter dem dichten Gestrüppe des Waldes verschwunden. Mit einem qualvollen Gefühle der Vereinsamung blieb Macko zurück, hing er doch mit allen Fibern des Herzens an seinem Bruderssohn, auf dem das Geschick des ganzen Geschlechtes beruhte. Allein bald überwand er seinen Kummer, bald ward er wieder Herr seiner selbst.
»Gott sei gepriesen, daß nicht Zbyszko, sondern ich der Gefangene bin,« dachte er bei sich, und sich zu den Deutschen wendend, fragte er: »Und wann gedenkt Ihr aufzubrechen, Ihr Herren, und wohin wollt Ihr Euch wenden?«
»Wir brechen auf, wann es uns beliebt,« antwortete Wolfgang, »und wir ziehen nach Marienburg, wo Ihr, o Herr, Euch zunächst vor dem Großmeister zu verantworten haben werdet.«
»Hei, ich muß wohl mit meinem Kopfe dafür büßen, daß ich den Samogitiern beigestanden habe,« sagte sich Macko.
Dabei gewährte ihm aber ebensowohl der Gedanke an de Lorche einigen Trost, wie die Ueberzeugung, daß ihn Arnold und Wolfgang von Baden schon allein wegen des Lösegeldes schützen würden.
»Doch traun, wenn ich zu Grunde gehe,« dachte der alte Kämpe bei sich, »dann fällt für Zbyszko die Verpflichtung hinweg, sich wieder zu stellen, sich selbst an seinem Eigentum zu schädigen.«
Und auch dieses Erwägen verursachte ihm eine gewisse Erleichterung.