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Siebentes Kapitel.

Zbyszko befahl, ihn auf einen der erbeuteten mit Rädern und Achsen beladenen und zu jenem Zuge gehörenden Wagen zu legen, welche neue Zufuhr in die Burg hatte bringen sollen. Er selbst bestieg ein anderes Pferd und sprengte mit Macko davon, um die Fliehenden weiter zu verfolgen. Diese Verfolgung war indessen nicht allzu schwer, denn die Pferde der Deutschen taugten wenig zu einer solchen Flucht auf der vom Frühlingsregen durchweichten Landstraße. Auf einer schnellen, leichtfüßigen Stute, welche dem erschlagenen Edelmann aus Lekawica angehört hatte, überholte Macko nach einigen hundert Schritten fast alle Samogitier und erreichte bald den ersten Deutschen. Dem ritterlichen Gebrauche gemäß rief er ihn zwar an, auf daß er sich entweder als Gefangener ergebe oder zum Kampfe stelle, aber da jener that, als ob er nicht höre, zur Erleichterung seines Pferdes sogar seinen Schild wegwarf, sich vorbeugte und seine Sporen in des Rosses Flanken drückte, da versetzte ihm der alte Ritter mit seiner breiten Axt einen furchtbaren Hieb zwischen die Schulterblätter und hob ihn aus dem Sattel.

So rächte er sich an den Flüchtlingen für den verräterischen Pfeilschuß, den er einst empfangen hatte; sie aber flohen vor ihm gleich einem Rudel Hirsche, die alle von unbezwinglicher Furcht erfüllt sind, aber keinen Trieb hegen, zu kämpfen und sich zu verteidigen, sondern nur den einen, sich vor dem entsetzlichen Verfolger zu retten. Etliche liefen in den Wald, einer blieb im Sumpfe stecken, und diesen erwürgten die Samogitier mittelst eines Halfters. Ganze Scharen verfolgten die Flüchtlinge bis ins Dickicht, wo nun unter Lärm und Geschrei eine wilde Jagd begann. Der Forst hallte davon wider, bis der letzte Mann bezwungen war. Dann kehrten der alte Ritter aus Bogdaniec, Zbyszko und Hlawa auf das erste Schlachtfeld zurück, wo die erschlagenen deutschen Kriegsknechte lagen. Die Leichname waren entblößt, etliche auch furchtbar verstümmelt von den Händen der rachsüchtigen Samogitier. Ein großer Sieg war gewonnen, und das Volk wie trunken vor Freude. Nach der letzten Niederlage Skirwoillos bei Gotteswerder war Unzufriedenheit in die Herzen der Samogitier eingezogen, vornehmlich weil die ihnen durch Witold zugesagten Hilfstruppen nicht so schnell eingetroffen waren, wie man erwartet hatte. Jetzt aber lebte die Hoffnung wieder auf und die Flamme der Begeisterung entzündete sich aufs neue gleich einem Feuer, dem frische Nahrung zugeführt wird.

Allzuviele waren sowohl bei den Samogitiern wie bei den Deutschen gefallen, um sie bestatten zu können, aber Zbyszko befahl, mit den Speeren Gräber für die beiden Edelleute aus Lekawica zu graben, welche hauptsächlich zu dem Siege beigetragen hatten, und sie unter zwei Fichtenbäumen zu beerdigen, in deren Rinde er mit der Spitze seines Schwertes Kreuze einschnitt. Dann, nachdem er dem Böhmen anbefohlen hatte, über den immer noch bewußtlosen Herrn de Lorche zu wachen, brach er mit seinen Mannen auf und zog eilig wieder auf der nämlichen Straße der Richtung zu, wo sich Skirwoillo befinden mußte, um ihm für alle Fälle Hilfe zu bringen. Doch es währte lange, bis er auf das von den Streitern schon verlassene Schlachtfeld stieß, welche wie das erste mit den Leichnamen der Samogitier und Deutschen bedeckt war. Zbyszko sagte sich, Skirwoillo müsse einen bedeutenden Sieg davongetragen haben, denn wenn dieser furchtbare Heerführer geschlagen worden wäre, hätten sie auf ihrem Wege deutsche, gegen die Burg ziehende Krieger treffen müssen. Offenbar war es aber ein blutiger Sieg gewesen, da etwas weiterhin, jenseits des eigentlichen Schlachtfeldes, noch Leichname von erschlagenen Samogitiern dicht an einander gereiht lagen. Bei diesem Anblick dachte der erfahrene Macko, ein Teil der Deutschen müsse wohl im stande gewesen sein, sich vor dem Verderben zu retten.

Ob Skirwoillo sie dann verfolgt hatte, war schwer zu entscheiden, weil die Spuren trügerisch waren, und eine die andere immer wieder verwischt hatte. Doch glaubte Macko, daß die Schlacht hier schon ziemlich lange, vielleicht früher als die von Zbyszko gelieferte, stattgefunden hatte, denn die Leichname waren schwarz und angeschwollen, manche auch schon von Wölfen zerrissen, welche sich bei Annäherung der bewaffneten Mannen ins Dickicht flüchteten.

In Anbetracht all dessen beschloß Zbyszko, nicht auf Skirwoillo zu warten, sondern zu dem früheren, sicheren Lagerplatz zurückzukehren. Spät in der Nacht dort angelangt, traf er sogleich mit dem samogitischen Heerführer zusammen, welcher etwas früher dort eingetroffen war. In Skirwoillos sonst etwas düsterem Gesichte drückte sich jetzt frohe Zuversicht aus. Sofort fragte er nach der Schlacht, die stattgesunden hatte, und als er von dem Siege hörte, sagte er mit einer, dem Krächzen eines Raben gleichen Stimme: »Ich bin zufrieden mit Dir und mit mir. Die Hilfstruppen werden nicht so rasch eintreffen, wenn aber der Großfürst kommt, wird auch er seine Befriedigung äußern, denn die Burg wird unser sein.«

»Was für Gefangene sind gemacht worden?« fragte Zbyszko.

»Nur Weißfische, keine Hechte! Es war einer da, es waren sogar zwei da, aber sie entschlüpften, die bärbeißigen Hechte! Sie bissen unsere Mannen und suchten dann das Weite!«

»Durch Gottes Gnade ward mir ein Gefangener in die Hände geliefert,« entgegnete der Jüngling. »Es ist ein mächtiger und angesehener weltlicher Ritter, ein Fremder!«

Der schreckliche Samogitier umfaßte seinen eigenen Hals mit beiden Händen, dann machte er eine Bewegung, wie wenn er mit einem Stricke in die Höhe gezogen werde.

»So wird es ihm ergehen!« sagte er, »gerade wie den andern ... So!«

Doch Zbyszko runzelte die Stirne.

»Höre, Skirwoillo,« antwortete er, »so wird es ihm nicht ergehen, denn er ist mein Gefangener und mein Freund. Uns beide hat Fürst Janusz zu gleicher Zeit gegürtet, und ich gestatte nicht, daß Du mit einem Finger an ihn rührst!«

»Du gestattest es nicht?«

»Ich gestatte es nicht!«

Und sie maßen sich mit finsteren Blicken, wobei Skirwoillos Gesicht sich verzerrte und geradezu den Ausdruck eines Raubtieres annahm. Schon waren beide nahe daran, ihrem Zorn die Zügel schießen zu lassen, als Zbyszko, dessen Herz von den Ereignissen des Tages erschüttert war und welcher jeden Streit mit dem alten Heerführer zu vermeiden wünschte, den er ehrte und schätzte, ihn plötzlich umfaßte, an die Brust drückte und rief: »So willst Du mir ihn entreißen und mir damit die letzte Hoffnung rauben? Wie kannst Du mir ein solches Unrecht zufügen?«

Skirwoillo entzog sich der Umarmung nicht, schließlich aber erhob er sein Haupt von Zbyszkos Schulter und diesen von unten herauf ansehend, ließ er ein eigentümliches Schnauben hören: »Wohlan,« sagte er nach kurzem Schweigen, »morgen lasse ich meine Gefangenen aufhängen, wünschest Du aber einen für Dich zu behalten, so überlasse ich ihn Dir.«

Dann umarmten sie sich nochmals und trennten sich in gutem Einvernehmen, zur großen Befriedigung Mackos, welcher bemerkte: »Durch Heftigkeit kannst Du offenbar nichts bei ihm erreichen, aber durch freundliches Entgegenkommen wird er zu Wachs in Deinen Händen.«

»So ist das ganze Volk,« erwiderte Zbyszko, »die Deutschen allein nur wissen dies nicht.«

Nach diesen Worten befahl er, Herrn de Lorche, der in einer Hütte rastete, an die Feuerstätte zu führen, und derselbe erschien denn auch bald, von dem Böhmen geleitet, unbewaffnet, ohne Helm, mit einem ledernen Wams bekleidet, auf dem der Panzer seine Spuren zurückgelassen hatte, und mit einer roten Mütze auf dem Haupte.

De Lorche hatte schon durch Hlawa erfahren, wessen Gefangener er war, deshalb trat er mit kalter hochmütiger Miene heran und beim Scheine der Flamme war Trotz und Verachtung in seinem Gesichte zu lesen.

»Danke Gott,« sagte Zbyszko zu ihm, »daß er Dich in meine Hand gab, denn von mir hast Du nichts zu befürchten.«

Und er wollte ihm in freundschaftlicher Weise die Hand reichen, aber de Lorche blieb unbeweglich stehen.

»Den Rittern, welche die ritterliche Ehre beschimpft haben, indem sie mit den Saracenen gegen die Christen kämpften, reiche ich nicht die Hand.«

Einer der anwesenden Masuren übersetzte seine Worte, deren Bedeutung Zbyszko sofort erriet. Und heiß wallte das Blut in ihm auf.

»Thor!« schrie er auf; unwillkürlich den Griff seines »Misericordia« ergreifend.

De Lorche erhob das Haupt.

»Töte mich!« sagte er, »ich weiß ja, daß Ihr die Gefangenen nicht schont.«

»Schont Ihr sie denn?« rief der Masur, der solche Worte nicht ruhig anhören konnte. »Seid Ihr es nicht gewesen, welche all die in der Schlacht gemachten Gefangenen am Ufer der Insel aufgehängt habt? Darum wird auch Skirwoillo Eure Kriegsknechte hängen lassen.«

»So geschah es in der That,« entgegnete de Lorche, »aber dies sind Heiden gewesen.«

Indessen war es nicht zu verkennen, daß er sich dieser Antwort gewissermaßen schämte, und man konnte daraus entnehmen, daß er im Innern eine solche That nicht billigte.

Mittlerweile hatte Zbyszko wieder kaltes Blut erlangt und sagte mit ruhiger Würde: »De Lorche, aus derselben Hand empfingen wir Gürtel und Sporen; Du kennst mich auch und weißt, daß die Ritterehre mir teurer ist als Leben und Glück, also höre, was ich Dir mit einem Eide bei dem heiligen Georg beschwöre. Viele von den Gefangenen waren längst getauft, und die Leute, welche noch keine Christen sind, strecken ihre Hände nach dem Kreuze aus, wie nach ihrer ewigen Seligkeit. Aber weißt Du, wer ihnen hindernd in den Weg tritt, damit sie nicht zur Erlösung gelangen, weißt Du, wer ihnen die Taufe verwehrt?«

Der Masur übersetzte Zbyszkos Worte sofort, und de Lorche schaute daher fragend in des Jünglings Antlitz.

Dieser aber sagte: »Die Kreuzritter!«

»Das kann nicht sein!« schrie der lothringische Ritter auf.

»Bei der Lanze und bei den Sporen des heiligen Georg, die Kreuzritter sind es! Denn wenn das Kreuz hier die Oberhand bekäme, würden sie keinen Vorwand mehr für ihre Ueberfälle, ihr herrisches Gebaren in diesem Lande und für die Unterdrückung des unglückseligen Volkes haben. Doch Du hast sie ja kennen gelernt, de Lorche, und weißt am besten, ob ihre Thaten gerecht sind.«

»Ich glaubte, daß sie ihre Sünden büßen, indem sie mit den Heiden Kämpfen und sie zur Taufe zu bewegen suchen.«

»Mit Blut werden die Heiden von den Kreuzrittern getauft, nicht mit dem heiligen Wasser. Lies dieses Blatt, und Du wirst sogleich erfahren, daß Du im Dienste von Menschenschindern, Räubern und Söhnen der Hölle gegen die Bekenner des christlichen Glaubens und der christlichen Liebe gekämpft hast.«

Bei diesen Worten überreichte er ihm den Brief der Samogitier an die Könige und Fürsten, der überall herumgeschickt worden war. De Lorche nahm ihn und überflog ihn beim Scheine des Feuers mit den Augen. Er überflog ihn rasch, denn die Kunst zu lesen war ihm nicht fremd. Ueber die Maßen erstaunt fragte er dann: »Ist all dies wahr?«

»Es ist wahr, so Gott mir und Dir helfe! Er weiß am besten, daß ich jetzt nicht nur meiner eigenen Sache, sondern auch der Gerechtigkeit diene.«

De Lorche schwieg eine Weile, dann sagte er: »Ich bin Dein Gefangener!«

»Gieb Deine Hand,« erwiderte Zbyszko. »Mein Bruder bist Du, nicht mein Gefangener.«

Nun reichten sie sich die Rechte und setzten sich zum abendlichen Imbiß nieder, den der Böhme durch die Knechte hatte bereiten lassen. Während des Mahles vernahm de Lorche mit nicht geringer Verwunderung, daß Zbyszko trotz der Geleitsbriefe den Aufenthaltsort Danusias noch nicht entdeckt hatte, und daß die Gültigkeit dieser Geleitsbriefe durch die Komture aus Anlaß des Krieges bestritten worden war.

»Nun ist es mir klar, weshalb Du Dich hier befindest!« sagte er zu Zbyszko, »und ich danke Gott, daß er mich Dir als Gefangenen überlieferte, denn ich glaube, die Kreuzritter werden für mich auswechseln, wen Du willst, weil sich sonst ein großes Geschrei in den westlichen Ländern erheben würde. Stamme ich doch aus einem mächtigen Geschlechte ...«

Hier schlug er sich plötzlich mit der Hand an die Stirne und rief: »Bei allen Reliquien in Akwisgran Aachen.! An der Spitze der nach Gotteswerder ziehenden Hilfstruppen befanden sich Arnold von Baden und der alte Zygfryd von Löwe. Wir wissen dies durch Briefe, welche in der Burg eintrafen. Sind diese Ritter denn nicht gefangen genommen worden?«

»Nein!« antwortete Zbyszko aufspringend, »keiner der Angesehensten ist gefangen genommen worden! Aber bei Gott, eine wichtige Kunde teilst Du mir mit. Bei Gott! Von den andern Gefangenen werde ich jetzt, ehe man sie aufhängt, erfahren, ob Zygfryd ein Weib mit sich geführt hat.«

Er rief nach den Knechten, damit sie ihm Fackeln anzündeten, und eilte der Richtung zu, wo sich Skirwoillos Gefangene befanden. De Lorche, Macko, sowie der Böhme folgten ihm.

»Höre,« sprach der Lothringer unterwegs zu ihm, »gieb mich frei auf mein Wort, dann werde ich selbst in ganz Preußen nach ihr forschen. Sobald ich sie gefunden habe, kehre ich zu Dir zurück und dann kannst Du mich für sie auswechseln, wenn sie noch am Leben ist!«

»Wenn sie noch am Leben ist!« rief Zbyszko aus.

Unterdessen waren sie bei Skirwoillos Gefangenen angelangt. Einige von ihnen lagen auf dem Rücken, wieder andere waren grausamer Weise mit Stricken an Baumstämme festgebunden. Das Licht der Fackeln fiel hell auf Zbyszkos Haupt, so daß die Augen all dieser Unglücklichen sich auf ihn richteten. Da ertönte eine durchdringende, herzzerreißende Stimme: »O mein Gebieter, mein Beschützer! Rettet mich!«

Zbyszko nahm einen brennenden Span aus der Hand eines Knechtes, eilte damit auf den Rufenden zu und die Leuchte emporhebend, schrie er laut: »Sanderus!«

»Sanderus!« stieß auch der Böhme voll Verwunderung hervor.

Und der Reliquienhändler, unfähig seine geknebelten Hände zu bewegen, streckte den Hals vor und ließ sich abermals vernehmen: »Erbarmen! ... Ich weiß, wo sich die Tochter Jurands befindet! ... Rettet mich!«


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