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Siebentes Kapitel.

Der anbrechende Tag warf bereits seinen lichten Schein auf die Bäume, die Sträuche und auf die rings auf dem Gefilde zerstreut umher liegenden Kalksteine, als der gedungene Führer, der neben dem Pferde Jurands einherschritt, anhielt und sagte: »Vergönnt mir eine kurze Rast, Herr Ritter, damit ich mich ausschnaufen kann. Durch das Tauwetter ist es neblig, doch unser Ziel ist nicht mehr fern ...«

»Geleite mich bis zur Landstraße, dann magst Du zurückkehren,« entgegnete Jurand.

»Die Landstraße liegt rechts neben dem Wäldchen, und vom Hügel aus werdet Ihr gleich die Burg sehen.«

So sprechend kreuzte der Bauer die Arme, schlug sich mit den Händen, die in der feuchten Morgenluft wohl ein wenig starr geworden sein mochten, fortwährend unter die Achselhöhlen und ließ sich schließlich auf einen Stein nieder, um sich besser ausruhen zu können.

»Weißt Du nicht, ob der Komtur in der Burg ist?« fragte Jurand nach kurzer Pause.

»Wo sollte er sonst sein, da er krank ist.«

»Was fehlt ihm?«

»Die Leute sagen, ein polnischer Ritter habe ihm eins versetzt,« antwortete der alte Bauer.

Und der Ton seiner Stimme bekundete eine gewisse Zufriedenheit. Er war freilich den Kreuzrittern unterthan, aber sein masurisches Herz freute sich über jedes Wagestück eines polnischen Ritters. So fügte er denn auch nach einer Weile hinzu: »Hei! Gar mächtig sind unsere Herren, aber nicht leicht ist mit ihnen auszukommen.«

Unverweilt blickte er aber nun prüfend auf den Ritter, wie wenn er sich vergewissern wolle, ob ihm aus diesen Worten, die ihm unbedacht entschlüpften, kein Schaden erwachse, und fügte hinzu: »Ihr, o Herr, seid nach der Art, wie Ihr unsere Sprache sprecht, kein Deutscher.«

»Nein,« erwiderte Jurand, »doch führe mich weiter.«

Der Bauer erhob sich und schritt wie zuvor neben dem Pferde her. Unterwegs griff er dann und wann in einen ledernen Beutel, holte ein Handvoll ungemahlenes Korn daraus hervor, das er in den Mund steckte, um damit den ersten Hunger zu stillen. Dabei unterließ er es nicht, zu erklären, weshalb er die Kerne roh esse, obwohl Jurand dies gar nicht bemerkt hatte, da er viel zu viel mit seinem eigenen Schicksal, mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt war.

»Gott sei Dank dafür!« sagte der Bauer. »Unter unsern deutschen Herren ist das Leben gar schwer. Solche Abgaben fordern sie für das Mahlen des Getreides, daß der arme Mann das Korn aus der Spreu fressen muß wie das Vieh. Und wenn sie eine Handmühle in einer Hütte finden, dann prügeln sie den Bauer und führen das Vieh hinweg. Traun, weder der Kinder noch der Frauen schonen sie ... Ei, sie fürchten sich ebenso wenig vor Gott dem Herrn, wie vor dem Fürsten, ja, den Probst aus Wielborz, der ihnen Vorstellungen darüber machte, legten sie in Ketten. O, schwer lastet die Hand der Deutschen auf uns! Nur wenn man sich Korn zwischen zwei Steinen zermalmt, dann bekommt man eine Handvoll Mehl zur Speise für den heiligen Sonntag, am Freitag aber, da heißt's wie ein Vogel essen. Doch gelobt sei Gott auch dafür, denn ehe die Ernte kommt, giebt's nicht einmal das ... der Fischfang ist verboten ... die Jagd auf wilde Tiere auch. Nein, so ist's nicht wie in Masovien.«

In solcher Weise klagte der unter der Herrschaft der Kreuzritter stehende Bauer, indem er halb zu sich selbst, halb zu Jurand sprach. Mittlerweile gelangten sie dann in ein Wäldchen, welches in dem fahlen Scheine des Frühmorgens fast grau schimmerte und in dem eine feuchte, durchdringende Kälte herrschte. Es war nun völlig Tag geworden; sonst wäre es für Jurand kaum möglich gewesen, auf dem Waldwege weiter zu kommen. Steil und so schmal stieg der Pfad empor, daß an manchen Stellen das Streitroß sich kaum durch die Stämme durchzuarbeiten vermochte. Doch das Wäldchen lichtete sich bald wieder, und schon nach kurzer Zeit gelangten sie auf den Gipfel des weißlich schimmernden Hügels, von dessen Höhe aus eine gute Landstraße nach Szczytno führte.

»Von hier aus ist's nicht mehr weit,« bemerkte der Bauer, »Ihr findet Euch nun allein zurecht.«

»Ja, ich finde mich nun allein zurecht,« entgegnete Jurand. »Kehre Du nun wieder heim, Mann.«

Mit der Hand in einen ledernen Sack greifend, der vorn am Sattel befestigt war, holte er mehrere Silbermünzen hervor und gab sie dem Führer. Der Bauer, weit mehr an Schläge als an Belohnung von seiten der ansässigen Kreuzritter gewöhnt, glaubte seinen Augen nicht trauen zu dürfen. Rasch das Geld entgegennehmend, beugte er sich bis zu den Steigbügeln Jurands und umfaßte dessen Knie.

»O Jesus, Maria!« rief er. »Gott der Herr möge Euer Gnaden dafür lohnen.«

»Gott sei mit Dir!«

»Gott möge Euch Macht und Stärke verleihen. Szczytno liegt vor Euch.«

Jurand blieb allein auf dem Hügel zurück und schaute in der ihm von dem Führer angegebenen Richtung auf die graue, feuchte Nebelwand, welche den freien Ausblick verhinderte. Jenseits dieses Nebels lag ja die unheilvolle Burg, in die er gegen seinen Willen ziehen mußte. Nahe, ganz nahe lag sie vor ihm! Was von ihm gefordert ward, ohne Aufschub mußte es geschehen! Schwer bedrückte dieser Gedanke Jurands Herz. Zu der Unruhe, zu der Angst um Danusia, für die er selbst sein Herzblut hingegeben hätte, gesellte sich nun auch noch eine unbegrenzte Bitterkeit, ein ihm bis jetzt unbekannt gewesenes Gefühl der Demütigung. Er, Jurand, bei dessen Namen allein schon alle an der Grenze ansässigen Komture gezittert hatten, beugte sich nun deren Befehl! Er, der schon so viele von ihnen besiegt und mit Füßen getreten hatte, sollte nun von ihnen besiegt und mit Füßen getreten werden. So unerhört dünkte ihm dies, daß ihm schien, die ganze Welt müsse aus ihren Fugen gehen. War es denn denkbar, daß er sich vor den Kreuzrittern demütigen sollte, er, der es mit dem ganzen Orden aufgenommen haben würde, wenn es sich nicht um Danusia gehandelt hätte? Mehr als einmal schon hatte ein Ritter, dem nur die Wahl zwischen Schmach und Tod geblieben war, sich kämpfend auf ein ganzes Kriegsheer gestürzt! Ach, seiner harrte auch nur Schmach und Schande! Diese Ueberzeugung verursachte ihm einen so grimmen Schmerz, wie ihn der Wolf empfindet, den die Spitze eines Speeres trifft.

Doch über Jurands stählernen Körper gebot auch ein eiserner Wille. Ebenso wie er den Widerstand anderer zu brechen wußte, vermochte er sich selbst zu bezwingen.

»Nicht eher rühre ich mich von dieser Stelle,« sagte er sich, »bevor ich nicht Herr über diesen grimmen Haß geworden bin, der weit eher das Verderben des Kindes als dessen Rettung herbeiführen könnte.«

Und mit aller Kraft kämpfte er gegen sein stolzes Herz, gegen seinen Haß, gegen seine Streitlust an. Wer ihn auf jenem Hügel gesehen hätte, wie er auf seinem gewaltigen Rosse in voller Rüstung wie erstarrt saß, der würde ihn für einen aus Erz gegossenen Riesen gehalten und nicht geglaubt haben, daß in diesem unbeweglichen Ritter in dem Augenblicke der schwerste Kampf tobte, den das Leben entfachen konnte. Und so lange lag er im Streite mit sich selbst, bis er fühlte, daß er den Sieg über sich gewonnen hatte.

Mittlerweile wurde der Nebel durchsichtiger. Er verschwand zwar noch nicht vollständig, allein man konnte doch in der Ferne dunkles Gemäuer erkennen. Jurand bezweifelte keine Minute, daß dies die Mauern der Burg von Szczytno waren. Trotz dieses Anblickes rührte er aber noch immer kein Glied, sondern hub zu beten an, so heiß und inbrünstig, wie ein Mensch betet, der nur noch auf Gottes Barmherzigkeit baut.

Als er dann schließlich sein Pferd antrieb, da regte sich in seinem Herzen frischer Mut. Er war jetzt bereit, alles über sich ergehen zu lassen, was ihm auch zustoßen mochte. Der heilige Georg kam ihm jetzt in den Sinn, der Abkömmling eines der größten Geschlechter in Kappadocien. Auch dieser hatte schmachvolle Marter erleiden müssen, allein nicht zur Unehre hatte ihm dies gereicht, nein, nach göttlichem Gesetz ward er zum Schutzpatron aller namhaften Ritter erkoren. Von dessen Prüfungen hatte Jurand gar häufig von den Pilgern gehört, die aus fernen Ländern kamen, und die Erinnerung daran wirkte tröstend auf ihn ein.

Allmählich begann er aber wieder Hoffnung zu schöpfen. Die Krenzritter waren freilich wegen ihrer Rachsucht bekannt, er zweifelte daher auch nicht daran, daß sie sich für all die Niederlagen rächen würden, die er ihnen beigebracht, für all die Schmach, welche er ihnen bei jedem Zusammentreffen angethan, und für die Furcht, die er ihnen lange Jahre hindurch eingeflößt hatte.

Allein gerade diese Erwägung verlieh ihm nun Willenskraft. Er sagte sich, Danusia sei sicherlich nur deshalb von den Ordensbrüdern entführt worden, um Gewalt über ihn zu bekommen. Wenn er sich aber ihnen stellte, weshalb sollten sie dann noch länger Danusia der Freiheit berauben? Sicherlich Planten sie Schlimmes, weil sie aber in der Nähe von Masovien nichts gegen ihn zu unternehmen wagten, zwangen sie ihn, sich nach ihrer ferngelegenen Burg aufzumachen. Vielleicht legten sie ihn in Ketten, vielleicht drohte ihm lebenslängliche Haft in einem unterirdischen Kerker! Doch was wollte dies heißen, wenn er die Freiheit seines Kindes damit erkaufte? Sollte es auch ans Tageslicht kommen, daß man ihn in einen unterirdischen Kerker geworfen hatte, weder der Großmeister noch das Kapitel würde es den Kreuzrittern allzusehr verargen, denn seine, Jurands, Hand hatte in der That schwer auf ihnen gelastet, von ihm hatten sie weit Schlimmeres zu erdulden gehabt, als von irgend einem andern Ritter auf der Welt. Sofort aber würde sie der Großmeister für die Festhaltung des unschuldigen Mägdleins bestrafen, der Schutzbefohlenen des Fürsten, um dessen Freundschaft sich jener in Anbetracht des drohenden Krieges mit dem König von Polen eifrigst bemühte.

Eine immer größere Ruhe bemächtigte sich Jurands. Er zweifelte jetzt keinen Augenblick mehr, daß Danusia nach Spychow zurückkehren, daß sie unter Zbyszkos mächtigem Schutze gegen jede Gefahr gesichert sein werde. Das ist ein tapferer Bursche, sagte er sich, er wird ihr kein Leid widerfahren lassen. Und er rief sich mit einer gewissen Rührung all das ins Gedächtnis zurück, was er von Zbyszko wußte. »Gegen die Deutschen hat der junge Ritter bei Wilna gekämpft, im Zweikampfe hat er sich mit ihnen gemessen, er besiegte die Friesen, gegen die er mit dem Oheim stritt, gegen Lichtenstein ist er vorgegangen, vor dem Auerochsen hat er Danusia gerettet, den vier Kreuzrittern schickte er eine Herausforderung, von der er niemals abstehen wird.«

Hier erhob Jurand die Augen gen Himmel und rief: »Ich wollte sie Dir weihen, o Gott, Du aber schenktest sie Zbyszko.«

Würde sie aber Gott dem jungen Ritter zum Weibe gegeben haben, so fragte er sich weiter, um sie dann in den Händen der Kreuzritter zu Grunde gehen zu lassen? Nein, ihre Rettung war gewiß, dagegen vermochte keine Macht der Welt sich aufzulehnen. Und Zbyszko! Er war ja nicht nur tapfer, er war auch treu wie Gold. Bei ihm wird sie behütet sein, bei ihm wird sie heiße Liebe finden. »O Jesu!« betete er plötzlich laut, »gewähre dem Kinde ein frohes Geschick und laß mich hoffen, daß sie bei ihm weder den fürstlichen Hof, noch die väterliche Liebe vermißt.« Thränen traten bei diesen Worten in die Augen des Gebieters von Spychow und sein Herz krampfte sich schmerzlich zusammen. Ach, wie sehnte er sich, sein Kind wiederzusehen, wie wünschte er, wenn er denn doch aus dem Leben scheiden sollte, in Spychow bei den beiden ihm so teuern Wesen zu sterben und nicht in den dunkeln Kerkern der Kreuzritter den letzten Atemzug aushauchen zu müssen. »Doch der

.

Aus dem erleuchteten Fenster des Turmes ertönte der anfänglich kaum vernehmbare Klang einer Laute.

Wille Gottes geschehe!« murmelte er vor sich hin. Szczytno war bereits zu sehen. Der Nebel ward lichter und lichter, immer deutlicher traten die Mauern der Burg hervor. Die Stunde von Jurands Demütigung rückte heran. Er aber erstarkte mehr und mehr und sprach also zu sich: »Wohlan, der Wille Gottes geschehe! Ich stehe am Abend meines Lebens. Einige Jahre mehr, einige weniger, was will das heißen! Hei! Wohl möchte ich noch einmal die beiden Kinder sehen, allein jedem Menschen ist ein Lebensziel gesteckt. Was mir beschieden ward, das habe ich genossen und ertragen, an wem ich Rache üben wollte, an dem rächte ich mich. Mein Geschick hat sich erfüllt. Bei Gott ist's besser sein als auf der Welt, was er uns auferlegt, das wird sich auch erfüllen. Danusia und Zbyszko, sie werden meiner nicht vergessen, wenngleich es besser für sie wäre, sie vergäßen meiner. Gewiß, wohl mehr als einmal werden sie sich fragen: Wo ist er jetzt? Lebt er noch oder ist er schon in die himmlische Heimat eingezogen? Sie werden nach mir fragen, nach mir forschen. Auf Rache sind die Kreuzritter stets bedacht, doch Lösegeld verschmähen sie nie. Und Zbyszko wird damit nicht sparen, selbst wenn er auch nur meine Gebeine loskaufen könnte. Und mehr als eine Messe werden sie für mich lesen lassen, das ist gewiß. Ein dankbares, liebevolles Herz besitzen beide. O segnet sie dafür, Du, o Gott, und Du, o heilige Mutter Gottes!«

Die Landstraße wurde indessen nicht nur immer breiter, sondern auch immer belebter. Unablässig zogen Wagen mit Holz und Strohbündeln beladen der Stadt zu, Viehhirten trieben ihre Herden dahin. Auch ein Bauer in Ketten wurde von vier Bogenschützen des Weges geleitet. Augenscheinlich sollte er eines Vergehens wegen vor Gericht gebracht werden, denn die Hände waren ihm auf den Rücken gebunden, an den Füßen aber trug er Fesseln, die auf dem Schnee schleifend, ihm das Gehen erschwerten. Mühsam und keuchend schleppte er sich weiter, während seine Wächter, die ihn beständig vorwärtstrieben, laut sangen. Als letztere Jurand erblickten, schauten sie ihn voll Neugierde an, offenbar ganz erstaunt über den mächtigen Reiter und das gewaltige Schlachtroß. Kaum bemerkten sie indessen die goldenen Sporen und den Rittergürtel, so senkten sie die Armbrust zur Erde als Zeichen der Ehrerbietung und zur Begrüßung. In dem Städtchen ging es schon äußerst lebhaft zu. Ein jeder wich jedoch vor dem bewaffneten Ritter zur Seite, welcher die Hauptstraße einschlagend, sich zur Burg wendete, die noch immer in nebligem Dunste lag, und in der noch alles zu schlafen schien.

Außerhalb der Burg herrschte indessen nichts weniger als Ruhe. Ganze Schwärme von Krähen und Raben flogen, aufgescheucht durch den des Weges ziehenden Reiter, krächzend und mit den Flügeln schlagend, umher. Bald genug begriff Jurand, weshalb sich hier eine solch große Zahl dieser Vögel angesammelt hatte. Seitwärts am Wege, der zu dem Burgthore führte, stand ein hoher, breiter Galgen, an dem die Leichname von vier masurischen Bauern hingen, die wohl den Kreuzrittern unterthan gewesen sein mochten. Da es völlig windstill war, hingen die Toten, die auf ihre Füße herab zu schauen schienen, fast ganz bewegungslos da und schaukelten nur dann hin und her, wenn die auf ihren Schultern und auf ihren Köpfen sitzenden Vögel sich gegenseitig zu vertreiben suchten, aufflogen, wieder zurückkehrten und mit ihren Schnäbeln auf die gesenkten Häupter einhackten. Die Bauern mußten schon lange an dem Galgen hängen, denn stellenweise lagen die Knochen an ihren Körpern ganz bloß, während sich die Beine unermeßlich in die Länge gezogen hatten. Beim Nahen Jurands schwang sich ein neuer Schwarm von Raben und Krähen mit lautem Gekrächze in die Luft, ließ sich aber dann bald wieder auf dem Querbalken des Galgens nieder. Das Zeichen des Kreuzes machend, ritt der Herr aus Spychow vorüber, hielt vor dem Graben an der Stelle an, an welcher die Zugbrücke über dem Thore aufgezogen war, und stieß in das Horn.

Ein zweites, ein drittes mal ließ er sein Horn ertönen. Alles blieb ruhig. Kein lebendes Wesen war auf den Wällen zu sehen, kein Laut drang aus dem Thore hervor. Endlich, nach minutenlangem Warten, öffnete sich hinter einem, neben dem Burgthore eingemauerten Gitter knirschend eine Klappe und das bärtige Gesicht eines deutschen Kriegsknechtes ward sichtbar.

»Wer da?« rief eine rauhe Stimme.

»Jurand aus Spychow!« antwortete der Ritter.

Daraufhin fiel die Klappe wieder rasch zu, und es trat abermals tiefes Schweigen ein.

Die Zeit verstrich. Auch nicht das geringste Geräusch drang aus dem Thore hervor. Dagegen ward das Gekrächze der um den Galgen fliegenden Vögel immer lauter.

Eine geraume Zeit hindurch wartete Jurand geduldig, dann setzte er das Horn aufs neue an die Lippen.

Keine Antwort erfolgte. Es herrschte eine lautlose Stille. Allgemach ward es Jurand klar, weshalb er vor dem Thore stehen mußte. Er kannte die Kreuzritter, er wußte, mit welch grenzenlosem Hochmute sie die Besiegten behandelten. Wie ein Bettler sollte er gedemütigt werden. Keine Minute zweifelte er daran, daß er vielleicht bis zum Abend oder noch länger zu warten habe. Im ersten Augenblick drohte ihn der Zorn zu übermannen. Am liebsten wäre er vom Pferde gestiegen und hätte einen der Steine, welche an dem Graben lagen, gegen das Gitter geschleudert. In einem andern Falle würde sowohl er wie jeder masovische oder polnische Ritter dies gethan haben, dann hätten sie hinter dem Thore hervorbrechen und sich ihm zum Kampfe stellen müssen. Jetzt bezwang er sich indessen abermals, indem er sich ins Gedächtnis zurückrief, weshalb er hierhergekommen war.

»Giebt es ein Opfer, das ich nicht für das Kind bringen würde?« fragte er sich.

Und geduldig wartete er vor der Burg.

Mittlerweile war es auf den Zinnen lebendig geworden. Da und dort tauchten Köpfe in Pelzumhüllung, in dunkeln Kapuzen, ja, in Blechhauben empor, und mehr als ein Augenpaar warf neugierige Blicke auf den Ritter. Mit jeder Minute vermehrte sich die Zahl dieser Beobachter, war es doch für die Besatzung ein unerhörter Anblick, den gefürchteten Gebieter von Spychow einsam vor dem Burgthore auf seinem Streitroß halten zu sehen. Wer sich ihm früher genähert hatte, der ging einem sicheren Tode entgegen, nun aber konnte man ihn gefahrlos, nach Herzenslust betrachten. Nach und nach wurden all diese Neugierigen immer sichtbarer, so daß schließlich die Zinnen in der Nähe des Thores geradezu mit Kriegsknechten bedeckt waren. Jurand glaubte nicht anders, als daß auch die Vorgesetzten durch das Gitterfenster in dem an das Thor angebauten Turm auf ihn blickten. Er schaute daher empor, überzeugte sich aber sofort von seinem Irrtume. Aus diesem, tief in die dicken Mauern eingefügten Fenster vermochte man nur in die Ferne zu sehen. Dagegen begann nun die auf der Brustwehr angesammelte Schar, die sich bis jetzt ganz still verhalten hatte, lauter und lauter zu werden. Dieser und jener nannte Jurands Namen, rohes Lachen ertönte, ein heiseres Geschrei, ein wüstes Geheul wie von Wölfen erhob sich, stets rücksichtsloser, stets verwegener wurden die Rufe, und da kein Mensch diesen Ausschreitungen steuerte, ward schließlich der Gebieter von Spychow mit Schnee beworfen. Kaum setzte indessen letzterer sein Roß, wie unwillkürlich, leise in Bewegung, so hörte sofort das Werfen mit Schnee auf, das Geschrei verstummte, ja, etliche der Helden verschwanden hinter den Mauern. In solcher Weise war Jurands Name gefürchtet. Nur zu bald kam es jedoch den feigherzigen Memmen zum Bewußtsein, daß sie ja durch Gräben und Wälle von dem Schrecken einjagenden Masuren getrennt waren, sie huben daher nicht nur von neuem an, den Harrenden mit Schnee zu bewerfen, sondern sie schleuderten ganze Eisschollen, Mörtel und Steine auf ihn, die mit lautem Geklirr von der Rüstung des Ritters, von dem Sattelzeuge des Rosses absprangen.

»Für das Kind ist mir kein Opfer zu schwer,« sagte sich Jurand.

Und er wartete und wartete. Die Mittagszeit nahte heran. Die Zinnen verödeten, denn die Söldner begaben sich zum Mahle. Nur etliche, welche die Wache hatten, aßen auf der Brustwehr und vergnügten sich dabei, den hungrigen Ritter mit den abgenagten Knochen zu bewerfen. Dann verhöhnten sie sich gegenseitig, indem einer den andern fragte, wer wohl von ihnen den Mut haben werde, zu jenem hinabzusteigen, um ihm mit der Faust einen Schlag in den Nacken oder mit dem Speere einen Stoß zu versetzen. Verschiedene, die von dem Mahle zurückkehrten, riefen ihm zu, er möge es nur sagen, wenn er des Wartens müde sei, an dem Galgen befinde sich noch ein freier Haken, an dem auch schon der Strick hänge. Und unter solchen Spottreden, unter solch wüstem Geschrei schwanden die Stunden dahin, der kurze Wintertag neigte sich seinem Ende zu. Der Abend brach an. Allein die Zugbrücke ward nicht herabgelassen, das Thor blieb geschlossen.

Plötzlich erhob sich ein Wind, der den Nebel zerteilte. Das von der Abendröte vergoldete Firmament ward sichtbar. Bläulich violett schimmerte der Schnee. Der Frost ließ nach, die Nacht versprach, schön zu werden. Nur die Wache befand sich noch auf der Zinne; die Krähen und Raben flogen von dem Galgen hinweg, dem Walde zu. Dunkler und dunkler wurde es, eine völlige Stille trat ein.

»Erst in der Nacht werden sie mir das Thor öffnen,« dachte Jurand.

Während eines Augenblickes erwog er es ernstlich, ob er nicht in das Städtchen zurückkehren solle, rasch verwarf er aber wieder diesen Gedanken. Es ist ihr Wille, daß ich hier stehe, sagte er sich. Wenn ich mich auch jetzt von hier entferne, lassen sie mich doch nicht wieder ziehen. Sie werden mich umzingeln, und weil sie sich dann meiner gewaltsam bemächtigt haben, erklären, sie seien mir zu nichts verpflichtet. Was nützt es daher, hinweg zu reiten, ich muß ja doch wieder zurückkehren.

Die von fremden Chronisten gerühmte, erstaunliche Ausdauer der polnischen Ritter im Ertragen von Kälte, Hunger und Beschwerden aller Art, befähigte diese häufig zum Vollbringen von Thaten, welche auszuführen die verweichlichteren Bewohner des Westens niemals im stande gewesen wären. Jurand aber besaß diese Ausdauer in noch höherem Maße als alle andern. Wenn sich ihm daher auch vor Hunger die Eingeweide zusammenzogen, wenn ihn auch die nächtliche Kühle trotz des über die Rüstung geworfenen Pelzes erschauern machte, er hielt auf seinem Posten aus, er hätte selbst dem Tode zu trotzen gewagt.

Plötzlich indessen – es herrschte schon fast tiefe Nacht – hörte er hinter sich feste Schritte auf dem knirschenden Schnee.

Sich umschauend, gewahrte er sechs Männer von der Stadt her des Weges kommend. Sie alle waren mit Lanzen und Hellebarden bewaffnet, während ein siebenter, der in ihrer Mitte einherging, ein Schwert trug. »Vielleicht wird jetzt das Thor geöffnet, und ich komme auch hinein,« dachte Jurand. »Mit Gewalt werden sie mich doch nicht ergreifen wollen, sie werden auch nicht versuchen, mich zu töten, denn ihre Zahl ist zu gering dazu. Planen sie aber doch einen Angriff auf mich, so dient mir dies als Beweis, daß sie ihr Versprechen nicht zu halten gedenken, und dann wehe ihnen.«

Unverweilt ergriff er die stählerne Streitaxt, welche am Sattel hing und welche so schwer war, daß jeder andere Mann sie nur mit zwei Händen hätte fassen können, und wendete sein Roß ihnen zu.

Jene aber dachten nicht daran, ihn zu überfallen. Im Gegenteile, die Kriegsknechte stießen sofort die Lanzen und Hellebarden in den Schnee, wobei ihnen indessen, wie Jurand, da er sich ganz in ihrer Nähe befand, deutlich bemerkte, die Hand doch ein wenig zitterte.

Der siebente Kriegsknecht, welcher außerdem der älteste zu sein schien, streckte sofort den linken Arm aus und fragte, mit dem Finger vor sich deutend: »Seid Ihr, Herr Ritter, Jurand aus Spychow?«

»Ich bin es.«

»Wollt Ihr hören, weshalb ich hierher gesandt ward?«

»Ich höre.«

»Der tapfere und mächtige Komtur von Danveld befahl mir, Euch zu sagen, o Herr, daß wenn Ihr nicht vom Pferde steigt, Euch das Thor nicht geöffnet werde.«

Während einiger Minuten saß Jurand ganz bewegungslos da, dann stieg er rasch vom Pferde, auf das sofort einer der Lanzenträger sprang.

»Die Waffen müßt Ihr uns auch ausliefern,« ließ sich aufs neue der Söldner mit dem Schwerte vernehmen.

Der Gebieter von Spychow zauderte eine geraume Zeit. »Wie,« so fragte er sich, »wenn sie dann auf mich Unbewaffneten stürzen, wenn sie mich wie ein wildes Tier niederstoßen? Oder könnten sie mich nicht auch ergreifen und in einen unterirdischen Kerker werfen? Doch nein, wenn sie einen Ueberfall planten, wären sie dann nicht in größerer Zahl erschienen, hätten sie es nicht unterlassen, ihre Waffen so nahe bei mir in den Schnee zu stoßen? Würde es dann nicht ein Leichtes für mich sein, die erste beste Waffe an mich zu reißen und alle zu erschlagen, bevor Hilfe eintreffen kann? Nein, dazu kennen sie mich zu gut.«

»Doch wenn dies auch der Fall wäre,« fragte er sich weiter, »wenn mein Blut fließen soll, was zaudere ich? Habe ich denn etwas anderes erwartet, als ich mich hier einstellte?«

Ohne noch lange zu zögern, warf er nun zuerst die Streitaxt, dann sein Schwert und schließlich das Misericordia von sich und harrte abermals der Dinge, die da kommen sollten. Rasch nahmen die Lanzenträger und Hellebardiere die Waffen an sich, während jener, der Jurand zuvor angeredet hatte, sich diesem noch mehr näherte, vor ihm stehen blieb und mit erhobener Stimme kühn also zu sprechen anhub: »Für all die Beschimpfungen, welche Du dem Orden zugefügt hast, sollst Du Dich nun, so lautet der Befehl des Komturs, in diesen härenen Sack hüllen, die Scheide dieses Schwertes an einem Stricke um den Hals hängen, und so lange vor dem Thore wartend stehen, bis es Dir durch die Gnade des Komturs geöffnet werden wird.«

Kaum waren diese Worte verklungen, so stand Jurand wieder allein in der Dunkelheit und in der nächtlichen Stille. Vor ihm auf dem Schnee lagen das Bußgewand und der Strick. Lange schaute er darauf. Ihm war es, als ob in ihm etwas entzwei gegangen, als ob etwas in ihm vernichtet und erstorben sei, ihn dünkte, er sei nicht mehr der gewaltige Ritter, nicht mehr Jurand aus Spychow, sondern ein armseliger Sklave ohne Namen, ohne Ruhm, ohne Ehre.

Erst nach Verlauf einiger Minuten machte er etliche Schritte vorwärts, indem er laut sagte: »Was soll ich thun? Du, Christus, Du weißt es: mein unschuldiges Kind erwürgen sie, wenn ich nicht alles ausführe, was sie befehlen. Und Du weißt es auch, daß ich um des eigenen Lebens willen mich niemals zu einem solchen Thun verstanden hätte! Bitter ist's, Schmach und Schande auf sich zu nehmen! Schmerzlich ist es! Doch auch Du hast vor dem Kreuzestode Schmach und Schande erlitten. Es sei denn ... Im Namen des Vaters und des Sohnes.«

Rasch beugte er sich nieder, hüllte sich in den Sack, in dem Löcher für den Kopf und die Arme eingeschnitten waren, schlang sich den Strick mit der Scheide des Schwertes um den Hals und schleppte sich an das Thor.

Doch nach wie vor blieb dasselbe geschlossen. Was kümmerte es aber nun noch den Gebieter von Spychow, ob das Thor ihm früher oder später geöffnet werde! In nächtlichem Schweigen lag die Burg. Dann und wann nur zeigte sich die Wache auf der Brustwehr. Ein einziges, hoch oben gelegenes Fenster des am Thore stehenden Turmes war erhellt, aus keinem der andern erstrahlte auch nur der geringste Lichtschein.

Langsam schwanden die Stunden dahin. Am Himmel stieg die Mondsichel empor und warf ihren silbernen Schimmer auf die finstere Burg. Eine solche Stille herrschte, daß Jurand das Klopfen des eigenen Herzens hätte hören können. Allein er schien wie erstarrt, wie versteinert zu sein. Ueber nichts vermochte er sich Rechenschaft zu geben, ihm war, als ob seine Seele schon entflohen sei. Ein Gedanke allein verfolgte ihn ... Nein, er war nicht mehr der gewaltige Ritter Jurand aus Spychow – zu was er aber herabgesunken war – darüber konnte er nicht klar werden ... Zuweilen kam es mich über ihn, als ob von jenem Galgen her der Tod leise, leise über den Schnee zu ihm heran schleiche ...

Plötzlich indessen erbebte er am ganzen Körper und fuhr aus seiner Erstarrung empor: »O allbarmherziger Christus! Was ist das?«

Aus dem erleuchteten Fenster des Turmes ertönte der anfänglich kaum vernehmbare Klang einer Laute. Auf seinem Ritte nach Szczytno war Jurand der festen Ueberzeugung gewesen, Danusia befinde sich nicht in der Burg, doch dieser Lautenklang in der Stille der Nacht erschütterte ihn aufs höchste. Nur zu gut kannte er diese Weise. Wer sollte sie denn sonst spielen als sein Kind, sein einziges, geliebtes Kind! ... Wie in Fieberhitze zitternd, stürzte er auf die Knie, faltete die Hände zum Gebete und lauschte und lauschte.

Inzwischen hub eine halb kindliche, halb sehnsüchtig klingende Stimme zu singen an:

Wie wär' ich gerne
Ein Gänslein klein,
Ich flög' in die Ferne
Zu Jasio mein!

Jurand wollte aufschreien, wollte den geliebten Namen rufen, allein die Worte erstarben ihm in der wie von einer eisernen Klammer zusammengepreßten Kehle. Der plötzlich mit aller Macht hervorbrechende Schmerz, die Thränen, die Sehnsucht, der Jammer drohten ihm die Brust zu zersprengen. Sich mit dem Gesichte auf den Schnee werfend, rief er mit der leidenschaftlichen Inbrunst, mit der man ein Dankgebet spricht: »O Jesu! So höre ich denn noch einmal die Stimme meines Kindes! O Jesu! ...«

Ein heftiges Schluchzen erschütterte den gewaltigen Körper Jurands. Aus dem Turme aber ertönte wiederum der sehnsüchtige Gesang in die Stille der Nacht hinaus:

In Schlesien flög' ich nieder
Auf grünem Rain,
Die Waise sieh wieder,
O Jasienko mein!

Da plötzlich erhielt der vor dem Thore liegende Ritter von der rohen Hand eines bärtigen deutschen Kriegsknechtes einen heftigen Stoß in die Seite.

»Auf die Beine, Hund! ... Das Thor ist offen, der Komtur befiehlt Dir, vor ihm zu erscheinen.«

Jurand fuhr wie aus einem Traume empor. Doch er ergriff weder den Söldner an der Kehle, noch zermalmte er ihn mit seinen eisernen Händen, nein, mit einem ergebenen, fast demütigen Gesichtsausdrucke erhob er sich und folgte, ohne ein Wort zu sprechen, seinem Führer durch das Thor.

Gleich darauf vernahm er hinter sich das Klirren von Ketten, die Zugbrücke wurde in die Höhe gezogen, das schwere, eiserne Gitter des Thores fiel herab.

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