Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Fünftes Kapitel.

Jurand erwachte in Gegenwart des Pater Kaleb aus seinem langen Schlafe, und da ihm das Bewußtsein seiner Erlebnisse entschwunden, und er auch nicht klar darüber war, wo er sich befand, begann er sein Lager sowie die Wand zu befühlen. Doch Pater Kaleb legte die Arme um ihn, und in helle Thränen ausbrechend sagte er: »Ich bin es! Du bist in Spychow, Bruder Jurand! Gott hat Dich schwer heimgesucht, aber Du bist bei den Deinen. Gottesfürchtige Leute brachten Dich in Deine Burg zurück ... Bruder Jurand! Mein Bruder!«

Und ihn an seine Brust drückend, küßte er seine Stirne, seine leeren Augenhöhlen, küßte ihn wieder und wieder. Jurand war anfangs wie betäubt und schien nichts zu verstehen, schließlich jedoch fuhr er mit seiner Linken über Stirne und Haupt, wie wenn er das auf ihm lastende, verworrene Gefühl dumpfer Betäubung von sich abschütteln wolle.

»Hörst Du mich und verstehst Du mich?« fragte Pater Kaleb.

Jurand gab ein Zeichen mit dem Kopfe, daß er höre, dann streckte er die Hand nach einem silbernen Kruzifixe aus, das er einst von einem reichen deutschen Ritter erbeutet hatte, nahm es von der Wand herab, drückte es an seine Lippen, an seine Brust und überreichte es dem Pater Kaleb.

Dieser aber sagte: »Ich verstehe Dich, Bruder. Ja, er ist Dir geblieben, und wie er Dich aus dem Lande der Gefangenschaft geführt hat, so kann er Dir auch alles zurückgeben, was Du verloren hast.«

Jurand deutete mit der Hand nach oben, zum Zeichen, daß ihm wohl erst dort alles wiedergegeben werde, wobei seine Augenhöhlen von Thränen überflossen und unendlicher Schmerz sich aus seinem entstellten Antlitz malte.

Als Pater Kaleb diese Bewegung und diesen Schmerz sah, glaubte er, daß Danusia nicht mehr am Leben sei, daher kniete er am Lager nieder und sagte: »O Herr, gieb ihr die ewige Glückseligkeit, und möge das ewige Licht ihr leuchten, möge sie ruhen in ewigem Frieden. Amen!«

Da fuhr der Blinde empor und sich auf sein Lager setzend, schüttelte er sein Haupt und bewegte seine Hand hin und her, wie wenn er dem Gebet des Pater Kaleb Einhalt thun wolle. Doch konnten sie sich nicht verständigen, weil in diesem Augenblick der alte Tolima eintrat, dem die Besatzung der Burg, sowie die Bauernvögte – die angesehensten, edelsten Landleute von Spychow – nebst den Forsthütern und Fischern folgten, denn die Kunde von der Rückkehr des Gebieters hatte sich schon durch ganz Spychow verbreitet. Sie umfaßten dessen Knie, küßten seine Hand und brachen in bittere Thränen aus beim Anblick dieses verstümmelten, gebrechlichen Greises, in dem der ehemalige, gewaltige Jurand, der gefürchtete Feind der Kreuzritter, der siegreiche Streiter in jedem Kampfe, kaum mehr zu erkennen war. Doch etliche unter ihnen, namentlich diejenigen, welche ihn bei seinen Kriegszügen zu begleiten pflegten, kannten sich nicht mehr vor Schmerz und Wut, ihre Gesichter wurden bleich, eine unbeugsame Härte drückte sich darin aus. Nach einer Weile traten sie zusammen, begannen miteinander zu flüstern, indem einer den andern mit dem Ellenbogen anstieß, einer den andern vorschob, bis schließlich der zu der Besatzung gehörende Schmied von Spychow, ein gewisser Sucharz, zu Jurand herantrat, dessen Füße umfaßte und sagte: »Als sie Euch hierherbrachten, Herr, wollten wir uns sogleich gen Szczytno aufmachen, aber jener Ritter, welcher Euch brachte, hinderte uns daran. Gestattet es nun, o Herr, denn Rache müssen wir nehmen. Möge es so sein, wie es ehemals

.

... und die leeren Augenhöhlen emporrichtend, hielt er das Kruzifix in die Höhe.

gewesen ist. Ungestraft sollen sie uns nicht beschimpft haben, ungestraft sollen sie uns nicht beschimpfen! ... Unter Eurer Führung zogen wir gegen sie aus, laßt uns auch jetzt unter Tolima oder ohne ihn gegen sie ausziehen. Szczytno wollen wir erobern, und dann muß das Blut dieser Hundsbrut in Strömen fließen, so uns Gott hilft.«

»So uns Gott hilft!« wiederholten einige Stimmen.

»Auf nach Szczytno!«

»Blut muß fließen!«

Und die Flamme der Leidenschaft loderte hoch empor in den Herzen der Masuren. Zähneknirschend, mit gerunzelter Stirne und blitzenden Augen standen sie da. Doch nach wenigen Augenblicken verstummten diese Rufe, diese Zornesausbrüche, und aller Augen richteten sich auf Jurand.

Diesem aber glühten die Wangen, wie wenn die ehemalige Rachsucht, die ehemalige Kampfeslust wieder in ihm erwacht sei. Er richtete sich empor und begann von neuem die Wand zu betasten. Den Mannen dünkte, daß er sein Schwert suche, doch seine Finger berührten das Kreuz, das von Pater Kaleb an die frühere Stelle gehängt worden war.

Er nahm es zum zweiten Mal herab, dann überzog Totenblässe sein Antlitz, er wendete sich gegen die Mannen und die leeren Augenhöhlen emporrichtend, hielt er das Kruzifix in die Höhe.

Ein tiefes Schweigen folgte.

Draußen senkte sich schon der Abend hernieder, durch die offenen Fenster drang das Gezwitscher der Vögel, die sich auf dem Söller der Burg und auf den Lindenbäumen im Hofe zur Ruhe niederließen. Die letzten Strahlen der Sonne erfüllten das Gelaß mit rötlichem Glanze, sie fielen auf das erhobene Kreuz und die weißen Haare Jurands.

Sucharz, der Schmied, blickte zuerst Jurand, dann seine Gefährten an, schaute zum zweiten Mal auf Jurand, bekreuzte sich schließlich und verließ auf den Fußspitzen die Stube. Nach ihm entfernten sich die andern ebenso geräuschlos. Erst als sie im Hofe angelangt waren, blieben sie stehen und begannen miteinander zu flüstern:

»Was soll nun geschehen?«

»Können wir gen Szczytno ziehen, was meint Ihr?«

»Er hat ja seine Einwilligung nicht gegeben!«

»Er stellt Gott die Rache anheim. Offenbar ist auch innerlich eine vollständige Veränderung mit ihm vorgegangen.«

Und so war es in der That!

Bei Jurand in der Stube waren indessen nur Pater Kaleb, sowie der alte Tolima zurückgeblieben, zu denen sich dann noch Jagienka und Anielka gesellten. Diese hatten eine Schar bewaffneter Mannen über den Hof schreiten sehen und kamen nun, um zu erfahren, was vorgehe.

Jagienka, die kecker und selbstbewußter war als die Tochter der Sieciechowa, trat zu Jurand heran.

»Gott stehe Euch bei, Ritter Jurand,« sagte sie. »Wir sind es – wir, die Euch aus Preußen hierhergebracht haben.«

Bei dem Klange ihrer jugendfrischen Stimme verklärte sich sein Gesicht. Offenbar erinnerte er sich noch genau all dessen, was auf der Landstraße von Szczytno vorgegangen war, denn er versuchte zu danken, indem er mit dem Kopfe nickte und einige Male die Hand aufs Herz legte. Und sie erzählte ihm, wie sie ihn getroffen hatten, wie er von dem Böhmen Hlawa, dem Knappen des Ritters Zbyszko erkannt, und wie er schließlich nach Spychow gebracht worden war. Auch sagte sie, daß sie und ihr Gefährte dem Ritter Macko aus Bogdaniec, Zbyszkos Oheim, das Schwert, den Helm und den Schild nachzutragen pflegten, daß dieser Ritter aus Bogdaniec aufgebrochen sei, um seinen Bruderssohn aufzusuchen, daß er sich jetzt nach Szczytno begeben habe, nach drei oder vier Tagen aber wieder nach Spychow zurückkehren wolle.

Bei der Erwähnung von Szczytno geriet zwar Jurand nicht in die gleiche Erregung wie das erste Mal auf der Landstraße, doch drückte sich große Bestürzung aus seinem Gesichte aus. Jagienka versicherte ihn indessen, daß Ritter Macko ebenso schlau wie tapfer sei, daß er sich auch nicht so leicht in eine Falle locken lasse, und daß er außerdem Briefe von Lichtenstein in Händen habe, mit denen er sich überall unbekümmert zeigen könne.

Diese Worte beruhigten Jurand sichtlich. Es war offenbar, daß er gern nach vielen anderen Dingen gefragt hätte und im Innern unsäglich litt, weil er sich außer stande dazu fühlte. Das scharfsinnige Mädchen bemerkte dies sofort und sagte: »Wenn wir häufiger beisammen sind, werden wir uns gut verständigen können.«

Nun lächelte er, streckte tastend die Hand nach ihr aus und legte sie auf ihr Haupt, wie wenn er sie segnen wolle. In der That war er ihr sehr dankbar, aber außerdem that ihm auch ihr jugendfrisches Wesen wohl, und er fand Gefallen an ihrem Geplauder, das ihn an das Gezwitscher eines Vogels erinnerte.

Von dieser Zeit an suchte er nach ihr, wenn er nicht betete – und er betete ganze Tage hindurch – oder nicht in Schlummer versenkt war, befand sie sich aber nicht bei ihm, so sehnte er sich nach ihrer Stimme und gab auf jede Weise dem Pater Kaleb, sowie Tolima zu erkennen, daß er den liebwerten Jüngling in seiner Nähe zu haben wünsche. Sie kam dann sofort, da ihr redliches Herz aufrichtiges Mitleid mit ihm fühlte und ihr zudem bei ihm die Zeit rascher verging, während sie auf Macko wartete, dessen Aufenthalt in Szczytno sich unerwarteter Weise in die Länge zog.

Nach drei Tagen hatte er zurückkehren wollen, aber der vierte und fünfte Tag waren schon vorüber. Am sechsten gegen Abend wollte das von Angst gequälte Mädchen gerade Tolima bitten, einige Mannen zur Kundschaft auszuschicken, als plötzlich von der Wächter-Eiche die Meldung kam, daß zwei Reiter sich Spychow näherten.

Nach wenigen Augenblicken erscholl der Hufschlag von Pferden auf der Zugbrücke und Hlawa mit einem der Mannen aus Mackos Gefolge sprengte in den Vorhof ein. Jagienka, die schon zuvor aus ihrer Stube hinuntergeeilt war und draußen im Freien wartete, lief auf ihn zu, bevor er noch von seinem Rosse absteigen konnte.

»Wo ist Macko?« fragte sie mit klopfendem Herzen.

»Zu Knäs Witold ist er gezogen, und Euch läßt er gebieten, hier zu bleiben,« antwortete der Knappe.


 << zurück weiter >>