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Fünftes Kapitel.

Die Zusammenkunft in dem auf einer der Weichselinseln gelegenen Raciaz, wohin sich der König gegen das Fronleichnamsfest begab, fand unter keinem guten Zeichen statt und führte nicht zu der Einigung und Verständigung über verschiedene Fragen, wie jene, welche zwei Jahre später an demselben Platze zu stände kamen und in welchen der König nicht nur das Gebiet von Dobrzyn wieder erlangte, sondern gleichzeitig mit Dobrzyn auch Bobrowniki, das verräterischer Weise von Opolczyk an die Kreuzritter verpfändet worden war. Gleich bei seiner Ankunft zeigte sich Jagiello höchst ungehalten wegen der Treulosigkeit des Ordens, wegen der Verleumdungen, welche die Kreuzritter an den Höfen West-Europas, ja, in Rom sogar über ihn ausgestreut hatten. Der Großmeister wollte die Angelegenheit in Betreff Dobrzyns nicht berühren, er vereitelte absichtlich jede Gelegenheit dazu, während sowohl er wie andere Würdenträger des Ordens tagtäglich zu den Polen also sprachen: »Wir wünschen weder mit Euch noch mit den Litauern Krieg zu führen, allein Samogitien gehört uns, denn Witold selbst hat es uns übergeben. Versprecht, Witold keine Unterstützung angedeihen zu lassen, dann wird die Fehde mit ihm rascher beendet sein, wodurch wir Lust und Muße gewinnen, mit Euch über Dobrzyn zu reden und Euch diese oder jene Zugeständnisse zu machen.« Doch die Ratgeber des Königs, bei denen sich Verstand mit großer Erfahrung paarte, ließen sich durch diese schönen Worte nicht irre führen. »Sobald Euere Macht wächst, vergrößert sich auch Eure Verwegenheit,« erklärten sie dem Großmeister. »Wohl sagt Ihr, um Litauen handle es sich bei Euch nicht, trotzdem aber wollt Ihr Skirgiello auf den Thron Witolds erheben. Bei dem allbarmherzigen Gotte! Das ist das Erbe Jagiellos, nur er allem hat darüber zu entscheiden, wer in Litauen herrschen soll – deshalb haltet Euch im Zaume, damit unser großer König Euch nicht strafen muß!« Daraufhin entgegnete der Großmeister, es sei Sache des Königs, sofern dieser der wirkliche Herrscher von Litauen sei, Witold zum Friedenschluß zu bringen und Samogitien dem Orden zurückzugeben, andernfalls müsse der Orden, wo und wann er könne, Witold anzugreifen und ihn zu schlagen suchen. In solcher und ähnlicher Weise zogen sich die Unterredungen vom frühen Morgen bis zum späten Abend hin und führten ebensowenig zum Ziele, wie ein Irrweg, der sich beständig im Kreise dreht. Der König, welcher sich zu nichts verpflichten wollte, verlor mehr und mehr die Geduld, so daß er schließlich dem Großmeister darthat, wenn Samogitien sich unter der Herrschaft der Kreuzritter glücklich gefühlt haben würde, hätte Witold auch nicht einen Finger gerührt, wäre doch dann weder ein Grund dazu noch eine Entschuldigung dafür vorhanden gewesen. Zuvörderst bemühte sich der Großmeister jetzt, den König zu besänftigen, denn abgesehen davon, daß er die gewaltige Macht Jagiellos besser kannte, als alle Kreuzritter, war er auch gerechteren und friedliebenderen Sinnes als die anderen Brüder, und ohne das Murren einiger hochmütiger, aufbrausender Komture zu beachten, erging er sich in Schmeichelreden, bemühte er sich, demütig und unterwürfig zu sein. Da sich aber unter dieser scheinbaren Nachgiebigkeit drohende Auflehnung barg, kam keine Einigung zustande. Die wichtigsten Fragen wurden rasch abgethan; schon am zweiten Tage verhandelte man über ganz geringfügige Dinge. Fortwährend ging jedoch dabei der König scharf gegen den Orden vor, den er der Bildung von Räuberbanden, der Ueberfälle an den Grenzen beschuldigte, dem er die Entführung von Jurands Tochter, den Raub des kleinen Jasko aus Kreskow, die Ermordung von Bauern und Fischersleuten zur Last legte. Dagegen erhob nun wieder der Großmeister Einsprache, indem er schwur, er habe nichts von all dem gewußt, indem er behauptete, er sei zu Vorwürfen berechtigt, da nicht nur Witold, sondern auch polnische Ritter den heidnischen Samogitiern gegen die Kreuzritter beigestanden hatten – eine Thatsache, für die er nur Macko aus Bogdaniec zum Beweise anzuführen brauche. Glücklicherweise kannte aber der König durch Powala den Grund, weshalb die Ritter aus Bogdaniec nach Samogitien gezogen waren, und vermochte umso besser die Nichtigkeit dieser Vorwürfe zu beweisen, als sich Zbyszko in seinem Gefolge befand, Arnold und Wolfgang von Baden aber sich dem Großmeister in der geheimen Hoffnung angeschlossen hatten, mit polnischen Rittern innerhalb der Schranken kämpfen zu können.

Doch darin täuschten sie sich. Wohl war es die Absicht der Kreuzritter gewesen, im Falle eines günstigen Verlaufes der Verhandlungen den König nach Thorn einzuladen, wo dann ihm zu Ehren Feste und Waffenspiele veranstaltet worden wären, als aber jede Aussicht auf eine Verständigung scheiterte, schwand mit dem steigenden Aerger, mit der wachsenden Empörung der Wunsch nach Lustbarkeiten. Nur unter einander, in den frühen Morgenstunden, versuchten sich die Ritter ein wenig in Waffengängen, um wechselseitig ihre Kraft, ihre Gewandtheit zu erproben, aber diese Versuche fielen, wie der frohgelaunte Knäs Jamont zu sagen pflegte, nicht nach dem Sinne der Kreuzritter aus, denn Powala aus Taczew erwies sich an Kraft Arnold von Baden weit überlegen, während Dobek aus Olesnika im Kampfe mit dem Speere und Lis aus Targowisko beim Ueberspringen der Pferde alle andern aus dem Felde schlugen. Nun fand auch Zbyszko Gelegenheit, sich mit Arnold wegen des Lösegeldes zu verständigen. De Lorche zwar, der als Graf und vermöge seines hochangesehenen Namens auf Arnold herabsah, legte mit der Erklärung, daß er für alles einstehen werde, gegen irgend welches Abkommen Verwahrung ein, Zbyszko hingegen hielt an der Ansicht fest, seine Ehre als Ritter gebiete ihm, die für das Lösegeld vereinbarte Summe auszuzahlen, und obgleich Arnold sich bereit erklärte, die früher gestellte Forderung herabzusetzen, wollte Zbyszko weder davon, noch von Herrn de Lorches Vermittlung etwas wissen.

Arnold von Baden, ein schlichter Mensch, dessen Hauptvorzug in seiner riesenhaften Körperkraft lag, besaß freilich keine allzugroßen Geistesgaben und war dem Geldgewinn nicht gerade abhold, galt jedoch mit Recht für gutmütig und ehrenhaft. Im Gegensätze zu den meisten Kreuzrittern lag ihm auch jede Arglist fern, er erklärte daher Zbyszko offen, aus welchem Grunde er mit einer Herabsetzung des Lösegeldes einverstanden sei. »Zu einem Vergleiche zwischen dein mächtigen König und dem Großmeister wird es nicht kommen,« meinte er, »allein zur Auswechslung der Gefangenen werden sich die Parteien voraussichtlich verstehen. Ist dies aber der Fall, dann hast Du kein Lösegeld für Deinen Ohm zu bezahlen, und ich würde nichts erhalten. Deshalb ziehe ich es vor, mich mit einer geringeren Summe zu begnügen, denn mein Beutel ist fast immer leer, so daß ich zuweilen kaum drei Krüge Bier im Tage trinken kann, trotzdem ich mich elend fühle, wenn ich mich nicht mit fünf oder sechs zu laben vermag.« Ueber diese Worte geriet Zbyszko in großen Zorn und er erwiderte unverweilt: »Ich bezahle das Lösegeld, weil ich es bei meiner ritterlichen Ehre gelobt habe, ja, ich werde von der Höhe der Summe nicht abgehen, damit Du begreifst, wie hoch unser Wert zu schätzen ist.« Daraufhin zog ihn Arnold an seine Brust, während die polnischen Ritter, sowie die Ordensritter, ihn laut preisend, also sprachen: »Fürwahr, mit Recht trägst Du trotz Deiner Jugend schon die goldenen Sporen, weißt Du doch, was Würde, was Ehre heißt.«

Inzwischen beratschlagten auch der König und der Großmeister in der That über die Auswechslung der Gefangenen, wobei indessen so seltsame Dinge zu Tage traten, daß die Bischöfe und die königlichen Würdenträger darüber sowohl an den Papst und an verschiedene Höfe Schreiben richteten, denn wenn sich auch in den Händen der Polen eine beträchtliche Zahl von Gefangenen befand; so waren dies doch erwachsene Menschen, Männer in der Blüte der Jahre, welche in Schlachten wie auch in Kämpfen an der Grenze in die Hände der Sieger gefallen waren. In der Gewalt der Kreuzritter aber schmachteten Frauen und Kinder, die bei nächtlichen Ueberfällen ergriffen und des Lösegeldes wegen festgehalten worden waren. Selbst der Papst in Rom schenkte nicht nur dieser Thatsache Beachtung, sondern er gab auch, ungeachtet der Bemühungen des klugen, listigen Johann von Felde, welcher als Bevollmächtigter des Ordens an dem Apostolischen Stuhle weilte, seiner Entrüstung und seinem Zorne öffentlich Ausdruck.

Wegen Mackos Auswechslung ergaben sich die größten Schwierigkeiten. Der Großmeister erhob allerlei Einwendungen, wenn schon er dies nur zum Scheine, nur deshalb that, um jedem Zugeständnis ein desto größeres Gewicht zu verleihen. So führte er unter anderm an, ein christlicher Ritter, der gemeinsam mit den Samogitiern gegen den Orden gestritten habe, verdiene den Tod. Vergeblich brachten die Ratgeber des Königs aufs neue all das vor, was sie über Jurand, über Danusia wußten, umsonst schilderten sie die entsetzlichen, von dem Orden über diese beiden und über die Ritter aus Bogdanice hervorgerufenen Leiden. Durch einen merkwürdigen Zufall gebrauchte der Großmeister in seiner Erwiderung fast die gleichen Worte, deren sich die Fürstin Alexandra in ihrer Unterredung mit dem alten Ritter aus Bogdaniec bedient hatte.

»Euch selbst haltet Ihr für Lämmer, wir dünken Euch Wölfe zu sein – und doch ist von den vier Wölfen, welche sich an der Entführung der Tochter Jurands beteiligten, nicht ein einziger mehr am Leben, während die Lämmer nach wie vor ungefährdet in die Welt ziehen.«

Wohl war dies der Fall, allein trotz der Wahrheit dieser Behauptung bemerkte der gerade anwesende Herr aus Taczew: »Traun, das läßt sich nicht bestreiten. Doch sagt, ist einer der Gefallenen durch Verrat zu Grunde gegangen? Hat nicht ein jeder von ihnen, das Schwert in der Hand, den Tod gefunden?«

Darauf wußte der Meister keine Antwort zu geben, und als er sah, wie der König die Brauen zusammenzog, wie dessen Augen blitzten, da gab er nach, wollte er doch den mächtigen Herrscher nicht zum Aeußersten bringen. So einigte man sich denn schließlich dahin, daß von beiden Parteien Gesandte abgeschickt werden sollten, um die Auswechslung der Gefangenen ins Werk zu setzen. Von seiten der Polen wurde Zindram aus Maszkowice, der schon längst gar gern den Hauptsitz der Kreuzritter in der Nähe gesehen hätte, sowie Povala und Zbyszko aus Bogdaniec dazu erwählt.

Knäs Jamont leistete Zbyszko diesen Liebesdienst. Er verwandte sich bei dem König zu dessen Gunsten, von dem Gedanken geleitet, der junge Ritter könne seinen Ohm rascher sehen und dessen Freigebung erlangen, wenn er als Gesandter des Königs für ihn einzutreten vermöge. Jagiello aber ließ selten eine Bitte Jamonts unerfüllt, war doch letzterer durch seinen Frohsinn, seine Güte, seine außergewöhnliche Schönheit und durch seine unendliche Uneigennützigkeit der Liebling des Herrschers, ja des ganzen Hofes geworden. Aus vollem Herzen sprach Zbyszko seinen Dank aus. Jetzt, dessen war er überzeugt, mußte Macko aus den Händen der Kreuzritter entkommen.

»Keiner neidet Dir Deine Stellung bei dem König,« erklärte er Jamont, »sie gebührt Dir, denn nur zum Wohle anderer benützest Du Deine Vertrautheit mit dem Herrscher. Ein besseres Herz als das Deine giebt es nicht mehr auf Erden.«

»Um den König ist es wahrlich gut sein,« entgegnete der Bojar, »trotzdem aber möchte ich lieber gegen die Kreuzritter zu Felde ziehen, und darob beneide ich Dich, daß Du schon gegen sie gekämpft hast.«

Nach kurzem Schweigen fügte er hierauf hinzu: »Der Komtur von Thorn, von Wenden, kam gestern hier an, und heute Abend wirst Du Dich für die Nacht mit dem Großmeister und dessen Gefolge zu ihm begeben.«

»Um dann nach Marienburg aufzubrechen?«

»Um dann nach Marienburg zu ziehen. Hei, der Weg dahin ist nicht weit,« fuhr Jamont hierauf lachend fort, »allein gar angenehm wird Dir die Zeit nicht vergehen, denn die Deutschen haben bei dem König nichts ausgerichtet und gegen Witold werden sie auch nichts durchsetzen. Dieser hat vielleicht schon die ganze litauische Streitmacht gesammelt und zieht nun nach Samogitien.«

»Wenn der König ihn unterstützt, wird es einen gewaltigen Krieg geben.«

»All unsere Ritter flehen Gott den Herrn darum an. Doch selbst wenn der König sich von dem Gedanken leiten ließe, christliches Blut dürfe nicht vergossen werden, würde er Witold mit Korn und Geld versehen, würde gar mancher polnische Ritter aus freien Stücken Witold Heeresfolge leisten.«

»Bei meinem Leben, das wird geschehen!« antwortete Zbyszko. »Und vielleicht ist gerade dies ein Grund für den Orden, dem König den Krieg zu erklären.«

»Daran ist nicht zu denken!« erklärte der Knäs. »Solange der Großmeister lebt, kommt es nicht zum Kriege.«

Und Jamont hatte Recht. Zbyszko kannte den Großmeister schon lange, jetzt aber, auf dem Wege nach Marienburg, konnte er ihn genau beobachten, lernte er ihn erst gründlich kennen, ritt er doch fast stets an dessen Seite gemeinsam mit Zindram aus Maszkowice und Powala aus Taczew. Dieses beständige Zusammensein bestärkte Zbyszko in der Ueberzeugung, daß der Großmeister, Konrad von Jungingen, weder verderbt noch schlecht war. Konrad von Jungingen mußte häufig gegen das Gesetz verstoßen, weil der ganze Orden sich Ungesetzlichkeiten zu schulden kommen ließ. Er mußte Unrecht begehen, weil die Kreuzritter allen Menschen Unrecht zufügten. Er mußte sich zu Lügen verstehen, denn die Lüge war ihm, seit er die Würde eines Großmeisters bekleidete, zur zweiten Natur geworden, und seit Jahren betrachtete er sie nur als ein berechtigtes Hilfsmittel der Staatskunst. Allein er war kein grausamer Mensch, er fürchtete das Gericht Gottes und suchte, so weit es in seiner Macht stand, gegen den Hochmut, gegen die Ueberhebung derjenigen Kreuzritter anzukämpfen, welche zum Kriege gegen den gewaltigen Jagiello drängten. Ein schwacher Mensch war er freilich. Seit Jahrzehnten bereicherte sich der Orden durch Raub an andern, durch widerrechtliches Aneignen von Grenzgebieten, ein verräterisches Vorgehen, dem Konrad nicht nur nicht zu steuern verstand, sondern dem er sogar, von der eigenen unersättlichen Gewinnsucht getrieben, Vorschub leistete. Fern lagen jene Zeiten, in welchen Winrych von Kniprode den Orden in eiserner Zucht hielt und damit die ganze Welt in Staunen setzte. Schon unter dem Vorgänger Konrad von Jungingens, unter Konrad Wallenrode berauschte sich der Orden geradezu an seiner, trotz vereinzelter Niederlagen, stets wachsenden Macht und büßte in solchem Maße durch den Ruhm, den Erfolg, das fortwährende Blutvergießen jede Besonnenheit ein, daß sich die Bande, die ihn zusammenhielten und kräftigten, immer mehr lockerten. Durch die Bemühungen Konrads von Jungingen, für Aufrechterhaltung von Recht und Gerechtigkeit zu sorgen, durch sein Bestreben, so viel er konnte, die Strenge zu mildern, welche die Kreuzritter den Bauern, den Bürgern, ja sogar den Geistlichen und den Edelleuten gegenüber an den Tag legten, die Ordensland zu Lehen hatten, gelangte in der Nähe von Marienburg nicht nur der oder jener Bauer, der oder jener Städter zu Wohlstand, sondern thatsächlich zu Reichtum. In den ferner gelegenen Gegenden spotteten aber die Selbstsucht, die Habgier und die Grausamkeit der Komture jeder Beschreibung. Das Recht ward mit Füßen getreten, Unterdrückung und Gewaltthätigkeit herrschten allenthalben, eigenmächtig wurden Abgaben auferlegt und rücksichtslos der letzte Groschen eingetrieben, ob auch heiße Zähren flossen, ob es auch Blut kostete. Was Wunder daher, daß auf weite Länderstrecken hinaus Not und Elend zum Himmel schrien! Wenn nun auch der Großmeister größere Milde anempfahl, wenn er auch jetzt die Samogitier besser behandelt wissen wollte, was nützte dies in Anbetracht der stets sich auflehnenden Komture, die ihrer angeborenen Grausamkeit die Zügel schießen ließen. Konrad von Jungingen hatte daher die gleiche Empfindung wie ein Wagenlenker, der die Führung der wild gewordenen Pferde verliert und das Gefährte seinem Schicksale überläßt. Gar schlimme Ahnungen quälten ihn deshalb häufig, gar oft kamen ihm die prophetischen Worte in den Sinn: »Ich hatte sie als Arbeitsbienen eingesetzt, ich wies ihnen das Grenzgebiet der christlichen Lande zur Wohnstätte an, sie aber sind gegen mich aufgestanden. Sie erleuchten weder den Geist, noch sorgen sie für den Leib des Volkes, das, seinen Irrwahn abschüttelnd, sich dem katholischen Glauben, sich mir zugewendet hat. Sklaven haben sie aus diesen Menschen gemacht, die sie in Unkenntnis der Gebote Gottes hielten, die sie der heiligen Sakramente beraubten und dadurch schlimmeren Höllenqualen überantworteten, als wenn das ganze Volk dem Heidentume treu geblieben wäre. Die Kriege entfachten sie einzig und allein zur Befriedigung ihrer Habgier. Die Zeit wird daher kommen, in der ihnen die Zähne ausgebrochen werden, in der ihnen die rechte Hand abgehauen wird, in der ihnen der rechte Fuß erlahmt, und in der sie ihre Sünden bekennen.«

Nur zu wohl sah der Großmeister ein, wie gerechtfertigt die Vorwürfe waren, welche die geheimnisvolle Stimme bei einer Vision der heiligen Birgitta gegen den Orden erhoben hatte. Ein auf fremder Erde errichtetes Gebäude, an dem die Thränen Unzähliger hingen, das mit Hilfe von Verleumdung, Verrat und Gewaltthaten aufgebaut worden war – ein solches Gebäude, dies begriff er nur zu gut, konnte nicht standhalten. Er fürchtete, daß dieser seit Jahren von Blut und Zähren untergrabene Bau bei dem ersten Vorstoß der polnischen Macht zusammenbrechen werde, er fühlte, daß ein durch wild gewordene Pferde gezogener Wagen schließlich in den Abgrund stürzen müsse, und deshalb suchte er die Stunde des Gerichtes, der Niederlage, der Vernichtung so lange wie möglich hinauszuziehen. Trotz seiner sonstigen Schwäche blieb er daher in einem Punkte seinen hochmütigen, verwegenen Ratgebern gegenüber unbeugsam: zu einem Kriege mit Polen wollte er sich nicht verstehen. Vergeblich warfen sie ihm Furcht und Mutlosigkeit vor, vergeblich wirkten die an der Grenze ansässigen Komture aus allen Kräften für den Krieg, so oft auch die Flamme auszubrechen drohte, so oft wußte er sie im letzten Augenblicke zu ersticken, um dann jedesmal in Marienburg Gott dafür zu danken, daß es ihm vergönnt gewesen, den Orden vor dem drohend über seinem Haupte hängenden Schwert zu schützen.

Nichtsdestoweniger wußte er, wie unvermeidlich ein solcher Krieg war. Die Erkenntnis, wie wenig der Orden gesunde, Gott wohlgefällige Grundsätze beherzigte, wie seine Macht auf Treulosigkeit und Ungerechtigkeit beruhte, zusammen mit der Ahnung, daß der Tag des Verderbens nahe sei, machten Konrad von Jungingen zu dem unglückseligsten Menschen auf der Welt. Gern hätte er Blut und Leben hingegeben, wenn damit etwas erreicht, wenn der Gerechtigkeit Thür und Thor geöffnet worden wäre, allein er fühlte es wohl, dazu war es nun zu spät. Denn die Umkehr, was würde sie bedeuten? All jenes reiche und fruchtbare Land, welches, Gott weiß wie lange schon, von dem Orden seinen rechtmäßigen Besitzern entrissen worden war, müßte zurückerstattet werden und mit ihm viele wohlhabende Städte. Und dies würde noch nicht einmal genügen! Nein, man müßte auf Samogitien, auf die Einfälle in Litauen verzichten, das Schwert würde in der Scheide rosten und es käme schließlich so weit, daß der Orden sich aus all den Gebieten zurückzöge, in denen niemand mehr zu bekehren war, und sich zum zweiten Male in Palästina ansiedelte, oder auf irgend einer der griechischen Inseln, um das Kreuz gegen wirkliche Sarazenen zu verteidigen. Doch dies war unausführbar, denn damit wäre die Vernichtung des Ordens ausgesprochen gewesen. Und wer hätte sich dazu verstanden, welcher Großmeister würde die Hand dazu bieten? Schwer lasteten fürwahr Kummer und Sorgen auf Konrad von Jungingen, allein trotzdem hätte er einen jeden, der mit einem solchen Vorschlag vor ihn getreten wäre, unter der Annahme, dieser sei seiner Sinne beraubt, in ein dunkles Gelaß sperren lassen. Der Orden mußte auf der nun einmal eingeschlagenen Bahn weiter und weiter schreiten, bis zu dem Tage, an dem ihm von Gott Einhalt geboten ward.

So schritt denn auch der Meister weiter, wenn schon gebeugt und voller Harm. Sein Bart war ergraut, sein Haupthaar an den Schläfen weiß geworden und sein früher so durchdringender Blick barg sich jetzt fast stets unter den schweren, halbgeschlossenen Lidern. Zbyszko bemerkte auch nicht ein einziges Mal, daß ein Lächeln des Meisters Gesichtszüge erhellte. Trotzdem konnte dessen Antlitz weder abschreckend noch finster genannt werden, nein, es trug nur den Stempel tiefen inneren Leides. In seiner Waffenrüstung, auf der Brust ein Kreuz, in dessen Mitte ein schwarzer Adler auf viereckigem Felde prangte, in dem langen, weißen, ebenfalls mit dem Kreuze gezierten Mantel, bot er ein Bild der Würde und der Hoheit, aber auch der Sorge und der Bedrängnis. Konrad war ein lebensfroher, zu allerlei Scherz und Kurzweil aufgelegter Mann gewesen, und selbst jetzt noch zeigte er sich Festen, Schaustellungen und Waffenspielen nicht abhold – im Gegenteil, er nahm stets selbst teil daran. Doch weder inmitten der glänzenden Ritterschar, die sich in Marienburg zusammenzufinden pflegte, noch in dem lauten Getümmel, wenn die Fanfaren ertönten, die Waffen klirrten und die mit Malvasier gefüllten Becher kreisten, fühlte er sich jemals glücklich. Wie sehr auch dann alles um ihn her von Kraft, von Glanz, von unerschöpflichem Reichtum, von unbesiegbarer Macht zu sprechen schien, wie rückhaltlos auch die Gesandten des Kaisers und anderer westlichen Herrscher in den Ruf einstimmten, der Orden könne sich gegen alle Reiche, gegen die ganze Welt behaupten – er allein ließ sich nicht täuschen – er allein vergaß der prophetischen Worte bei der Vision der Heiligen nicht: »Die Zeit wird daher kommen, in der ihnen die Zähne ausgebrochen werden, in der ihnen die rechte Hand abgehauen wird, in der ihnen der rechte Fuß erlahmt, und in der sie ihre Sünden bekennen.«


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