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Die Sonne sank – es stieg ein Stern empor,
O, Geraldine, seit Dein Arm die holde
Gebieterin in süßer Hast umfing.
Coleridge.
Das allgemeine Gerücht irrte, wenn es Evelinen Berengar nach der Einnahme ihres Schlosses in strengerem Gewahrsam glaubte, als unter der Aufsicht ihrer Tante, der Aebtissin des Cistercienser-Klosters. Doch war diese Haft streng genug; denn unverheirathete Tanten, mögen sie Aebtissinnen seyn oder nicht, sind nicht eben sehr nachsichtig gegen jene Art der Verirrung, deren man Evelinen anklagte; und das schuldlose Mädchen war gezwungen, unter bitterer Beschämung und Herzenskränkung ihr tägliches Brod zu verzehren. Jeden Tag ihrer Haft machte der Spott unerträglicher, der ihr bald als Trost, bald als Mitleid oder Ermahnung zu Theil ward, der aber, seines Heuchelscheins beraubt, unverkennbarer, kränkender Hohn war und blieb. Rosens Gesellschaft war der einzige Trost Evelinens in diesen Leiden, und auch sie ward ihr an eben dem Morgen entzogen, wo sich auf Garde Doloureuse so viele Vorfälle von Wichtigkeit ereigneten.
Umsonst befragte die unglückliche Eveline eine grämliche Nonne, welche an Rosens Stelle erschien, ihr bei'm Ankleiden behülflich zu seyn, weshalb man ihr den Beistand ihrer Gefährtin und Freundin entziehe. Die Nonne beobachtete über diesen Punkt ein hartnäckiges Schweigen, ließ aber sonst manche unwillige Aeußerungen fallen über die Wichtigkeit, die man auf den Putz eines staubgeborenen, vergänglichen Geschöpfes lege, und wie traurig es sey, daß selbst eine Braut des Himmels sich gezwungen sähe, ihre Gedanken von höheren Pflichten abzulenken, und sich herablassen müsse, Schnallen zu befestigen und Schleier zu ordnen.
Die Aebtissin erklärte indeß nach der Frühmette ihrer Nichte, daß man ihre Gefährtin nicht blos auf kurze Zeit von ihr entfernt habe, sondern daß dieselbe wahrscheinlich in einem Kloster der strengsten Observanz eingeschlossen werden würde, da sie ihrer Herrin behülflich gewesen sey, Damian von Lacy in ihr Schlafgemach auf dem Schlosse zu Baldringham einzulassen.
Ein Krieger Lacy's, der bisher verschwiegen, was er in jener Nacht auf seinem Posten bemerkte, hatte jetzt in Damians Unglücke die Mittheilung dieser Geschichte zu seinem Vortheile zu nützen geglaubt. Dieser neue Schlag, so unerwartet und kränkend diese neue Beschuldigung, so schwierig sie zu erklären, so schwer sie zu läugnen war, schien Evelinen ihres Geliebten Schicksal, wie ihr eigenes, unwiderruflich zu bestimmen, während der Gedanke, ihre hochherzige, treue Gefährtin in ihr Verderben gleichfalls verwickelt zu haben, den trostlosen Zustand ihrer Seele bis zu einer Art von muthloser Verzweiflung steigerte.
»Denkt von mir, was Ihr wollt,« sagte sie zu ihrer Tante, »ich will mich nicht länger vertheidigen. Sagt, was Ihr wollt, ich werde nichts mehr erwiedern. Führt mich hin, wohin es Euch beliebt, ich werde nicht länger widerstreben. Gott wird zur rechten Zeit meine Unschuld offenbaren – möge er meinen Verfolgern vergeben!«
Nach diesen Worten brachte Eveline, bleich, kalt und schweigend, mehrere Stunden dieses traurigen Tages damit zu, daß sie auf den leisesten Wink der Aebtissin oder ihrer dienenden Schwestern von der Kapelle zum Refektorium, von dem Refektorium wieder zur Kapelle schlich. Sie schien sogleich die mannigfachen Entbehrungen, Bußen, Ermahnungen und Vorwürfe nicht mehr zu empfinden, als eine marmorne Bildsäule die unfreundliche, rauhe Luft oder die Regentropfen fühlt, die sie mit der Zeit vernichten und zerstören.
Die Aebtissin, welche ihre Nichte liebte, wiewohl sich ihre Neigung öfters auf eine belästigende Weise zeigte, ward endlich unruhig, und den Befehl zurücknehmend, Evelinen in eine schlechtere Zelle zu führen, ließ sie in ihrer eigenen Gegenwart ihre Nichte zu Bette bringen, welches die junge Lady, wie alles andere um sich her, gänzlich ohne Theilnahme geschehen ließ. Mit einem Benehmen, das einer wieder auflebenden Zärtlichkeit glich, küßte die Aebtissin ihre Nichte, und ertheilte ihr, als sie das Zimmer verließ, ihren Segen. Dieser Beweis der Güte, so gering er war, so unerwartet kam er Evelinen, und, gleich dem Stabe Moses, eröffnete er ihr die verborgenen Quellen. Eveline weinte – ein Trost – der ihr an diesem Tage versagt geblieben war – sie betete – und endlich ward sie, einem Kinde gleich, von ihren Thränen in Schlummer gewiegt, mit einigermaßen beruhigtem Gemüthe, daß sie sich dieser natürlichen Regung hatte hingeben können.
Sie erwachte mehrmals in der Nacht, von finstern und verworrenen Träumen aufgeschreckt, die bald von klösterlichen Zellen, Schlössern, Begräbnissen, Hochzeiten, bald von Kronen, Foltern und Richtstätten handelten. Gegen Morgen sank sie indeß in einen sanftern Schlummer, als er ihr bisher zu Theil geworden war, und ihre Träume hatten ebenfalls einen milderen Charakter. Unsere Frau von Garde Doloureuse schien auf sie herab zu lächeln und ihrer Geweihten Schutz zu geloben. Auch der Schatten ihres Vaters schwebte an ihr vorüber, und mit der Kühnheit einer Träumenden betrachtete sie die väterliche Gestalt zwar ehrfurchtsvoll, doch ohne Furcht. Seine Lippen bewegten sich, und sie vernahm Worte, deren Sinn sie zwar nicht fassen konnte, die ihr aber Hoffnung, Trost und nahes Glück zu verkünden schienen. Auch glitt leise ein Schatten hinein, dessen glänzendes, blaues Auge sich auf sie richtete. Ein Unterkleid von saffrangelber Seide, mit einem hellblauen, alterthümlichen Mantel, umfloß diese weibliche Gestalt, die mit jedem zarten Reize einer schönen Gesichtsbildung ausgestattet war. Sie glaubte die Brittin Wanda zu erkennen; allein in ihren Zügen lag kein Ausdruck von Rache mehr. Ihr langes, gelbes Haar flog nicht mehr aufgelöst um ihre Schultern, sondern war geheimnißvoll mit Eichenlaub und Mispeln geschmückt. Vor Allem aber reichte sie freundlich die rechte Hand unter ihrem Mantel hervor, und es war eine unverstümmelte, unverletzte, schön geformte Hand, welche Evelinens Finger drückte. Doch ein banger Schauer durchfuhr sie, selbst bei diesen günstigen Vorzeichen, als die Erscheinung folgende Worte zu singen oder zu wiederholen schien:
»Als Jungfrau Weib, als Gattin Wittwe;
Verlobt, Verrätherin und selbst verrathen.
Erfüllt ist völlig nun die Prophezeihung;
Die Leiden Wanda's sind gerochen,
Dir ist verzieh'n, wie sie's versprochen.«
Sie beugte sich, als ob sie Evelinen küssen wollte, die in diesem Augenblicke auffuhr und erwachte. Ihre Hand ward wirklich sanft gedrückt von einer andern, die so zart und weich war, als ihre eigene. Das schöne, gelbe Haar, die blauen Augen eines schönen, weiblichen Gesichts, mit halb verschleiertem Busen und aufgelösten Locken, näherte sich in der That den Lippen der schönen Schläferin in dem Augenblicke, wo sie erwachte. Allein es war Rose, welche sie mit ihren Armen umschloß, ihr Antlitz mit Thränen benetzte, und es mit Küssen bedeckte.
»Was heißt das, Rose?« fragte Eveline. »Gott sey Dank, daß ich Dich wieder habe! Aber was bedeuten diese hervorströmenden Zähren?«
»Laßt mich weinen,« sagte Rose, »laßt mich weinen. Es ist lange her, daß ich nicht vor Freuden geweint habe, und hoffentlich soll es lange dauern, ehe ich vor Kummer weine. Wir haben neue Nachrichten von Garde Doloureuse – Amelot brachte sie – er ist in Freiheit,– auch sein Gebieter ist es, der bei Heinrich hoch in Gunst steht. Ihr sollt noch mehr vernehmen, doch laßt es mich nicht zu schnell Euch mittheilen. Ihr werdet bleich« –
»Nicht doch,« versetzte Eveline, »fahre fort– fahre fort – ich denke, ich verstehe Dich – ich glaube es gewiß.«
»Der schlechte Randal von Lacy, der Urheber aller unserer Leiden, wird Euch nicht länger quälen. Er ward getödtet durch einen ehrlichen Walliser, und es dauert mich sehr, daß sie den Mann für den guten Dienst aufgehenkt haben. Aber vor Allem ist der wackere, alte Konstabel heimgekehrt von Palästina, eben so achtungswerth als sonst, und noch etwas klüger, als er früherhin war, denn es heißt, daß er der Verbindung mit Ew. Herrlichkeit entsagen will.«
»Albernes Mädchen,« sagte Eveline, eben so sehr erröthend, als sie früherhin erblaßte; »scherze nicht bei einer solchen Erzählung. Ist dies wirklich wahr? – Ist Randal erschlagen und der Konstabel zurückgekehrt?«
Hastige Fragen, schnell und verworren beantwortet, und von Ausrufungen des Erstaunens und Danks gegen den Himmel und Unsere Frau von Garde Doloureuse begleitet, folgten nun rasch auf einander, bis das Uebermaß des Entzückens sich in eine Art von ruhiger Verwunderung verlor.
Indeß erwarteten auch Damian von Lacy Aufklärungen, und die Art, wie er sie empfing, hatte etwas Ungewöhnliches. Den Ort, welchen er bewohnte, würde man in unsern Tagen einen furchtbaren Kerker genannt haben, während er in jener Zeit nur ein Gefängniß hieß. Man kann uns vielleicht tadeln, daß wir die Wohnung und Nahrung gemächlicher und wohlschmeckender einrichten, als die Gefangenen beides durch ehrlichen Erwerb in voller Freiheit erreichen könnten: allein dies ist ein verzeihlicher Irrthum in Vergleich mit der Sitte unserer Vorfahren, die den Angeklagten und Ueberwiesenen in Eine Klasse stellend, jenen vor dem Urtheile schon auf eine Art behandelten, die nach der anerkannten Schuld als strenge Strafe gelten könnte. Damian ward demnach, trotz seiner Geburt und seines hohen Standes, wie der schändlichste Verbrecher behandelt, in schwere Fesseln geschmiedet und mit der allergröbsten Nahrung versehen. Nur der Trost war ihm geblieben, sein Elend in einer einsamen Zelle zu beweinen, deren jämmerliches Geräthe aus einem erbärmlichen Lager und einem zerbrochenen Tische und Sessel bestand. Ein Sarg, auf dem sein eigenes Wappen gemalt war, stand in einer Ecke, ihn an sein herannahendes Schicksal erinnernd; ein Kruzifix befand sich in der andern, um ihn daran zu mahnen, daß es eine Welt gäbe außer derjenigen, die sich nun bald für ihn verschließen werde. Kein Geräusch vermochte die eiserne Stille seines Kerkers zu durchdringen, kein Gerücht, das sein eigenes Geschick oder seiner Freunde Schicksal betraf. Angeklagt, mit den Waffen, die er gegen den König erhob, gefangen worden zu seyn, fiel er dem Kriegsgesetze anheim, und konnte selbst ohne die Förmlichkeit eines Verhörs hingerichtet werden. Auch erwartete er in der That keinen mildern Ausgang seiner Gefangenschaft.
Diese traurige Wohnung hatte ihm fast einen Monat lang zum Aufenthalte gedient, als, so seltsam es scheinen mag, seine Gesundheit, die durch die Wunden beträchtlich gelitten hatte, allmälig sich wieder herzustellen anfing – sey es nun, daß die strenge Diät, zu der er gezwungen war, günstig darauf wirkte, oder war es eine Folge der Gewißheit seines Schicksals, die, so traurig sie seyn mag, manchen Charakteren leichter zu ertragen wird, als der fieberhafte Kampf zwischen Leidenschaft und Pflicht. Allein das Ziel seiner Verhaftung schien sich plötzlich seinem Ende zu nahen. Sein Kerkermeister, ein mürrischer Sachse aus der niedrigsten Klasse, fing an ihn wortreicher, als es seine Gewohnheit war, zu ermahnen, daß er sich auf einen schleunigen Wechsel seiner Wohnung gefaßt machen möchte, und der Ton, womit er sprach, überzeugte den Gefangenen, daß er keine Zeit zu verlieren habe. Er verlangte einen Beichtvater, und aus dem Benehmen des Kerkermeisters, wiewohl er sich ohne Antwort entfernte, konnte er schließen, daß man seine Bitte erfüllen würde.
Am folgenden Morgen wurde Damian ungewöhnlich früh durch das Klirren und Stöhnen der Angeln und Riegel aus einem unruhigen Schlummer geweckt, der etwa zwei Stunden gedauert haben mochte. Seine Augen hefteten sich auf die langsam sich öffnende Thür, in der Erwartung, den Henker und seine Gehülfen zu erblicken; allein der Kerkermeister führte einen starken, kräftigen Mann in einem Pilgerkleide herein.
»Bringst Du mir einen Geistlichen, Wärter?« fragte der unglückliche Gefangene.
»Er kann die Frage am besten selbst beantworten!« erwiederte der grämliche Beamte, sich sogleich entfernend.
Der Pilger blieb in dem Kerker stehen, mit dem Rücken gegen das kleine Fenster gewendet, durch welches die Zelle matt erleuchtet ward. Er heftete einen durchdringenden Blick auf Damian, der auf dem Rande seines Bettes saß. Seine bleichen Wangen und verwirrten Haare standen in trauriger Uebereinstimmung mit seinen eisernen Ketten. Er starrte seinerseits den Pilger an, doch konnte er bei dem unvollkommenen Lichte nur so viel bemerken, daß der Fremde ein kräftiger Greis sey, dessen Hut Muscheln schmückten, als Zeichen, daß er jenseits des Meeres gewesen sey. Auch trug er einen Palmzweig in der Hand, um anzudeuten, daß er das heilige Land besucht habe.
»Heil und Segen mit Euch, ehrwürdiger Vater,« sagte der Jüngling; »seyd Ihr ein Priester, der hieher kommt, mein Gewissen von seiner Last zu befreien?«
»Ich bin kein Geistlicher,« erwiederte der Pilger, »ich bin ein Mann, der Euch traurige Nachrichten bringt.«
»Ihr bringt sie einem Wesen, dem die Freude schon lange fremd war, und einem Orte, der sie nie kannte,« versetzte Damian.
»Um so eher kann ich meine Mittheilung wagen,« sagte der Pilger. »Wer sich in einer betrübten Lage befindet, wird leichter böse Nachrichten anhören, als derjenige, den sie im Besitze des Glücks und der Zufriedenheit überraschen.«
»Aber selbst die Lage des Unglücklichen,« versetzte Damian, »kann noch schmerzlicher werden durch Ungewißheit. Darum bitte ich Euch, ehrwürdiger Herr, das Schlimmste auszusprechen. Kommt Ihr hieher, um dieser zerbrechlichen Hülle das Todesurtheil zu verkünden, so möge Gott der Seele gnädig seyn, die gewaltsam von ihr getrennt wird!«
»Ein Auftrag dieser Art ward mir nicht,« entgegnete der Pilger, »Ich komme aus dem heiligen Lande, und bedaure um so mehr, Euch so zu finden, weil meine Sendung an einen freien und wohlhabenden Mann lautete.«
»Diese Ketten mögen Euch meine Freiheit, dieses Zimmer meinen Reichthum erklären. Aber verkünde Deine Neuigkeiten. Sollte mein Oheim, den Deine Mittheilung, wie ich fürchte, betrifft, meines Vermögens oder meines Arms bedürfen, so habe ich diesen Kerker und diese Schmach noch nie bitterer gefühlt, als eben jetzt.«
»Euer Oheim, junger Mann,« sagte der Pilger, »Ist ein Gefangener – ein Sklave sollte ich sagen, des großen Sultans, dem er in die Hände fiel bei einer Schlacht, worin er sich selbst sehr hervorthat, wiewohl es ihm nicht möglich war, die Niederlage, womit sie endete, abzuwenden. Bei Deckung des Rückzuges ward er gefangen genommen, doch erst, nachdem er zu seinem Unglücke, wie es sich zeigte, Hassan Aly, einen Liebling des Sultans, getödtet hatte. Der grausame Heide ließ den würdigen Ritter in schwerere Ketten als die, welche Euch drücken, schmieden, und dieser Kerker ist gegen den, worin er schmachtet, ein Pallast. Der Ungläubige war Anfangs entschlossen, den tapfern Konstabel den furchtbarsten Tod erleiden zu lassen, den seine Peiniger nur ersinnen konnten; da er indeß hörte, daß Hugo ein Mann von großem Einflusse und Vermögen sey, so forderte er ein Lösegeld von zehntausend goldenen Byzantinern. Euer Oheim erwiederte, man werde ihn ganz arm machen und zum Verkaufe aller seiner Güter nöthigen: ja es müsse ihm zuvor auch Zeit gestattet werden, sie in Geld umzusetzen. Der Sultan äußerte, ihm liege wenig daran, ob ein Christenhund wie der Konstabel, reich oder arm sey, und er bestehe deshalb auf den vollen Betrag des Lösegeldes. Doch ließ er sich so weit herab, die Zahlung in drei Terminen annehmen zu wollen, unter der Bedingung, daß zugleich mit dem ersten Drittel des Preises der nächste Verwandte und Erbe Lacy's ihm als Geißel für die noch rückständige Schuld ausgeliefert werde. Unter dieser Bedingung war er Willens, Euern Oheim in Freiheit zu setzen, sobald Ihr in Palästina mit dem Golde anlangtet.«
»Nun darf ich mich in der That unglücklich nennen,« rief Damian, »daß ich meiner Pflicht und der Liebe zu meinem edlen Oheim, der mich stets so väterlich in meiner verwaisten Lage behandelt, nicht Genüge leisten kann.«
»Auch den Konstabel wird dies ohne Zweifel schwer drücken,« sagte der Pilger, »da er sich ungemein sehnte, in diese glücklichen Gegenden zurück zu kehren, um einen Heirathskontrakt zu vollziehen, den er mit einem sehr reichen und schönen Fräulein eingegangen war.«
Damian erschrack so heftig, daß seine Ketten rasselten, doch erwiederte er nichts.
»Wenn er nicht Euer Oheim wäre, und sehr bekannt als ein einsichtsvoller Mann,« fuhr der Pilger fort, »so würde ich meinen, er handle nicht ganz klug in dieser Sache. Was er auch immer vor seiner Abreise von England seyn mochte, zwei Sommer in den Kriegen Palästina's zugebracht, ein dritter unter den Martern und Entsagungen eines heidnischen Gefängnisses – Alles dies hat ihn zu einem trübseligen Bräutigam gemacht.«
»Schweig, Pilger!« rief Damian mit gebieterischem Tone. »Es ziemt Dir nicht, einen so edlen Ritter, als mein Oheim ist, zu tadeln, noch schickt es sich für mich, Deinen Worten Gehör zu geben«
»Ich bitte um Verzeihung, junger Mann,« versetzte der Pilger: »ich sprach nicht ohne alle Rücksicht für Euer Bestes. Es würde nicht eben gut für Euch seyn, dünkt mich, wenn Euer Oheim eigene Leibeserben erhielte.«
»Schweig, niedrig denkender Mensch!« rief Damian.
»Bei Gott, diese Zelle ist mir nie widriger gewesen, als jetzt, wo sich ihre Thür einem solchen Rathgeber öffnete, und gehässiger als je sind mir meine Ketten, da sie mich hindern, ihn zu züchtigen. – Fort, ich bitte Dich d'rum!«
»Nicht eher, als bis ich Antwort in Betreff Eures Oheims erhalten habe,« versetzte der Pilger. »Mein Alter verachtet den Zorn der Jugend, wie der Felsen den Schaum des ihm entgegenplätschernden Baches.«
»So sagt meinem Oheim,« antwortete Damian, »daß ich ein Gefangener bin – sonst würde ich zu ihm eilen; daß ich meines Vermögens beraubt, und ein Bettler bin – sonst würde ich ihm mein Alles senden.«
»Dergleichen tugendhafte Vorsätze sind leicht und keck ausgesprochen,« sagte der Pilger, »wenn derjenige, welcher sie äußert, wohl weiß, daß er nicht aufgefordert werden kann, die Prahlerei seiner Zunge durch die That zu vergüten. Aber könnte ich Dir die Wiederherstellung Deiner Freiheit und Deines Vermögens verkünden, so wurdest Du, glaube ich, wohl noch einmal klüglich überlegen, ob Du das Opfer vollbringen solltest, welches Du in Deiner jetzigen Lage so schmeichelnd versprichst.«
»Ich bitte Dich, verlaß mich, alter Mann,« entgegnete Damian. »Du kannst den Inhalt meiner Gedanken nicht fassen. Gehe und kränke mich in meinem Unglücke nicht noch durch Beleidigungen, die ich nicht zu rächen vermag.«
»Doch, wenn es nun in meiner Gewalt stände, Dich zum freien, begüterten Manne zu machen, würde es Dir dann gefallen, Dich an Deine prahlerischen Versprechungen zu erinnern? Wenn dem nicht so wäre, so kannst Du Dich auf meine Verschwiegenheit verlassen. Nie werde ich die verschiedenen Empfindungen des gefangenen und des in Freiheit gesetzten Damians erwähnen.«
»Wie meinst Du das? Hast Du vielleicht irgend eine andere Absicht, außer der, mich zu quälen?« sagte der Jüngling.
»Wisse,« entgegnete der Pilger, indem er eine Pergamentrolle, an der ein schweres Siegel befestigt war, hervorzog, »wisse, daß Dein Vetter Randal auf höchst seltsame Weise getödtet ward, und daß seine Verrätherei gegen den Konstabel und Dich eben so seltsam an den Tag gekommen ist. Zur Vergütung Deiner Leiden hat Dir der König völligen Pardon gewährt, und Dich mit einem Drittel der reichen Besitzungen belehnt, die durch Randals Tod der Krone zugefallen sind.«
»Hat der König mir auch meine Freiheit wiedergegeben?« rief Damian.
»Du bist frei von diesem Augenblicke an,« versetzte der Pilger. »Blicke auf dies Pergament, betrachte des Königs Handschrift und Siegel.«
»Ich muß bessere Beweise haben. – Hieher!« rief Damian, laut mit seinen Ketten klirrend, »hieher, Du verstockter Wärter, Du Sohn einer sächsischen Wolfshündin.«
Der Pilger unterstützte durch sein Pochen an die Thüre Damians Bemühungen, den Kerkermeister herbei zu rufen, der endlich eintrat.
»Wärter,« rief Damian von Lacy mit ernstem Tone, »bin ich noch Dein Gefangener oder nicht?«
Der mürrische Kerkermeister heftete einen fragenden Blick auf den Pilger, und äußerte dann gegen Damian, daß er ein freier Mann sey.
»Der Tod werde Dir zu Theil, Sklave!« rief Damian. »Warum drücken denn noch diese Fesseln die Glieder eines normännischen Edlen? Jeder Augenblick, in welchem sie ihn noch belasten, wiegt die lebenslängliche Leibeigenschaft eines solchen Sklaven, wie Du es bist, auf.«
»Eure Fesseln sind bald gelöst, Sir Damian,« sagte der Kerkermeister; »ich bitte Euch, habt einige Geduld, und erinnert Euch, zehn Minuten früher hattet Ihr noch wenig Recht, daran zu denken, daß diese Armbänder Euch zu irgend einem andern Behufe abgenommen werden könnten, als zu Eurem Gange zur Richtstätte.«
»Schweig,« Elender!« rief Damian, »und eile! – Du aber, der mir diese günstige Nachricht überbrachte, ich vergebe Dir Dein früheres Betragen. Ohne Zweifel hieltest Du es für räthlich, mir während meiner Gefangenschaft Versprechungen zu entlocken, die ich Ehren halber erfüllen mußte, wenn ich mich in Freiheit befände. Dieser Argwohn gegen mich ist allerdings einigermaßen kränkend, allein Deine Absicht war, die Freiheit meines Oheims zu sichern.«
»Ist es wirklich Euer Vorsatz,« sagte der Pilger, »die wiedergewonnene Freiheit zu einer Reise nach Syrien anzuwenden, und Euer Gefängniß mit dem Kerker des Sultans zu vertauschen?«
»Wenn Du selbst mein Führer werden willst, so sollst Du mich auf dem Wege keiner Säumniß anklagen.«
»Und das Lösegeld,« fuhr der Pilger fort, »wie soll das herbeigeschafft werden?«
»Wie anders, als vermittelst der Güter, die dem Namen nach mir zurückgegeben, meinem Oheim nach Recht und Billigkeit wirklich gehören, und zuerst zu seinem Vortheile verwendet werden müssen. Ich müßte mich sehr irren, wenn irgend ein Jude oder Lombarde Bedenken tragen sollte, die erforderlichen Summen gegen solche Sicherheit vorzuschießen. – Deshalb eile, Hund!« fuhr er fort, indem er sich zu dem Kerkermeister wandte, »eile, daß Du mit dem Aufschließen und Abnehmen der Schlösser und Klammern fertig wirst, und fürchte Dich nicht, mir einigen Schmerz zu verursachen, wenn Du mir nur kein Glied zerbrichst.«
Der Pilger sah einen Augenblick vor sich hin, als ob er sich über Damians Entschluß wundere. Dann aber rief er: »Ich kann das Geheimniß des alten Mannes nicht länger bewahren; ein so hochherziger Edelmuth möge nicht verschwiegen werden. Höre mich, wackerer Sir Damian! Ich habe noch ein wichtiges Geheimniß Dir zu vertrauen, das ich Dir jetzt füglich mittheilen kann, da dieser sächsische Bauer kein Französisch versteht. Wisse, daß Dein Oheim sich in seinen Gesinnungen eben so geändert hat, als sein Körper schwach und hinfällig geworden ist. Eifersucht und Mißmuth haben ein Herz eingenommen, welches einst hochsinnig und männlich war. Sein Leben geht auf die Neige und es schmerzt mich, es gestehen zu müssen, die Hefen sind bitter und verdorben.«
»Ist dies Dein wichtiges Geheimniß?« versetzte Damian. »Daß Menschen alt werden, weiß ich, wenn aber mit der körperlichen Gebrechlichkeit Geistes- und Charakterschwäche zugleich eintritt, so nimmt ein solcher Fall um so mehr die pflichtmäßigen Rücksichten derjenigen in Anspruch, die durch Blutsverwandtschaft oder Neigung an sie gekettet sind.«
»Ja, aber des Konstabels Geist ist wider Dich eingenommen durch Gerüchte, die von Englands Küste ihm zu Ohren drangen, daß zwischen Dir und seiner verlobten Braut, Eveline Berengar, ein Liebesverhältniß Statt gefunden hätte. Ha! Habe ich jetzt den rechten Fleck getroffen?«
»Nicht im Mindesten,« rief Damian, alle Kraft aufbietend, womit seine Rechtlichkeit ihn zu unterstützen vermochte. »Der Bursche da berührte nur mein Schienbein etwas unsanft mit seinem Hammer. Doch weiter! Mein Oheim vernahm also einen solchen Bericht und maß ihm Glauben bei?«
»Das that er,« entgegnete der Pilger, »ich kann es verbürgen, da er keinen Gedanken vor mir geheim hielt. Allein er bat mich, sorgfältig seinen Argwohn vor Euch zu verhehlen, sonst, sagte er, würde der junge Wolf zur Befreiung des alten sich schwerlich in die Falle wagen. Wäre er einmal in meinem jetzigen Gefängnisse, fuhr Euer Oheim fort, so mag er vermodern und sterben, ehe ich einen Pfennig zur Befreiung des Liebhabers meiner verlobten Braut sende.«
»Dies hätte mein Oheim im Ernste gemeint?« rief Damian ganz erstarrt. »Hätte er einen solchen verrätherischen Plan gegen mich schmieden sollen, mich in dem Kerker verschmachten zu lassen, in welchen ich zu seiner Erlösung eilte? Nein! das ist unmöglich!«
»Schmeichelt Euch nicht mit trügerischen Hoffnungen,« sagte der Pilger. »Geht Ihr nach Syrien, so ist ewige Gefangenschaft Euer Loos, indeß Euer Oheim zum Besitze seiner wenig verminderten Reichthümer und – Evelinens zurückkehrt.«
»Ha!« rief Damian, einen Augenblick auf den Boden hinstarrend. Dann fragte er den Pilger mit unterdrückter Stimme, was er ihm in diesem äußersten Falle zu thun rathe.
»Die Sache ist, meiner geringen Meinung zufolge, ganz einfach,« versetzte der Pilger. »Niemand ist zur Treue gegen diejenigen verpflichtet, die sie gegen ihn nicht beobachten. Kommt diesem Verrath Eures Oheims zuvor. Möge er sein kurzes, gebrechliches Daseyn in jenem verpesteten Kerker enden, zu welchem er Eure jugendliche Kraft verdammen will. Die königliche Belehnung hat Euch hinlängliche Ländereien zu Eurem anständigen und ehrenvollen Unterhalte angewiesen; warum wollt Ihr sie nicht mit dem Gebiete von Garde Doloureuse vereinigen? Irre ich nicht sehr, so sagt Eveline Berengar schwerlich Nein, und ich will meine Seele verwetten, daß sie Ja sagt, denn ich kenne ihre Gesinnungen sehr genau. Was ihre Verlobung anlangt, so reicht ein Wort König Heinrichs an Se. Heiligkeit, jetzt, wo sie so ganz mit einander versöhnt sind, völlig hin, von dem Pergamente den Namen Hugo augenblicklich zu verwischen, und den Namen Damian an seine Stelle zu setzen.«
»Nun, bei meiner Treue!« rief Damian, sich aufrichtend und den Fuß auf den Stuhl setzend, damit der Kerkermeister bequemer den letzten Kettenring abstreifen konnte, »ich habe von ähnlichen Dingen gehört – von Wesen, die mit scheinbar würdigem Aeußern und ihm entsprechenden Worten, mit schmeichelnden Reden, die sie listig den Schwächen der menschlichen Natur anzupassen wußten, die Zellen verzweifelnder Menschen heimsuchten, und lockende Versprechungen machten, um ihnen ihr Seelenheil zu rauben. Das sind des Satans theuerste Gehülfen, auf solche Art pflegt der Böse selbst zu erscheinen. Im Namen Gottes, alter Mann, hinweg mit Dir, wenn Du ein sterbliches Wesen bist! Ich liebe weder Deine Worte, noch Deine Gegenwart. Ich verachte Deine Rathschläge, und nimm Dich in Acht!« fügte er mit einer drohenden Bewegung hinzu, »in wenig Augenblicken bin ich frei!«
»Knabe!« entgegnete der Pilger, in dem er sich verächtlich in seinen Mantel hüllte, »ich spotte Deiner Drohung und verlasse Dich nicht, bis wir uns besser kennen.«
»Ich möchte ebenfalls wissen, ob Du Mensch oder Teufel bist!« rief Damian, »und jetzt gleich will ich es untersuchen!« Während dieser Worte fiel die letzte Fußschelle rasselnd auf den Boden, und in demselben Augenblicke auf den Pilger zuspringend, packte er ihn beim Kragen und rief, nachdem er dreimal mit verzweiflungsvoller, doch fruchtloser Anstrengung versucht hatte, ihn empor zu heben und zu Boden zu strecken: »Dies für die Verläumdung eines Edelmannes – dies für die Zweifel an der Ehre eines Ritters – und dies« – hier verdoppelte er seine Kraft – »für die Schmähung einer Dame!«
Jede Anstrengung Damians schien hinreichend, einen Baum zu entwurzeln; doch wenn sie auch den alten Mann beinahe zum Wanken brachten, so vermochten sie doch nicht, ihn zu Boden zu strecken, und während Damian nach dem letzten Angriffe erschöpft keuchte, rief der Pilger: »Und Du nimm dies dafür, daß Du Deines Vaters Bruder so rauh und unfreundlich behandelst!«
Bei diesen Worten ward Damian, obgleich der kraftvollste, jugendlichste Ringer in Cheshire, ziemlich unsanft auf den Fußboden des Kerkers hingestreckt. Langsam und starr vor Verwunderung richtete er sich empor. Der Pilger hatte unterdessen seine Kappe zurückgeworfen, und Damian erkannte die durch Alter und Klima zwar etwas entstellten, doch deutlichen Züge seines Oheims, des Konstabels, der ruhig äußerte: »Mich dünkt, Du bist stärker, oder ich bin schwächer geworden, seit meine Brust sich zuletzt in den berühmten Kampfspielen unseres Vaterlandes an die Deinige preßte. Bei Deinem letzten Angriffe hättest Du mich beinahe niedergeworfen, wenn ich nicht des alten Lacy's Kunstgriffe so gut gekannt hätte, als Du selbst. Aber, warum beugst Du Dein Knie? – Denke nicht, theurer Neffe,« fuhr er fort, indem er ihn mit vieler Zärtlichkeit aufhob und seine Wange küßte, »daß ich in meiner letzten Verkleidung die Absicht hatte, Deine Treue, an der ich nie gezweifelt, auf die Probe zu stellen; aber böser Leumund war geschäftig, und dies bewog mich zu einem Versuche, dessen Erfolg, wie ich erwartete, sehr ehrenvoll für Dich ausfiel. Wisse also – denn diese Mauern haben zuweilen Ohren im buchstäblichen Sinne – nicht sehr entfernt von uns haben Augen und Ohren das hier Vorgefallene genau beobachtet. Meiner Treu', ich wollte, Du hättest es nicht so ernstlich gemeint mit Deinem letzten Angriffe, denn meine Rippen fühlen den Druck Deiner Knöchel.«
»Mein theurer, geehrter Oheim,« versetzte Damian, »entschuldigt, wenn ich« – –
»Hier ist nichts zu entschuldigen,« entgegnete sein Oheim, ihn unterbrechend. »Haben wir nicht schon früher mit einander gerungen? – Aber Dir steht noch eine Prüfung bevor. Eile schnell aus dieser Höhle und lege Deinen besten Schmuck an, Damian, um mich gegen Mittag in die Kirche zu begleiten; denn Du mußt zugegen seyn bei der Vermählung der Lady Eveline Berengar.«
Dieser Vorschlag schlug den unglücklichen Jüngling auf einmal zu Boden. »Um des Himmels willen,« rief er aus, »erlaßt mir das; ich bin vor kurzem schwer verwundet worden, und fühle mich noch sehr schwach.«
»Das können meine Knochen bezeugen,« rief sein Oheim. »Du hast die Kraft eines norwegischen Bären.«
»Die Leidenschaft mag mir augenblickliche Kräfte verliehen haben,« versetzte Damian, »fordert indeß alles andere von mir, theurer Oheim, nur dies nicht. Mich dünkt, wenn ich gefehlt, wäre irgend eine andere Strafe hinreichend.«
»Ich sage Dir,« entgegnete der Konstabel, »daß Deine Gegenwart nothwendig – durchaus nothwendig ist. Seltsame Gerüchte haben sich verbreitet, welche Deine Abwesenheit bei dieser Gelegenheit nur bestätigen würde. Evelinens Ruf ist dabei interessirt.«
»Ist dies der Fall,« antwortete Damian, »ist dies wirklich der Fall, so ist keine Aufgabe für mich zu schwer. Doch hoffe ich, daß Ihr, nach beendeter Feierlichkeit, mir Eure Einwilligung nicht versagen werdet, das Kreuz zu nehmen, wenn Ihr es nicht vielleicht für räthlicher findet, daß ich mich den Truppen anschließe, die, wie ich höre, zur Eroberung Irlands Der historische Hugh de Lacy (um 1125-86) hatte 1171 eine bedeutende Rolle bei der anglonormannischen Eroberung von Irland gespielt. Scott verlegt dies in das Jahr 1190 (siehe den Schluss des Kapitels). Dass Hugh 1186 erschlagen wurde, bevor der dritte Kreuzzug überhaupt begonnen hatte, sei nur am Rande erwähnt. bestimmt sind.«
»Je nun,« sagte der Konstabel, »wenn Eveline Euch ihre Einwilligung gibt, so soll Euch die meinige nicht fehlen.«
»Oheim,« versetzte Damian etwas finster, »Ihr kennt die Gefühle nicht, mit denen Ihr Euren Scherz treibt.«
»Nun,« rief der Konstabel, »ich zwinge Dich zu nichts. Wenn Du mit zur Kirche gehst, und die Heirath Dir nicht gefällt, so magst Du Einspruch thun, wenn Du Lust hast. Das Sakrament der Ehe kann nicht ohne des Bräutigams Einwilligung vollzogen werden.«
»Ich verstehe Euch nicht, Oheim,« versetzte Damian. »Ihr habt ja bereits eingewilligt.«
»Ja, Damian»« sagte Hugo von Lacy. »Ich habe eingewilligt, meine Ansprüche zurück zu nehmen und ihnen Dir zu Liebe zu entsagen; denn wenn Eveline Berengar heute vermählt wird, bist Du der Bräutigam. – Die Kirche hat ihre Sanktion, der König seine Genehmigung ertheilt – das Fräulein sagt nicht Nein – es bleibt nur noch die Frage übrig, ob der Bräutigam Ja sagen wird.«
Damians Antwort läßt sich leicht errathen. Auch ist es nicht nöthig, bei der glänzenden Feierlichkeit länger zu verweilen, welche König Heinrich mit seiner Gegenwart beehrte, um seine frühere unverdiente Strenge zu vergüten. Bald darauf wurden Amelot und Rose verbunden, nachdem der alte Flammock zuvor durch Wappen und Schild zum Edelmanne erhoben worden war, damit das edle, normännische Blut, ohne gänzliche Entweihung, sich mit dem geringeren Strome vermischen könnte, welcher die Wangen der schönen Flamänderin färbte, und in azurblauen Windungen ihren Nacken und Busen durchkreuzte.
In des Konstabels Benehmen gegen seinen Neffen und seine Braut lag nichts, woraus man auf eine Reue über die edelmüthige Selbstverläugnung schließen konnte, die er, ihrer jugendlichen Leidenschaft zu Liebe, bewiesen hatte. Doch bald nachher übernahm er eine hohe Befehlshabersstelle bei den zur Eroberung Irlands bestimmten Truppen, und sein Name zeichnet sich aus unter den ritterlichen Normannen, welche zuerst dieses schöne Eiland mit der englischen Krone vereinten.
Eveline, wieder eingesetzt in den Besitz ihres schönen Stammschlosses und ihres Eigenthums, unterließ nicht, sowohl ihren Beichtvater, als ihre alten Krieger, Mannen und Dienstleute gehörig zu versorgen, indem sie ihre Irrthümer vergaß und sich nur ihrer Treue erinnerte. Der Beichtvater kehrte zu in Fleischtöpfen Egyptens zurück, die seiner Natur mehr zusagten, als die magere Kost feines Klosters. Selbst Frau Gillian erhielt die Mittel zu einem anständigen Unterhalte; denn es würde den treuen Raoul gekränkt haben, wenn man sie bestraft hätte. Sie haderten ihre übrige Lebenszeit hindurch mit einander im Wohlstande, wie sie sich zuvor in der Armuth gezankt hatten; denn bissige Hunde streiten sich eben so wild bei einem Gastmahle, als bei einem benagten Knochen.
Der einzige ernstliche Grund des Unmuths, der sich in Evelinens späterem Leben anführen läßt, entspann sich aus einem Besuche ihrer sächsischen Verwandten, der mit vieler Förmlichkeit geschah, doch unglücklicher Weise in eben die Zeit fiel, welche sich die Frau Aebtissin zu gleichem Zwecke erwählt hatte. Der Zwist, welcher sich zwischen den beiden würdigen Damen entspann, hatte eine zwiefache Veranlassung; denn außerdem, daß sie normännischen und sächsischen Geschlechts waren, wichen sie auch von einander in der Meinung ab, zu welcher Zeit Ostern gefeiert werden müsse. Dies war nur eine kleine Bitterkeit, welche den Frohsinn Evelinens nur flüchtig störte; denn mit ihrer unverhofften Verbindung mit Damian endeten die Prüfungen und Leiden der Verlobten.
Ende.
Druck der J. B. Metzler'schen Buchdruckerei in Stuttgart.