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Dreiundzwanzigstes Kapitel.

– – – – – – Die Luft ist unser Reich,
Und jeden Vogel fängt uns unser Falk sogleich.

Randolph.

An einem hellen Septembermorgen beschäftigte sich der alte Raoul mit den Käfigen, in welchen er seine Falken aufbewahrte. Er brummte vor sich hin, während er den Zustand eines jeden Vogels untersuchte, bald der Sorglosigkeit des Unterfalkeniers, der Lage des Gebäudes, dem Wetter, kurz, allen Dingen um sich her die Verheerungen Schuld gebend, welche Zeit und Ungemach in dem vernachläßigten Falkenzwinger von Garde Doloureuse angerichtet hatten. In diesen unangenehmen Betrachtungen ward er durch die Stimme seiner theuren Ehehälfte, der Frau Gillian, unterbrochen, die sonst selten so früh aufzustehen und noch seltener ihn in seiner eigentlichen Geschäftssphäre heimzusuchen pflegte.

»Raoul!« rief sie, »wo steckst du, Mann? Muß man Dich denn immer suchen, wenn Dir oder mir ein Vortheil winkt.«

»Was verlangst Du denn, Weib?« rief Raoul, ärger kreischend, als die Seemöve vor dem Regen. »Der Henker hole Dein Gebrüll, das mir jeden Habicht von der Stange scheucht!«

»Habicht!« entgegnete Frau Gillian; »es ist wohl Zeit, nach den Habichten zu sehen, wenn einige Falken von der edelsten Gattung, die jemals über See, Moor oder Wiese flogen, gerade hieher zum Verkauf gebracht werden.«

»Falken!« sagte Raoul; »Drachen, ihr gleich, die die Neuigkeit bringt.«

»Weder Drachen, noch solch ein elender Habicht, wie der, der die Nachricht hört, sondern herrliche Gerfalken In der Vorlage: »Geierfalken«. - Im englischen Original: »jerfalcon«, Gerfalke. Die Geierfalken dagegen sind eine Gruppe räuberischer Vögel der Neuen Welt, die man zur Zeit der Romanhandlung in Europa noch gar nicht kennt., mit breiten Nüstern, starken Klauen und kurzen bläulichen Schnäbeln.«

»Still mit Deinem Geschwätz! Wo kommen sie her?« sagte Raoul, der sich für die Sache interessirte, doch seiner Frau es nicht merken lassen wollte.

»Von der Insel Man,« erwiederte Frau Gillian.

»Da müssen sie wahrlich etwas taugen, wiewohl mir ein Weib die Nachricht brachte,« sagte Raoul, furchtbar lachend über seinen eigenen Witz; dann aber die Käfige verlassend, fragte er, wo jetzt dieser berühmte Falkenhändler anzutreffen wäre.

»Je nun, zwischen dem äußern und innern Thore,« erwiederte Gillian, »wo man auch die andern Leute, die was zu verkaufen haben, einläßt; wo sollt' er denn sonst seyn!«

»Und wer ließ ihn da hinein?« fragte der argwöhnische Raoul.

»Nun, der Haushofmeister, Du Eule!« entgegnete Gillian. »Er kam so eben auf mein Zimmer und sandte mich hieher, Dich zu rufen.«

»Aha, der Haushofmeister, der Haushofmeister! Nun, das hätt' ich errathen können! Und er begab sich ohne Zweifel nach Deiner Stube, weil er nicht eben so leicht hieher kommen konnte – nicht wahr, mein Feinsliebchen?«

»Ich weiß nicht, warum er lieber zu mir kam, als zu Dir, und wüßt' ich es, so würd' ich es Dir vielleicht nicht sagen. Geh' und mach' einen guten Handel oder mach' ihn nicht – mir ist's einerlei, der Mann wird nicht auf Dich warten, denn ihm sind schon gute Anerbietungen von dem Seneschall von Malpas und dem Walliser Lord von Dinevawr gemacht worden.«

»Ich komme – ich komme!« sagte Raoul, der die Nothwendigkeit fühlte, seinen Falkenzwinger wieder gehörig in Ordnung zu bringen. Nach dem Thore eilend fand er den Kaufmann in Begleitung eines Dieners, der die drei Gerfalken, die er zum Verkauf anbot, in abgesonderten Käfigen verschlossen hielt.

Auf den ersten Blick überzeugte sich Raoul, daß sie zu der besten europäischen Gattung gehörten, und wenn die ihrem Werth gebührende Sorgfalt auf sie gewendet worden wäre, sie selbst mit den königlichen Falken sich hätten messen können. Der Kaufmann unterließ nicht, ihre Vortrefflichkeit weitläuftig anzupreisen, die Breite der Flügel, die Kraft des Schweifes, die großen, feurigen, schwarzen Augen, die Kühnheit, womit sie die Annäherung der Fremden ertrügen, die lebendige Kraft und Regsamkeit, womit sie ihr Gefieder putzten und sich aufblähten, oder sträubend emporrichteten. Er sprach viel von der Schwierigkeit und Gefahr, mit welcher sie von dem Felsen von Ramsey zu erhalten wären, wo sie in einer Försterei aufgezogen würden, die selbst an der Küste Norwegens ihres Gleichen suchte.

Raoul hatte scheinbar für alles dies nur ein taubes Ohr. »Freund Kaufmann,« sagte er, »ich verstehe mich auf die Kenntniß eines Falken so gut, als Du; auch will ich nicht läugnen, daß die Deinigen sehr schön sind; sind sie aber nicht sorgfältig aufgezogen und gezähmt, so will ich lieber einen großen Habicht auf meiner Vogelstange haben, als den schönsten Falken, der jemals sich in die Lüfte schwang.«

»Ich bin Dir gut dafür,« versetzte der Kaufmann. »Wenn wir nur erst über die Hauptsache, den Preis, einig sind, so sollst Du, wenn Du willst, die Vögel fliegen sehen, und ob Du sie kaufst oder nicht, das steht in Deinem Belieben. Ich will kein ächter Kaufmann seyn, wenn je ein anderer Vogel einen dieser Falken überwindet, sey es im Aufsteigen oder im Niederschießen.«

»Das nenn' ich billig,« sagte Raoul, »wenn es anders der Preis ebenfalls ist.«

»Das ist er,« erwiederte der Falkenhändler. »Durch die Gunst des guten Königs Reginald Im englischen Original: »King Reginald of Man«. Historisch handelt es sich um Ragnvald, in gälischer Form: Raghnall mac Gofraidh, der die Insel 1188-1226 beherrschte. hab' ich sechs verschiedene Gattungen hieher gebracht und jede Feder davon verkauft bis auf diese drei; und da ich nun so meine Käfige geleert und meinen Beutel gefüllt habe, so mag ich mich nicht länger mit dem Ueberreste plagen. Wenn daher einem wackern Manne und Kenner, wie Du es zu seyn scheinst, die Falken, nachdem er sie fliegen sah, gefallen, so möge die Bestimmung des Preises von seiner eigenen Willkür abhängen.«

»Höre,« sagte Raoul, »wir wollen den Handel nicht blindlings abschließen. Sind die Falken gut, so kann meine Gebieterin sie eher bezahlen, als Du sie wegschenken kannst. Bist Du mit einem Byzantiner für das Stück zufrieden?«

»Ein Byzantiner, Herr Falkenier? Bei meiner Treue, das ist kein herzhaftes Gebot. Verdoppelt es, so will ich mir die Sache überlegen.«

»Sind die Falken gut gezähmt, so sollst Du anderthalb Byzantiner haben,« versetzte Raoul; »aber erst will ich sie einen Reiher In der Vorlage »Geier«; im englischen Original: »heron«. Und weiter unten auch richtig »Reiher«. Der Übersetzer hat ganz offensichtlich ein Geierproblem. niederstoßen sehen, eh' ich so rasch den Handel abschließe.«

»Wohlan,« sagte der Kaufmann, »es ist besser für mich, wenn ich Euer Anerbieten acceptire; denn bring' ich sie nach Wales hinein, so könnten sie mich leicht dort auf schlechte Weise mit ihren langen Messern bezahlen. Wollt Ihr sogleich das Pferd besteigen?«

»Allerdings,« entgegnete Raoul; »und wenn auch der März der eigentliche Monat ist, um den Reiher mit dem Falken zu jagen, so will ich Euch einen dieser Froschfresser zeigen, wenn wir eine Strecke am Wasser heraufgeritten sind.«

»Ich bin's zufrieden, Herr Falkenier,« entgegnete der Kaufmann. »Aber wollen wir allein dahin? Gibt es keinen Herrn, keine Dame im Schlosse, die Vergnügen daran finden, irgend einem kecken Jagdstücke zuzuschauen. Ich scheue mich nicht, selbst einer Gräfin meine Falken zu zeigen.«

»Meine Gebieterin,« entgegnete Raoul, »war sonst eine große Freundin der Jagd; aber ich weiß nicht, seit ihres Vaters Tode ist sie so schwermüthig und verstimmt und lebt in ihrem schönen Schlosse, wie eine Nonne im Kloster, ohne Lustbarkeiten oder Zerstreuungen irgend einer Art. Allein Du, Gillian, vermagst ja etwas über sie – geh' hin und thu' einmal was Gutes und suche sie zu bewegen, daß sie uns begleitet und der Jagdlust an diesem Morgen beiwohnt. – Die arme Seele hat den ganzen Sommer hindurch keine Zerstreuung gehabt.«

»Das will ich thun,« sagte Gillian; »ja, noch mehr, ich will ihr ein so schönes, neues Reitkleid zeigen, daß kein Weib ohne den Wunsch, es ein wenig im Winde flattern zu sehen, diesen Anzug betrachten soll.«

Während Gillian sprach, schien es ihrem eifersüchtigen Ehegemahl, als würden zwischen ihr und dem Kaufmanne bedeutende Blicke gewechselt, die nach einer kurzen Bekanntschaft selbst einem so ungemein zugänglichen Charakter, als Frau Gillian besaß, nicht leicht erklärbar waren. Auch schienen ihm bei näherer Betrachtung die Züge des Kaufmanns nicht ganz unbekannt zu seyn. Er sagte daher ziemlich trocken: »Wir haben uns schon einmal gesehen, Freund, allein ich kann mich nicht besinnen, wo.«

»Leicht möglich!« entgegnete der Kaufmann. »Ich war oft in dieser Gegend und mag in Handelsgeschäften Geld von Euch erhalten haben. Befänden wir uns an einem schicklichen Platze, so hätt' ich wohl Lust, eine Flasche Wein auf unsere bessere Bekanntschaft mit Euch zu leeren.«

»Nicht so eilig, Freund!« versetzte der alte Jäger. »Eh ich mit Jemand auf bessere Bekanntschaft anstoße, muß mir das, was ich bisher von ihm sah, sehr wohl gefallen haben. Wir wollen die Falken fliegen sehen, und entspricht ihre Zucht Deinen prahlenden Worten, so können wir vielleicht einen Becher zusammen leeren. – Aber seht, da kommen die Stallmeister mit den Pferden. Meiner Treue, Mylady hat eingewilligt, uns zu begleiten.«

Die Gelegenheit zu diesem ländlichen Vergnügen hatte sich Evelinen zu einer sehr günstigen Zeit dargeboten. Der klare, wolkenlose Herbsttag, die milde Luft, das fröhliche Treiben der Ernte rings um sie her machten die Versuchung, sich diese Bewegung zu vergönnen, fast unwiderstehlich.

Da es nur in ihrem Plane lag, am diesseitigen Ufer des Stroms, nahe an der unglücklichen Brücke hinabzureiten, bei welcher sich stets eine kleine Wache befand, so verließ Eveline das Schloß ohne weitere Begleitung, ja, der herrschenden Sitte zuwider, nur von Rosen, Gillian und einigen Bedienten umgeben, welche die Hunde führten oder das Jagdgeräth trugen. Raoul, der Kaufmann und ein Reitknecht folgten ihr, ein jeder einen Falken auf der Faust haltend und sorgsam die Art und Weise überlegend, wie sie dieselben in die Luft werfen wollten, um sich desto sicherer von ihrer Stärke und Zucht zu überzeugen.

Als diese wichtigen Punkte beseitigt waren, ritt die ganze Gesellschaft um Flusse hinab, sorgsam zu beiden Seiten nach der ersehnten Beute umherspähend. allein kein Reiher ließ sich auf den gewöhnlichen Orten, wo diese Vögel hausen, erblicken, obgleich ein Reiherstand in der Nähe war.

Wenig Täuschungen kleinerer Art sind verdrießlicher, als die eines Jägers, der reichlich versehen mit allen Mitteln zur Vertilgung des Wildes, keine Jagdbeute antrifft; denn er sieht sich in seinen weitläufigen Zurüstungen und seiner leeren Jagdtasche dem höhnischen Lächeln eines jeden Vorübergehenden blosgestellt. Evelinens Umgebung empfand die ganze Unannehmlichkeit dieser getäuschten Erwartung.

»Das ist mir ein sauberes Land,« sagte der Kaufmann, »wo sich auf zwei Meilen weit nicht ein armseliger Reiher blicken läßt!«

»Das kommt von dem Gerassel, welches die verdammten Flamänder mit ihren Wasser- und Walkmühlen machen,« versetzte Raoul. »Sie stören gute Jagd und gute Gesellschaft, wohin sie nur kommen. Aber wär' es Mylady gefällig, nur noch eine Meile oder etwas drüber bis zum rothen Teiche zu reiten, so will ich Euch schon einen langbeinigen Burschen zeigen, der Eure Falken im Wirbel herumjagen sollte, bis sie schwindlich würden.«

»Bis zum rothen Teiche!« rief Rose, »Du weißt ja, Raoul, daß er drei Meilen jenseits der Brücke, aufwärts nach den Bergen zu, liegt.«

»Hm!« sagte Raoul, »das ist wieder einmal so eine flandrische Grille, um einem den Spaß zu verderben! Sie sind nicht so knapp in den Gränzlanden, die flandrischen Mädchen, daß sie sich fürchten dürften, von den Walliser Raubvögeln erhascht zu werden.«

»Raoul hat Recht, Rose,« versetzte Eveline. »Es ist thöricht, uns wie Vögel in einem Käfig einzusperren, wenn alles um uns her so durchaus ruhig ist. Ich bin entschlossen, mich einmal über die Gränzen hinaus zu wagen und nach unserer ehemaligen Sitte an der Jagd Theil zu nehmen, ohne wie eine Staatsgefangene von Bewaffneten umgeben zu seyn. Wir wollen fröhlich hin zum rothen Teiche, Mädchen, und einen Reiher erlegen, wie es sich für die freien Töchter der Gränzlande geziemt.«

»So laßt mich nur meinem Vater sagen, daß er zu Pferde steige und uns nachfolge,« sagte Rose, – denn man war jetzt noch bei den wiederhergestellten Fabrikgebäuden der rüstigen Flamänder.

»Thu' es immerhin, Rose,« entgegnete Eveline, »aber glaube mir, Mädchen, daß wir am rothen Teiche und wieder bis hieher zurückgekehrt seyn werden, ehe Dein Vater sein bestes Wamms angelegt, sich mit dem zweischneidigen Schwerte umgürtet und seinen flandrischen Elephanten von einem Rosse bestiegen hat, dem er selbst sehr passend den Namen Sloth Sloth – faul, träge. – A. d. Uebers. beilegte. Nein, runzle nicht die Stirn, und verliere nicht mit der Rechtfertigung Deines Vaters die Zeit, die Du besser dazu nutzen kannst, ihn herbeizurufen.«

Rose ritt demzufolge nach den Mühlen, wo Wilkin Flammock sich, dem Befehle seiner Lehnsherrin gemäß, beeilte, seine Stahlhaube und seinen Brustharnisch anzulegen und einem halben Dutzend seiner Vettern und Knechte gleichfalls gebot, zu Pferde zu steigen. Rose blieb bei ihm, um ihn zu größerer Eile zu spornen, als seine gelassene Ruhe ihm natürlich machte. Aber trotz aller Bemühungen, ihn fortzutreiben, hatte Eveline schon seit einer halben Stunde die Brücke hinter sich, ehe ihre Eskorte gerüstet war, um ihr nachfolgen zu können.

Indessen sprengte Eveline, kein Unheil befürchtend, mit der Empfindung eines dem Kerker entflohenen Gefangenen fröhlich und leicht vorwärts wie die Lerche, die sich in den Lüften emporschwingt. Die Federn, womit Frau Gillian ihren Reithut verziert hatte, wallten in den Lüften und ihr Gefolge sprengte mit den Hunden, Jagdtaschen, Netzen und allem Geräthe zur königlichen Lust der Falkenjagd versehen, hinter ihr her. Als man den Strom überschritten hatte, zog sich der wilde, grüne Wiesenpfad, den sie verfolgten, allmälig über kleine Anhöhen aufwärts, die zuweilen kahl und felsig, zuweilen mit Haselbüschen, Schleedorn und anderem niederen Gesträuche bewachsen waren. Endlich brachte sie ein ziemlich schroffer Abhang an den Rand eines kleinen; Bergstroms, der, wie ein spielendes Lamm, lustig von Fels zu Fels rinnend, ungewiß schien, welchen Lauf er nehmen solle.

»Dieser kleine Strom war stets mein Liebling, Frau Gillian,« sagte Eveline, »und fast scheint es mir, als eile er fröhlicher dahin, da er mich wieder sieht.«

»Ach, Lady,« entgegnete Frau Gillian, deren Unterhaltung in solchen Fällen sich nie über grobe Schmeichelei zu erheben pflegte, »deckenhoch würde mancher Ritter springen, wenn er Euch so keck anschauen könnte, als der Bach hier! Besonders, da Ihr Euch heut mit dem Reithute geschmückt habt, der an ausgezeichnet schöner Erfindung alles, was ich bisher erdachte, himmelweit übertrifft. Was meinst Du, Raoul?«

»Ich meine,« versetzte ihr mürrischer Eheherr, »daß die Zungen der Weiber sehr behülflich sind, alles Wild aus der Gegend zu vertreiben. Jetzt sind wir dem Orte nahe, wo allein unser Plan gelingen kann. Darum bitt' ich Euch, meine werthe Lady, schweigt ganz stille. Wir wollen uns leise am Ufer des Teichs unter dem Winde hinabschleichen, die Dauben unserer Falken ganz lose haltend, damit sie jeden Augenblick in die Luft fliegen können.«

Während er so sprach, ritten sie hundert Schritte weit an dem rauschenden Strome hinab, bis das kleine Thal, durch welches er floß, eine plötzliche Seitenwendung nahm und ihnen den rothen Teich zeigte, dessen überflüssiges Gewässer eben jenes Flüßchen bildete.

Dieser Bergsee oder Moor, wie man ihn in einigen Gegenden nennt, war ein tiefes Becken, von fast einer Meile im Umfange, und mehr länglich als kreisförmig gebildet. Unseren Falkenjägern zur Seite erhob sich eine Felsenreihe von dunkelrother Farbe, von der der Teich seinen Namen hatte, indem er, die düstere Felsenmasse in seinen Fluthen abspiegelnd, ihre Farbe zu theilen schien. An der entgegengesetzten Seite stieg ein Zügel empor, bedeckt mit Haidekraut, dessen herbstliche Blüthen die Purpurfarbe noch nicht mit dem welken Braun verwechselt hatten. Seine Oberfläche war mit dunkelgrünem Stachelginst und Farrenkräutern, an manchen Orten aber mit grauen Klippen oder kahlen Steinen von gleicher Farbe bedeckt, und bildete auf diese Weise einen auffallenden Kontrast mit der gegenüberliegenden schroffen Felsenwand. Der Strand des Teichs bildete einen natürlichen, schönen Sandweg, der, sich rings um den See ziehend, sein Gewässer von den schroffen Felsen auf der einen Seite, und von den steilen, abschüssigen Hügeln auf der andern, trennte. Da er an keiner Stelle weniger als fünf bis sechs Ruthen Im englischen Original: »yards«, ein Yard = 0,9m. Demgegenüber maß die »Rute« ein Vielfaches davon, nämlich ca. 4 bis 5m. breit war, und an den meisten Orten noch mehr Raum darbot, so gab er dem Reiter rings umher Gelegenheit, sein Pferd in rasche Bewegung zu setzen. Der Rand des Teiches an der Felsenseite war hie und da mit größeren Stücken bedeckt, welche sich von der oberen Felsmasse losgerissen hatten, doch nicht so häufig, daß sie den Reisenden diesen angenehmen Weg versperrten. Viele dieser Felsenmassen, die herabgefallen und in die Fluthen gestürzt waren, lagen wie kleine Inseln da. Zwischen diesem kleinen Archipelagus erspähte Raouls scharfes Auge den Reiher, welchen sie suchten.

Man hielt eine augenblickliche Berathung, um zu überlegen, wie man am besten dem düstern, einsamen Vogel sich nähere, der nicht ahnend, daß ihn ein furchtbarer Hinterhalt bedrohe, unbeweglich auf einem Steine am Rande des Teiches stand, nach kleinen Fischen oder Wassergewürmen umherspähend, die sich zufällig seinem einsamen Standpunkte nahten. Ein kurzer Zwist entspann sich zwischen Raoul und dem Falkenhändler über die beste Art, das Wild aufzuscheuchen, so daß Eveline und ihr Gefolge die Jagd völlig im Gesicht behielten. Ob es leichter sey, den Reiher auf dem diesseitigen oder jenseitigen Ufer zu erlegen dies ward mit so ängstlicher Wichtigkeit besprochen, als ob von irgend einem großen, gefahrvollen Unternehmen die Rede sey.

Endlich verständigte man sich gegenseitig, und die Gesellschaft begann gegen den Einsiedler der Fluthen vorzurücken, der, ihr Herannahen merkend, sich in voller Höhe emporrichtete, den langen, dünnen Hals weit ausstreckte, die breiten, fächerartigen Flügel entfaltete, und mit seinem gewöhnlichen Geschrei in die milde Luft emporstieg, seine langen, dünnen Beine weit hinter sich nachziehend. Jetzt warf der Kaufmann mit einem lauten, ermuthigenden Zuruf den edlen Falken, den er trug, in die Lüfte, nachdem er ihm zuvor die Haube abgenommen, damit er den Reiher erblicke.

Schnell, wie eine Fregatte einer reichen Galeere nachsegelt, schoß der Falke auf den Feind, dessen Verfolgung man ihm gelehrt hatte, während der Reiher, sich zum Kampfe vorbereitend, falls er nicht mehr entfliehen konnte, seine ganze Schnelligkeit aufbot, einem so furchtbaren Feinde zu entkommen. Durch die unvergleichliche Kraft seiner Schwingen stieg er, in kurzen Kreisen sich drehend, immer höher in die Luft, damit der Falke keinen Vortheil über ihn gewinne. Der spitzige Schnabel seines langen Halses gestattete ihm, selbst in der Entfernung von einer Elle in jeder Richtung, einen Gegenstand zu verwunden, und gab für jeden minder kühnen Angreifer der Furchtbarkeit eines maurischen Wurfspießes nichts nach.

Ein neuer Falke war jetzt in die Höhe geworfen, und durch den Ruf des Falkeniers zur Unterstützung seines Gefährten ermuntert. Beide erhoben sich in kleinen Kreisen in die Lüfte, oder erstiegen sie gleichsam, indem sie jene obere Höhe zu erreichen suchten, welche der Reiher seinerseits zu behaupten strebte. Zur höchsten Ergötzlichkeit der Zuschauer dauerte der Kampf fort, bis alle drei sich in den leicht gekräuselten Wolken verloren. Man hörte nur noch zuweilen das rauhe, klagende Geschrei des Reihers, welcher den Himmel, dem er sich nahte, um Beistand anzurufen schien gegen die muthwillige Grausamkeit seiner Verfolger.

Endlich hatte einer der Falken den Punkt erreicht, von welchem er auf den Reiher niederschießen wollte; allein dieser vertheidigte sich so geschickt, daß er mit seinem Schnabel den Stoß auffing, den der Falke, mit voller Kraft niederstürzend, seinem rechten Flügel zugedacht hatte, so daß einer seiner Feinde, durch die eigene Schwere von dem Schnabel durchbohrt, an der von den Falkenieren entfernteren Seite herabflatternd, in den See stürzte und dort seinen Untergang fand.

»Da wird ein wackerer Falke den Fischen zum Raube!« rief Raoul. »Kaufmann, mit Deinem Handel gehts schief.«

Allein während er noch sprach, hatte der andere Vogel das Geschick seines Bruders gerächt. Der von dem Reiher, auf einer Seite erkämpfte Sieg verhinderte nicht, daß er auf der andern angegriffen ward. Der Falke aber, der ihn mit kühnem Stoße verwundete und mit ihm rang, oder, wie die Falkeniere sagen, die Beute umgürtete, schwang sich mit ihm aus bedeutender Höhe erdwärts nieder. Die Falkeniere hatten jetzt nichts Wichtigeres zu thun, als schnell herbei zu eilen, damit der Falke nicht von dem Schnabel oder den Klauen des Reihers verwundet werden möchte. Schnell, wie der Wind, sprengte die Gesellschaft vorwärts, die Männer spornten ihre Rosse, die Frauen schwangen ihre Reitgerten, auf dem schönen, weichen Strande zwischen den Felsen und dem Wasser dahin eilend. Lady Eveline, besser beritten als irgend Jemand ihres Gefolges, und geistig gestärkt durch das Vergnügen selbst und die Schnelligkeit der Bewegung, erreichte viel eher, als irgend einer von ihren Begleitern, den Ort, wo der Falke und Reiher, noch immer im tödtlichen Kampfe begriffen, am Boden lagen, da der Flügel des letzteren von dem Stoß des ersteren gelähmt war. In solch einem Augenblicke war es die Pflicht des Falkeniers, hinzu zu eilen und dem Falken beizustehen, indem er den Schnabel des Reihers in die Erde bohrte, ihm die Beine zerbrach, und es dann dem Falken überließ, ihn mit geringer Mühe vollends zu tödten.

Weder das Geschlecht noch der Rang Evelinens würde es ihr erlassen haben, auf so grausame Weise dem Falken beizustehen. Als sie indeß gerade in dieser Absicht vom Pferde gestiegen war, erstaunte sie, als sie sich von einer wilden Gestalt angegriffen sah, welche in Walliser Sprache ausrief: Man bemächtige sich ihrer als Geißel, da sie gewagt habe, auf dem Gebiete Davids des Einäugigen der Falkenjagd obzuliegen. Zu gleicher Zeit erschienen mehrere andere Männer, deren Zahl sich auf zwanzig belaufen mochte, hinter den Felsen und Gebüschen lauernd, sämmtlich mit den sogenannten Walliser Krummäxten, so wie mit langen Messern, Wurfspießen, Bogen und Pfeilen bewaffnet.

Eveline schrie laut, um ihre Begleiter zum Beistande herbeizurufen. Zugleich bot sie alle Walliser Redensarten, deren sie mächtig war, auf, um die Furcht oder das Mitleid der gesetzlosen Bergbewohner rege zu machen; denn sie zweifelte nicht, daß sie sich in der Gewalt dieser Menschen befinde. Da sie indeß sah, daß man ihre Bitten wenig beachtete und den festen Vorsatz zu hegen schien, sie als Gefangene zurückzubehalten, so verschmähte sie jede weitere Vorstellung. Aber auf ihre eigene Gefahr gebot sie ihnen, sie mit Achtung zu behandeln, und versprach ihnen in diesem Falle ein reiches Lösegeld. Sollten sie sich indeß andere Maßregeln erlauben, so werde die ganze Rache der Gränzlords, besonders Damians von Lacy, sie dafür zu züchtigen wissen.

Die Männer schienen sie zu verstehen, und wiewohl sie ihr eine Binde um die Augen legten und ihr die Arme mit ihrem eigenen Schleier festbanden, so beobachteten sie bei diesen gewaltthätigen Handlungen gleichwohl eine gewisse Zartheit und Aufmerksamkeit, sowohl des Anstandes als ihrer Sicherheit wegen. Eveline schöpfte daher Hoffnung, daß ihre Vorstellungen einigen Eindruck auf sie gemacht hätten. Sie banden sie auf dem Sattel ihres Zelters fest, und führten sie durch die Felsenschluchten mit sich fort, während sie noch obendrein den Kummer hatte, hinter sich das Kampfgetöse zu vernehmen, das durch die fruchtlosen Versuche ihres Gefolges, ihr Beistand zu leisten, entstanden war.

Erstaunen hatte sich zuerst der Jäger bemächtigt, als sie aus einiger Entfernung ihre Jagdlust durch den gewaltthätigen Angriff ihrer Gebieterin unterbrochen sahen. Der alte Raoul spornte muthig sein Pferd, und die Uebrigen zum Beistande auffordernd, sprengte er wüthend den Räubern entgegen. Doch nur mit einer Falkenstange und einem kurzen Schwerte bewaffnet, sah er seine und seiner Begleiter verdienstliche, aber unwirksame Anstrengungen bald scheitern, und sich selbst, nebst einigen in seiner Nähe stark gemißhandelt; denn die Räuber schlugen sie mit ihren eigenen Falkenstangen, großmüthig den Gebrauch gefährlicherer Waffen verschmähend. Das übrige Gefolge zerstreute sich, um Lärm zu machen; der Kaufmann aber und Frau Gillian blieben am Ufer des See's zurück, mit dem unnützen Geschrei der Furcht und des Jammers die Luft erfüllend. Die Räuber, die sich indeß in einen Haufen zusammenzogen, sandten den Flüchtlingen einige Pfeile nach, mehr um sie zu schrecken, als ihnen Schaden zuzufügen. Dann aber eilte die ganze Schaar fort, als wollte sie ihren Gefährten, welcher Lady Eveline in ihrem Gewahrsam hatten, zur Bedeckung dienen.



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