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Der Freiherr flüchtet sich in sein Schloß,
Nach Barnard-Castle war er gekommen.
Die äußere Mauer gewann man bald,
Leicht hatten die Grafen sie eingenommen,
Die äußere Mauer von Mörtel und Stein,
Doch bei der innern befiel ein Grauen
Den Feind, und mit Mühe gewann er sie nur,
Sie war in den Felsen eingehauen.
Percy's Ueberreste alter Dichtkunst.
Der unglückliche Ausgang des Treffens ward bald den ängstlichen Zuschauern auf den Zinnen des Wachtthurms von Garde Doloureuse klar; und die Burg verdiente an diesem Tage nur zu sehr ihren traurigen Namen. Mit Mühe nur bezwang der Beichtvater seine eigene innere Bewegung, um über die Gefühle der Frauen, welche er zu trösten suchte, einigen Einfluß zu behaupten, der jetzt auch, Weiber, Kinder und Greise, die Angehörigen der in den furchtbaren Kampf verwickelten Krieger, ihr Klaggeschrei mit ihrem Schmerze vereinten. Diese hülflosen Wesen hatte man Sicherheits halber im Schlosse aufgenommen, und sie drängten sich jetzt auf die Zinnen, von denen Pater Aldrovand sie fruchtlos zu entfernen bemüht war, da er fürchtete, daß ihr Anblick auf diesen Thürmen, die mit Reisigen hätten besetzt seyn sollen, die Belagerer noch zu neuen Angriffen ermuntern möchte. Er forderte daher Lady Eveline auf, dieser Gruppe von hülflosen, aber starrköpfigen Unglücklichen mit gutem Beispiele voranzugehen.
Selbst in diesem Uebermaße des Kummers die den Sitten der Zeit gemäße Fassung behauptend, oder zu behaupten suchend – denn auch der Rittergeist hatte eben so gut als die Philosophie seinen Stoicismus – entgegnete Eveline mit einer Stimme, die fest seyn sollte, aber ihrer Anstrengung ungeachtet bebte:
»Ja, Vater, Ihr habt Recht – habt wohl gesprochen! Dies ist kein Anblick mehr für das Auge eines Mädchens. Kriegerischer Muth und ruhmvolle That, sie gingen unter, als jene weiße Feder den blutigen Boden berührte. Kommt, Mädchen, hier ist nichts mehr für uns zu sehen! Zur Messe – zur Messe! das Turnier ist zu Ende!«
Es lag etwas Wildes in dem Tone, womit sie diese Worte sprach; und als sie sich erhob, als wolle sie sich an die Spitze einer Prozession stellen, wankte sie, und würde zur Erde gesunken seyn, hätte ihr Beichtvater sie nicht unterstützt. Rasch das Haupt in ihren Mantel verhüllend, als ob sie sich schäme, den schmerzlichen Kampf zu verrathen, den sie nicht unterdrücken konnte, und dessen Uebermaß durch ihr Schluchzen und durch die jammernden Töne, die unter den Falten des Mantels erklangen, offenbar ward, gestattete sie dem Pater Aldrovand, sie hinwegzuführen, wohin es ihm gut dünke.
»Unser Gold,« sagte er, »hat sich in Erz verwandelt, unser Silber in Schlacken, unsere Weisheit in Thorheit. Es ist Sein Wille, der den Rath der Weisen zu Schanden macht, und den Arm der Mächtigen verkürzt. Zur Kapelle, zur Kapelle, Lady Eveline, und statt nichtiger Jammerklage laßt uns Gott anflehen und alle Heiligen, daß sie ihren Zorn von uns wenden, und unsere schwachen Ueberreste aus den Zähnen des verschlingenden Wolfs retten!«
So sprechend, führte er halb, halb trug er Evelinen, die in diesem Augenblicke eben so unfähig war zum Denken als zum Handeln, nach der Schloßkapelle, wo sie, vor dem Altar niedersinkend, wenigstens die Stellung einer Betenden annahm, wiewohl ihre Gedanken, trotz der frommen Worte, die ihre Lippen mechanisch stammelten, auf dem Schlachtfelde waren bei ihrem erschlagenen Vater. Die übrigen Trauernden ahmten ihre junge Gebieterin in ihrer betenden Stellung und Geistesabwesenheit nach. Das Bewußtseyn, daß ein großer Theil der Besatzung bei Raymunds unvorsichtigem Unternehmen abgeschnitten worden war, fügte zu ihrem Kummer noch die Besorgniß für ihre persönliche Sicherheit, welche durch die Kenntniß der von den Feinden öfters ausgeübten Grausamkeit, die in der Hitze des Sieges weder Alter noch Geschlecht schonte, sehr gesteigert ward.
Indessen bediente sich der Mönch der Autorität, die sein Stand ihm ertheilte, um den unwirksamen und fruchtlosen Klagen Einhalt zu thun, und nachdem er sie, wie er glaubte, in eine ihrer Lage geziemende Stimmung versetzt hatte, überließ er sie ihren Andachtsübungen, um seiner ängstlichen Besorgniß zu willfahren und Erkundigung einzuziehen, wie es um die Vertheidigung des Schlosses stünde.
Auf den äußeren Wällen traf er Wilkin Flammock, der, nachdem er den Dienst eines tapferen und erfahrenen Hauptmanns bei der Richtung des Geschützes erfüllt, und die feindlichen Verfolger zurückgeschlagen hatte, jetzt in eigener Person beschäftigt war, der kleinen Besatzung keine spärlichen Portionen Wein auszutheilen.«
»Nimm Dich in Acht, guter Wilkin,« sagte der Pater, »daß Du das Maß nicht überschreitest. Du weißt, der Wein ist wie Feuer und Wasser – ein trefflicher Diener, aber ein sehr schlimmer Herr.«
»Es dauert schon eine Zeit, ehe er das feste Gehirn meiner Landsleute überwältigt!« entgegnete Wilkin Flammock. »Unser flamändischer Muth gleicht unsern flandrischen Rossen – die letztern bedürfen des Sporns, der erste muß den Weinkrug wittern. Allein glaubt mir's, Herr Pater, sie sind ein ausdauerndes Geschlecht und laufen nicht ein beim Waschen. Und wenn ich wirklich den Burschen einen Becher zu viel geben sollte, so wär's eben auch kein Unglück, denn sehr wahrscheinlich bekommen sie bald eine Schüssel weniger.«
»Wie meint Ihr das?« rief der Mönch erschrocken. »Bei allen Heiligen, ich hoffe, für Vorräthe ist gesorgt?«
»Nicht so gut, als in Eurem Kloster, mein guter Pater,« versetzte Wilkin mit demselben unerschütterlichen Gleichmuthe. »Wir haben, wie Euch bekannt ist, ein zu lustiges Weihnachtsfest gehalten, um recht fette Ostern zu haben. Jene Walliser Hunde, die unsere Lebensmittel verzehren halfen, werden nun wahrscheinlich durch den Mangel derselben in unsere Burg dringen.«
»Das ist wohl nur Scherz,« antwortete der Mönch. »Unser Gebieter, dessen Seele Gott gnädig seyn möge, gab noch gestern Abend Befehl, daß die nöthigen Vorräthe aus der umliegenden Gegend herbeigeschafft werden sollten.«
»Allerdings; aber die Walliser rückten zu schnell heran, und so konnten wir diesen Morgen nicht das bewerkstelligen, was schon mehrere Wochen und Monate früher hätte geschehen sollen. Unser erschlagener Gebieter, wenn er nämlich erschlagen ist, war einer von denen, die sich gänzlich auf die Schärfe ihres Schwerts verlassen; und das sind nun die Folgen davon! Ich lobe mir eine Armbrust und seine gehörig mit Lebensmitteln versehene Burg, wenn ich durchaus einmal fechten soll. Ihr seht so bleich, guter Pater; ein Becher Wein würde Euch stärken!«
Der Mönch wies den Wein ungekostet zurück, den Wilkin ihm mit bäurischer Höflichkeit aufbringen wollte. »Es bleibt uns jetzt,« sagte er, »in der That keine andere Zuflucht, als das Gebet.«
»Sehr wahr,« entgegnete der gleichgültige Flamänder. »Betet demnach, so viel es Euch gefällt. Ich will mich mit dem Fasten begnügen, was, wir mögen wollen oder nicht, bald unser Loos seyn wird.«
In diesem Augenblicke ward vor dem Thore in's Horn geblasen.
»Gebt Acht auf das Fallgatter und auf das Thor, Ihr Buben!« rief Wilkin. »Was gibt's Neues, Neil Hansen?«
»Ein Bote, von den Wallisern gesandt, wartet am Mühlenhügel, gerade in der Schußweite der Armbrustschützen Er hat eine weiße Fahne und begehrt eingelassen zu werden.«
»So lieb Dir Dein Leben ist; laß ihn nicht herein, bis wir uns auf seinen Empfang vorbereitet haben,« versetzte Wilkin. »Richtet die beste Steinschleuder nach dem Orte und schießt ihn nieder, wenn er sich von der Stelle bewegt, bis wir hier die nöthigen Vorkehrungen zu seinem Empfange getroffen haben,« sagte Flammock in seiner Landessprache. »Und Neil, Du Hundsfott, rühre Dich! Jede Pike, Lanze, jeden Spieß in der Burg laß auf die Zinnen schaffen und durch die Schießscharten stecken! Zerschneide einige Tapeten Gobelins. zu Bannern und pflanze sie auf den höchsten Thürmen auf! Halte Dich bereit, wenn ich das Signal ertheile, alle Trommeln zu rühren und in die Trompeten zu stoßen – wenn wir anders noch welche haben – wo nicht, so mögen einige Kuhhörner ertönen, nur etwas, das Lärm macht. Und höre, Neil Hansen, gehe Du, nebst vier oder fünf Deiner Kameraden, in die Rüstkammer, und legt Euch dort Harnische an. Unsere niederländischen Kürasse erschrecken sie nicht so sehr. Dann bringt den Walliser Dieb mit verbundenen Augen zu uns. Verhaltet Euch still und ruhig, und überlaßt es mir, mit ihm zu reden. Nur seht zu, daß kein Engländer sich unter uns befinde.«
Der Mönch, der auf seinen Reisen eine flüchtige Kenntniß der flamändischen Sprache erlangt hatte, wäre beinahe heftig aufgefahren, als er die letzten Worte Flammocks an einen Landsmann vernahm. Allein er bezwang sich selbst, wiewohl er sich ein wenig wunderte, sowohl über diesen Argwohn erregenden Umstand, als über die Gewandtheit und Entschlossenheit, womit der rohe Flamänder bei seinen Anordnungen die Kriegssitte und die Regeln der Vorsicht zu Rathe zog.
Wilkin seinerseits war nicht ganz gewiß, ob der Mönch von dem, was er zu seinem Landsmanne gesagt, mehr verstanden habe, als er wünschte. Um daher jeden Argwohn, dem der Pater Aldrovand Raum geben könne, einzuschläfern, wiederholte er ihm in englischer Sprache den größten Theil der gegebenen Befehle und fügte hinzu: »Nun, mein guter Pater, was meint Ihr davon?«
»Ei, vortrefflich!« entgegnete der Pater. »Wißt Ihr Euch doch so zu benehmen, als hättet Ihr von Jugend auf statt dem Gewerbe des Webers, das Kriegshandwerk getrieben.«
»Spart Euren Spott nicht!« versetzte Wilkin; »ich weiß recht gut, Ihr Engländer glaubt, die Flamänder denken an nichts, als an ihr gesottenes Rindfleisch und an ihren Kohl; allein Ihr seht, die Klugheit verträgt sich auch mit dem Weberschiff.«
»Recht so, Meister Wilkin Flammock,« sagte der Pater; »aber mein guter Flamänder, willst Du mir denn nicht sagen, was Für eine Antwort Du der Aufforderung des Walliser Fürsten ertheilen willst?«
»Ehrwürdiger Vater,« entgegnete der Flamänder, »sagt mir nur erst, worin diese Aufforderung besteht?«
»In der augenblicklichen Uebergabe des Schlosses,« antwortete der Mönch. »Was werdet Ihr antworten?«
»Ich antworte: Nein! der Vergleich müßte denn sehr günstig ausfallen.«
»Wie, Herr Flamänder?« rief der Mönch, »Ihr wagt es da, wo vom Schlosse Garde Doloureuse die Rede ist, vom Vergleiche zu sprechen?«
»Sicher nicht, wenn ich etwas Besseres thun kann,« entgegnete der Flamänder, »Aber wäre es wohl Ew. Hochwürden Wunsch, daß ich so lange zögerte, bis die Besatzung mit sich zu Rathe geht, ob ein wohlgenährter Pfaff oder ein fetter Flamänder das beste Fleisch für ihre Schlachtbank liefere?«
»Pah!« erwiederte Pater Aldrovand; »so etwas Thörichtes kannst Du nicht im Ernste meinen. Spätestens in vierundzwanzig Stunden muß uns Entsatz werden; Raymund Berengar erwartete ihn in dieser Zeit mit Gewißheit.«
»Raymund Berengar hat sich diesen Morgen mehr als einmal getäuscht,« versetzte der Flamänder.
»Höre, Flamänder,« sagte der Mönch, der bei seiner Zurückgezogenheit von der Welt nicht gänzlich seine kriegerischen Neigungen unterdrückt hatte: »Ich rathe Dir, gehe aufrichtig in dieser Sache zu Werke, wenn Dir Dein Leben lieb ist. Denn trotz dem Gemetzel dieses Tages sind noch Engländer genug übrig, um die flamändischen Frösche in den Burggraben zu schleudern, sollten sie Argwohn schöpfen, daß Du es mit der Vertheidigung dieses Schlosses und der Lady Eveline nicht ernstlich meinst.«
»Ew. Hochwürden möge keine unnöthige und thörichte Furcht hegen,« versetzte Wilkin Flammock. »Ich bin der Befehlshaber dieses Orts, dem Befehle seines Gebieters gemäß, und was mir in Betreff meines Amts vortheilhaft scheint, das werde ich thun.«
»Und ich,« sagte der entrüstete Mönch, »bin ein Diener des Pabstes, ein Kapellan dieses Schlosses. Mir ist die Macht verliehen zu binden und zu lösen. Ich fürchte, daß Du kein ächter Christ bist, Wilkin Flammock, sondern Dich zu der Ketzerei der Bergbewohner neigst. Du hast es abgelehnt, das heilige Kreuz zu nehmen – hast gefrühstückt, ja Ale und Wein getrunken, ehe Du die Messe hörtest. Du bist kein zuverläßiger Mann, ich kann Dir nicht trauen, und begehre bei Deiner Zusammenkunft mit den Wallisern zugegen zu seyn.«
»Das kann nicht seyn, guter Vater,« sagte Wilkin, mit der plump lächelnden Miene, die er bei allen Vorfällen des Lebens, so erschütternd sie auch seyn mochten, beibehielt. »Es ist wahr, wie Du sagst, guter Vater; ich habe so meine eigenen Gründe, weshalb ich nicht völlig bis zu den Thoren Jericho's wandere, und glücklicher Weise habe ich diese Gründe gehabt, sonst wäre ich nicht hier, um das Schloß von Garde Doloureuse zu vertheidigen. Auch ist es wahr, daß ich mich mitunter genöthigt sah, meine Mühlen früher zu besuchen, als der Kapellan in seinem heiligen Eifer sich vor dem Altare einfand, und daß mein Magen das Arbeiten vor dem Frühstück nicht verträgt. Aber dafür hab ich ja Ew. Hochwürden eine Geldbuße entrichtet, und da es Euch beliebt, Euch meiner Beichte so genau zu erinnern, so solltet Ihr, dünkt mich, auch die Buße und Absolution nicht vergessen.«
Durch die Anspielung auf die im Beichtstuhle ihm anvertrauten Geheimnisse hatte der Mönch unstreitig die Regeln seines Ordens und dessen, was die Kirche erlaubte, überschritten. Er schien bestürzt bei der Antwort des Flamänders, und da dieser bei der Anklage der Ketzerei unerschüttert blieb, so erwiederte er nur mit einiger Verlegenheit: »So weigert Ihr Euch also, mich Eurem Gespräch mit dem Walliser beiwohnen zu lassen?«
»Hochwürdiger Vater,« sagte Wilkin; »es betrifft durchaus nur weltliche Dinge. Wenn aber von irgend einer religiösen Beziehung die Rede seyn sollte, so werde ich Euch ohne Verzug herbeirufen lassen.«
»Ich will aber dabei seyn, Dir zum Trotz, Du flämischer Ochse!« murmelte der Mönch vor sich hin, so leise, daß keiner der Umstehenden diese Worte vernehmen konnte, und verließ sogleich die Zinne.
Nachdem Wilkin Flammock sich überzeugt hatte, daß alles so angeordnet war, daß es einen imposanten Eindruck von der Macht gewährte, die eigentlich nicht existirte, stieg er in ein kleines Wachtzimmer hinab, zwischen dem äußern und innern Thore, wo ihn ein halbes Dutzend seiner Landsleute, welche die in der Rüstkammer vorgefundenen Panzer angelegt hatten, erwartete. Durch ihre starken, kräftigen Gestalten und die bewegungslose Haltung gewannen sie eher das Ansehen kriegerischer Trophäen früherer Zeiten, als noch lebender Krieger.
Umringt von diesen riesenmäßigen, leblosen Gestalten, empfing Flammock in einem kleinen gewölbten Zimmer, wohin kaum das Tageslicht drang, den Walliser Abgesandten, der, mit verbundenen Augen von zwei Flamändern hereingeführt, doch nicht so sorgfältig bewacht ward, daß er nicht die wohlbesetzten Zinnen hätte bemerken können, die man hauptsächlich, um ihn zu täuschen, so geordnet hatte. Zu demselben Behufe ließ sich draußen mitunter ein Waffengeklirr hören, und Stimmen erschollen, als ob die Offiziere die Runde machten. Andere Töne einer thätigen Kriegsrüstung schienen zu verkünden, daß eine zahlreiche und reguläre Besatzung eines Angriffs gewärtig sey.
Als die Binde von Jorworths Augen genommen ward – denn eben der Bote, welcher früherhin Gwenwyns Heirathsgesuch ausgerichtet hatte, brachte jetzt die Aufforderung zur Uebergabe – blickte er stolz um sich her und fragte, an wen er die Befehle seines Gebieters Gwenwyns, Sohns von Cyverliock und Fürsten von Powys, auszurichten habe?
Flammock antwortete mit seiner gewöhnlichen Gleichgültigkeit: »Se. Hoheit muß sich begnügen, mit Wilkin Flammock von der Walkmühle, dermalen Befehlshaber von Garde Doloureuse, zu unterhandeln.«
»Du zum Befehlshaber ernannt?« rief Jorworth. »Du, ein gemeiner Weber vom Lande? Es ist nicht möglich! So niedrig sie auch seyn mögen, sie können nicht so tief gesunken seyn, diese englischen Elenden, von Dir Befehle anzunehmen. Diese Leute scheinen Engländer zu seyn; an sie will ich meine Botschaft ausrichten.«
»Thut es, an wen Ihr wollt,« versetzte Wilkin; »aber wenn sie Euch anders als durch Zeichen antworten, so mögt Ihr mich einen Schelm nennen.«
»Ist dem so!« fragte der Walliser Abgesandte, sich zu den Reisigen wendend. »Seyd Ihr wirklich so tief gesunken? Ich dächte, Eure bloße Geburt auf englischem Boden, seyd Ihr auch die Kinder seiner Verheerer und Usurpatoren, hätte Euch so viel Stolz einflößen müssen, das Joch eines elenden Handwerkers abzuschütteln? Oder, wenn Ihr nicht muthig seyd, solltet Ihr nicht vorsichtig seyn? Das Sprüchwort sagt wahr: Wehe dem, der einem Fremden vertraut! – Immer noch stumm? Immer noch schweigend? Ertheilt mir durch Worte oder durch Zeichen irgend eine Antwort – erkennt Ihr wirklich jenen Mann als Euren Anführer?«
Die Bewaffneten neigten einstimmig ihr Haupt als bejahendes Zeichen, und blieben stumm wie zuvor.
Des Wallisers angeborene Schlauheit ließ ihn argwohnen, hier sey etwas im Spiele, was sich nicht völlig begreifen ließ. Aber sich vornehmend, auf seiner Hut zu seyn, fuhr er folgendermaßen fort:
»Sey dem, wie ihm wolle, ich kümmere mich nicht darum, wer die Botschaft meines Fürsten vernimmt, da sie Gnade und Heil verkündet den Bewohnern dieses Felsenschlosses, Garde Doloureuse von Euch genannt, damit Ihr die widerrechtliche Eroberung dieses Gebietes unter wechselndem Namen verhülltet. Bei der Uebergabe dieser Burg nebst ihren Ländereien, dem Waffenvorrathe und dem Fräulein Eveline Berengar, an den Fürsten von Powys, sollen alle im Schlosse befindlichen Personen ungekränkt von dannen ziehen und sicheres Geleit erhalten – und mögen sie sich, außer den Gränzen von Cymrien, begeben wohin sie wollen.«
»Und was erfolgt, wenn wir dieser Aufforderung nicht Genüge leisten?« fragte der unerschütterliche Wilkin Flammock.
»Dann theilt Ihr das Schicksal Raymund Berengars, Eures letzten Anführers,« versetzte Jorworth, dessen Augen während des Sprechens mit der rachsüchtigen Wildheit funkelten, die seine Antwort ihm vorschrieb. »So viel Fremde hier unter Euch sind, so viel Leichen den Raben, so viel Köpfe dem Galgen! Die Geier haben lange nicht solch Gastmahl von schwerfälligen Flamändern und falschen Sachsen gehabt!«
»Freund Jorworth,« sagte Wilkin, »ist dies Dein ganzer Auftrag, so bringe Deinem Herrn die Antwort zurück: Kluge Leute bauen nicht auf die Worte Anderer die Sicherheit, für die ihre eigenen Thaten ihnen Bürgen seyn können. Unsere Mauern sind hoch und stark genug; wir haben tiefe Gräben und hinlängliche Munition, sowohl für den Bogen, als für die Armbrust. Wir wollen die Burg halten und hoffen, daß sie uns halten wird, bis Gott uns Hülfe sendet.«
»Setzt Euer Leben nicht so aufs Spiel!« versetzte der Walliser Abgesandte in flamändischem Dialekte, den er durch gelegentliche Zusammenkunft mit den Eingeborenen dieser Nation in Pembrokshire fließend sprach, und sich jetzt seiner bediente, um, wie es schien, den Inhalt seiner Rede vor den angeblich im Zimmer befindlichen Engländern verborgen zu halten.
»Hört mich an, guter Flamänder,« fuhr er fort; »weißt Du nicht, daß der, auf den Ihr Euch verlaßt, der Constabel de Lacy, gebunden ist durch sein Gelübde, sich nicht einzulassen in irgend eine Fehde, bis er sich jenseits des Meeres befindet, und daß er folglich, ohne meineidig zu werden, Euch nicht beistehen kann? Er und die anderen Gränzlords haben ihr Antlitz nach Norden gewendet, um sich dem Heere der Kreuzfahrer anzuschließen. Was hilft es Euch, daß Ihr uns die Mühe und Arbeit einer langen Belagerung verursacht, da Ihr auf keinen Entsatz hoffen könnt?«
»Und was hilft es denn mir,« sagte Wilkin, in seiner Muttersprache antwortend, und dabei seinen Blick fest auf den Walliser heftend, doch mit einer Miene, in der jede Spur des Ausdrucks absichtlich verbannt schien, und nur eine merkwürdige Mischung von Trägheit und Einfalt sichtbar war. »Was hilft es denn mir, ob Eure Mühe groß oder klein ist?«
»Freund Flammock,« erwiederte der Walliser, »stelle Dich nicht selbst unverständiger als die Natur Dich schuf. Ein enges Thal ist dunkel, aber ein Sonnenstrahl kann die eine Seite desselben erleuchten. – Du kannst mit allen Anstrengungen den Fall der Burg nicht hindern; aber Du kannst ihn beschleunigen, und dies wird für Dich von großem Nutzen seyn.« Bei diesen Worten trat er dicht zu Flammock und seine Stimme ward bei der folgenden Aeußerung zum leisen Geflüster: »Nie soll das Hinwegschieben eines Riegels, oder das Aufziehen eines Fallgatters einem Flamänder so vielen Vortheil gewähren, als Dir, wenn Du Dich anders dazu verstehen willst.«
»Ich weiß nur so viel,« entgegnete Wilkin, »daß das Vorschieben des einen, und das Herablassen des andern mir meinen ganzen irdischen Unterhalt gekostet hat.«
»Es soll Dir reichlich vergolten werden; Gwenwyns Freigebigkeit ist heilbringend wie der Sommerregen.«
»Alle meine Mühlen und Gebäude sind diesen Morgen niedergebrannt worden.«
»Du sollst tausend Mark Silber zum Ersatz für Deine Güter haben,« sagte der Walliser; allein der Flamänder fuhr fort seine Verluste her zu zählen, ohne auf seine Worte zu achten.«
Meine Aecker sind zerstört, zwanzig Kühe hinweggetrieben, und –«
»Dreißig sollst Du dafür haben,« unterbrach ihn Jorworth, »und zwar die auserlesensten, die wir erbeutet.«
»Aber meine Tochter – aber Lady Eveline –« sagte der Flamänder, mit einer geringen Veränderung seiner einförmigen Stimme, worin Zweifel und Sorge zu liegen schien. »Ihr seyd grausame Sieger, und –«
»Nur denen, die uns widerstehen, sind wir furchtbar,« versetzte Jorworth; »doch denen nicht, welche durch Unterwerfung Gnade verdienen. Gwenwyn wird die Beleidigungen Raymunds vergessen und seine Tochter unter den Töchtern der Cymrier zu hohen Ehren erheben. Was Dein eigenes Kind betrifft, so sprich nur einen Wunsch aus zu ihren Gunsten, und er soll auf der Stelle erfüllt werden. Nun, Flamänder, verstehen wir uns jetzt?«
»Ich zum mindesten verstehe Dich!,« sagte Flammock.
»Und ich Dich, wie ich hoffe,« versetzte Jorworth, sein keckes und wildes blaues Auge auf das einfältige, ausdruckslose Antlitz des Niederländers heftend, wie ein eifriger Gelehrter irgend eine verborgene, geheime Deutung einer Stelle zu entdecken sucht, die auf den ersten Anblick gewöhnlich und unbedeutend scheint.
»Ihr glaubt, Ihr versteht mich,« sagte Wilkin, »Alle die Schwierigkeit liegt darin: wer soll dem Andern trauen?«
»Und das wagst zu noch zu fragen?« versetzte Jorworth. »Ziemt es Dir oder Deines Gleichen, die Pläne des Fürsten von Powys in Zweifel zu ziehen!«
»Ich kenne sie nur durch Dich, mein guter Jorworth, weiß aber wohl, daß Du nicht der Mann bist, der ein Unternehmen aus Mangel an schönen Worten scheitern läßt.«
»So wahr ich ein Christ bin!« sagte Jorworth, Betheurung auf Betheurung häufend. »Bei der Seele meines Vaters – bei dem Glauben meiner Mutter – bei dem schwarzen Kreuz von –«
»Stille, guter Jorworth! Du häufst Deine Eide zu zahlreich auf einander, um ihren Werth gehörig beurtheilen zu können. Das, was so leicht verpfändet wird, hält man mitunter nicht des Einlösens werth. Ein Theil des versprochenen Lohnes baar ausgezahlt wäre mehr werth, als hundert Eide.«
»Argwöhnischer Schuft,« rief Jorworth, »Du wagst es, meine Worte zu bezweifeln?«
»Nein – auf keine Weise,« antwortete Wilkin; »aber ich läugne nicht, Deinen Thaten würd' ich leichter Glauben beimessen.«
»Zur Sache denn, Flamänder!« sagte Jorworth. »Was verlangst Du von mir?«
»Laßt mir nur etwas von dem Geld, das Ihr mir versprecht, erblicken, so will ich über Eure übrigen Vorschläge schon nachdenken.«
»Elender Geldmäckler!« versetzte Jorworth, »glaubst Du, der Fürst von Powys habe so viel Geldsäcke, als die Kaufleute in Deinem Tausch und Handel treibenden Vaterlande? Er sammelt Schätze ein durch seine Eroberungen, wie der Springbrunnen das Wasser durch seine Kraft einsaugt. Aber er zerstreut sie wieder unter seine Getreuen, wie die Wolkensäule ihren Inhalt der Erde und dem Ocean wieder gibt. Das Dir versprochene Geld muß erst aus den Kisten der Sachsen zusammengescharrt werden, ja, Berengars Schatzkästlein muß beisteuern, um die Summe voll zu machen.«
»Ich dächte, das könnt' ich selbst thun, da alle Macht in der Burg in meinen Händen ist,« sagte der Flamänder. »Auf diese Weise erspart' ich Euch die Arbeit.«
»Sehr wahr,« erwiederte Jorworth, »aber ein Strick oder eine Schlinge dürfte leicht Dein Lohn seyn – mögen nun die Walliser die Burg einnehmen oder die Normannen sie entsetzen. Die Einen werden sich auf die ganze Beute Rechnung machen, die Andern die Schätze ihres Landsmannes unverringert empfangen wollen.«
»Das will ich nicht läugnen,« sagte der Flamänder. »Doch gesetzt nun, ich wäre bereit, Euch so weit zu trauen, warum wollt Ihr mir mein Vieh nicht zurückgeben, das doch in Eurer Hand und völlig Eurer Willkür überlassen ist? Wollt Ihr mir nicht im Voraus gefällig seyn, was hab' ich künftig von Euch zu erwarten?«
»Ich würd' Euch eine größere Gefälligkeit erzeigen,« versetzte der eben so argwöhnische Walliser. »Aber was könnt' es Dir helfen, wenn Du das Vieh in der Burg hättest. Unten in der Ebene ist es weit besser versorgt.«
»Wahrlich, Du hast so Unrecht nicht,« sagte der Flamänder. »Es würde uns hier nur beschwerlich seyn, da die Garnison zu ihrem Bedarf schon mit so vielem Vieh versehen ist. Und gleichwohl, wenn ich es ernstlich überlege, so haben wir Fourage genug, um alle die hier sind und noch mehrere zu erhalten. Dann ist auch mein Vieh von ganz besonderem Schlage; es ist von den fetten flandrischen Waideplätzen hieher gebracht worden, und ich wünschte es wohl wieder zu erhalten, eh' Eure Walliser Aexte sich damit zu schaffen gemacht haben.«
»Du sollst Dein Vieh noch diese Nacht unversehrt wieder erhalten,« versetzte Jorworth. »Betrachte dies als ein kleines Handgeld des großen Lohns, der Deiner harrt.«
»Vielen Dank für Eure Freigebigkeit!« sagte der Flamänder. »Ich bin ein gutmüthiger, schlichter Mann, der seine Wünsche auf die Wiedererlangung seines Eigenthums beschränkt.«
»So bist Du also bereit, die Burg zu übergeben?« fragte, Jorworth.
»Darüber wollen wir morgen weiter sprechen,« entgegnete Wilkin Flammock. »Sollten diese Engländer und Normannen einen solchen Plan ahnen, so hätten wir böses Spiel. Sie müssen völlig zerstreut seyn, ehe wir uns weiter über diesen Gegenstand besprechen können. Unterdessen bitt' ich Dich, entferne Dich schnell und stelle Dich, als seyst Du durch den Inhalt unseres Gesprächs beleidigt.«
»Aber ich möchte doch gern etwas Bestimmtes und Entschiedeneres darüber!« sagte Jorworth.
»Das ist unmöglich,« erwiederte der Flamänder, »unmöglich! Seht Ihr nicht, wie der lange Bursch da nach seinem Dolch greift? – Entfernt Euch eilig und entrüstet – und vergeßt das Vieh nicht!«
»Ich werd' es nicht vergessen – aber wenn Du uns nicht Wort hältst« – –
So sprechend verließ er das Zimmer mit drohender Geberde, die theils Wilkin im Ernste galt, theils, seinem Rathe gemäß, zum Schein angenommen ward.
»Thut das Aergste, Herr Walliser,« erwiederte Flammock in englischer Sprache, als wünsche er von den Anwesenden verstanden zu werden; »ich bin ein treuer Mann, und will dieses Schloß behaupten zu Deiner und Deines Gebieters Schande!– He da! verbindet ihm wieder die Augen und führt ihn sicher zurück zu seinen draußen stehenden Begleitern. Der nächste Walliser, der sich vor den Thoren von Garde Doloureuse zeigt, soll unfreundlicher empfangen werden.«
Als der Walliser mit verbundenen Augen abgeführt ward und Wilkin Flammock selbst die Wachtstube verließ, flüsterte einer der angeblichen Reisigen, welche dem Gespräche beiwohnten, ihm auf Englisch in's Ohr: »Du bist ein falscher Verräther, Flammock, und sollst den Tod eines Verräthers sterben!«
Ueberrascht, wollte der Flamänder diesen Mann weiter ausfragen; allein er war verschwunden, als er kaum diese Worte gesprochen hatte. Flammock fühlte sich nicht wenig beunruhigt über diesen Vorfall, der ihm einen Beweis gab, daß sein Gespräch mit Jorworth beobachtet und sein Plan von Jemand verrathen oder gemuthmaßt worden sey, der nicht in sein Vertrauen eingeweiht seinen Absichten leicht hinderlich seyn konnte; und nur zu bald erfuhr er, daß dies wirklich der Fall sey.