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Er war ein Minstrel – sein Verstand
Mit Thorheit eng verbunden.
Im Kreis der Guten schien er mild,
Doch unter Bösen trotzig, wild,
Und froh bei muntern Kunden.
Archibald Armstrong.
Die Ereignisse des vorigen Tages waren so ergreifend und beunruhigend gewesen, daß der Konstabel sich so ermüdet fühlte, als kehre er von einem schwer erkämpften Treffen heim. Er schlief fest, bis die frühen Morgenstrahlen ihn durch das geöffnete Zelt begrüßten. Mit einem gemischten Gefühl von Freude und Unmuth fing er jetzt an, seine Lage zu überlegen, die seit dem vorigen Morgen einen so bedeutenden Wechsel erfahren hatte. Damals war er aufgestanden als ein feuriger Bräutigam, der sich eifrig bemüht, in den Augen seiner schönen Verlobten anmuthig zu erscheinen, und Kleidung und Schmuck so sorgfältig wählt, als wären seine Jahre eben so jugendlich, als seine Hoffnungen und Wünsche.
Dies war nun vorüber, und die schwierige Aufgabe stand vor seiner Seele, seine Verlobte auf mehrere Jahre zu verlassen, selbst noch bevor das Band der Ehe ihre Verbindung unauflöslich gemacht hatte. Er dachte in diesem Augenblicke lebhaft an alle die Gefahren, welchen die weibliche Treue in einer so bedenklichen Lage ausgesetzt sey. Jetzt, wo die dringende Besorgniß um seinen Neffen gehoben war, fühlte er sich versucht zu glauben, er habe doch wohl zu schnell den Vorstellungen des Erzbischofs sein Ohr geliehen, in der Meinung, daß die Genesung Damian's von der buchstäblichen und augenblicklichen Erfüllung seines Gelübdes, nach dem heiligen Lande zu ziehen, abhänge.
»Wie viele Fürsten und Könige,« dachte er, »haben das Kreuz genommen, und gleichwohl ihre Reise verzögert oder völlig aufgegeben. Dennoch lebten und starben sie reich und geehrt, ohne eine solche Züchtigung, womit Balduin mich bedrohte, jemals zu erfahren; und weshalb, oder wodurch verdienten jene Männer mehr Nachsicht als ich? Allein der Würfel ist einmal gefallen, und es ist nutzlos, zu untersuchen, ob mein Gehorsam gegen die Befehle der Kirche die Rettung meines Neffen bewirkte, oder ob ich, wie es den Laien im Streit mit der Geistlichkeit gewöhnlich zu gehen pflegt, in die mir gelegte Schlinge gefallen bin. Wollte Gott, es wäre anders, wo ich dann begeistert mein Schwert als Kämpfer des Himmels umgürtend, um so gewisser rechnen könnte auf seinen Schutz für sie, die ich unglücklicherweise zurücklassen muß.«
Während dieser Betrachtungen hörte er die Wachen vor seinem Zelte einen Herannahenden anrufen, der auf ihr Gebot stehen blieb. Bald darauf hörte man die Töne einer Harfe, deren Saiten mit einem kleinen Rad gespielt wurden. Nach einem kurzen Vorspiel sang eine männliche Stimme von gutem Umfang die nachfolgenden Strophen, welche in neuere Sprache übertragen, etwa so lauten möchten:
»Krieger, auf! der Tag bricht an!
Niemand Ruhm im Schlaf gewann,
Wenn noch nicht der Sonne Strahlen
Glühend roth den Hügel malen.
Doch umblinkt sie licht und her
Helm und Panzer, Schwert und Speer,
Meldet sie im hellsten Lichte,
Heldenthaten der Geschichte.
Soll der Feind fliehn furchterfüllt,
Glüh' im Morgenroth der Schild.
Waffne Dich! Der Morgenstrahl
Rief den Landmann schon in's Thal,
Rief den Fischer zu den Seen,
Rief den Jäger auf die Höhen.
In bestäubten Büchern sucht
Der Gelehrte Weisheitsfrucht.
Krieger auf! Krieg ist dein Spiel,
Sieg die Ernte, Ruhm dein Ziel;
Soll der Feind flieh'n, furchterfüllt,
Glüh' im Morgenroth der Schild.
Kärglich ist des Landmanns Loos,
Wachmanns-Lohn ist auch nicht groß,
Und dem Forscher leih'n die Räume
Dumpfer Weisheit nichts als Träume;
Doch ein Jeder kämpft und wagt,
Wenn noch kaum der Morgen tagt,
Sich um Ziele. Er nur weilt,
Der für Ruhm zum Tode eilt?
Krieger auf! Ein Schreckensbild
Sey dem Feind dein blanker Schild!«
Als das Lied zu Ende war, hörte der Konstabel vor dem Zelte Jemand sprechen, und bald darauf trat Philipp Guarine zu ihm herein, und meldete, daß der, der auf des Konstabel Geheiß erschienen sey, mit ihm zu reden begehre.
»Auf mein Geheiß?« fragte Hugo von Lacy. »Laß ihn auf der Stelle herein kommen.«
Der Bote vom vorigen Abend trat in das Zelt, in der einen Hand seine kleine Mütze mit Federn, in der andern die Harfe haltend, auf der er so eben gespielt hatte. Seine Kleidung war höchst abenteuerlich und bestand aus verschiedenen, über einander gezogenen Wämmsern von den hellsten und glänzendsten, doch zugleich widersprechendsten Farben. Das Oberkleid war ein kurzer, hellgrüner, normännischer Mantel. Ein gestickter Gürtel enthielt statt der Waffen auf der einen Seite ein Schreibzeug nebst Zubehör, auf der anderen ein Messer zum Gebrauch bei Tafel. Sein Haar war so verschnitten, daß es der geistlichen Tonsur glich, um anzudeuten, daß er sich in seiner Kunst bis zu einem gewissen Range erhoben habe. Denn die heitere Kunst, wie das Gewerbe der Minstrels genannt ward, hatte, wie die Geistlichkeit und Ritterschaft, ihre verschiedenen Grade und Würden. Die Züge und das Benehmen des Mannes schienen einen Kontrast zu bilden mit seinem Anzug und Gewerbe: denn so heiter und phantastisch diese waren, so ernst, ja düster war der Ausdruck seines Gesichts, der, wenn er nicht belebt ward durch die Begeisterung seiner poetischen und musikalischen Leistungen, eher tiefes Nachdenken zu verrathen schien, als jene lebhafte Beobachtungsgabe, welche die meisten seiner Genossen charakterisirte. Seine an und für sich nicht schönen Züge gewannen dadurch etwas Einnehmendes, Ergreifendes, das durch den Kontrast mit seinen buntfarbigen flatternden Gewändern noch erhöht ward, und der Konstabel fühlte sich einigermaßen geneigt, sein Gönner zu werden, als er zu ihm sagte: »Guten Morgen, Freund! Ich danke Dir für Deinen Morgengruß. Er war gut gesungen und wohl gemeint; denn wenn wir Jemand auffordern, sich an den schnellen Flug der Zeit zu erinnern, so ehren wir ihn durch die Voraussetzung, daß er diesen flüchtigen Schatz wohl zu benutzen wisse.«
Der Mann, welcher schweigend zugehört hatte, schien mit einer Antwort zu zögern. Endlich erwiederte er mit einer gewissen Anstrengung: »Wenigstens waren meine Absichten gut, als ich wagte, Mylord so früh zu stören; und ich freue mich, daß er meine Kühnheit nicht übel aufgenommen hat.«
»Du wolltest Dir eine Gnade von mir erbitten,« sagte der Konstabel. »Theile mir schnell Dein Gesuch mit, denn meine Zeit ist kurz.«
»Ich bitte um die Gunst, Euch nach dem heiligen Lande zu folgen,« entgegnete der Mann.
»Du verlangst etwas, was ich schwer gewähren kann, mein Freund,« versetzte der Konstabel. »Nicht wahr, Du bist ein Minstrel?«
»Ein unwürdiger Geweihter der heitern Kunst,« erwiederte der Musiker. »Doch laßt mich offen bekennen, daß ich auch dem Könige der Minstrels, dem Gottfried Rudel Im englischen Original: »Geoffrey Rudel«. Ein englischer Minstrel mit diesem Namen ist nicht nachweisbar, wohl jedoch ein französischer: Jaufré Rudel (ca. 1100-1147), ein südfranzösischer Adliger, der als provençalischer Troubador in die Literaturgeschichte einging; sein Nachruhm beruht auch auf der Sage, er habe aufgrund der Berichte von heimgekehrten Jerusalem-Pilgern eine unstillbare Sehnsucht nach der Gräfin von Tripolis im fernen Heiligen Land entwickelt, sich um dieser Fernliebe (amor de lonh) zu einer nie gesehenen Frau willen dem Kreuzzug angeschlossen, sei während der Schiffsreise aber erkrankt und kurz nach seiner Ankunft in den Armen der rasch herbeigerufenen Gräfin gestorben. - Scott setzt vermutlich beim Leser mit seinem fiktiven englischen Gegenstück auf die ›Assonanz‹ zu diesem Troubadour. selbst, nicht weiche, wenn auch der König ihm für einen Gesang vier Rittersitze gegeben hat. Ich bin bereit, in der Romanze, im Liede und in der Fabel einen Wettstreit mit ihm einzugehen, und wäre König Heinrich selbst Kampfrichter.«
»Euer eigenes Wort ist ohne Zweifel ein guter Bürge,« sagte Hugo von Lacy. »Demungeachtet, Herr Minstrel, kann ich Euch nicht mitnehmen. Das Heer des Kreuzfahrer ist schon ohnedies mit Leuten Deines unnützen Gewerbes zu sehr überfüllt. Willst Du ihre Zahl vermehren, so soll es wenigstens nicht unter meinem Schutze geschehen. Ich bin Ihn alt, um durch Deine Kunst bezaubert zu werden, und der Weise sollte überhaupt nie einem Zauber huldigen.«
»Wer jung genug ist, die Liebe der Schönen zu erringen,« versetzte der Minstrel mit unterwürfigem Tone, als fürchte er durch seine Dreistigkeit zu beleidigen, »der sollte sich selbst nicht so alt nennen, daß er für den Zauber der Dichtkunst unempfindlich wäre.«
Der Konstabel lächelte; er fühlte die Schmeichelei, welche ihm den Anschein eines jungen Bewerbers lieh, und sagte dann: »Ich möchte dafür bürgen, daß Du mit Deinen übrigen Eigenschaften noch die eines Lustigmachers verbindest.«
»Nein,« entgegnete der Minstrel, »das ist ein Zweig unseres Gewerbes, dem ich schon seit einiger Zeit entsagt habe. Mein Schicksal hat mir den rechten Ton zum Scherz geraubt.«
»Nun, Freund,« sagte der Konstabel, »ist es Dir schlimm ergangen in der Welt, und kannst Du Dich an einen so strengen und ernsten Haushalt, wie den meinigen, gewöhnen, so können wir vielleicht besser für einander passen, ich glaubte. Wie heißt Du, und wo bist Du her? Deine Sprache hat etwas Fremdartiges.«
»Ich bin ein Armorikaner In römischer Zeit war Ar(e)morica der Name der nordwestlichen Teile Galliens (entspricht in etwa der heutigen Bretagne und der Normandie). Der Golf von Morbihan liegt in der Bretagne., Mylord, von den heitern Küsten Morbihan's. Daher hat mein Dialekt noch Einiges von meiner Landessprache. Mein Name ist Renault Vidal.«
»Da es sich so verhält, Renault,« sagte der Konstabel, »so sollst Du mir folgen, und ich werde meinem Haushofmeister Befehl ertheilen, Dich einigermaßen Deinem Amte gemäß, doch auf geziemendere Weise, zu kleiden. Verstehst Du Dich auch auf die Führung der Waffen?«
»So leidlich, Mylord!« sagte der Armorikaner, und rasch ein Schwert von der Wand nehmend, entblößte er die Klinge und hieb so dicht vor dem Konstabel, der auf dem Ruhebette saß, durch die Luft, daß er aufsprang und rief: »Schurke, halt ein!«
»Seht Ihr, edler Herr!« versetzte Vidal, indem er mit Unterwürfigkeit die Spitze seiner Waffe neigte: »da habe ich Euch bereits einen Beweis meiner Gaukelkünste gegeben, der Euch selbst überraschte – ich kann noch mit hundert andern aufwarten.«
»Das mag seyn,« versetzte Hugo von Lacy etwas beschämt, da ihn die plötzliche lebhafte Bewegung des Gauklers erschreckt hatte. »Allein ich liebe nicht den Scherz mit scharfen Instrumenten, und habe mit Schwert und Schwertstreichen zu viel im Ernst zu thun, als daß ich mit ihnen spielen sollte. Ich bitte Euch d'rum, kein Wort mehr davon! Ruft meinen Knappen und Kämmerling herbei, weil ich mich ankleiden und in die Messe gehen will.«
Sobald die Andachtsübungen des Morgens beendet seyn würden, hatte der Konstabel beschlossen, die Frau Aebtissin zu besuchen, um ihr mit den nothwendigen Vorsichtsmaßregeln und Milderungen die veränderten Verhältnisse zu melden, die zwischen ihm und ihrer Nichte eingetreten waren, da er zum Kreuzzuge aufbrechen mußte, ehe er seine Vermählung in dem dazu bereits festgesetzten Termine vollziehen konnte. Er sah wohl ein, daß es schwierig seyn würde, die gute Dame von diesen veränderten Maßregeln zu überzeugen, und während er darüber nachsann, wie er ihr diese unwillkommene Mittheilung auf die beste Art eröffnen und mildern wolle, verging einige Zeit durch sein Zögern. Dazu kam noch ein Besuch bei seinem Neffen, den er in so vortheilhaftem Gesundheitszustande antraf, daß derselbe in der That eine wunderbare Folge seiner Annahme der Rathschläge des Erzbischofs zu seyn schien.
Von der Wohnung Damian's begab sich der Konstabel zur Aebtissin des Benediktinerklosters. Aber sie hatte bereits alles, was er ihr mittheilen wollte, bei einem früheren Besuche des Erzbischofs Balduin erfahren. Der Primas hatte die Rolle eines Vermittlers übernommen, da er wohl einsah, daß der am Abend zuvor über den Konstabel errungene Sieg diesen mit der Verwandten seiner Braut in sehr unangenehme Verhältnisse bringen mußte. Er glaubte daher durch sein Ansehen und Gewicht die Zwistigkeiten, welche daraus entstehen konnten, beilegen zu müssen. Besser wäre es vielleicht gewesen, wenn er Hugo von Lacy seine eigene Sache hätte führen lassen; denn die Aebtissin, obgleich sie seine Eröffnung mit all' der Ehrerbietung vernahm, die dem höchsten Dignitar der englischen Kirche gebührte, zog Folgerungen aus dem veränderten Entschluß des Konstabels, welche der Primas nicht erwartet hatte. Zwar wagte sie es nicht, Hugo von Lacy in der Erfüllung seines Gelübdes zu hindern; allein sie verlangte dringend, daß der Ehekontrakt mit ihrer Nichte gänzlich aufgelöst, und jedem Theil völlige Freiheit gelassen werde, eine neue Wahl zu treffen.
Der Erzbischof war umsonst bemüht, die Aebtissin durch den Ruhm zu blenden, den der Konstabel im heiligen Lande erringen werde – ein Ruhm, dessen Glanz nicht nur auf seine Gemahlin, sondern auch auf Alle zurückfiele, die im entferntesten Grade mit ihm verwandt wären. Seine Beredsamkeit blieb ohne Wirkung, so sehr er sie auch bei einem solchen Lieblingsgegenstande anstrengte. Zwar schwieg die Aebtissin augenblicklich, als er seine Beweggründe erschöpft hatte; allein es geschah blos, um auf eine schickliche und ehrbare Weise anzudeuten, daß Kinder, die gewöhnliche Folge einer glücklichen Ehe, und der Grund, worauf sie die Fortdauer von ihres Vaters und Bruders Hause baute, wahrscheinlich nicht erwartet werden könnten, wenn dem Verlöbniß nicht die Vollziehung der Ehe folge und die Neuvermählten nicht an Einem Orte lebten. Daher bestand sie darauf, da der Konstabel in diesem wichtigen Punkte seine Meinung geändert habe, so müßte die Verlobung als gänzlich aufgelöst und abgebrochen betrachtet werden, und sie verlangte von dem Prälaten, als einen Beweis seiner Gerechtigkeit, daß, wie er den Bräutigam an der Ausführung seiner Plane gehindert habe, er ihr jetzt behülflich seyn müsse, die gänzliche Auflösung eines Bündnisses zu bewirken, das durch ihn so wesentlich gestört worden sey.
Der Primas, wohl einsehend, daß er selbst Hugo von Lacy's Bruch des Ehekontrakts veranlaßt habe, fühlte sich selbst, in Betreff seines Rufs und seiner Ehre, verpflichtet, Folgen vorzubeugen, die seinem Freunde so unangenehm seyn mußten, als die gänzliche Auflösung einer Verbindung, die sein Interesse und seine Neigung auf gleiche Weise in Anspruch nahm. Er tadelte die irdischen, fleischlichen Ansichten, welche die Aebtissin in Betreff der Ehe und der Vortheile ihres Hauses nähre. Ja, er warf ihr sogar vor, sie ziehe aus Eigennutz die Fortdauer des Hauses Berengar der Befreiung des heiligen Grabes vor, und verkündete ihr, daß der Himmel die kurzsichtige, blos menschliche Politik, die das Interesse der gesammten Christenheit dem einer einzigen Familie nachsetze, offenbar rächen werde.«
Nach dieser strengen Rede entfernte sich der Prälat und ließ die Aebtissin sehr entrüstet zurück, die sich gleichwohl vorsichtig enthielt, seine väterlichen Ermahnungen durch irgend eine unehrerbietige Antwort zu erwiedern.
In dieser Stimmung fand der Konstabel die ehrwürdige Dame, als er mit einiger Verlegenheit ihr die Nothwendigkeit seiner schnellen Abreise nach Palästina darzuthun suchte.
Sie vernahm seine Worte mit einer düstern Zurückhaltung. Ihr weites schwarzes Gewand und Skapulier Überwurf über die Tunika einer Ordenstracht. schien gleichsam aufzuschweben und sich in noch stolzere Falten zu blähen, als sie den Gründen und der dringenden Nothwendigkeit Gehör gab, welche den Konstabel zwangen, seine Vermählung bis zur Heimkehr von seinem Kreuzzuge aufzuschieben, was keineswegs der Wunsch seines Herzens war.
»Sind Eure Worte ernstlich gemeint,« versetzte die Aebtissin mit großer Kälte, – »und weder die Sache selbst, noch meine Person sind, wie mich dünkt, zum Scherz geeignet – so scheint es mir, der Entschluß des Herrn Konstabels hätte uns gestern erklärt werden sollen, vor der Vollziehung seines Verlöbnisses mit Evelinen Berengar, das uns zu ganz andern Erwartungen berechtigte, als wir sie jetzt erfüllt sehen.«
»Ich geb' Euch mein Ehrenwort als Ritter und Edelmann ,« sagte Hugo von Lacy, »daß ich nicht den geringsten Gedanken hegte, zu einem Schritt genöthigt zu werden, der mir nicht geringern Kummer verursacht, als er Euch, wie ich leider sehe, mißfällt.«
»Ich kann die unwiderstehlichen Gründe kaum begreifen,« erwiederte die Aebtissin. »Nothwendigerweise mußten sie gestern so gut vorhanden seyn, als heute, und demungeachtet hat sich ihre Wirksamkeit so lange verzögert.«
»Ich gestehe,« entgegnete Hugo von Lacy, »ich gab zu leicht der Hoffnung Raum, eine Erlassung meines Gelübdes zu erlangen, welche der Erzbischof von Canterbury in seinem Eifer für den Dienst des Himmels mir versagen zu müssen glaubt.«
»Wenigstens wird Ew. Herrlichkeit,« sagte die Aebtissin, ihre Entrüstung unter dem Schein der äußersten Kälte verbergend, »uns die Gerechtigkeit widerfahren lassen, uns in dieselbe Lage zurück zu versetzen, in der wir uns gestern Morgen befanden. Ihr werdet, im Verein mit meiner Nichte und ihren Freunden hoffentlich die Aufhebung des Ehekontrakts bewirken, der unter ganz andern Ansichten, als Ihr sie jetzt hegt, geschlossen ward, und auf diese Weise einer jungen Person die Freiheit wiedergeben, welche die mit Euch getroffene Uebereinkunft ihr raubt.«
»Ach, Madame!« rief der Konstabel: »Was verlangt Ihr von mir? Ihr begehrt mit kaltem, gleichgiltigem Tone, daß ich den theuersten Hoffnungen entsage, die jemals mein Herz genährt, so lang' ich athme?«
»Ich kenne nicht die Sprache dieser Gefühle, Mylord!« erwiederte die Aebtissin; »aber mich dünkt, daß man Aussichten, die man so leicht Jahre lang hinausschiebt, wohl mit geringer – sehr geringer Selbstbeherrschung für immer entsagen könnte.«
Hugo von Lacy ging unruhig im Zimmer auf und ab, und antwortete erst nach einer langen Pause. »Theilt Eure Nichte,« sagte er endlich, »die Gefühle, die Ihr so eben geäußert, so kann ich in der That, wenn ich gerecht gegen sie oder gegen mich selbst seyn will, es nicht wünschen, den Antheil an ihrem Geschick zu behalten, den unsere feierliche Verlobung mir ertheilt hat. Aber von ihren eigenen Lippen muß ich mein Urtheil vernehmen, und ist es so streng, als Eure Aeußerungen mich fürchten lassen, so werd' ich nach Palästina ziehen, ein um so besserer Streiter für den Himmel, als ich auf Erden wenig zurücklasse, was Werth für mich hat.«
Die Aebtissin ertheilte, ohne weitere Antwort, einer Nonne Befehl, ihre Nichte sogleich herbei zu führen. Jene verneigte sich ehrerbietig und zog sich zurück.
»Darf ich fragen,« sagte Hugo von Lacy, »ob Lady Eveline die Umstände kennt, welche diese unglückselige Veränderung meines Entschlusses bewirkten?«
»Ich habe ihr das Ganze, Punkt für Punkt, mitgetheilt,« erwiederte die Aebtissin, »genau so, wie es mir diesen Morgen durch den Erzbischof von Canterbury, mit dem ich über diesen Gegenstand sprach, auseinander gesetzt ward, und wie es mir jetzt Euer eigener Mund bestätigt.«
»Ich bin dem Erzbischof wenig dafür verbunden,« erwiederte der Konstabel, »daß er mir in meiner Entschuldigung an dem Orte vorgriff, wo es mir so wichtig war, sie auf's Genaueste erörtert und günstig aufgenommen zu sehen.«
»Dieser Punkt,« entgegnete die Aebtissin »betrifft nur das zwischen Euch und dem Prälaten stattfindende Verhältniß – uns geht er nichts an.«
»Darf ich hoffen,« fuhr Hugo von Lacy fort, der durch die trockene Kälte der Aebtissin nicht beleidigt zu seyn schien, »daß Lady Eveline diesen unglücklichen Wechsel der Umstände ohne Erschütterung – ohne Unmuth wollt' ich sagen – vernommen hat.«
»Sie ist die Tochter eines Berengar, Mylords!« entgegnete die Aebtissin. »Es ist bei uns Sitte, einen Wortbruch zu bestrafen oder zu verachten, niemals aber darüber zu trauern. Was meine Nichte in diesem Fall thun wird, weiß ich nicht. Ich bin eine Dienerin der Religion, bin abgeschieden von der Welt, und würde zum Frieden und christlicher Vergebung rathen, doch nicht ohne die gebührende Verachtung der unwürdigen Behandlung, die ihr zu Theil ward, an den Tag zu legen. Sie besitzt ihre Mannen und Vasallen, und ohne Zweifel Freunde und Rathgeber, die vielleicht im blinden Eifer für ihre weltliche Ehre ihr nicht empfehlen werden, eine solche Kränkung gleichgiltig zu übersehen, sondern sie vielleicht ermuntern, an den König zu appelliren oder die Lehnsleute ihres Vaters zu bewaffnen, damit sie durch die Vernichtung des Kontrakts, zu dem sie verlockt ward, ihre Freiheit wieder erhalte. Aber hier kommt sie, um für sich selbst zu sprechen.«
Eveline erschien, auf Rosens Arm gelehnt. Sie hatte seit der Feierlichkeit ihrer Verlobung die Trauer abgelegt, und trug unter einem blaßblauen Gewande ein weißes Unterkleid. Ihr Haupt bedeckte ein Schleier von weißem Flor, der so dünn war, daß er sie wie die geheimnißvolle Wolke umfloß, in die der Maler gewöhnlich das Antlitz eines Seraphs hüllt. Allein Evelinens Gesicht, an Schönheit zwar dieses himmlischen Urbildes nicht unwürdig, war in diesem Augenblicke weit entfernt, in dem ruhigen Ausdruck der Züge einem Seraph zu gleichen. Ihre Glieder zitterten, die Wangen waren bleich und die Augen leicht geröthet von unlängst vergossenen Thränen. Aber selbst bei diesen Zeichen des Kummers und der Unruhe drückte sich in ihrem ganzen Wesen die tiefste Ergebung aus. Der feste Entschluß, auch im dringendsten Falle ihrer Pflicht treu zu bleiben, herrschte in dem feierlichen Blick ihres Auges, und zeigte, wie sehr es ihr Ernst war, die innere Bewegung, die sie nicht ganz unterdrücken konnte, zu beherrschen. Die entgegengesetzten Empfindungen der Furcht und Entschlossenheit mischten sich auf ihren Wangen so seltsam, daß Eveline in dem höchsten Stolze ihrer Schönheit nie bezaubernder erschienen war, als in diesem Augenblick. Hugo von Lacy, so ein leidenschaftsloser Liebhaber er bisher gewesen war, stand jetzt vor ihr, bewegt von Gefühlen, welche die übertriebensten Schilderungen der Romantiker wahr machten, und seine Gebieterin schien ihm ein Wesen aus einer höhern Sphäre zu seyn, dessen Ausspruch ihm Glück oder Elend, Leben oder Tod verkünden sollte.
Beherrscht durch den Einfluß dieser Gefühle ließ der Krieger sich vor Evelinen auf ein Knie nieder, und ihre Hand ergreifend, welche sie ihm vielmehr überließ, als gab, drückte er sie feurig an seine Lippen und benetzte sie mit den wenigen Thränen, die man ihn jemals vergießen sah. Aber so sehr ihn auch diese augenblickliche Aufregung überraschtes, die so wenig in seinem Charakter lag, so gewann er doch schnell seine Fassung wieder, als er sah, daß die Aebtissin diese Demüthigung, wenn man sie so nennen darf, mit triumphirendem Blick betrachtete. Er begann daher seine Vertheidigung vor Evelinen mit männlichem Ernst, der, wenn er auch Wärme und innere Bewegung verrieth, doch sich mit so festem Tone aussprach, als ob er dem Zorn der beleidigten Aebtissin muthig Trotz bieten wollte.
»Lady,« begann er, indem er sich zu Evelinen wandte, »Ihr habt von der hochwürdigen Aebtissin vernommen, in welche unglückliche Lage ich seit gestern durch die hartherzige Strenge des Erzbischofs versetzt worden bin – vielleicht sollt' ich es eher seine gerechte, wenn auch strenge Auslegung meines Gelübdes der Theilnahme am Kreuzzuge nennen. Ich kann nicht zweifeln, daß Euch dies Alles von der hochwürdigen Frau Aebtissin mit pünktlicher Treue mitgetheilt worden ist. Da ich sie aber nicht länger meine Freundin nennen soll, so ist wohl meine Besorgniß verzeihlich, ob sie mir Gerechtigkeit widerfahren ließ bei der Erörterung jener unglücklichen Nothwendigkeit, die mich zwingt, mein Vaterland zu verlassen und mit ihm den schönsten Hoffnungen, denen ich jemals Raum gab, zu entsagen, oder im günstigsten Falle sie wenigstens aufzuschieben. Die hochwürdige Frau macht es mir zum Vorwurf, daß während ich selbst Ursache bin, daß die Vollziehung des gestern abgeschlossenen Kontrakts vertagt ward, ich gleichwohl auf eine Reise von unbestimmten Jahren hinaus Euch dadurch fesseln möchte. Niemand entsagt gern solchen Rechten, wie sie mir der gestrige Tag verlieh; ja, ich darf rühmen, eh' ich sie irgend einem Sterblichen abträte, solltet Ihr mich zum Kampf bereit und drei Tage hindurch, vom Sonnenaufgang bis zum Niedergang, mit gezogenem Schwert und scharfem Speer einen so edlen Preis gegen Jedermann behaupten sehen. Aber was ich vertheidigen würde, und gält' es tausend Leben, dem bin ich bereit zu entsagen, falls es Euch einen einzigen Seufzer kostet! – Glaubt Ihr daher, als die Verlobte Hugo von Lacy's nicht glücklich zu bleiben, so sey der Kontrakt vernichtet, wenn Ihr wollt, und Euch Freiheit gegeben, die Seligkeit eines glücklichern Mannes zu begründen.«
Er hätte fortgefahren, allein er fühlte die Gefahr, wieder überwältigt zu werden von jenen zärtlichen Gefühlen, die seinem ernsten Charakter so neu waren, daß er erröthete, sie an den Tag zu legen.
Eveline schwieg noch immer, und die Aebtissin nahm das Wort. »Nichte,« sagte sie, »Ihr hört, daß die Großmuth – oder Gerechtigkeit des Konstabels Euch, in Betreff seiner nahen Abreise zu einem gefahrvollen und entfernten Unternehmen, den Vorschlag macht, einen Kontrakt aufzugeben, welcher unter der ausdrücklichen und festen Bedingung eingegangen ward, daß Hugo von Lacy zu seiner Vollziehung in England bliebe. Mich dünkt, Ihr könnt kein Bedenken tragen, die Freiheit, die er Euch anbietet, mit Dank für seine Güte anzunehmen. Was mich betrifft, so will ich meine Erkenntlichkeit aufschieben, bis ich sehe, daß Eure vereinten Bemühungen hinreichend sind, den Erzbischof von Canterbury zur Genehmigung Eures Vorsatzes zu stimmen, da eben dieser Erzbischof leicht wieder die Gesinnungen des Herrn Konstabels verändern könnte, auf die er schon Einmal so großen Einfluß hatte – ohne Zweifel zum Besten seines Seelenheils.«
»Meint Ihr, ehrwürdige Frau, durch diese Worte anzudeuten, daß es auf irgend eine Weise in meinem Plane liegt, mich der Autorität des Prälaten zu bedienen, um unter ihrem Schutze der Erfüllung desjenigen auszuweichen, wozu ich mich bereit erklärte, so wenig es mit meinen Wünschen übereinstimmt, so kann ich nur so viel sagen, daß Ihr die Erste seyd, welche das Wort Hugo's von Lacy bezweifelte.«
Während der stolze Freiherr auf diese Weise zu einer Frau und geistlichen Dame obendrein sprach, konnte er nicht das Funkeln seines Auges unterdrücken und seine Wange glühte vor Zorn.
»Meine gnädige und ehrwürdige Tante,« sagte Eveline, ihre ganze Entschlossenheit zusammennehmend, »und Ihr, Mylord, möge Euch meine Bitte nicht beleidigen, durch grundlosen Argwohn und rasche Erbitterung nicht Eure schwierige Lage, so wie die meinige zu verschlimmern. Mylord, meine Verbindlichkeiten gegen Euch sind so beschaffen, daß ich sie nie abtragen kann, da ich Euch mein Vermögen, mein Leben, meine Ehre schuldig bin. Wißt, daß in der Angst meines Herzens, als mich die Walliser auf meinem Schlosse Garde Doloureuse belagerten, ich der heiligen Jungfrau gelobt habe, daß (außer meiner Ehre) ich mich selbst, mit all meinem Besitz, dem zum freien Eigenthum übergeben würde, den Unsere Frau zum Werkzeug meiner Erlösung aus jener Todesangst erwählen würde. Indem sie mir den Befreier sandte, gab sie mir den Gebieter; und nie hätt' ich mir einen edlern wünschen können, als Hugo von Lacy.«
»Gott verhüt' es, Lady ,« sagte der Konstabel schnell, als ob er in seinem Entschlusse wankend zu werden fürchtete, eh' er seine Entsagung ausgesprochen hätte: »Gott verhüt' es, daß ein Gelübde, welches die dringende Noth abzwang, Euch zu irgend einem Entschlusse verpflichten sollte, der mir zu Gunsten, aber Eurer Neigung zuwider wäret!«
Die Aebtissin selbst konnte nicht umhin, dieser Aeußerung ihren Beifall zu zollen. Sie erklärte, daß sie eines ächten normännischen Edlen würdig sey; doch der Blick, den sie zugleich auf ihre Nichte heftete, schien diese aufzufordern, sich wohl vorzusehen, ehe sie es ablehne, Hugo's Edelmuth zu benutzen.
Doch ohne auf die Aeußerungen irgend eines Andern zu achten, fuhr Eveline mit zu Boden gesenktem Blick und leicht gerötheter Wange fort, ihre eigenen Gefühle auszusprechen: »Ich gesteh' es, edler Herr»« sagte sie, »als Eure Tapferkeit mich vom drohenden Untergang rettete; da hätt' ich gewünscht, daß Ihr, den ich achtete und ehrte wie meinen trefflichen Vater, Euren Freund, von mir die Dienste einer Tochter hättet annehmen mögen. Ich behaupte nicht, daß ich diese Gefühle völlig besiegt habe, doch hab' ich sie ernstlich bekämpft, da sie meiner unwürdig waren und Undankbarkeit gegen Euch verriethen. Doch von dem Augenblick an, da Ihr Euch um diese geringe Hand bewarbt, hab' ich sorgfältig meine Empfindungen gegen Euch geprüft und sie mit meiner Pflicht so völlig in Uebereinstimmung gebracht, daß ich überzeugt bin, Hugo von Lacy werde in mir keine gleichgiltige, noch weniger eine unwürdige Braut finden. Darauf, Sir, mögt Ihr kühn bauen, gleichviel, ob die von Euch gewünschte Verbindung jetzt stattfinde oder noch weiter hinausgeschoben werde. Ueberdies muß ich gestehen, daß die Verzögerung der Vermählung mir erwünschter ist, als ihre augenblickliche Vollziehung. Ich bin noch sehr jung und völlig unerfahren. Zwei bis drei Jahre älter werd' ich hoffentlich der Bewerbung eines Mannes von Ehre noch würdiger seyn.«
Bei dieser Erklärung zu seinen Gunsten, so kalt und gemäßigt sie auch war, wurde es Hugo von Lacy eben so schwer, sein Entzücken, als früherhin seine innere Bewegung zu verbergen.«
»Engel der Güte und Huld!« rief er, abermals niederknieend und ihre Hand ergreifend; »vielleicht sollte mir die Ehre gebieten, freiwillig zu entsagen den Hoffnungen, die Ihr mir nicht gewaltsam rauben wollt. Doch wer ist einer so gefühllosen Seelengröße fähig? Laßt mich hoffen, daß meine innige Anhänglichkeit – daß, was Ihr aus der Ferne von mir hören – was Ihr in der Nähe in mir finden sollt, Euren Gefühlen mehr zärtliche Wärme als jetzt verleihen wird. Tadelt mich indessen nicht, wenn ich auch unter den von Euch ausgesprochenen Bedingungen wieder Euren Schwur der Treue annehme. Ich fühle es, meine Bewerbung geschah in zu späten Lebensjahren, um mit dem Feuer jugendlicher Leidenschaft erwiedert werden zu können. Tadelt mich nicht, wenn ich mich mit jenen ruhigern Empfindungen begnüge, welche das Leben beglücken, wenn sie auch nicht den Rausch der Leidenschaft erwecken. Ihre Hand ruht in der meinen, aber sie erwiedert ihren Druck nicht – sollte sie sich weigern, dasjenige zu bestätigen, was ich von Euren Lippen vernahm?«
»Nie, edler Hugo von Lacy!« rief Eveline mit größerer Lebhaftigkeit, als sie bisher gezeigt hatte; und es schien, daß ihr Ton aufmunternd genug sey, da ihr Liebhaber sich erkühnte, ihre Lippen selbst zu Bürgen seines Glücks zu nehmen Mit einem gewissen Stolz, welchen Ehrfurcht begleitete, wandte sich Hugo von Lacy, nachdem er dies Pfand der Treue empfangen, zur Aebtissin, um die Beleidigte und Erzürnte zu versöhnen.
»Hoffentlich, hochwürdige Mutter,« sagte er, »werdet Ihr wieder die frühern wohlwollenden Gesinnungen gegen mich hegen, die offenbar nur die zärtliche Besorgniß für das Wohl derjenigen, die uns Beiden am theuersten seyn muß, zu stören vermochte. Laßt mich hoffen, daß ich diese zarte Blume unter dem Schutz der ehrenwerthen Frau zurücklasse, die ihr durch die Bande des Bluts am nächsten steht. Möge sie, von Euren Rathschlägen geleitet, sicher und glücklich in diesen heiligen Mauern verweilen.«
Allein der Aebtissin Unmuth war zu groß, um durch diese Artigkeit besänftigt zu werden, die vielleicht in einem ruhigern Augenblick von mehr Wirkung gewesen wäre.
»Mylord,« sagte sie, »und Ihr, meine werthe Nichte, Ihr solltet einsehen, wie wenig mein Rath – den ich nicht oft da ertheile, wo man ihn ungern hört – denen nützlich seyn kann, die im Treiben dieser Welt befangen sind. Mein Leben ist der Religion, der Einsamkeit und Abgeschiedenheit – mit Einem Wort, dem Dienst Unserer Frau und St. Benedikt's geweiht. Ich bin bereits von meinen Obern getadelt worden, daß ich mich aus Liebe zu Euch, werthe Nichte, tiefer in weltliche Angelegenheiten mischte, als es der Vorsteherin eines Klosters ziemt. Ich will keinen fernern Vorwurf in dieser Hinsicht verdienen, was Ihr auch nicht von mir verlangen könnt. Meines Bruders Tochter, an keine irdischen Bande gekettet, war mir eine willkommene Gefährtin in meiner dürftigen Einsamkeit. Aber dies Haus ist zu gering für den Aufenthalt der Braut eines mächtigen Freiherrn; auch fühle ich in meiner Niedrigkeit und Unerfahrenheit mich nicht fähig über sie jene Gewalt auszuüben, die mir über eine jede Andere zusteht, welche den Schutz dieses Daches genießt. Den ernsten Inhalt unserer Andacht und die heiligen Betrachtungen, denen die Bewohnerinnen dieses Hauses sich weihen,« fuhr die Aebtissin mit steigender Hitze und Lebhaftigkeit fort, »sie möge nicht, zu Gunsten meiner weltlichen Verbindungen, das Eindringen derer stören, die ihre Gedanken natürlich auf die irdischen Bande der Liebe und Ehe richten müssen.«
»Ich glaube wohl, ehrwürdige Mutter,« entgegnete der Konstabel, seinerseits ebenfalls dem Unmuth Raum gebend, »daß ein reiches, begütertes Mädchen, das unverlobt ist, und der Ehe vielleicht ganz entsagte, eine passendere und willkommenere Klosterbewohnerin wäre, als eine, die nicht mehr von der Welt geschieden werden kann, und deren Schätze deshalb wahrscheinlich nicht die klösterlichen Einkünfte vergrößern werden.«
Der Konstabel that der Aebtissin durch die übereilte Aeußerung sehr Unrecht, die nur dazu beitrug, ihren Entschluß zu befestigen, jede Sorge für ihre Nichte in seiner Abwesenheit abzulehnen. Sie war in der That eben so uneigennützig als stolz, und der einzige Grund ihres Unmuths gegen Evelinen war der, daß man nicht ohne Anstand Hier im Sinne von »sogleich«. ihren Rath befolgte, wiewohl Evelinens Glückseligkeit hier allein auf dem Spiele stand.
Die unzeitige Bemerkung des Konstabels bestärkte sie in Ihrem übereilt gefaßten Entschlusse. »Herr Ritter,« sagte sie, »der Himmel möge Euch die kränkende Ansicht vergeben, die Ihr von seinen Dienern hegt. Es ist in der That Zeit, für das Heil Eurer Seele zu sorgen und im heiligen Lande Buße zu thun, da Ihr so übereilte Aeußerungen zu bereuen habt. Was Euch betrifft, Nichte, so bedürft Ihr meiner Gastfreiheit nicht, die ich Euch jetzt in so fern nicht gewähren kann, als ich dadurch einen ungerechten Argwohn wirklich, oder wenigstens scheinbar, bestätigen würde. Ihr habt ja in Eurer Großtante zu Baldringham eine Verwandte, durch die Bande des Bluts fast eben so nahe an Euch gekettet, als ich selbst. Sie kann Euch die Pforten ihres Hauses öffnen, ohne den unwürdigen Vorwurf befürchten zu müssen, daß sie sich auf Eure Kosten bereichern wolle.«
Der Konstabel sah die Todtenblässe, welche bei diesem Vorschlag Evelinens Wangen umzog, und ohne den Grund ihres Widerwillens zu kennen, beeilte er sich, sie den Besorgnissen zu entreißen, die sie sichtbar zu erfüllen schienen.
»Nein, hochwürdige Mutter,« sagte er, »da Ihr so hart die Sorge für Eure Verwandte zurückweist, so soll sie keiner ihrer übrigen Angehörigen zur Last fallen. Hugo von Lacy hat sechs stattliche Burgen und manches Besitzthum außerdem, und seine verlobte Braut soll mit ihrer Gesellschaft Niemand belästigen, dem ihre Gegenwart nicht als die höchste Ehre erscheint. Und ich müßte mich für viel ärmer halten, als ich es durch die Gnade des Himmels bin, wenn ich sie nicht mit Freunden und Mannen hinreichend versehen könnte, die ihr dienten, gehorchten und sie beschützten.«
»Nein, Mylord,« entgegnete Eveline, sich von der Niedergeschlagenheit erholend, in welche die Unfreundlichkeit ihrer Verwandten sie versetzt hatte, »da irgend ein unglückliches Geschick mir den Schutz der Schwester meines Vaters raubt, dem ich mich mit vollem Vertrauen so gern übergeben hätte, so will ich weder an irgend einen entfernten Verwandten wegen eines Obdachs mich wenden, noch das Eure, mir so großmüthig dargebotene annehmen, da ein solcher Schritt mir bittere und offenbar unverdiente Vorwürfe gegen diejenige zuziehen würde, die mich zwang, einen minder schicklichen Wohnort zu suchen. Mein Entschluß ist gefaßt. Zwar blieb mir nur noch eine Freundin, allein sie ist mächtig, und kann mich schützen wider das unheilbringende Geschick, das mich zu verfolgen scheint, so wie gegen die gewöhnlichen Unfälle des Lebens.«
»Vermuthlich meint Ihr die Königin?« sagte die Aebtissin, sie ungeduldig unterbrechend.
»Die Königin des Himmels, hochwürdige Tante!« versetzte Eveline; »Unsere Frau von Garde Doloureuse, die stets unserem Hause sich gnädig erwies, und sich noch vor Kurzem als meine besondere Beschützerin zeigte. Mich dünkt, da die Geweihte der heiligen Jungfrau mich zurückweist, so sollte ich zu der Schutzheiligen selbst meine Zuflucht nehmen.«
Die hochwürdige Frau, etwas überrascht von dieser Antwort, rief ein unmuthiges »Hm!« in einem Tone, der sich besser für einen Lollarden Lollarden: religiöse Bewegung, die sich ausgehend von den Lehren John Wyclifs in England gegen Ende des 14. Jh. entwickelte und viele der Thesen Martin Luthers vorwegnahmen. oder Bilderstürmer, als für eine katholische Aebtissin und Tochter des Hauses Berengar geschickt hätte. Allerdings hatte sich ihre Ehrerbietung für Unsere Frau von Garde Doloureuse sehr vermindert, seit sie die Wunderkraft eines andern Heiligenbildes kennen gelernt hatte, welches im Besitz ihres Klosters war.
Sie schwieg indeß, sich wiederum sammelnd, während der Konstabel meinte, die Nähe der Walliser sey für den künftigen Aufenthalt seiner Verlobten gefährlich, wie sie dies bereits erfahren habe. Eveline aber erinnerte ihn an die starke Befestigung ihrer väterlichen Burg, an die verschiedenen Belagerungen, die sie ausgehalten, und wie sie damals blos der wichtige Umstand in Gefahr gebracht habe, daß ihres Vaters Ehre ihn verpflichtet habe, mit der Garnison auszuziehen, und einen nicht vortheilhaften Kampf unter den Mauern der Veste zu wagen. Sie führte ferner an, wie leicht es für den Konstabel sey, unter seinen oder ihren Vasallen einen Seneschall zu ernennen, der durch seine Tapferkeit und Vorsicht sowohl für die Sicherheit der Burg, als für die ihrer Gebieterin einstehen könne.
Ehe Hugo von Lacy auf diese Gründe etwas erwiedern konnte, stand die Aebtissin auf, und schützte ihre völlige Unfähigkeit vor, in weltlichen Dingen Rath zu ertheilen. Auch riefen die Regeln ihres Ordens, wie sie mit steigender Röthe und erhöhter Stimme sagte, sie zu der einfachen, friedlichen Erfüllung ihrer klösterlichen Pflichten. So ließe sie nun die Verlobten in dem Sprachzimmer ohne weitere Gesellschaft, als Rosen, die sich in einiger Entfernung zurückgezogen hatte.
Der Ausgang ihrer geheimen Unterredung schien Beiden gleich erwünscht zu seyn. Als Eveline späterhin Rosen mittheilte, sie werde sogleich unter hinreichender Bedeckung nach dem Schlosse Garde Doloureuse zurückkehren, und dort die Zeit während des Kreuzzuges zubringen, verrieth der Ton ihrer Stimme eine so herzliche Zufriedenheit, wie sie ihre Dienerin lange nicht an ihr bemerkt hatte.
Auch erwähnte sie mit dankbarer Anerkennung die Uebereinstimmung des Konstabel mit ihren Wünschen, und lobte sein ganzes Benehmen mit einer Wärme, die sich beinahe einer zärtlicheren Empfindung näherte.
»Wenn ich offen sprechen soll,« sagte Rose, »so bin ich überzeugt, Ihr müßt mir zugeben, daß Ihr diesen Aufschub mehrerer Jahre, der Euer Verlöbniß und Eure Vermählung trennt, eher in einem angenehmen Lichte betrachtet.«
»Das gestehe ich allerdings,« erwiederte Eveline; »auch habe ich meinem künftigen Gemahl diese Empfindungen nicht verhehlt, so unpassend sie auch scheinen mögen. Aber, Rose, meine Jugend ist es, meine große Jugend, weshalb ich mich vor den Pflichten der Gattin Hugo's von Lacy scheue. Seltsam haben auch jene bösen Vorbedeutungen auf mich gewirkt. Von Einer Verwandten mit Verwünschungen überhäuft, von der Andern fast mit Gewalt aus ihrer Wohnung hinausgestoßen, komme ich mir jetzt selbst wie ein Geschöpf vor, welches das Unglück, wohin es sich auch wende, mit sich bringt. Aber diese unglückliche Stunde und was mehr, als sie ist, die Furcht vor derselben, wird mit der Zeit vergehen. Habe ich erst das zwanzigste Jahr erreicht, so werde ich eine völlig entwickelte Frau seyn, die mit dem starken Geiste der Berengare jene bangen Zweifel überwinden wird, vor denen das Mädchen erbebte.«
»Ach! meine süße Gebieterin!« antwortete Rose. »Gott und Unsere Frau von Garde Doloureuse mögen Alles zum Besten lenken! Aber ich wollte, der Kontrakt hätte nicht Statt gefunden, oder, da er nun einmal geschlossen ward, so wünschte ich, die Vermählung wäre sogleich hinterdrein erfolgt.«