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Sey ohne Furcht, mein tapfrer John,
Daß ich Dich je betröge,
Und einer Pflicht, wenn sie auch Leid
Mir brächte, mich entzöge.
Seyd Zeugen mir, ihr Heil'gen all',
Du Stern mit lichtem Scheine!
Heut' Nacht noch sey geknüpft das Band,
Das unsre Treu vereine.
Altschottische Ballade.
Von ihrem Gebieter zurückgelassen, wanderten die beiden Diener Hugo's von Lacy mürrisch schweigend vorwärts, wie ein Paar Menschen, die sich gegenseitig hassen und einander nicht trauen, doch gleichwohl zu gemeinsamem Dienste verbunden, die gleichen Hoffnungen und Besorgnisse theilen. Die Abneigung war in der That auf Guarine's Seite, denn nichts konnte Renault Vidal gleichgültiger seyn, als sein Gefährte, außer, daß er sich bewußt war, Philipp liebte ihn nicht, und werde wahrscheinlich, so weit es in seiner Macht stehe, einige ihm sehr wichtige Pläne zu hintertreiben suchen. Er gab wenig Acht auf seinen Begleiter, sondern brummte vor sich hin, als ob er einige Romanzen und Lieder, in sein Gedächtniß zurückrufen wolle, welche Guarine, der nur für seine normännische Sprache ein Ohr hatte, nicht verstand.
Auf diese verdrießliche Weise waren sie fast zwei Stunden zusammen gewandert, als ihnen ein Reitknecht entgegen kam, der einen gesattelten Klepper am Zügel führte.
»Pilger,« sagte der Mann, nachdem er sie mit einiger Aufmerksamkeit betrachtet hatte, »wer von Euch nennt sich Philipp Guarine?«
»Ich, in Ermanglung eines bessern,« entgegnete der Knappe, »eigne mir den Namen zu.«
»Dein Herr gebietet Dir in diesem Falle, Dich zu ihm zu begeben,« versetzte der Reitknecht, »und er sendet Dir dies Zeichen zum Beweise, daß ich sein wirklicher Bote bin.«
Er zeigte dem Knappen einen Rosenkranz, den derselbe sogleich für den des Konstabels erkannte.
»Ich kenne das Zeichen,« sagte der Knappe; »meldet mir meines Herrn Befehl.«
»Er läßt Euch sagen,« fuhr der Reiter fort, »daß sein Unternehmen den besten Fortgang hat, und daß er noch heute Abend, etwa bei Sonnenuntergange, im Besitze seines Eigenthums seyn wird. Deshalb wünscht er, daß Ihr Euren Klepper besteigen, und mit mir nach Garde Doloureuse kommen möchtet, da man Eurer Gegenwart dort bedarf.«
»Es ist gut, ich gehorche!« versetzte der Knappe, sehr erfreut über den Inhalt der Botschaft, und gar nicht unzufrieden damit, daß er sich von seinem Begleiter trennen sollte.
»Und was für einen Auftrag habt Ihr an mich?« sagte der Minstrel, sich an den Boten wendend.
»Seyd Ihr, wie ich vermuthe, der Minstrel Renault Vidal, so sollt Ihr Euren Herrn an der Schlachtenbrücke erwarten, dem Euch früher ertheilten Befehle gemäß«
»Ich werde ihn dort treffen, wie es die Pflicht erheischt,« entgegnete Vidal. Kaum aber hatte er diese Worte ausgesprochen, als beide Reiter ihre Rosse umwandten, und schnell von dannen sprengend, ihn bald aus dem Gesichte verloren.
Vier Uhr Nachmittags war vorbei, und schon sank die Sonne, doch waren noch mehr als drei Stunden Zeit bis zur bestimmten Zusammenkunft, und der dazu festgesetzte Ort kaum vier Meilen weit entfernt. Vidal schlug, entweder um auszuruhen, oder seinen eigenen Gedanken nachzuhängen, einen Seitenweg links in das Gebüsch ein, durch welches ein kleiner Bach floß, der von einer unter den Bäumen sprudelnden Quelle seinen Ursprung erhielt. Hier setzte sich der Wanderer nieder, und heftete unwillkürlich seine Augen länger als eine halbe Stunde auf die sprudelnde Quelle, ohne seine Stellung zu verändern, so daß er wohl die Statue eines heidnischen Wassergottes hätte darstellen können, der sich über die Urne beugt, und in die Fluthen, die ihr entströmen, hinabstarrt. Endlich schien er indeß aus seinem tiefen Hinbrüten zu erwachen, und sich aufrichtend, nahm er einige grobe Nahrungsmittel aus seiner Pilgertasche, als ob er sich plötzlich besänne, daß das Leben nicht ohne Nahrung bestehen könne. Aber wahrscheinlich lag ihm etwas auf dem Herzen, was ihm den Appetit raubte oder die Kehle zuschnürte. Nachdem er fruchtlos versucht, einen Bissen hinunter zu schlucken, warf er ihn verächtlich hinweg, und griff nach einer kleinen Flasche, welche etwas Wein oder ein anderes geistiges Getränk enthielt. Aber auch dies schien ihm zu widerstehen, denn er warf Pilgertasche und Bouteille hinweg, und sich über die Quelle hinbeugend, löschte er in dem klaren Elemente seinen Durst in langen Zügen, wusch Gesicht und Hände, und scheinbar erfrischt von der Quelle aufstehend, setzte er langsam seinen Weg fort, während des Ganges in leisem, schwermüthigem Tone wilde Fragmente alter Dichtkunst in gleich veralteter Sprache singend.
Während er auf diese traurige Art seinen Weg fortsetzte, kam er endlich in die Nähe der Schlachten-Brücke, in deren Nähe in stolzem, düsterem Glanze das Schloß Garde Doloureuse emporstieg. »Hier also,« sagte er, »soll ich Dich erwarten, stolzer Lacy! Sey es in Gottes Namen! Er soll mich besser kennen lernen, ehe wir von einander scheiden.«
So sprechend, eilte er mit starken, entschlossenen Schritten über die Brücke, und eine Anhöhe ersteigend, die sich am jenseitigen Ufer in einiger Entfernung zeigte, verlor er sich eine Zeitlang in Betrachtungen über die ihn umgebende Scene. Er warf einen Blick aus den schönen Strom, in welchem sich die Farben des Abendhimmels spiegelten; er betrachtete die Bäume, welche durch die herbstliche Schattirung dem Auge glänzender, doch der Phantasie trauriger erschienen; er beobachtete die finstern Wälle und Thürme der Lehnsveste, von denen zuweilen ein Lichtstrahl herabzuckte, wenn der Schein der untergehenden Sonne die Waffen der Schildwachen auf den Burgzinnen erleuchtete.
Die düstern, unruhigen Gesichtszüge des Minstrel schien die Ruhe seiner Umgebungen milder und freundlicher gemacht zu haben. Er warf seine Pilgerkleidung zurück, so daß ihre dunkeln Falten ihn, wie ein offener Mantel, umfloßen, unter welchem der Wappenrock eines Minstrels sich zeigte. Er nahm eine kleine Harfe von seiner Seite, und von Zeit zu Zeit einen Walliser Gesang spielend, sang er. abwechselnd ein Lied, von welchem wir nur wenige Bruchstücke liefern können, die buchstäblich aus der alten Sprache, in der es gesungen ward, übersetzt, und in jener ungebundenen, poetischen Rede abgefaßt sind, welche Taliessin, Llewarch Hen Zu Taliessin siehe Anm. 21. - Llywarch Hen ist der Name einer Figur der britannischen Mythologie. Er wird allerdings auch als realer König von Süd-Rheged (etwa von 570 bis 613) genannt. Von einigen Literaturhistorikern wird er den »alten Barden« zugerechnet. und andere Barden, aus den Zeiten der Druiden herzuleiten pflegen.
»Ich fragte die Harfe: Wer hat Deine Saiten beschimpft?
Sie sprach: Der krumme Finger, der meines Liedes spottete.
Es krümmt sich die Klinge von Silber, doch nimmer die Klinge von Stahl –
Liebe schwindet dahin, doch fest und dauernd ist Rache!
Der süße Geschmack des Meths vergeht auf der Lippe,
Nicht so des bittern Wermuths ätzender Saft.
Das Lamm wird zur Schlachtbank geführt, der Wolf schweift frei im Gebirge –
Liebe schwindet dahin, doch fest und dauernd ist Rache!
Ich fragte das Eisen, geröthet vom glühenden Ambos,
Warum bewahrst Du die Gluth mehr als das brennende Holz?
Der dunkle Schacht gebar mich, das Holz wuchs im grünenden Walde –
Liebe schwindet dahin, doch fest und dauernd ist Rache!
Ich fragte die Eiche: Warum gleichen Deine Zweige dem Hirschgeweih?
Und sie wies an der Wurzel mir ein nagendes Würmchen.
Der Bube, die Züchtigung rächend, eröffnet die Pforte des Schlosses um Mitternacht –
Liebe schwindet dahin, doch fest und dauernd ist Rache!
Den Tempel zerstört der Blitz, dringt gleich sein Strahl aus den Wolken;
Die Sturme zerstören die Flotten, hemmt gleich ihr Segel den Wind.
Er sinkt im Glanze des Ruhms, getroffen vom schwächeren Feinde –
Liebe schwindet dahin, doch fest und dauernd ist Rache!«
Er ließ noch mehrere dieser wilden Phantasien im Gesange ertönen, und jede derselben stand in irgend einer Beziehung, wie entfernt und seltsam sie auch seyn mochte, mit dem Ausrufe, der gleich einem Chor am Schlusse einer jeden Stanze wiederholt ward, so daß diese Poesie einem musikalischen Stücke glich, das nach mannigfachen, seltsamen Variationen zu der einfachen Melodie zurückkehrt, der jene Verzierungen zur Ausschmückung dienten.
Während des Gesangs heftete der Minstrel seine Augen auf die Brücke und ihre Umgebung; doch als er am Schlusse des Liedes nach den entfernten Thürmen von Garde Doloureuse emporblickte, sah er, daß die Thore geöffnet waren und zahlreiche Truppen und Diener sich außerhalb der Festung aufstellten, als wolle Jemand von dort aufbrechen, oder eine wichtige Person daselbst erscheinen. Zu gleicher Zeit weit umherspähend, bemerkte er, daß die Landschaft, die, als er sie von seinem Sitze auf dem grauen Steine überschaute, völlig einsam gewesen war, jetzt allmälig belebter ward.
Während seiner Träumereien hatten sich mehrere Personen, theils einzeln, theils in Gruppen, aus Männern, Weibern und Kindern bestehend, zu beiden Seiten des Stroms versammelt, dort verweilend, als harrten sie irgend eines Schauspiels. Auch in den Mühlen der Flamänder, die er, wenn auch in einiger Entfernung, ganz übersehen konnte, ließ sich mannigfaches Geräusch vernehmen. Ein feierlicher Zug schien sich dort zu ordnen, der bei dem Klange der Pfeifen und Trommeln, so wie anderer musikalischer Instrumente, sich bald fortbewegte und in völliger Ordnung dem Platze nahte, auf welchem Vidal saß.
Das hier beginnende Geschäft hatte, wie es schien, einen friedlichen Charakter; denn die alten Graubärte der kleinen Kolonie folgten in anständiger Bauernkleidung dem ländlichen Musikchor, drei und drei zusammen gehend, auf ihre Stäbe gestützt, und durch ihren mäßigen, festen Schritt die Bewegung des ganzen Zuges lenkend. Nach diesen Vätern der Kolonie erschien Wilkin Flammock auf seinem mächtigen Kriegsrosse, völlig gerüstet, doch mit unbedecktem Haupte, wie es einem Vasallen geziemte, der seinem Lehnsherrn huldigen will. Ihm folgte in Schlachtordnung die Blüthe der Kolonie, aus dreißig wohlbewaffneten und gut gekleideten jungen Männern bestehend, deren starker Körperbau sowohl, als ihre glänzende Rüstung auf Beharrlichkeit und Mannszucht deuteten, wiewohl ihnen sowohl der kecke Blick der französischen Krieger, als der den Engländern eigenthümliche Trotz, oder der wilde, zügellose Ungestüm, der die Walliser charakterisirt, durchaus mangelte. Die Mütter und Töchter der Kolonie kamen jetzt, dann folgten die Kinder, mit eben so pausbäckigen Gesichtern, ernsten Zügen und bedächtigen Schritten, als ihre Eltern. Jünglinge von vierzehn bis zwanzig Jahren beschloßen den Zug. Sie waren mit leichten Lanzen, Bogen und ähnlichen Waffen, die sich für ihr Alter schickten, ausgerüstet.
Diese Prozession bewegte sich um den Fuß der Anhöhe, auf welcher der Minstrel saß, und eben so regelmäßig und langsam über die Brücke wandelnd, stellten sie sich in einer doppelten Reihe auf, das Antlitz nach innen gerichtet, als ob man irgend eine Person von Wichtigkeit erwarte oder irgend einer Ceremonie beiwohnen wolle. Flammock blieb an dem äußersten Ende der auf diese Weise von seinen Landsleuten gebildeten Reihe, und beschäftigte sich still, doch ernstlich, mit mancherlei Anordnungen und Vorkehrungen.
Indessen hatten sich Müßiggänger aus verschiedenen Gegenden versammelt, offenbar durch bloße Neugier herbeigelockt. Sie bildeten ein buntes Gewühl am jenseitigen Ende der Brücke, welches dem Schlosse am nächsten war. Zwei englische Bauern gingen dicht an dem Steine vorüber, auf welchem Vidal saß.
»Willst Du uns ein Lied singen, Minstrel?« sagte einer von ihnen. »Da hast Du etwas.« Bei diesen Worten« warf er ihm eine kleine Silbermünze in den Hut.
»Ein Gelübde,« entgegnete der Minstrel, »bindet mich, die fröhliche Kunst für jetzt nicht zu üben.«
»Oder Ihr seyd vielmehr zu stolz, einem englischen Bauern eins aufzuspielen,« sagte der ältere Landmann, »denn nach Eurer Sprache scheint Ihr mir ein Normanne.«
»Behaltet dennoch die Münze,« versetzte der Jüngere, »möge der Pilger empfangen, was der Minstrel zu erwerben verschmäht.«
»Ich bitte Euch, guter Freund, mich mit Eurer Gabe zu verschonen,« sagte Vidal; »ich bedarf ihrer nicht. Seyd lieber so gut und sagt mir, was eigentlich hier vorgehen soll.«
»Wie? Wißt Ihr denn nicht, daß wir unsern Konstabel von Lacy zurück erhalten haben? Und daß er so eben den flamändischen Webern die feierliche Belehnung über alle die schönen Dinge ertheilen wird, die ihnen Heinrich von Anjou gegeben hat? Wäre Eduard der Bekenner noch am Leben, um den niederländischen Schurken ihren Lohn zu ertheilen, an den Galgen würden sie gekommen seyn. Doch wenn wir nicht das Schauspiel verlieren wollen, so kommt, Nachbar!«
So sprechend, eilten sie den Hügel hinab.
Vidal heftete seinen Blick auf die Thore des entfernten Schlosses. Aus dem Wehen der Banner, so wie den sich ordnenden Reiterschaaren, so undeutlich man sie auch in dieser Entfernung unterscheiden konnte, mußte man schließen, daß eine Person von Bedeutung, an der Spitze eines ansehnlichen, kriegerischen Gefolges, im Begriff stehe, aufzubrechen. Entfernte Trompetenstöße, die sein Ohr zwar schwach, doch deutlich vernahm, schienen diese Vermuthung zu bestätigen. Die Staubwolken, die sich zwischen dem Schlosse und der Brücke erhoben, so wie die deutlicheren Klänge der Instrumente, belehrten ihn endlich, daß der kriegerische Zug sich nahe.«
Er schien seinerseits noch unentschlossen, ob er seine jetzige Stellung beibehalten sollte, die ihm den vollen, doch entfernten Ueberblick der ganzen Scene gestattete, oder ob er sich eine nähere, doch beschränktere Ansicht derselben verschaffen wolle, indem er sich in das Gedränge mischte, das jetzt zu beiden Seiten der Brücke zunahm, da ausgenommen, wo der Eingang von den in Reih' und Glied stehenden Flamändern bewacht ward.
Ein Mönch eilte jetzt schnell an Vidal vorüber, und als dieser wiederum fragte, was hier vorgehen solle, murmelte der Mönch unter seiner Kaputze hervor, der Konstabel von Lacy werde hier erscheinen, um sein Herrnrecht zum ersten Male in Ausübung zu bringen, indem er den Flamändern den königlichen Freibrief über ihre Gerechtsame ertheilen wolle.
»Er beeilt sich sehr, seine Gewalt auszuüben,« sagte der Minstrel.
»Wer so eben ein Schwert erhalten hat, pflegt meistens ungeduldig zu seyn, es zu ziehen,« versetzte der Mönch, noch Einiges hinzufügend, was der Minstrel nicht ganz verstand; denn Pater Aldrovand hatte den Schaden, den er bei der Belagerung erlitten, nicht wieder ersetzt.
Vidal glaubte indeß zu verstehen, daß jener den Konstabel hier erwarte, um seine günstige Verwendung in Anspruch zu nehmen.
»Ich will ihn ebenfalls sprechen,« sagte Renault Vidal, indem er plötzlich von dem Steine aufstand, auf dem er gesessen hatte.
»So folgt mir,« murmelte der Priester, »die Flamänder kennen mich und werden mich durchlassen.«
Da indeß Pater Aldrovand in Ungnade gefallen war, so schien sein Einfluß nicht so mächtig zu seyn, als er sich schmeichelte; denn er und der Minstrel wurden im Gedränge hin und wieder gestoßen und endlich von einander getrennt.
Vidal ward gleichwohl erkannt von den englischen Bauern, die früherhin mit ihm sprachen.
»Verstehst Du Dich auf irgend ein Gaukelspiel, Minstrel?« fragte der Eine, »so kannst Du auf reichlichen Lohn rechnen, denn unser normännischer Gebieter liebt die Taschenspielerei.«
»Ich kann nur ein Kunststück,« versetzte Vidal, »und will es zeigen, falls Ihr mir ein wenig Raum gönnt.«
Das Gewühl zog sich etwas zurück und ließ ihm Zeit, seine Mütze abzuwerfen und Knie und Beine zu entblößen, während er die ledernen Stiefel, in denen sie steckten, auszog, und nur seine Sandalen anbehielt. Hierauf band er ein buntes Tuch um sein schwärzliches, von der Sonne verbranntes Haar, und indem er sein Oberkleid abwarf, zeigte sich ein rothbrauner, nervigter Arm bis zur Schulter entblößt.
Allein während die, welche ihn umgaben, sich an diesen Vorbereitungen ergötzten, entstand eine lebendigere Bewegung unter der Menge. Der nahe Schall der Trompeten, den die Musik der Flamänder fröhlich beantwortete, und der laute Ruf der Normannen und Engländer: »Lang' lebe der tapfere Konstabel! Unsere Frau beschütze den kühnen Hugo von Lacy!« verkündeten, daß er selbst so eben erscheine.
Vidal machte unglaubliche Anstrengungen, sich dem Anführer des Zugs zu nahen. Er erblickte von ihm nur den Helm, welchen ein wallender Federbusch auszeichnete, und die rechte Hand, in der er den Kommandostab hielt – so dicht war das Gewühl der Hauptleute und Reisigen in seiner Nähe. Mit vieler Anstrengung kam er so weit, daß er sich nur einige Schritte von dem Konstabel entfernt sah, der sich jetzt in einem kleinen Kreise befand, welcher mit großer Mühe zu dieser lehnsherrlichen Feierlichkeit leer erhalten worden war. Er wandte dem Minstrel den Rücken zu und wollte sich eben herabbeugen, um den königlichen Freibrief Wilkin Flammock zu überreichen, der sich, um ihn ehrfurchtsvoller zu empfangen, auf ein Knie niedergelassen hatte. Durch seine Stellung war der Konstabel genöthigt, sich so tief zu beugen, daß die Federn seines Helms sich beinahe mit den Mähnen seines edlen Streithengstes zu vermischen schienen.
In diesem Augenblicke schwang sich Vidal mit außerordentlicher Gewandtheit über die Häupter der Flamänder, welche den Kreis umgaben, und ehe er ein Auge zu zucken vermochte, ruhte sein rechtes Knie auf dem hintern Theile von dem Pferde des Konstabels, und seine linke Hand hielt den Kragen von Lacy's Büffelwammse gefaßt. Dann über seine Beute herfallend, wie ein Tiger auf dem Sprunge, zog er einen kurzen, scharfen Dolch hervor und stieß ihn in den untern Theil des Nackens hinein, gerade da, wo der Rückgrat, der durch den Stoß abgetrennt ward, dazu dient, dem Rumpfe des menschlichen Körpers die geheimnißvollen Einflüsse des Gehirns mitzutheilen. Der Stoß ward mit der größten Genauigkeit und mit der äußersten Kraftanstrengung vollführt, und der unglückliche Reiter sank aus dem Sattel, ohne Zucken, ohne Seufzer, wie ein Stier in dem Amphitheater unter dem Stahle des Taureadors. So heißen die Kämpfer bei den spanischen Stiergefechten. – A. d. Uebers. In seinem Sattel aber saß sein Mörder, der den blutigen Dolch schwang und sein Roß zur Flucht antrieb.
Daß diese gelingen konnte, war allerdings möglich; denn alle Umstehenden schienen einen Augenblick völlig bewegungslos und erstarrt über das kühne und überraschende Unternehmen. Nur Flammocks Gegenwart des Geistes verließ ihn nicht. Dem Rosse in die Zügel fallend, nahm er mit Hülfe derer, die nur eines Winks bedurften, den Reiter gefangen, und ihm die Hände bindend, rief er laut: ›Er müsse vor König Heinrich geführt werden.‹ Dieser Vorschlag, mit Flammocks strengem und entschiedenem Tone geäußert, stillte das tobende Geschrei über Mord und Verrath, welches sich von tausend verschiedenen Stimmen hören ließ, indem die verschiedenen, mitunter feindselig gegen einander gesinnten Zuschauer sich wechselsweise der Schuld des Verraths anklagten.
Alle Fluthen vereinigten sich indeß jetzt in Einen Kanal und strömten nach Garde Doloureuse, einige Wenige aus dem Gefolge des ermordeten Konstabels ausgenommen, welche zurückblieben, um die Leiche ihres Gebieters mit geziemender, feierlicher Trauer von dem Orte fortzuschaffen, wohin er mit so vieler Pracht und so triumphirend sich begeben hatte.
Als Flammock in Garde Doloureuse anlangte, ward er mit seinem Gefangenen und den Zeugen sogleich eingelassen, die er erwählte, um das verübte Verbrechen zu beweisen. Auf seine Bitte um Gehör erhielt er zur Antwort, der König habe befohlen, daß Niemand jetzt vor ihn gelassen werden solle. Allein die Nachricht von des Konstabels Ermordung war so seltsam, daß der Hauptmann der Leibwache es wagte, Heinrich in seiner Einsamkeit zu stören und ihm diesen Vorfall mitzutheilen. Er kehrte sogleich mit dem Befehle zurück, daß Flammock und sein Gefangener auf der Stelle in das königliche Gemach eintreten sollten. Hier fanden sie Heinrich, umgeben von mehreren Personen, die ehrfurchtsvoll hinter seinem Stuhle in dem dunkleren Theile des Zimmers standen.
Bei Flammocks Eintreten bildeten seine breiten und plumpen Gliedmaßen einen auffallenden Kontrast mit seinen vor Entsetzen bleichen Wangen und seiner Scheu, sich in dem königlichen Audienzzimmer zu befinden. Sein Gefangener stand neben ihm, völlig unerschrocken über die Lage, in der er sich befand. Das Blut seines Opfers, welches aus der Wunde gespritzt war, zeigte sich deutlich auf seinen entblößten Gliedern und den beschmutzten Kleidern, vorzüglich aber auf seiner Stirne und dem darum gebundenen Tuche.
Heinrich warf ihm einen finstern Blick zu, den jener indeß nicht nur furchtlos zu ertragen, sondern ihn selbst mit einem gewissen Trotze zu erwiedern schien.
»Kennt Niemand diesen Verbrecher?« fragte der König, sich umschauend.
Es erfolgte keine unmittelbare Antwort. Endlich trat Philipp Guarine aus der hinter des Königs Sessel befindlichen Gruppe hervor und sagte: »Mit Vergunst, mein Lehnsherr, machte mich nicht die sonderbare Tracht irre, so würd' ich sagen, dieser Mann sey ein Minstrel, zu dem Haushalte meines Herrn gehörig, und Renault Vidal sein Name.«
»Ihr täuscht Euch, Normanne,« versetzte der Minstrel, »mein Dienst und meine niedrige Abkunft waren nur angenommen. Ich bin Cadwallon der Britte, Cadwallon von den neun Liedern, Cadwallon, der erste Barde Gwenwyns, des Fürsten von Powys – und sein Rächer!«
Als er die letzten Worts sprach, begegnete sein Auge dem Blicke eines Pilgers, der allmälig aus der Vertiefung, in welcher das Gefolge sich befand, hervorgetreten war und ihm jetzt gegenüber stand.
Die Augen des Wallisers starrten mit so furchtbarem Grausen vor sich hin, als ob sie aus ihren Höhlen treten wollten, während er in einem Tone des Erstaunens, mit Entsetzen vermischt, ausrief: »Erscheinen die Todten vor Monarchen? Oder, wenn Du lebst, wen hab' ich getödtet? Mir träumte wohl nur von jener Pflicht und dem tödtlichen Schlage! Und dennoch steht mein Opfer vor mir! Hab' ich nicht den Konstabel von Chester getödtet?«
»Du hast allerdings den Konstabel ermordet!« antwortete der König: »doch wisse, Walliser, daß es Randal von Lacy war, dem Lacy's Würde an diesem Morgen übertragen ward, weil wir glaubten, unser treuer Hugo sey auf seiner Heimkehr vom heiligen Lande umgekommen, da das Schiff, auf dem er sich befand, gescheitert seyn sollte. Du hast Randals kurze Rangeserhöhung noch um einige Stunden verringert, denn die nächste Morgensonne hätte ihn wiederum ohne Land und Würden begrüßt.«
Der Gefangene senkte mit sichtbarer Verzweiflung das Haupt auf seine Brust.
»Ich glaubte,« murmelte er, »er habe seine Haut so schnell verändert und allzu früh seinen Prunk wieder angethan; daß die Augen verlöschen möchten, die sich durch diese Flittern, das Federbarett und den bunt bemalten Stock täuschen ließen!«
»Ich werde dafür sorgen, Walliser, daß Dich Deine Augen nie wieder täuschen!« sagte der König ernst. »Ehe die Nacht eine Stunde älter ist, sollen sie sich für alles Irdische auf immer schließen.«
»Darf ich Eure Hoheit bitten,« sagte der Konstabel, »mir zu erlauben, diesem unglücklichen Manne einige Fragen vorzulegen?«
»Sobald ich ihn erst selbst befragt habe, warum er seine Hände in das Blut eines edlen Normannen getaucht hat.«
»Weil derjenige, den mein Schlag treffen sollte,« entgegnete der Britte, bald den König, bald den Konstabel trotzig anblickend, »das Blut des Abkömmlings von tausend Königen vergossen hatte, wogegen Dein eigenes Blut, oder das, was in Deinen Adern, stolzer Graf von Anjou, fließt, sich wie die Straßenpfütze gegen den Silberquell verhält.«
Heinrichs Auge drohte dem kühnen Sprecher, doch unterdrückte der Monarch seinen Zorn, als er den flehenden Blick seines Vasallen bemerkte. »Was wolltest Du ihn fragen?« sagte er; »fasse Dich kurz, denn seine Zeit ist beschränkt.«
»Mit Vergunst, mein Lehnsherr, ich möchte ihn nur fragen, warum er das Leben, welches er rauben wollte, Jahre lang verschonte, da es in seine Macht gegeben war, ja, da es verloren gehen mußte ohne seine scheinbar treuen Dienste?«
»Normanne,« sagte Cadwallon, »darauf will ich Dir antworten. Als ich zuerst in Deinen Dienst trat, hatte ich den Plan, Dich noch in derselben Nacht umzubringen. Hier aber,« fuhr er fort, auf Philipp Guarine deutend, »hier steht der Mann, dessen Wachsamkeit Du Deine Rettung verdankst.«
»Ich erinnere mich in der That,« versetzte Hugo von Lacy, »einiger Anzeichen eines solchen Vorsatzes; aber warum unterdrücktest Du ihn, als Du späterhin Gelegenheit hattest, ihn auszuführen?«
»Als der Mörder meines Monarchen Gottes Krieger war,« entgegnete Cadwallon, »und für die Sache Gottes in Palästina kämpfte, da war er sicher vor meiner Rache.«
»Eine seltsame Enthaltsamkeit von Seiten eines Walliser Meuchelmörders!« sagte der König verächtlich.
»Allerdings eine Enthaltsamkeit,« versetzte Cadwallon, »wie sie gewisse christliche Fürsten nicht bewiesen haben, die nie die zufälligen Eroberungen und Plünderungen unterließen, wozu sich, bei der Abwesenheit eines Nebenbuhlers in den Kreuzzügen genugsam Gelegenheit darbot.«
»Nun, bei dem heiligen Kreuze!« rief Heinrich, im Begriffe loszubrechen, weil er sich durch diese Beleidigung persönlich gekränkt fühlte. Doch plötzlich inne haltend fügte er mit verächtlichem Tone hinzu: »An den Galgen mit dem Verbrecher!«
»Nur noch eine Frage an Dich, Renault, oder welchen Namen Du sonst führst,« sagte Hugo von Lacy. »Selbst seit meiner Heimkehr hast Du mir manchen Dienst geleistet, den ich mir nach Deinem finstern Anschlage auf mein Leben nicht erklären kann. Du standest mir im Schiffbruche bei, Du führtest mich sicher durch Wales, wo schon mein Name hingereicht hätte, meinen Tod herbeizuführen; Du thatest dies Alles nach bereits vollendetem Kreuzzuge!«
»Ich könnte Deine Zweifel lösen,« versetzte der Barde, »wenn es nicht den Anschein hätte, als suchte ich mein Leben zu fristen.«
»Deshalb zögere nicht,« entgegnete der König, »sollte auch der heilige Vater selbst für Dich bitten, seine Worte wären vergeblich.«
»Wohlan denn,« sagte der Barde, »so vernimm die Wahrheit. Ich war zu stolz, den Wellen oder den Wallisern Antheil an meiner Rache zu vergönnen. Wisse also – was Du vielleicht Cadwallons Schwäche nennen magst – daß Zeit und Gewohnheit meine Gefühle gegen Hugo von Lacy zwischen Abscheu und Bewunderung getheilt hatten. Ich dachte stets an meine Rache, doch wie an etwas, das ich wohl nie erfüllen würde und das mir mehr ein lustiges Gebilde, als ein Gegenstand zu seyn schien, dem ich einst näher treten müßte. Und als ich nun Dich sah,« fuhr er zu Hugo gewendet fort, »als ich Dich heute sah, so gefaßt und entschlossen, das drohende Geschick als Mann zu tragen – als Du vor mir standest, wie der letzte Thurm eines zerstörten Palastes, der ein Haupt hoch in die Wolken erhebt, während die prachtvollen Mauern, die kostbaren Gemächer rings umher einstürzten – da rief ich mir zu in meinem Innern: Mag ich selbst untergehen, ehe ich sein Verderben vollende! Damals – eben damals – es sind nur wenige Stunden entflohen – hättest Du damals meine dargebotene Hand angenommen, ich hätte treuer an Dir gehangen, als je ein Diener an seinem Herrn, Ihr wieset sie verächtlich zurück – dennoch mußte ich Euch erblicken, wie ich es dachte, als Ihr eben über den Kampfplatz, auf welchem Ihr meinen Gebieter erschlugt, mit allem Stolze normännischer Unverschämtheit dahinsprengtet. So ward mein Entschluß wieder lebendig, den tödtlichen Streich zu führen, der, indem er Euch zugedacht war, wenigstens Einen Eures übermüthigen Geschlechts tödtete. – Ich will keine weiteren Fragen beantworten. Tödtet mich durch's Beil, führt mich zum Galgen – Cadwallon ist es völlig gleich. Bald wird meine Seele bei ihren edlen und freien Vorfahren seyn.«
»Mein Fürst und Lehnsherr,« sagte Hugo von Lacy, sich vor Heinrich auf ein Knie niederlassend, »könnt Ihr dies hören und Eurem alten Diener eine Bitte abschlagen? – Schonet dieses Mannes! Vernichtet nicht ein Licht, dessen Strahl wild und ungeregelt leuchtet!«
»Steh' auf, Lacy, und schäme Dich Deiner Bitte!« versetzte der König. »Deines Vetters Blut, das Blut eines edlen Normannen befleckt dieses Wallisers Stirn und Hand. Bei meiner Krone, er soll sterben, bevor es abgewischt ist! Führt ihn fort zur augenblicklichen Hinrichtung!«
Cadwallon ward sogleich durch eine Wache abgeführt.
»Du bist wahnsinnig, Lacy,« fuhr der König fort, indem er den Knieenden aufzustehen nöthigte; »Du bist wahnsinnig, mein alter, treuer Freund, daß Du diese Bitte an mich richtest. Siehst Du nicht ein, daß ich in dieser Sache für Dich sorgen muß? – Dieser Randal hat sich durch Freigebigkeit und Versprechungen Freunde erworben, die vielleicht nicht so leicht zu ihrer Vasallenpflicht gegen Dich zurückgebracht werden dürften, da Du an Macht und Reichthum verarmt zurückgekehrt bist. Wäre er am Leben geblieben, so würde es uns viele Mühe gekostet haben, ihm die erworbene Macht durchaus wieder zu nehmen. Wir sind dem Walliser Mörder, der uns von ihm befreit, Dank schuldig; aber seine Anhänger würden sagen, wir spielten ein falsches Spiel, wenn wir seinen Mörder verschonten. Wird Blut mit Blut bezahlt, so vergißt sich Alles und ihre Treue wird wieder in das vormalige Bette des Gehorsams gegen Dich, ihren rechtmäßigen Herrn, zurückfließen.«
Hugo von Lacy erhob sich von seinen Knieen und versuchte ehrfurchtsvoll die politischen Gründe seines schlauen Monarchen zu bekämpfen, die, wie er deutlich sah, minder seinen Vortheil bezweckten, und vielmehr dazu dienten, den Wechsel der lehnsherrlichen Autorität mit der geringsten Unruhe für den Monarchen oder für das Land zu Stande zu bringen.
Heinrich hörte geduldig seine Gründe an und widerlegte sie gelassen, bis die Todtentrommel gerührt ward und die Burgglocke zu läuten anfing. Jetzt führte er Hugo von Lacy an's Fenster, welches bei der zunehmenden Finsterniß der Nacht durch ein starkes, röthliches Licht von außen erleuchtet ward. Eine Schaar von Reisigen, jeder eine brennende Fackel in der Hand tragend, kehrte die Terrasse entlang von der Hinrichtung des wilden, doch hochherzigen Britten zurück, und dumpf ertönte der Ruf: »Lang lebe König Heinrich, und mögen alle Feinde der edlen Normannen so untergehen!«