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Die Tochter des erschlagenen Raymund hatte die Anhöhe, von der sie das Schlachtfeld überschaute, mit dem tödtlichen Schmerze verlassen, der so natürlich ein Kind erfüllt, dessen Auge den Tod eines verehrten und geliebten Vaters geschaut hat. Aber ihre Lage und die Grundsätze des Ritterthums, in denen sie erzogen worden, erlaubten ihr nicht, einem dauernden, fruchtlosen Grame nachzuhängen.
Während der Geist jenes Zeitalters dem jüngern und schönen Theile des weiblichen Geschlechts den Rang von Fürstinnen oder vielmehr Gottheiten einräumte, forderte er zugleich von ihnen einen Charakter und ein Benehmen, welches sich über das einfach natürliche Gefühl erhob, ja demselben gewissermaßen widersprach. Die Heldinnen jener Perioden gleichen öfters Gemälden, die ein künstliches Licht stark und glänzend beleuchtet, und die Gegenstände, worauf es fällt, kräftig hervortreten läßt. Allein sie haben immer etwas von jenem zufälligen Schimmer, der im Vergleich mit dem Tageslicht blendend und übertrieben scheint.
Der Waise von Garde Doloureuse, der Tochter einer Reihe von Helden, die ihren Ursprung aus dem Geschlechte Thors, Balders, Odins und anderer zu den Göttern erhobenen Krieger des Nordens herleiteten, deren Schönheit hundert Minstrels besangen, deren Augen der Leitstern der Hälfte der Ritter auf den kriegerischen Gränzen von Wales waren – ihr war nicht gestattet, ihren Vater mit den vergeblichen Thränen eines Landmädchens zu beweinen.
So jung sie auch war und so furchtbar das Schauspiel erschien, das sich ihren Augen darbot, so war es doch nicht so entsetzlich für sie, als es für ein Mädchen gewesen wäre, dessen Auge sich nicht gewöhnt an die rohen, öfters mit Unglück verbundenen ritterlichen Spiele, dessen Verhältnisse es nicht nöthigten, stets von Kriegs- und Todesscenen umgeben zu seyn, dessen Einbildungskraft nicht vertraut war mit wilden, blutigen Ereignissen; das endlich nicht durch Erziehung gelernt hatte, einen ehrenvollen Tod auf dem Schilde, wie man den Tod auf dem Schlachtfelde nannte, als einen wünschenswerthen Schluß des Lebens eines Kriegers, jenem unrühmlichen, zögernden Geschick vorzuziehen, das langsam naht, um der hülflosen Unthätigkeit des hohen Alters ein Ziel zu setzen.
Während Eveline um ihren Vater weinte, fühlte sie ihr Herz glühen bei dem Gedanken, daß er in der Fülle seines Ruhms dahin sank, umgeben von den aufgehäuften Leichen seiner Feinde; und wenn sie an ihre Lage dachte, so geschah es mit dem festen Entschlusse, ihre Freiheit zu vertheidigen und ihres Vaters Tod zu rächen, und dazu sich jedes Mittels zu bedienen, das der Himmel in ihre Macht gegeben hatte.
Der Beistand der Religion ward nicht vergessen. Den Sitten der damaligen Zeit und der römisch-katholischen Kirche gemäß, war sie bemüht, sich durch Gelübde und Gebete die Gnade des Himmels zu sichern. In einem kleinen Gewölbe oder Betstuhl, der an die Kapelle stieß, hing über einem Altare, auf welchem eine ewige Lampe brannte, ein kleines Gemälde der Jungfrau Maria, die als besondere Schutzgöttin und Hausheilige des Stammes Berengar verehrt ward, und von einem seiner Ahnherren bei einer Pilgerfahrt aus dem gelobten Lande mitgebracht worden war.
Das Bild war aus den ersten Zeiten des Christenthums, ein griechisches Gemälde, denen nicht unähnlich, die man öfters in katholischen Ländern dem Evangelisten Lukas zuschreibt. Das Gewölbe, worin es sich befand, galt als eine sehr heilige Kapelle, ja, man behauptete, es habe wunderthätige Kräfte; und Eveline hatte sich, durch die täglich hieher gebrachten Blumenkränze, und durch die Gebete, womit sie dieselben begleitete, als eine besondere Anbeterin unserer Dame von Garde Doloureuse – dies war der Name des Bildes – gezeigt.
Jetzt, von allen Uebrigen getrennt, sank sie einsam, von dem tiefsten Schmerze erfüllt, vor dem Altare ihrer Schutzherrin nieder. Sie erflehte den Schutz der Himmlisch-Reinen für ihre Freiheit und Ehre, zugleich die Rache des Himmels über den wilden, verrätherischen Häuptling herabrufend, der ihren Vater erschlagen hatte, und jetzt ihre Burg belagerte. Sie gelobte nicht nur dem Altare der Beschützerin eine reiche Spende an Ländereien, auch der Eid entfloh ihren Lippen, wiewohl sie bebten und sich dagegen sträubten, daß, welcher begünstigte Ritter es auch sey, den unsere Dame von Garde Doloureuse zu ihrer Rettung herbeiführe, derselbe zum Lohne von ihr jede Gabe empfangen solle, die sie mit Ehren verleihen könne, und sey es selbst ihre jungfräuliche Hand am Altare.
Da sie, den Betheuerungen so vieler Ritter zufolge, einen solchen Preis für den höchsten, den man erringen könne, halten mußte, so schien es ihr, als entrichte sie eine Pflicht der Dankbarkeit, indem sie sich so ganz der Willkühr der reinen und segensreichen Beschützerin hingab, auf deren Beistand sie fest baute. Vielleicht lauschte hinter dieser Andacht irgend eine irdische Hoffnung, deren sie sich kaum bewußt war, und die sie mit dem so rücksichtslos und freiwillig dargebrachten Opfer aussöhnte. Die heilige Jungfrau (flüsterte ihr die schmeichelnde Hoffnung zu), diese gütigste und wohlwollendste aller Beschützerinnen, wird das ihr bewilligte Recht mit Milde üben, und Er wird der begünstigte Ritter Mariens seyn, Er, dem ihre Geweihte am liebsten eine Gunst erzeigen möchte.
Aber, falls es eine solche Hoffnung gab, wie denn oft ein gewisser Egoismus sich mit unsern edelsten und reinsten Empfindungen vermischt, so war Eveline sich ihrer nicht bewußt. Sie heftete mit unbedingtem Glauben auf das Bild ihrer Heiligen das Auge, in welchem das dringendste Flehen und demüthigste Vertrauen mit hervorbringenden Thränen kämpften. Vielleicht erschien sie in diesem Augenblicke noch schöner als damals, wo sie, so jung sie war, sich erwählt sah, in den Schranken von Chester den Dank auszutheilen.
Man darf sich daher nicht wundern, daß, indem Lady Eveline vor einem Wesen kniete, dessen Macht, sie zu beschützen, und diesen Schutz durch ein sichtbares Zeichen zu verkünden, ihr nicht zweifelhaft war, sie sich wirklich einbildete, sie sähe mit eigenen Augen die wohlgefällige Annahme ihres Gelübdes. Während sie das Gemälde starr ansah, schien sich, bei ihrer schwärmerischen, glühenden Einbildungskraft, der Ausdruck der scharfen Umrisse des griechischen Malers zu verändern. Die Augen der heiligen Jungfrau schienen sich zu beleben, und mitleidige Blicke das demüthige Flehen der Gelobenden zu beantworten. Sichtbar schwebte um den Mund ein unendlich süßes Lächeln; ja, es schien, als ob das Haupt sich leise und freundlich neige.
Von übernatürlicher Scheu bei einer Erscheinung ergriffen, an deren Wirklichkeit ihr Glaube sie nicht zweifeln ließ, schlug Lady Eveline die Arme kreuzweise über die Brust, demüthig ihr Haupt zu Boden senkend, als der geziemendsten Stellung, eine göttliche Mittheilung zu empfangen.
Aber so weit erstreckte sich ihre Vision nicht. Es erklang weder Ton noch Stimme, und als sie allmälig im Beistuhle schüchtern umherblickte, und dann wieder zu dem Antlitze unserer Frau emporsah, schienen die Züge wieder zu den alten Umrissen, die der Maler ihnen gegeben, zurückgekehrt zu seyn; doch lieh ihnen Evelinens Phantasie noch immer einen erhabenen und zugleich huldreichen Ausdruck, den sie zuvor nicht daran bemerkt zu haben glaubte.
Mit scheuer Ehrerbietung, die beinahe an Furcht gränzte, doch getröstet und selbst muthig erhoben durch die gehabte Erscheinung, wiederholte das Mädchen wieder und immer wieder die Gebete, die sie dem Ohre ihrer Schutzpatronin am willkommensten erachtete. Endlich aufstehend, entfernte sie sich rückwärts, wie in der Gegenwart eines Herrschers, bis sie die äußere Kapelle erreicht hatte.
Hier knieten noch einige Frauen vor den Heiligen, welche an den Wänden und in den Nischen zur Anbetung aufgestellt waren; aber die übrigen ängstlich Flehenden, zu beunruhigt, um ihre Andacht zu verlängern, hatten sich in dem Schlosse zerstreut, um sich nach den Ihrigen zu erkundigen, einige Erfrischungen zu sich zu nehmen, oder sich wenigstens irgend einen Ruheplatz für sich und die Ihrigen zu verschaffen.
Ihr Haupt verneigend und vor jedem Heiligen, an dessen Bilde sie vorüberschritt, eine Ave flüsternd (denn drohende Gefahr macht auf die Pflichten der Religion zwiefach aufmerksam), hatte Eveline beinahe die Thür der Kapelle erreicht, als ein Reisiger, wie es schien, schnell hineintrat, und lauter, als es sich an diesem heiligen Orte, außer in der dringendsten Noth, geziemte, nach Lady Evelinen fragte. Noch ganz begeistert von den Gefühlen der Andacht, die der unlängst gehabte Austritt geweckt hatte, war sie eben im Begriff, ihm über seine kriegerische Rohheit Vorwürfe zu machen, als er mit ängstlicher Hast ihr zurief: »Tochter, wir sind verrathen!«
Wenn auch Gestalt und Rüstung auf einen Krieger schließen ließen, so verrieth doch die Stimme den Pater Aldrovand, der von Eifer und Bangigkeit erfüllt, den Helm abnahm, und sein Antlitz zeigte.
»Vater,« rief Eveline, »was bedeutet das? Habt Ihr das Vertrauen auf den Himmel, das Ihr so dringend anzuempfehlen pflegt, vergessen, da Ihr andere Waffen tragt, als Euer Orden Euch gestattet?«
»Dahin kann es über kurz oder lang kommen,« versetzte Pater Aldrovand. »Ich war ein Krieger, ehe ich Mönch wurde. Doch jetzt habe ich diesen Harnisch angelegt, nicht, um der Gewalt zu widerstehen, sondern, um Verrath zu entdecken. Ach, meine geliebte Tochter, wir sind in einer entsetzlichen Lage – Feinde von außen, Verräther innerhalb! – Der falsche Flamänder, Wilkin Flammock, steht in Unterhandlungen wegen Uebergabe der Burg.«
»Wer wagt das zu sagen?« rief ein verschleiertes, weibliches Wesen, das unbemerkt in einem abgesonderten Winkel der Kapelle gekniet hatte, jetzt aber aufsprang und keck zwischen Lady Eveline und den Mönch trat.
»Entferne Dich, Du freches Wesen!« rief der Mönch sehr verwundert über die kühne Unterbrechung; »dies geht Dich nichts an.«
»Es geht mich allerdings an!« entgegnete das Mädchen, indem es den Schleier zurückwarf, und die jugendlichen Züge Rosens, der Tochter Wilkin Flammocks, zeigte, während ihre Augen funkelten und ihre Wangen vor Zorn glühten, dessen Heftigkeit einen seltsamen Kontrast mit dem lieblichen Antlitz und den fast kindischen Zügen der Sprechenden bildete. Ihre ganze Gestalt und Form war die eines Mädchens, das noch unlängst Kind gewesen, und deren sonstiges Benehmen eben so schüchtern und anmuthig war, als es sich jetzt keck, leidenschaftlich und unerschrocken,
»Geht es mich etwa nichts an,« sagte sie, »daß der ehrliche Name meines Vaters mit der Anklage des Verraths befleckt wird? Hat es keinen Einfluß auf den Strom, wenn seine Quelle getrübt wird? Es geht mich allerdings viel an, und ich will wissen, wer der Urheber dieser Verläumdung ist.«
»Spare Deine fruchtlose Entrüstung, Mädchen!« entgegnete Eveline. »Der gute Pater, dessen Absicht es gewiß nicht ist, Deinen Vater zu verläumden, hat sich vielleicht durch einen falschen Bericht täuschen lassen.«
»So wahr ich ein unwürdiger Diener des Herrn bin,« versetzte der Pater, »ich sage nur wieder, was meine Ohren vernommen haben. Bei meinem Ordens-Eide, ich selbst hörte diesen Wilkin Flammock mit dem Walliser unterhandeln wegen der Uebergabe von Garde Doloureuse. Mit Hülfe dieser Rüstung war ich bei einem Gespräche zugegen, wo man keine englischen Ohren vermuthete. Sie sprachen zwar Flamändisch zusammen, allein dies Kauderwelsch kenne ich seit langer Zeit.«
»Die flamändische Sprache!« rief das erzürnte Mädchen, durch ihre Leidenschaftlichkeit zuerst zur Beantwortung der letzten beleidigenden Worte aufgefordert. »Sie ist kein Kauderwelsch, wie Euer buntscheckiges, halb Normännisches, halb angelsächsisches Englisch. Es ist eine edle, gothische Sprache, deren sich die tapfern Krieger bedienten, die gegen die römischen Kaiser fochten, als Britannien ihr Joch trug – und was er da sagt von Wilkin Flammock,« fuhr sie fort, auf den in Rede stehenden Gegenstand zurückkommend, »so glaubt es nicht, meine theuerste Lady. So gewiß Ihr auf die Ehre Eures edlen Vaters haltet, bauet auf die Rechtlichkeit des meinigen, wie auf das Evangelium.«
Sie sprach dies mit flehendem, öfters schluchzendem Tone, als ob das Herz ihr bräche.
Eveline versuchte, sie zu beruhigen.
»Rose,« sagte sie, »in dieser schlimmen Zeit entgeht auch der trefflichste nicht dem Argwohn; Mißverständnisse können selbst unter den besten Freunden Statt finden. Der gute Pater möge berichten, weshalb er Deinen Vater anklagt. Sey unbesorgt, wir werden seine Vertheidigung anhören. Du bist ja sonst so ruhig und verständig,«
»In dieser Angelegenheit bin ich keins von beiden,« entgegnete Rose mit verdoppeltem Aerger; »und es ist schlecht von Euch, Lady, daß Ihr auf die falsche Beschuldigung eines vermummten Geistlichen hört, der weder ein ächter Priester, noch ein ächter Kriegsmann ist. Aber ich will Einen herbeiholen, der es sowohl im Helme als in der Kutte mit ihm aufnehmen soll!«
So sprechend, verließ sie schleunig die Kapelle, während der Mönch mit einiger pedantischen Weitläuftigkeit Lady Evelinen Nachricht gab von der Unterredung zwischen Jorworth und Wilkin, und ihr den Vorschlag that, die wenigen im Schlosse befindlichen Engländer zu vereinigen, und sich mit ihrer Hülfe des innersten viereckigen Thurms zu bemächtigen. Denn dieser Plan konnte, wie es in den gothischen Festungen zur Zeit der Normannen gewöhnlich der Fall war, noch einen bedeutenden Widerstand leisten, selbst wenn die Außenwerke der Burg bereits in feindlichen Händen waren.
»Vater,« sagte Eveline, noch immer voll Vertrauen auf das gehabte Traumgesicht; »dies wäre in dem dringendsten Falle ein sehr guter Rath. Außerdem aber kann er nur das Uebel, das wir fürchten, herbeiführen, indem er leicht Zwietracht unter der Besatzung erregt. Ich hege ein festes, nicht unverbürgtes Vertrauen zu unserer lieben Frau von Garde Doloureuse; sie wird sowohl Rache nehmen an unsern grausamen Feinden, als uns auch in unsern Nöthen Rettung gewähren. Ich rufe Euch auf zum Zeugen des von mir abgelegten Gelübdes, daß ich demjenigen, den Unsere Frau zu unserer Rettung sendet, nichts versagen will, wäre es selbst meines Vaters Erbe und meine eigene Hand!«
» Ave Maria ! Ave Regina coeli;« rief der Geistliche. »Auf einen sicherern Felsen hättet Ihr nie Euer Vertrauen gründen können. Aber, Tochter,« fuhr er fort, nachdem er das übliche Stoßgebet verrichtet, »habt Ihr nie etwas gehört oder wenigstens einen Wink erhalten, daß in Betreff Eurer Hand, zwischen unserem hochgeehrten Gebieter – Gott sey seiner Seele gnädig – und dem großen Hause von Lacy eine Uebereinkunft abgeschlossen worden ist?«
»Ich habe etwas davon gehört,« sagte Eveline, ihre Augen trocknend; »doch verlasse ich mich gänzlich auf Unserer lieben Frauen Trost und Rettung.«
Während sie dies sprach, trat Rose wieder in die Kapelle, mit der nämlichen Heftigkeit, womit sie dieselbe verlassen hatte, ihren Vater an der Hand führend, dessen träger, wiewohl fester Schritt, die seelenlosen Züge und das schwerfällige Benehmen den auffallendsten Kontrast mit der schnellen Bewegung und Lebhaftigkeit seiner Tochter bildeten. Ihr Bemühen, ihn mit sich fortzuziehen, erinnerte an jene alten Monumente, auf denen ein kleiner Cherub, der dem Unternehmen durchaus nicht gewachsen scheint, die Fleischmasse irgend eines wohlbeleibten Grabbewohners zum Himmel emporträgt, dessen unverhältnißmäßige Schwere den gutgemeinten geistigen Anstrengungen seines lustigen, ihn unterstützenden Begleiters Trotz zu bieten scheint.
»Röschen, mein Kind, was betrübt Dich?« sagte der Niederländer, den Anstrengungen seiner Tochter mit einem Lächeln nachgebend, das, indem es die Züge eines Vaters belebte, mehr Ausdruck und Gefühl zu verrathen schien, als dasjenige, was sonst unausgesetzt auf seinen Lippen schwebte.
»Hier steht mein Vater!« rief das ungeduldige Mädchen. »Wer es kann oder wagt, der beschuldige ihn des Verraths! Hier steht Wilkin Flammock, der Sohn des Krämer Dietrichs aus Antwerpen. Auge gegen Auge mögen ihn die anklagen, die ihn hinter seinem Rücken verläumden!«
»Redet, Pater Aldrovand!« sagte Lady Eveline. »Unser Herrschaftsrecht ist noch neu, und in böser Stunde fiel uns diese Pflicht anheim; doch wollen wir, so wahr uns Gott und Unsere liebe Frau helfe, Eure Anklage vernehmen, und nach besten Kräften darüber entscheiden.«
»Dieser Wilkin Flammock,« sagte der Mönch, »so dreist er auch durch seine Schlechtigkeit geworden seyn mag, kann es nicht läugnen, daß ich mit eigenen Ohren seine Unterhandlungen wegen Uebergabe des Schlosses gehört habe.«
»Schlagt ihn nieder, Vater!« rief die empörte Rose. »Streckt ihn zu Boden diesen vermummten Heuchler! Die Stahlhaube darf der Streich treffen, wenn er die Mönchskutte scheut. Streckt ihn zu Boden, oder sagt ihm, daß er schändlich gelogen!«
»Halte Frieden, Röschen!« entgegnete ihr Vater verdrießlich. »Du bist von Sinnen! In dem Mönche ist mehr Wahrheit als Vernunft, und ich wollte, seine Ohren wären weit weg gewesen, als er sie in Dinge steckte, die ihm nichts angingen.«
Rosens Fassung wankte, als sie ihren Vater geradezu die verrätherischen Anschläge eingestehen hörte, deren sie ihn nicht fähig geglaubt hatte. Sie ließ die Hand, mit der sie ihn nach der Kapelle geführt, muthlos sinken, und Lady Eveline mit ein Paar Augen anstarrend, die aus ihren Höhlen zu treten schienen, drängte sich alles Blut, welches sonst ihrem Antlitze eine sanfte Röthe gab, unwillkürlich nach dem Herzen zurück.
Eveline betrachtete den Schuldigen mit einem Blicke, in welchem sich Sanftmuth und Würde mit tiefem Kummer mischten, und sagte:
»Wilkin, das hätte ich nicht geglaubt! Wie? An dem Todestage Deines Wohlthäters konntest Du mit seinen Mördern unterhandeln, das Schloß zu übergeben, und so Verrath begehen an Deiner Treue? Aber ich will Dir keine Vorwürfe machen. Ich entziehe Dir das Vertrauen, das einem so Unwürdigen geschenkt ward, und Du sollst verhaftet bleiben in dem westlichen Thurme, bis Gott uns Entsatz schickt, wo dann vielleicht Deiner Tochter Verdienst Dein Unrecht ausgleichen und Dich fernerer Strafe überheben wird. Gib Acht, daß unsere Befehle sogleich vollzogen werden!«
»Ja – ja – ja!« rief Rose, so schnell und heftig ein Wort nach dem andern aussprechend, als sie es irgend herausbringen konnte. »Laßt uns fort – fort zu dem tiefsten Kerker! Die Finsterniß ziemt uns besser, als das Licht.«
Der Mönch dagegen, welcher bemerkte, daß der Flamänder keine Anstalt machte, dem Verhaftsbefehle Folge zu leisten, trat auf eine Art vorwärts, die sich mehr zu seinem ehemaligen Stande und zu seiner Verkleidung, als zu seiner geistlichen Würde paßte, und mit den Worten: »Ich verhafte Dich, Wilkin Flammock, wegen eingestandenen Hochverraths gegen Deine Gebieterin!« würde er Hand an ihn gelegt haben, wenn nicht der Flamänder zurückgetreten wäre, und ihn mit einer drohend entschlossenen Bewegung zurückgewiesen hätte.
»Ihr seyd toll!« sagte er; »all Ihr Engländer seyd toll, wenn es Vollmond ist, und mein albernes Mädchen da ist von dem Uebel auch nicht verschont geblieben. Lady, Euer geehrter Vater gab mir ein Amt, welches ich zum Besten aller Parteien führen will, und als eine Unmündige könnt Ihr es mir nicht nach Belieben rauben. Pater Aldrovand, ein Mönch, vollzieht keine gesetzliche Verhaftung. Röschen, halte Deinen Mund und trockne Deine Augen – Du bist eine Thörin!«
»Ich bins –ich bins!« rief Rose, indem sie ihre Augen trocknete und ihre vorige Munterkeit wieder gewann. »Ich bin in der That eine Thörin, ja, schlimmer als das, da ich einen Augenblick an meines Vaters Rechtlichkeit zweifeln konnte. Baut auf ihn, theuerste Lady! er ist klug, wiewohl er mürrisch ist, und, wenn auch einfach und ungeschmückt, herzlich in seiner Sprache. Sollte er sich falsch zeigen, so fährt er offenbar am Schlimmsten dabei. Ich werde mich dann von der Zinne des höchsten Wachtthurms in den Burggraben stürzen, und er soll seine eigene Tochter verlieren, weil er die seines Gebieters verrieth.«
»Das ist nichts als Wahnsinn,« sagte der Mönch. »Wer kann überwiesenen Verräthern trauen? Hieher, Normannen, Engländer, kommt Euern Lehensherrn zu Hülfe! Kommt her, mit Euren Bogen und Beilen!«
»Spart zur nächsten Predigt Eure Lunge!« rief der Niederländer, »oder Ihr müßt auf gut flamändisch rufen, das Ihr ja ohnedies versteht; denn die Euch hören, können Euch in keiner anderen Sprache antworten.«
Er näherte sich hierauf Lady Evelinen mit einer wirklichen oder angenommenen plumpen Herzlichkeit, die so nahe an Höflichkeit gränzte, als es seine Züge und Manieren gestatteten. Ihr eine gute Nacht wünschend, versicherte er, er werde Alles zum Besten leiten, und so verließ er die Kapelle. Der Mönch wollte wiederum in seine alten Klagen ausbrechen; allein Eveline hemmte mit größerer Klugheit seinen Eifer.
»Ich kann nicht umhin, zu hoffen,« sagte sie, »daß dieser Mann rechtliche Absichten hegt« –
»Gottes Segen über Euch für dies einzige Wort!« rief Rose, sie leidenschaftlich unterbrechend und ihre Hand küssend.
»Aber wenn sie unglücklicher Weise zweifelhaft wären,« fuhr Eveline fort, »so bringen wir ihn schwerlich durch Vorwürfe zu einem besseren Entschlusse. Guter Vater, habt ein wachsames Auge auf die Vertheidigungsmaßregeln der Burg, und seht zu, daß, so viel in unseren Kräften steht, nichts dabei unterlassen werde.«
»Sey unbesorgt, meine theuerste Tochter!« sagte Aldrovand. »Es gibt noch ächte englische Herzen unter uns, und eher wollen wir selbst diese Flamänder erschlagen und verzehren, ehe wir uns zur Uebergabe der Burg verstehen.«
»Das wäre ein Lebensmittel, das mit eben so großer Gefahr zu verschaffen seyn möchte, als Bären-Wildpret,« entgegnete Rose bitter, noch immer schmerzlich aufgeregt durch den Gedanken, daß der Mönch ihre Nation durch Argwohn und Verachtung kränke.
Unter so bewandten Umständen trennte man sich. Die Frauen hingen ihrer Furcht und Sorge in geheimem Kummer nach, oder flehten in stillem Gebete um Erleichterung desselben. Der Mönch suchte die wahren Absichten Wilkin Flammocks zu erforschen, und ihnen, falls sie Verrath ahnen ließen, möglichst entgegen zu handeln. Allein sein Auge, obgleich durch starken Verdacht geschärft, sah nichts, was ihn in seiner Furcht bestärkte, ausgenommen, daß der Flamänder mit vieler Kriegserfahrung die Hauptposten im Schlosse der Vertheidigung seiner Landsleute übergeben hatte, wodurch ein jeder Vorsatz, ihn seiner jetzigen Macht zu berauben, gleich schwer und gefährlich war. Der Mönch, den die Pflicht des Abendgottesdienstes abrief, entfernte sich endlich mit dem festen Vorsatze, beim Anbruche des Morgens wach und bei der Hand zu seyn.